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Industriellen Revolution a

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Academic year: 2021

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1 U. Pfister: Industrialisierung im ausgehenden 18. und 19. Jh. (WS 2014/15)

Einführung (ALLEN 2009; MOKYR 1999; ZIEGLER 2005)

1. Chronologie und Hauptelemente der sog. Industriellen Revolution

a. Chronologie. Ära der Industriellen Revolution in England ca. 1770–1850, in Deutschland Einsetzen der Industrialisierung ca. 1840er–1870er J. Ca. 1870er J. bis 1913 Hochindustrialisierung mit neuen wissensintensiven Leitsektoren.

b. Hauptelemente: (1) Einsetzen eines stetigen technischen Fortschritts, beginnend v. a. mit der Mechanisierung der Baumwollverarbeitung u. der Veränderung der Eisen- verarbeitung, was eine Zunahme der Produktivität bewirkte (Produktivität: Ausstoß pro Arbeitsstunde bzw. pro Einheit an physischem Kapital [Maschinen]). Steigende Produk- tivität verbilligte gewerbliche Erzeugnisse, was deren Absatz ausweitete u. damit ein Wachstum der Produktion von Industriegütern bewirkte. — (2) Erweiterung der energe- tischen Basis von Sonnenenergie (Holzkohle, Wasserkraft, etc.) auf fossile Energie (Steinkohle für Eisenverarbeitung, Betrieb von Dampfmaschinen für den Antrieb me- chanischer Arbeitsmaschinen). — (3) Transport- und Kommunikationsrevolution seit spätem 18. Jh. durch Bau von Straßen u. Kanälen, durch Einsatz der Dampfmaschine in Eisenbahn (ab 1830er J.) u. Hochseeschifffahrt (ab 1850er J.). Drastische Beschleuni- gung der Kommunikation durch elektrische Telegraphie (1850er/1860er J.). Industriali- sierung vollzog sich räumlich konzentriert in Regionen (nicht Ländern); das Wachstum der gewerblichen Produktion in diesen Regionen bewirkte eine starke Ausweitung des Handels, was seinerseits Anreize zur Verbesserung der Transport- u. Kommunikations- technik schuf. Umkehrt erleichterte die daraus resultierende Senkung der Transportkos- ten die Spezialisierung zwischen Regionen u. Ländern. — (4) Fabrik. Technischer Fort- schritt war in Arbeitsmaschinen verkörpert, die zunehmend Dampfmaschinen zum An- trieb benötigten. Die Hauswirtschaft war dafür zu klein, u. Haushalte verfügten meist nicht über die für die Beschaffung erforderliche Kapitalkraft. Die gewerbliche Produk- tion verlagerte sich deshalb von der Hauswirtschaft selbständiger ProduzentInnen in im Besitz von Unternehmern befindliche Fabriken, die LohnarbeiterInnen beschäftigten.

c. Leitsektoren. In der Ära der Industriellen Revolution erfolgte Wirtschaftswachs- tum ungleichgewichtig, d. h. konzentriert in Sektoren, die durch raschen technischen Fortschritt geprägt waren. (1) Definition Leitsektor. (i) Hohe Produktivität schafft An- reiz für die Mobilität von Produktionsfaktoren in diesen Sektor → überdurchschnittlich hohes Wachstum dieses Sektors u. mittelfristig hoher Anteil an der gesamtwirtschaftli- chen Wertschöpfung. (ii) Koppelungseffekte. Leitsektoren stellen für zahlreiche andere Sektoren Vorleistungen bereit u. beziehen umgekehrt zahlreiche Produkte aus vorgela- gerten Sektoren. — (2) Wichtige Leitsektoren. (i) Mechanisierung der Baumwollspinne- rei, danach der –weberei. Obwohl in Westeuropa seit dem SpätMiA aus dem Ostmit- telmeerraum importierte Rohbaumwolle verarbeitet wurde, stieg die Baumwollverarbei- tung erst im 19. Jh. zur wichtigsten Branche des Textilsektors auf. — (ii) Montanindust- rie. Bezieht sich auf Bergbau von Kohle u. Eisenerz sowie die Verarbeitung zu Halbfab- rikaten aus Eisen (Bleche, Stäbe, Profile wie z. B. Eisenbahnschienen). Zentrale Verän- derungen: Umstellung der energetischen Basis von Holzkohle auf Steinkohle; Entwick-

