Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 16|
20. April 2012 A 781H
err C. wollte sterben. „Erstens, weil ich nicht mehr nützlich bin, zweitens, weil ich einfach keine Kraft mehr habe.“ Körperliche oder neurologi- sche Beeinträchtigungen waren bei ihm nicht zu beob- achten. Er litt aber nach Ansicht der Gutachter des Ver- eins „SterbeHilfeDeutschland“ unter anderem an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional in- stabilen, stark überwiegend depressiven sowie zwang- haften und phobischen Zügen. Die Gutachter kamen zu dem „medizinethischen“ Schluss, dass „im vorliegen- den Fall eine Bevorzugung des Lebensschutzes gegen- über dem Selbstbestimmungsrecht Herrn C. zu einem weiteren Erleiden seines unerträglichen Lebenszustan- des oder zu einem einsamen und mutmaßlich brutalen Suizid verurteilt“. Deshalb erscheine „die Suizidbei - hilfe als ein letztmöglicher menschlich zugewandter Akt, der von dem Patienten so dringend gewünscht wird“. Wenige Tage nach Erstellung des Gutachtens er- folgte bei Herrn C. die Suizidbeihilfe durch sogenannte ehrenamtliche Sterbehelfer. Herr C. ist einer von 27 Mitgliedern des vom früheren Hamburger Justizsena- tors Roger Kusch gegründeten Vereins, der mit Hilfe eines „begleiteten Suizids“ starb. Ihnen ist das „Weiß- buch 2012“ gewidmet, das „die ärztlich-psychiatri- schen Gutachten abdruckt, die zur Vorbereitung der assistierten Suizide erstellt worden waren“.Solche Aktivitäten können für die Ärzteschaft nicht hinnehmbar sein. Sie widersprechen nicht nur dem hip- pokratischen Eid, in dem es heißt: „Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde.“ Sie sind ganz eindeutig von der im vergangenen Jahr novellierten (Muster-)Berufs- ordnung verboten. Der Präsident der Bundesärztekam- mer, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, fand denn auch klare Worte: „Wir müssen Geschäftemachern mit dem Tod endlich das Handwerk legen.“ Es sei ein uner- träglicher Zustand, „dass Menschen durch die Republik reisen und Sterbewilligen auf die Schnelle den Schier- lingsbecher reichen“. Montgomery sagte, er sei entsetzt darüber, dass es sich in der Mehrzahl der von Kusch be-
schriebenen Fälle nicht um todkranke, sondern – wie bei Herrn C. – um depressive und andere psychisch la- bile Menschen handelte, denen mutmaßlich zu helfen gewesen wäre.
Auch die Politik sieht offenbar Handlungsbedarf.
Bereits Anfang März hatten Union und FDP im Koaliti- onsausschuss beschlossen, dass Geschäfte mit der Ster- behilfe verboten werden sollen. Dazu soll ein neuer Tatbestand im Strafgesetzbuch geschaffen werden. Bis zur Sommerpause soll ein Gesetzentwurf vorliegen.
Das ist zwar ein guter Ansatz, er geht aber noch nicht weit genug. Es soll nämlich nicht grundsätzlich jede or- ganisierte, sondern nur die „gewerbsmäßige“ Sterbehil- fe unter Strafe gestellt werden. Daher bleibt es fraglich, ob die angekündigte Gesetzesinitiative solche Fälle wie die im Weißbuch beschriebenen verhindern kann. In der Praxis lassen sich diese Organisationen nämlich leicht zu vermeintlich altruistisch handelnden Stiftun- gen umfirmieren. Auch Kuschs Verein verzichtet auf Honorare, verlangt jedoch Mitgliedsbeiträge. „Deshalb muss der Gesetzgeber allen Facetten der orga nisierten Beihilfe zum Suizid einen strafrechtlichen Riegel vor- schieben, also auch den Organisationen, bei denen rechtlich keine Gewinnerzielungsabsicht nachweisbar ist“, forderte Montgomery.
ORGANISIERTE STERBEHILFE
Unerträglicher Zustand
Gisela Klinkhammer
Gisela Klinkhammer Chefin vom Dienst (Text)