Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 8|
24. Februar 2012 A 341S
echs sogenannte mobile Teams aus Den Haag können ab dem 1. März in den Niederlanden lan- desweit ambulante Sterbehilfe leisten. Wie die Nieder- ländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE) mitteilte, sollen jeweils ein Arzt und ein Pfle- ger die Betroffenen zu Hause aufsuchen und dort die Sterbehilfe vornehmen. Außerdem will die NVVE in Den Haag eine Sterbeklinik einrichten, in der jährlich rund 1 000 Niederländer Sterbehilfe in Anspruch neh- men könnten. Es wäre möglich, innerhalb von drei Ta- gen die Euthanasie dort vorzunehmen. Die Hilfe su- chenden Menschen erfüllten alle Kriterien des Euthana- siegesetzes der Niederlande, teilte die NVVE mit. Die Patienten müssten jedoch langwierige Aufnahmeproze- duren durchlaufen, die zeigen sollen, ob ein Patient für einen freiwilligen Tod bereit sei. Bisher findet das le- bensbeendende Handeln vorwiegend zu Hause statt.Von den 2 331 im Jahr 2008 gemeldeten Fällen wurde die Lebensbeendigung auf Verlangen in 2 083 Fällen vom Hausarzt durchgeführt.
Die niederländischen Pläne stoßen in Deutschland erwartungsgemäß auf scharfe Kritik. So zeigte sich der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, bestürzt. „Es bleibt unsere tiefe Überzeugung, dass das Töten nicht ins Handwerkszeug von Ärztinnen und Ärzten gehört“, sagte er. Es dürfe kein gesellschaftli- ches Klima entstehen, das Sterbehilfe für Menschen, die Angst vor körperlichen Schmerzen, seelischen Nö- ten oder Vereinsamung hätten, zum Mittel der Wahl mache. Auch die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands, Dr. Birgit Weihrauch, vertritt die Ansicht, dass „nicht durch eine immer bes- ser organisierte Sterbehilfe, sondern nur durch eine für- sorgliche und kompetente Betreuung und Begleitung durch Hospizbewegung und Palliativmedizin schwerst- kranken und sterbenden Menschen Angst, Schmerzen und Verzweiflung in einer ihnen häufig ausweglos er- scheinenden Situation genommen werden kann“. Wenn Menschen in ihrer Verzweiflung um Hilfe zum Sterben bäten, dann resultiere das vielfach daraus, dass sie al-
lein gelassen und nicht ausreichend hospizlich und pal- liativ versorgt würden.
Und wie sehen die Niederländer selbst die Vorhaben der NVVE? In dem Nachbarland ist die Euthanasie ge- setzlich geregelt, und sie stößt wohl auf weitgehende Akzeptanz der Bevölkerung. Doch bei der Ärzteschaft gab es von Beginn der Gesetzgebung an auch kritische Stimmen. So sind eben gerade viele Hausärzte nicht be- reit, Sterbehilfe zu leisten. Die Gründung von „mobilen Teams“ hält die größte niederländische Ärzteorganisa- tion, die Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst (KNMG), allerdings erst recht für keine Lösung. Schließlich gehöre vor allem zum Sterben ein vertrauensvolles und stabiles Arzt-Pa- tienten-Verhältnis. Nur der Hausarzt könne nach einer langen Behandlungszeit feststellen, ob das Leiden des Patienten ausweglos und untragbar sei und ob der Wunsch zu sterben auch wirklich freiwillig geäußert wurde. Und das gelte vor allem bei psychisch Kranken und dementen Patienten. Die KNMG kritisierte außer- dem, dass die Aufenthaltsdauer von drei Tagen in der Klinik deutlich zu kurz sei. Viele Menschen brauchten mehr Zeit für einen solch schwierigen Schritt. Letzt- endlich bleibt „eine fürsorgliche Medizin am Lebens- ende“ die beste Alternative zur aktiven Sterbehilfe.
Henke bringt die Dinge damit exakt auf den Punkt.
STERBEHILFE IN DEN NIEDERLANDEN
Tod frei Haus
Gisela Klinkhammer
Gisela Klinkhammer Chefin vom Dienst (Text)