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lung von zunehmend ressourcensparenden u. schnelleren Verfahren; Vervielfältigung von Produkten (komplexe Profile; Stahl). — (iii) Verkehrstechnik. Dampfeisenbahn (ab 1830er J.); mit Dampfturbinen angetriebene Hochseeschiffe mit Stahlrümpfen (ab 1850er J.). — (iv) Neue, verstärkt wissensbasierte Industriesektoren des späten 19. Jh., sog. Zweite industrielle Revolution. Chemische Industrie, wobei zunächst der Schwer- punkt auf der Substitution natürlicher Farbstoffe u. der Vervielfältigung von Textilfarb- stoffen lag; elektrotechnische Industrie.

d. Großbritannien und Deutschland im Vergleich. In Großbritannien überragende Bedeutung der Baumwollverarbeitung als Leitsektor; Einsetzen der Industrialisierung in den 1760er J. In Deutschland zunächst langsame Adaptation wichtiger Innovationen in Textil- u. Montansektor. Eisenbahnbau (Hauptlinien 1840er–1870er J.) war durch Sen- kung der Transportkosten in einem kaum durch Wasserstraßen erschlossenen Binnen- land zentraler Leitsektor. In dessen Folge starke Entwicklung des schon seit dem Spät- mittelalter bedeutsamen Montansektors, insbes. mit dem Aufkommen der Herstellung von Massenstählen seit Ende 1860er J. Im frühen 20. Jh. führende Stellung Deutsch- lands in chemischer u. elektrotechnischer Industrie.

2. Wichtige, teilweise kontroverse Themen

a. Revolution oder Evolution? Der Begriff der Industriellen Revolution wurde im späten 19. Jh. von einer auf große Erfindungen und Erfinder bezogenen historischen Forschung geprägt (Arnold Toynbee: »Lectures on the industrial revolution in England«, 1884).

Obwohl immer noch verwendet, stieß der Begriff immer wieder auf Kritik, insbesonde- re seitens von Studien zum Wirtschaftswachstum (z. B. Harley in MOKYR 1999): Selbst in Großbritannien erfolgte die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums langsam; der Beitrag der neuen Leitsektoren zur gewerblichen Wertschöpfung blieb anfänglich meh- rere Jahrzehnte lang gering. Wichtige Branchen wie das Bekleidungs- und das Bauge- werbe blieben vorerst traditionell organisiert u. wiesen geringe Produktivitätssteigerung auf. Demgegenüber halten BERG/HUDSON (1992) fest, dass auf der Ebene von einzelnen gewerblichen Regionen u. für betroffene gewerbliche Unterschichten der Wandel in der Organisation der Produktion durchaus kurzfristig u. damit diskontinuierlich erfolgt sei, so dass der Begriff der Revolution gerechtfertigt sei.

b. „Wäre es auch ohne gegangen?“ Social savings-Kontroversen. Die evolutionäre Sicht auf die Industrialisierung wurde gestützt durch Studien aus der erstmals mit quan- titativen Methoden arbeitenden New Economic History, die durch eine kontrafaktische Untersuchungsanlage zu zeigen versuchten, dass wichtige Innovationen nur eine geringe Ressourcenersparnis bewirkten u. nur einen schwachen Wachstumsimpuls auslösten.

