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Archiv "Sterbehilfe: Der Arzt als Helfer der Wahl" (06.05.2011)

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A 988 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 18

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6. Mai 2011

STERBEHILFE

Der Arzt als Helfer der Wahl

Eine Tagung der Böll-Stiftung beschäftigte sich mit der Tötung auf Verlangen.

D

ie den „Grünen“ nahe ste- hende Heinrich-Böll-Stif- tung hatte am 14. April zum Nach- denken über den assistierten Suizid und die aktive Sterbehilfe nach Ber- lin eingeladen und sich dazu mit der Deutschen Gesellschaft für huma- nes Sterben (DGHS) und der Hu- manistischen Union (HU) zusam- mengetan. Die Tagung, die über- wiegend von Juristen und gelegent- lich von Ärzten geprägt war, geriet zu einem Plädoyer für die Tötung auf Verlangen, für die ärztliche Bei- hilfe bei der Selbsttötung und not- falls die aktive Sterbehilfe durch den Arzt. Die Mithilfe des Arztes, lautete die Argumentation, folge aus dem Vertrauensverhältnis Arzt- Patient, das richtig verstanden, auch die Lebensbeendigung einschließe.

Der Arzt sei aber auch als Fach- mann der Wahl vonnöten. (Gemeint ist, nebenbei gesagt, natürlich auch die Ärztin als Helferin und Fach- frau, wenn auch, eigentümlich bei den der Emanzipation verpflichte- ten Veranstaltern, in Berlin immer nur vom „Arzt“ die Rede war.) Als der Palliativmediziner Prof.

Dr. med. Christof Müller-Busch aus dem Publikum heraus gegen die dem Arzt zugedachte Rolle als Bei- helfer zum Suizid protestierte, ant- wortete ihm mit nachsichtigem Lä- cheln der Hamburger Rechtsphilo- soph Prof. Dr. iur. Reinhard Merkel, einer der Referenten: „Wer denn sonst als die Ärzte?“

Forderungen nach

selbstbestimmtem Sterben Das Tagungsergebnis überraschte nicht. Es entspricht den Forderun- gen der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben nach selbstbe- stimmtem Sterben unter Beihilfe des Arztes und der aktiven Sterbe- hilfe als „Ultissima Ratio“, für die Berliner Tagung nochmals in ei- nem Zehnpunktepapier zusammen-

gefasst. Die Humanistische Union warb in Berlin für eine Neufassung des § 216 Strafgesetzbuch. Mit ihm soll die durch die Rechtsprechung inzwischen abgesegnete passive Sterbehilfe (Unterlassung oder Be- endigung der Therapie in aussichts- losen Fällen) und indirekte Ster - behilfe (Schmerzlinderung unter Inkaufnahme einer Lebensverkür- zung) ausdrücklich gesetzlich als

„nicht rechtswidrig“ erklärt wer- den. Vor allem aber soll die Grau - zone des assistierten Suizids auf - gehellt werden, indem „die Tötung eines anderen Menschen aufgrund seines ausdrücklichen und ernst - lichen Verlangens“ gleichfalls als

„nicht rechtswidrig“ gelten soll.

Die Lebensschutzpflicht des Staa- tes sei nicht absolut, begründete die HU-Vorsitzende, Prof. Dr. iur. Ro- semarie Will (die an der Berliner Humboldt-Universität Öffentliches Recht lehrt); im Vordergrund müs- se das Selbstbestimmungsrecht des Bürgers stehen, das im Willen und ernstlichen Verlangen zum Aus- druck komme.

Bei dem Gesetzesvorschlag ist zwar nicht ausdrücklich vom Arzt die Rede, aber er ist angesprochen.

Forderungen nach ärztlicher Beihil- fe durchzogen insgesamt die Berli- ner Tagung. Mehrfach kamen auch die neu gefassten „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ zur Sprache, die der Vorstand der Bun- desärztekammer am 17. Februar in Berlin vorgestellt hatte. Der Vor- stand hatte darin auf eine ethische Bewertung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid verzichtet und die For- mulierung gefunden, die Mitwir- kung des Arztes bei der Selbsttö- tung sei keine ärztliche Aufgabe.

Die Vorsitzende der DGHS, Elke Baezner, wertete die „Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“ als Schritt in die richtige Richtung.

