• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Gesundheitsreform: Koalition geht auf Ärzte zu" (26.01.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Gesundheitsreform: Koalition geht auf Ärzte zu" (26.01.2007)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 4⏐⏐26. Januar 2007 A151

P O L I T I K

S

ie respektieren einander, und zur Begrüßung umarmen sich beide herzlich. Augenschein- lich haben die monatelangen Bera- tungen zur geplanten Gesundheits- reform die beiden Verhandlungsfüh- rer, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und CSU-Frak- tionsvize Wolfgang Zöller, näher- gebracht. Dies gilt nicht nur für ihren persönlichen Umgang. Auch politisch haben sich Union und SPD nun anscheinend endgültig in der Mitte getroffen. Von Details abgese- hen, steht der Kompromiss der Ko- alitionäre (DÄ, Heft 3/2007). So soll der Entwurf zum GKV-Wettbe- werbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) am 2. Februar den Bundestag pas- sieren. Die Koalitionsspitzen zeigen sich überzeugt, dass im Anschluss auch die Länderkammer das Re- formpaket absegnet, ohne dass ein zweitaufwendiges Vermittlungsver- fahren nötig wird. Dem pünktlichen Start des Gesetzes zum 1. April steht dann nichts mehr im Wege.

Noch immer laufen die Verhand- lungen der Koalitionsarbeitsgruppe über die genaue Ausgestaltung des künftigen Basistarifs der privaten Krankenversicherung. Bereits geei-

nigt haben sich beide Seiten in näch- telangen Marathonsitzungen über ein ganzes Konvolut von Ände- rungsanträgen am bisherigen Ge- setzentwurf. Die wichtigste Neue- rung: Bei der Vergütung ver- tragsärztlicher Leistungen geht die Politik deutlich auf die Position der Ärzte zu. Mit den jetzigen Änderun- gen ist zweifelsohne das Honorar- budget nicht vollständig weggefal- len, aber aus dem Budgetdeckel wer- de ein Budgetsieb, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, die Neu- fassung des Gesetzes.

Demnach soll die Neuordnung der vertragsärztlichen Gebühren- ordnung nun doch nicht kostenneu- tral erfolgen. War noch im ur- sprünglichen Gesetzentwurf vom Oktober letzten Jahres geplant, dass die Krankenkassen dafür keine Bei- tragserhöhungen vornehmen dürfen, findet sich dieser Passus in den Än- derungsanträgen der Regierungs- fraktionen nicht mehr wieder. Statt- dessen soll nun auf Grundlage eines fairen Punktwertes eine regionale Euro-Gebührenordnung für ärztli- che Leistungen erstellt werden. Von

2009 an sollen Ärzte mit festen Prei- sen arbeiten.

Wichtig für die Ärzte ist, dass das Morbiditätsrisiko hierbei von den Kassenärztlichen Vereinigun- gen (KVen) auf die Krankenkassen übertragen werden soll. So sehen die Änderungsanträge vor, dass die Kassen den KVen „für zusätzliche morbiditätsbedingte Leistungen, die sich aus einem [...] nicht vorherseh- baren Anstieg des morbiditätsbe- dingten Behandlungsbedarfs erge- ben, zeitnah zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen müssen“. Zudem soll die Vergütung der Ärzte jährlich der Morbidität sowie der Entwick- lung der für die Arztpraxen relevan- ten Kosten angepasst werden.

Auch wenn mit diesen Änderun- gen zentralen Forderungen entspro- chen wurde, kann nicht von einer kompletten Abschaffung der Bud- gets gesprochen werden. Denn nur innerhalb der vorgesehenen Re- gelleistungsvolumina gelten die

„Höchstpreise“ in Euro und Cent.

Werden diese „Budgets“ überschrit- ten, sind die Leistungen mit „ab- gestaffelten Preisen“ zu vergüten.

Diese werden zuvor mit der Vergü- tung für die Regelversorgung in der Gebührenordnung festgelegt. Nur

„bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Patienten“, heißt es in den Anträgen, kann von einer gesenkten Vergütung abgesehen werden.

Freuen dürfte die Ärzte hinge- gen, dass Honorarzuschläge, die die Kassen an Ärzte in unterversorgten Gebieten zahlen sollen, nun doch nicht über Abschläge in überver- sorgten Gebieten finanziert werden GESUNDHEITSREFORM

Koalition geht auf Ärzte zu

Auf der Zielgeraden ihrer Reformberatungen haben die Unterhändler von Union und SPD wichtige Forderungen der Ärzteschaft auf-

gegriffen. Zwar wird das Honorarbudget nicht vollständig aufgehoben, aber doch merklich gelockert.