Wichtige Arbeiten beziehen sich auf die Eisenbahn (klassisch Bob Fogel 1964, Nobel- preisträger 1993; einführend O’BRIEN 1984). Ähnliche Kontroversen existieren zur Rol- le der Dampfmaschine u. der Steinkohle in der Industrialisierung.

c. Raumwirtschaft: Region, Nationalstaat, Globalisierung. (1) Ein Großteil der Li- teratur bezieht sich auf den geographischen Raum des Nationalstaats. — (2) Ein ande- rer Ansatz betont demgegenüber, dass vor dem Abschluss der staatlichen Einigung u.

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vor dem Ausbau der Eisenbahnnetze, also vor ca. dem 3. V. 19. Jh., die Nationalstaaten keine integrierten Markträume darstellten. Die Industrialisierung spiele sich somit zu- nächst v. a. im regionalen Rahmen ab (POLLARD 1980). Viele Studien zu einzelnen Branchen sind entsprechend Regionalstudien. Vor der Integration der transatlantischen Getreidemärkte im Zuge der Dampfschifffahrt ab 3. V. 19. Jh. hing die Versorgung wachsender gewerblicher Bevölkerungen in Industrieregionen mit Grundnahrungsmit- teln von zunehmenden Getreideüberschüssen in landwirtschaftlichen Regionen in ihrer Nähe ab; Industrialisierung setzte Agrarmodernisierung voraus. — (3) Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen Industrialisierung u. Globalisierung. (i) Die Erzeugnis- se industrieller Leitsektoren waren handelbare Güter; ca. 60% des Ausstoßes der briti- schen Baumwollbranche wurde exportiert (1770–1850). Ihr Wachstum bewirkte somit eine Steigerung des Offenheitsgrads (Handel / Volkseinkommen). (ii) Wichtige Vorleis- tungen wie Rohbaumwolle, Rohseide u. Wolle waren alte Fernhandelsgüter. (iii) Die durch die Industrialisierung bewirkte Verbesserung der Verkehrstechnik senkte natürli- che Handelsbarrieren u. leistete damit einem Wachstum des Welthandels Vorschub.

d. Ursprünge der industriellen Unterschichten / des Proletariats. Die Verlagerung der gewerblichen Produktion in Betriebe von Unternehmen (Fabriken) änderte die Le- bensverhältnisse von Unterschichten nachhaltig. (1) Proletariat (im marxistischen Sinn): Verlust der Kontrolle über Arbeitsplatz, Arbeitsmittel, Erzeugnis der Arbeit u.

Arbeitsrhythmen (Entfremdung). Teilweise im Gefolge der Migration in Industriezonen auch Verlust der Unterstützung durch herkömmliche Schutzverbände: Grundherrschaft, Nachbarschaftsgemeinde, Verwandtschaftsverband. — (2) Neuer Lebensalltag. Regu- lierung der Arbeitszeit durch Fabrikdisziplin; proletarisches Wohnen in Arbeiterquartie- ren/Werksiedlungen; Entwicklung der Familie als Verdienst- u. Konsumgemeinschaft.

— (3) Entwicklung des Lebensstandards. Wieweit partizipierten Unterschichten am Wirtschaftswachstum, das die Industrialisierung mit sich brachte? Wieweit verschlech- terten sich durch die Bildung industrieller Agglomerationen mit wenig entwickelter Inf- rastruktur die Lebensverhältnisse?

e. Staat und Industrialisierung. Spannungsfeld zwischen utilitaristischer Orientie- rung von Eliten u. regulatorischen Herausforderungen. (1) Utilitarismus meint die Vor- stellung, dass einzelne Menschen ihr Handeln so auszurichten suchen, dass dadurch ihr Glück maximiert wird. Kollektives Glück ergibt sich aus der Summe individuellen Glücks. Ein regulativer Rahmen, der Individuen einen möglichst großen Spielraum lässt, unterstützt somit kollektive Wohlfahrt. Eine Reihe von im frühen 19. Jh. ergriffe- nen Liberalisierungsmaßnahmen reflektieren die utilitaristischen Orientierung von Eli- ten (Aufhebung des Zunftzwangs u. Koalitionsverbot; Reformen der Armenfürsorge).

