• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sterbehilfe in den Niederlanden: Euthanasie-Gesetzgebung vor der Erweiterung?" (03.11.1995)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sterbehilfe in den Niederlanden: Euthanasie-Gesetzgebung vor der Erweiterung?" (03.11.1995)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

POLITIK

D

ie 50jährige Netty Boomsma litt an Depressionen, nach- dem ihre Ehe zerrüttet und ih- re beiden Söhne gestorben waren. Ihr Arzt Boudewijn Chabot händigte ihr auf ihr Bitten im Jahr 1991 giftige Substanzen aus, mit de- nen sie sich das Leben nahm. Per Dis- ziplinarverfahren in Amsterdam wur- de jetzt dem Psychiater ein Verweis erteilt. Der Arzt dürfe zwar weiter praktizieren. Er solle jedoch zum

„Nachdenken" gebracht werden (da- zu auch Deutsches Ärzteblatt, Heft 31-32/1994).

Ein Gericht in Alkmaar beschloß nach nur zwei Wochen Verhandlung, den 49jährigen Arzt Henk Prins, der im Jahr 1993 einen Säugling auf Drän- gen der Eltern getötet hatte, nicht zu bestrafen. Das Baby Rianne war mit einem Wasserkopf, einer Spina bifida und Hirnschäden geboren worden.

Henk Prins war von den Eltern um ei- ne aktive Lebensbeendigung gebeten worden. Sechs Kollegen untersuchten das Baby und kamen überein- stimmend zum selben Ergebnis: Eine Operation hätte mit großer Wahr- scheinlichkeit zum Tod geführt. Prins spritzte Rianne daraufhin eine tödli- che Dosis Curare unter die Zunge.

Der Arzt erklärte vor Gericht, ihm und den Eltern sei es darum gegan- gen, das Leiden des Neugeborenen zu verkürzen.

Das sind nur zwei Beispiele für niederländische Ärzte, die aus „hu- manitären Gründen" töteten und un- bestraft blieben. Beide Fälle werden der Euthanasie zugerechnet, die auch in den Niederlanden grundsätzlich verboten ist. Nach mehr als 20jähriger

AKTUELL

Debatte ist jedoch im letzten Jahr ein Gesetz in Kraft getreten, wonach Sterbehilfe straffrei bleibt, wenn die Ärzte die Euthanasie auf ausdrückli- chen und wiederholten Wunsch des Patienten praktiziert haben und des- sen Leiden „unannehmbar" sind. Der Patient muß außerdem bei vollem Verstand sein. Der behandelnde Arzt muß sich schließlich auch noch mit ei- nem Kollegen beraten.

Ablehnung im Ausland

Maßstab für die Strafbarkeit ist ein bestimmtes Prüfverfahren. In Form eines Meldeberichtsbogens ist der Arzt verpflichtet, im Anschluß an die geleistete Sterbehilfe ein Gutach- ten zu schreiben. Der Gemeindearzt muß anschließend eine Leichenbe- schau vornehmen und den Staatsan- walt informieren. Ärzte, die sich nicht an dieses Verfahren halten, müssen mit mehrjährigen Gefängnisstrafen rechnen (dazu Deutsches Arzteblatt, Heft 15/1994).

Die beiden beschriebenen Fälle sind allerdings nicht mit dem weltweit umstrittenen niederländischen Eu- thanasie-Gesetz vereinbar. So befand sich Netty Boomsma nicht in der Ster- bephase. Unter Umständen könne sich der Arzt dennoch auf eine Notsi- tuation berufen, hatte im vergange- nen Jahr bereits der Oberste Ge- richtshof festgestellt. Bei den Bedin- gungen, wie sie bei Netty Boomsma vorlagen, könnte Hilfe zur Selbsttö- tung durchaus gebilligt werden, so das Gericht. Chabot war lediglich deswe-

gen ein Verweis erteilt worden, weil er sich nicht an die formalen Spielregeln gehalten hatte. So war er nicht seiner Pflicht nachgekommen, einen unab- hängigen Fachkollegen zu konsultie- ren. Das Disziplinargericht bestätigte die Auffassung des Obersten Ge- richtshofs und begründete den Ver- weis außerdem damit, daß der Arzt nicht versucht habe, die Frau zu be- handeln.

Auch die Tötung von Rianne ent- sprach nicht den Bedingungen der Euthanasie-Gesetzgebung, weil der Patient selbst um Sterbehilfe ersucht haben muß, wozu ein Baby nicht in der Lage ist.