Kritik trotz Zuge- ständnissen der Politik: Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bun- desärztekammer, warnt auf dem Neu- jahrsempfang der Ärzteschaft vor dem Weg in die Zweiklas- senmedizin.

Foto:Georg J.Lopata

(2)

A152 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 4⏐⏐26. Januar 2007

P O L I T I K

müssen. Stattdessen sollen die Kas- sen nun die anfallenden Kosten in voller Höhe tragen und nicht, wie bisher vorgesehen, nur zur Hälfte.

Die monatelangen Ärzteproteste und die Drohung von KBV-Chef Köhler, die Reform in ihrer bisheri- gen Fassung nicht umsetzen zu wol- len – beides dürfte zum Umdenken der Koalition beigetragen haben. An der grundsätzlichen Ablehnung des Gesetzes durch die KBV ändert dies jedoch nichts. Die Reform sorgt nach Meinung Köhlers nicht wie an- gekündigt für eine nachhaltige Fi- nanzierung des Gesundheitswesens,

sondern sie implementiert Elemente der Staatsmedizin. Dennoch will die KBV, zumindest was die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen an- geht, von ihrer bislang propagierten Fundamentalopposition abrücken.

„Dies ist unsere wahrnehmbare Chance, nach dem GKV-Neuord- nungsgesetz und nach dem GKV-So- lidaritätsstärkungsgesetz weitestge- hend die Bindung der Vergütung der Vertragsärzte an die Grundlohnsum- me abzulösen“, begründete Köhler den Kurswechsel. Zudem sei der Grundsatz der Beitragssatzstabilität deutlich zurückgenommen worden.

Einen weiteren Punktsieg erziel- ten die Kassenärztlichen Vereinigun- gen mit den Änderungen zur Neuge- staltung der hausarztzentrierten Ver- sorgung. Anders als zunächst ge- plant, sollen die KVen für diesen Ver- sorgungsbereich Verträge mit den Krankenkassen abschließen können.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die KVen dazu von den „ein- schlägigen Berufsverbänden“ er-

mächtigt werden müssen. Was „ein- schlägig“ bedeutet und ob eine sol- che Mandatierung auch über kleinere Hausarztgruppen erfolgen kann, wird noch zu klären sein.

Dass die KVen – wenn auch nur mittelbar – bei der hausarztzentrier- ten Versorgung „mitmischen“ dür- fen, kritisierte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Rainer Kötzle, bei einem Empfang seiner Organi- sation. Der Verband ist jedoch mit dem Ausgang der Reformberatun- gen zufrieden: Bundeskanzlerin An- gela Merkel (CDU) und Ministerin Schmidt seien „zwei starke Frauen“, die sich nicht vor „Gegnern“ fürch- teten, sagte Kötzle in Anwesen- heit der Parlamentarischen Staats- sekretärin im Bundesgesundheits- ministerium, Marion Caspers-Merk (SPD).

Wie die KBV ist auch die Bun- desärztekammer von einem solchen Schmusekurs mit der Politik weit entfernt. In einem Brief appellierte der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, an die Abgeordneten des Bundestages, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. „Wenn die Grundstrukturen der Reform zu wir- ken beginnen, wird unser Gesund- heitswesen sukzessive in ein staat- lich gelenktes System nach dem Vorbild nationaler Gesundheits- dienste umgewandelt“, so Hoppe.

Beim Neujahrsempfang der Ärz- teschaft in Berlin warnte Hoppe er- neut vor einem Weg in die Zwei- klassenmedizin. Was die Qualität der ärztlichen Leistungen angehe, gebe es diese zwar nicht. Je nach- dem, wie man sich versichere, seien aber der Komfort und der Leis- tungsumfang unterschiedlich.

Einstieg in Dreiklassenmedizin Mit der geplanten Umgestaltung der privaten Krankenversicherung droht nun sogar der Einstieg in die Drei- klassenmedizin. Ärzte sehen sich künftig gesetzlich Versicherten, Ba- sistarif-Versicherten und PKV-voll- versicherten Patienten gegenüber.

Bei den Nachverhandlungen zur Gesundheitsreform konnte die Uni- on wesentliche Änderungen bei der Ausgestaltung des neuen Basistarifs durchsetzen. Im Gegenzug konnte

die SPD die von ihr lange geforder- te „Pflicht zur Versicherung“ fest- schreiben. So soll erstmals von 2009 an eine uneingeschränkte Ver- sicherungspflicht gelten. Folglich müssen schätzungsweise 300 000 derzeit Nichtversicherte eine Police abschließen. Diese kündigen kann man dann nur noch, wenn man eine neue Versicherung nachweist.