— (2) Das Paradox neuer staatlicher Ordnungsfunktionen. Die Industrialisierung brachte neue Regulierungserfordernisse hervor, die im Endergebnis eine Ausweitung von Staatsfunktionen bewirkten: Spezifizierung von Eigentumsrechten (Wasserrechte;

Enteignungsverfahren bei Straßen- u. Eisenbahnbau); Gewährleistung der Sicherheit technischer Systeme (Dampfmaschinen, Eisenbahn); Kapitalmarktregulierung (Aktien- recht); Schutz industrieller Unterschichten → Anfänge der modernen Sozialpolitik.

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3. Übersicht über Erklärungen der Industrialisierung

a. Was begünstigte die Entstehung eines kontinuierlichen Stroms an technischen Inno- vationen? (1) Relative Preise, Markttiefe. Da Erfinder hohe Kosten u. hohes Risiko ein- gehen, müssen sich Innovationen rechnen. Arbeitssparende Innovationen (z. B. Mecha- nisierung Baumwollspinnerei) rechnen sich bei hohen Arbeitskosten u. großen Märkten, d. h. in bereits entwickelten Gewerberegionen (ALLEN 2009). — (2) Institutionelle und kulturelle Faktoren. Hypothesen: (i) Innovationen rechnen sich nur bei (staatlichem) Schutz des geistigen Eigentums (Patentrecht), das dem Erfinder ein allenfalls befristetes Monopol über die Verwertung einer Erfindung gewährt. (ii) Innovationstätigkeit wird durch eine Wissenskultur befördert, in der Kenntnisse gut zwischen Praktikern, Tüftlern u. Wissenschaftlern zirkulieren.

b. Werte und Institutionen. (1) Webers These der Verbindung zwischen asketi- schem Protestantismus u. der Entwicklung eines methodischen Kapitalismus wird heute selten mehr vertreten. — (2) Schutz individueller Verfügungsrechte ist eine potentiell wichtige Voraussetzung für die Innovationstätigkeit (s. o.) u. die Akkumulation indust- riellen Festkapitals. Die Einschränkung der Willkür von Herrschern u. der Schutz indi- viduellen Eigentums waren deshalb wichtige Voraussetzungen für die frühe (industriel- le) Entwicklung Nordwesteuropas.

c. Anfänge der Globalisierung und Fleißrevolution (DE VRIES 2008). Interkontinen- talhandel in der Frühen Neuzeit erhöhte die Vielfalt des Konsumgüterangebots in Euro- pa (z. B. bemalte u. bedruckte indische Baumwolltuche). Menschen schätzen Vielfalt, weil sie durch selektiven Konsum Prestige gewinnen (modisches Auftreten) oder ihre Identität konstruieren können (geschmackvolle Inneneinrichtung). Sie waren deshalb bereit, zum selben Lohn mehr zu arbeiten, um differenzierte Konsumgüter erwerben zu können. Da Landressourcen begrenzt waren, wurde zusätzliche Arbeit im Gewerbesek- tor eingesetzt, was seinerseits zur Entstehung von Gewerberegionen u. breiter Märkte für gewerblicher Erzeugnisse beitrug (vgl. §3.a).

Literaturnachweise

ALLEN, Robert C.: The British Industrial Revolution in global perspective (Cambridge:

Cambridge University Press, 2009).

BERG, Maxine und Pat HUDSON: »Rehabilitating the Industrial Revolution«, Economic History Review 45,1 (1992), 24–50.

MOKYR, Joel (Hg.): The British industrial revolution: an economic perspective (Boul- der, CO: Westview, 19992).

O’BRIEN, Patrick K.: The New Economic History of railways (London: Croom Helm, 1977).

POLLARD, Sidney (Hg.): Region und Industrialisierung (Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1980).

DE VRIES, Jan: The Industrious Revolution: consumer behavior and the household economy, 1650 to the present (Cambridge: Cambridge University Press, 2008).

ZIEGLER, Dieter: Die industrielle Revolution (Darmstadt: WB, 2005).

Referenzen

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