Doch hinkten sie den Nachbarlän-

dern hinterher. Baezner, die früher der schweizerischen Sterbehilfeor- ganisation Exit präsidiert hat, lobte hingegen die Haltung der Schwei- zerischen Akademie der Medizini- schen Wissenschaften und die Ster- behilfegesetze der Benelux-Länder.

Vor allem die niederländische Re- gelung wurde auf der Tagung denn auch umfassend gewürdigt.

Diskussion über ärztlich assistierten Suizid

Der Verfassungsrechtler Dr. jur.

Jörg Antoine (der bei der Diakonie in Hannover tätig ist) sah in den

„Grundsätzen“ immerhin ein An- zeichen dafür, dass der Riegel, den das Standesrecht dem assistierten Suizid bisher vorgelegt habe, gelo- ckert werde. Antoine fügte aller- dings hinzu, dass der assistierte Suizid eigentlich gesetzlich gere- gelt werden müsse. Erst recht müs- se der Gesetzgeber tätig werden, wenn die Beihilfe „außerhalb des ärztlichen Vertrauensverhältnisses“

zulässig sein solle. Auf aktuellen Reformbedarf erkannte der Vertre- ter der Heinrich-Böll-Stiftung, Dr.

disc. pol. Andreas Poltermann; die

„Grundsätze“ der Bundesärztekam- mer bezeichnete er als halbherzig.

Den Tagungsteilnehmern scheint am 14. April noch nicht bekannt ge- wesen zu sein, dass zwei Landes- ärztekammern den „Grundsätzen“

hinsichtlich der Suizidfrage wider- sprochen haben und dem kommen- den Deutschen Ärztetag (in Kiel vom 31. Mai bis 3. Juni) voraus- sichtlich eine Fassung der Berufs- ordnung vorgelegt wird, die die her- kömmliche Standesauffassung be- kräftigt. Bei der Böll-Stiftung äu- ßerte jedenfalls Dr. med. Michael de Ridder (Chefarzt der Rettungs- stelle des Klinikum am Urban in Berlin) noch die Hoffnung, der Deutsche Ärztetag werde eine In- terpretation der „Grundsätze“ vor-

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6. Mai 2011 A 989 legen, die den Ärzten mehr Frei-

raum eröffne. Nach de Ridder kann ärztlich assistierte Sterbehilfe als äußerste palliativmedizinische Maß- nahme geboten sein. Die moderne Medizin habe neben ihren großen Leistungen auch grausame Exis- tenzweisen hervorgebracht. Nie- mand als der Patient habe das Recht zu entscheiden, wie das gute Ster- ben auszusehen habe.

Folgt man Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik (von der Klinik für An- ästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie am Unfallkran- kenhaus Berlin), dann therapieren Ärzte aus Angst vor Rechtsfolgen oft über Gebühr. Der Arzt sei auf sich gestellt, beschrieb Schaffartzik praxisnah, „wenn er nachts um drei Uhr auf der Intensivstation allein eine Entscheidung treffen muss, die hinterher die Ärztekammer und die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft“. Schaffartziks Problem, ex an- te entscheiden zu müssen, während die Ermittlungsbehörden ex post beurteilen, konnte auch keiner der Juristen auf der Böll-Tagung lö- sen. Scharfsinnige Überlegungen von Rechtswissenschaftler Merkel könnten Intensivmedizinern und Schmerztherapeuten sogar noch weitere Kopfschmerzen bescheren.

Merkel hält nämlich zur Schmerz- bekämpfung auch aktive Sterbehil- fe für erlaubt, wenn sie das einzig mögliche Mittel der Hilfe ist. Doch nicht immer gehe es um Schmer- zen, fuhr Merkel fort; ein Mensch könne subjektiv auch seine Würde als derart beeinträchtigt ansehen, dass er nur im Sterben einen Aus- weg sehe. Ein Fall für den assistier- ten Suizid?

Der Strafrechtler Prof. Dr. jur.