Die Urteile der niederländischen Gerichte wurden im Inland vorwie- gend begrüßt. So haben zahlreiche Ärzte und Journalisten für Henk Prins Partei ergriffen. Die Tageszei- tung „De Volkskrant" forderte das Kabinett von Ministerpräsident Wim Kok auf, ein neues, erweitertes Ster- behilfegesetz einzubringen. Und Ju- stizministerin Winnie Sorgdrager hat inzwischen erklärt, ein Arzt müsse unter Umständen auch einem Patien- ten, der sich nicht in der „Sterbepha- se" befinde, ungestraft dabei helfen dürfen, sein Leben zu beenden. Vor- aussetzung dafür müsse jedoch sein, daß der Patient nachdrücklich darum gebeten habe und sein Leiden „aus- sichtslos" sei.

Im Ausland stößt die niederlän- dische Euthanasie-Praxis vorwiegend auf Ablehnung. Die Delegierten des 98. Deutschen Ärztetages zeigten sich ebenfalls besorgt über die Praxis und die gesetzliche Regelung der Eu- thanasie in den Niederlanden. Der Deutsche Ärztetag trat „allen Bestre- bungen zur Durchführung und Lega- lisierung aktiver ärztlicher Euthana- siemaßnahmen entschieden entge- gen".

Die Befürworter aktiver Sterbe- hilfe beriefen sich auf das Selbstbe- stimmungsrecht des Patienten und auf die „Forderung der Humanität, unerträgliche Schmerzen zu been- den". Das Selbstbestimmungsrecht müsse aber seine Grenze dort finden, wo „zentrale gesellschaftliche Werte wie der Schutz des menschlichen Le- bens in Mitleidenschaft gezogen wer- den" (dazu Deutsches Ärzteblatt, Heft 23/1995). Gisela Klinkhammer

Sterbehilfe in den Niederlanden

Euthanasie-Gesetzgebung vor der Erweiterung?

Mehrere Gerichtsurteile und eine Fernsehdokumentation über aktive Sterbehilfe in den Nie- derlanden haben die Diskussion über die Euthanasie-Gesetzgebung neu entfacht. In den Nie- derlanden ist Sterbehilfe zwar verboten. Sie bleibt unter ganz bestimmten Bedingungen aber straffrei. Weil aber kürzlich auch Ärzte ohne Strafe geblieben sind, die diese Voraus- setzungen nicht erfüllt hatten, fühlt sich die sozialliberale Regierung in Den Haag jetzt zu- nehmend unter Druck gesetzt, ihre Haltung zur Euthanasie der Rechtsprechung anzupassen.

A-2962 (24) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 44, 3. November 1995

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wissen diese Ärzte ei- gentlich, daß Stalin und da- mit die Sowjet-Union nicht nur 14 Millionen Kulaken ermordete, sondern auch Hunderttausende deutsche Kriegsgefangene, daß er

Sie befürchtet sicherlich zu Recht, dass bei einem Fortschreiten dieser Entwicklung Ärzte bald zur Abgabestelle für Sterbehilfe-Präparate werden

Statt dessen wünsche ich mir von diesen beiden Seiten eher eine entgegengesetzte Hilfe: Von den Vertretern der Kirche erwarte ich, daß sie dem Grundwert der Selbst- bestimmung

Er wirft sich zwar selber vor, sich der Entwick- lung des Nationalsozialismus nicht rechtzeitig entgegengestemmt, die Gefahr zu spät ernst genommen zu haben und ihr dann, als es

Statt dessen sollte deut- lich werden, daß die Entscheidung zur Sterbehilfe — wie zum Selbst- mord — immer eine subjektive Ent- scheidung sein wird, die man gesetz- lich

Statt dessen sollte deut- lich werden, daß die Entscheidung zur Sterbehilfe — wie zum Selbst- mord — immer eine subjektive Ent- scheidung sein wird, die man gesetz- lich

Dieter Janz möchte ich zu bedenken geben, daß ich mit meinem Artikel daran erinnern wollte, daß es seit der industriellen Revolution und der „sozialen Fra- ge" einen

Frau mit schwerem psychischem Lei- den Suizidhilfe geleistet hat, urteilt das Oberste Gericht der Niederlande, dass Suizidhilfe bei psychischem Lei- den akzeptiert werden kann,