Wie sich die Änderungen am PKV-System auswirken werden, lässt sich noch nicht absehen. „Erst wenn das Bundesgesundheitsminis- terium die heutige Vereinbarung umgesetzt hat, kann eine rechtliche Prüfung aus Sicht der Privatversi- cherten erfolgen“, betonte Reinhold Schulte, Vorsitzender des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV), nach der Einigung über die bisherigen Änderungsanträge. Die getroffene Vereinbarung biete nach wie vor erheblichen Interpretations- spielraum, betonte er.

Offene Fragen zum Basistarif Zwar hatte Dr. Carola Reimann (SPD) die Mitglieder der Arbeits- gruppe Gesundheit der SPD-Bun- destagsfraktion umgehend über die neue Kompromisslinie unterrichtet.

So schrieb die gesundheitspoliti- sche Sprecherin der SPD, dass der Basistarif wie gewünscht erst zum 1. Januar 2009 eingeführt werden solle. Und sie ergänzte: „Es besteht eine Behandlungspflicht für im Ba- sistarif Versicherte, die von den KVen sichergestellt wird. Die ärztli- chen Leistungen werden mit dem 1,8-fachen Satz der GOÄ vergütet, sofern keine andere Vereinbarung getroffen wird.“ Doch welche Leis- tungen der Basistarif später im De- tail umfassen wird und ob Ärzte tatsächlich dafür den 1,8-fachen Satz der GOÄ abrechnen werden, ist noch nicht zu Ende verhandelt.

Derzeit ist eine Vertragslösung im Gespräch, wonach die Vergütung nicht vom Gesetzgeber vorgegeben, sondern zwischen KBV und PKV ausgehandelt wird. Unklar ist eben- so, wer zahlen soll, wenn im Ba- sistarif versicherte Bedürftige nicht einmal die Hälfte ihres Beitrags selbst finanzieren können, wie es derzeit vorgesehen ist. I Timo Blöß, Samir Rabbata, Sabine Rieser

WEITERE ÄNDERUNGEN

Der Gesundheitsausschuss des Bundestags hat sich mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen der Koalitionsfraktio- nen befasst. Unter anderem sollen zwei Details der Reform geändert werden, über die es seit längerem Debatten gibt:

>Für „nachweislich kosteneffektive Arzneimittel“ soll es keine Kosten-Nutzen-Bewertung und keinen Erstattungs- höchstbetrag geben.

>GKV-Versicherte sollen flexibler entscheiden können, ob und wann sie Kostenerstattung wählen. Es soll weder eine Bindungsfrist von einem Jahr geben noch eine Festle- gung auf Kostenerstattung für die gesamte ambulante Versorgung.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

ie Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) wird ihr angedachtes Notprogramm zur Einhaltung des Arznei- und Heil- mittelbudgets für das Jahr 1999 nicht weiterverfolgen.. Sie muß

Der Arzt, so Seehofer weiter, wisse dann wieder, dass es auf sein Können und seine Zuwendung gegen- über dem Patienten ankommt und nicht auf die staatliche Regulierung:

Das Gerster-Pa- pier plädiert für die Beibehaltung der Arzneimittelfestbeträge und eine rasche Umsetzung des Entwurfs für die Ein- führung einer

Dann ließen sich manche Angebo- te ganz aus dem GKV-Leis- tungskatalog herausnehmen, darunter versicherungsfrem- de Leistungen wie beispiels- weise häusliche Krankenpfle- ge,

Zöller: Damit Ärzte nicht Verdächti- gungen ausgesetzt sind, sie sparten zu- lasten der Patienten, hat die Union dafür gesorgt, dass die Bonusregelung nicht individualisiert worden

Für zwischen den Jahren 2000 und 2004 erbrachte Leistungen stehen ihnen Nachzahlungen von insgesamt 66 Millionen Euro zu.. Dieser Betrag wäre noch höher, wenn die Fachärzte nicht

Fischer hatte in einem Interview mit dem „Stern“ zu neuen Modellen für die Kran- kenversicherung gesagt: „Ich verstehe auch nicht, wozu wir die teuren Kassenärztlichen

Krista Sager, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, warf der Union vor, dass ihr Antrag zwar Patien- ten und Versicherte in die Pflicht nehme, nicht aber die eigene