Torsten Verrel hält die von Schaf- fartzik benannte Furcht vor straf- rechtlicher Verfolgung für irratio- nal, gleichwohl sei „die Angst, sich strafbar zu machen, unabhängig von ihrer Berechtigung, ein psycho- logisches Faktum, das Entscheidun- gen beeinflusst“. So Verrel 2007 bei einer ähnlichen Tagung der Hein- rich-Böll-Stiftung, die sich in Sa- chen Sterbehilfe sehr engagiert zeigt und doch Poltermann zufolge keine eigene Position vertritt. ■

Norbert Jachertz

Immer noch und immer wieder ver- wenden Krankenkassen, gesetzliche wie private, in ihrer Korrespondenz und in Formularen das Wort „Behand- ler“. Sie bezeichnen damit Ärzte, ins- besondere Vertragsärzte in der gesetz- lichen Krankenversicherung. Der Be- griff wurde ursprünglich um 1900 in die deutsche Sozialgesetzgebung ein- geführt zur Bezeichnung gerade nicht ärztlich approbierter Therapeuten, wie zum Beispiel Heilpraktiker oder auch Kurpfuscher. Er findet sich dann in der

IV. Verordnung zum Reichsbürgerge- setz von 1935 wieder.

Mit der IV. Verordnung vom 25. Juli 1938 wurde den jüdischen Ärzten zum

„Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ die ärztliche Approba- tion zum 30. September 1938 entzo- gen. Von den damals im Altreich tätigen 3 152 jüdischen Ärzten durften 709 weiter tätig sein, aber nur mit einer wi- derruflichen Genehmigung zur Behand- lung eigener Familienangehöriger und Juden. Diese jüdischen Ärzte ohne Ap- probation durften sich nicht mehr Arzt nennen, sondern mussten die Bezeich- nung „Krankenbehandler“ führen.

Nach 1945 wurde der Begriff zu- nächst benutzt, um Psychologische Psychotherapeuten, dann aber auch Vertreter alternativer Heilmethoden in Abgrenzung zu Ärzten zu bezeichnen – „ständige Zunahme der berufsmäßi- gen Behandler“ („Die Zeit“ vom 1. Sep- tember 1949), „Laien-Behandler“

(„Die Zeit“ vom 14. Juli 1961), „Psy- cho-Behandler“, „Seelenbehandler“

(„Der Spiegel“ vom 15. Februar 1982). Der diffamierende Charakter bei der Verwendung des Begriffs ist offensichtlich. Seit den 1980er Jahren wird der Begriff „Behandler“ wieder

zur Bezeichnung von Ärztinnen und Ärzten benutzt. Der Begriff steht nicht im Duden und in keinem Lexikon.

Die scheinbar harmlose Endung

„ler“ wird nicht nur bei „Behandler“, sondern auch bei anderen Begriffen in vollem Bewusstsein der damit verbun- denen Herabwürdigung angehängt (zum Beispiel Protestler, Widerständ- ler, Abweichler). Das kann bei Bastian Sick nachgelesen werden. Die Be- zeichnung „Heilberufler“ ist hoffentlich nur Ausdruck einer sprachschöpferi-

schen Naivität, wer weiß? Und zur Be- deutung von Begriffen in der Ge- schichte hat sich der vielleicht wich- tigste deutsche Philosoph der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Hans Blumenberg, geäußert. Dem „Kranken - behandler“ widmete er in seiner Serie in der „Frankfurter Allgemeinen Zei- tung“ ein eigenes Kapitel und wies dort auf die infame Übertragung von

„Manipulieren“ in die deutsche Spra- che hin („manipulieren“ = „behan- deln“). Dem Behandler, also demjeni- gen, der manipuliert, sei schon dank dieser Bezeichnung alles zuzutrauen.

Vor ihm sollte 1938 der deutsche Bür- ger durch die nationalsozialistische Gesetzgebung geschützt werden. We- der eine solche Schutzimplikation noch die gezielte sprachliche Diskrimi- nierung können von denjenigen, die den Begriff heute benutzen, gemeint oder beabsichtigt sein. Vermutlich ist den Krankenkassen und Beihilfestellen ihr Sprachgebrauch nicht bewusst. Aber trotz bereits erfolgter Hinweise auf Ge- schichte und Hintergrund dieser Wort- wahl will man auf den Begriff anschei- nend nicht verzichten. Dabei ist es so einfach, einfach von Ärzten sprechen, wenn Ärzte gemeint sind.

KOMMENTAR

Dr. med. Johannes Vesper, Facharzt für Innere Medizin

„BEHANDLER“

Der Begriff gehört ad acta

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