ie Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) wird ihr angedachtes Notprogramm zur Einhaltung des Arznei- und Heil- mittelbudgets für das Jahr 1999 nicht weiterverfolgen. Sie muß dies auch nicht mehr, denn seit dem 17. August gibt es ein „Gemeinsames Aktions- programm“ – vereinbart zwischen der KBV, den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Bundesge- sundheitsministerium.
Nach viereinhalbstündiger Be- ratung erzielten die Verhandlungs- partner eine Einigung, über deren Bewertung durchaus unterschiedli- che Auffassungen kursierten. Für die Bundesgesundheitsministerin kenn- zeichnet sie das „Ende eines Kon- flikts, der vielen Patientinnen und Patienten angst gemacht hat, ob ihre Versorgung mit notwendigen Arz- neimitteln gewährleistet ist“.
Der Vorsitzende der KBV, Dr.
med. Winfried Schorre, wertete die Vereinbarung anders: „Mit der Eini- gung haben wir die Verantwortung für die im Jahre 1999 notwendigen massiven Einsparungen in der Arz- nei- und Heilmittelversorgung zwi- schen der Politik, den Krankenkas- sen und den Kassenärzten geteilt.“
Während die Krankenkassen keine offizielle Stellungnahme abga- ben, nahm die pharmazeutische In- dustrie kein Blatt vor den Mund:
„Das ist nichts anderes als die Fort- führung der Arzneimittel-Verord- nungseinschränkungen des geplan- ten KBV-Notprogramms mit neuem Namen“, meinte der Bundesfachver-
band der Arzneimittel-Hersteller.
„Auch der Name ,Gemeinsames Ak- tionsprogramm‘ ändert nichts an der Tatsache, daß es sich nach wie vor um ein Notprogramm zur Einhaltung des Arzneimittelbudgets handelt.“
Zu Erinnerung: Mit dem GKV- Solidaritätsstärkungsgesetz hatte die neue Regierung für das Jahr 1999 ein Arznei- und Heilmittelbud- get in Höhe von knapp 39 Milliarden DM eingeführt. Die festgeschriebe- ne Ausgabengrenze basiert auf dem Budget des Jahres 1996, erhöht um 7,5 Prozent. Nach Auffassung der KBV reicht das vorgesehene Ausga- benvolumen nicht aus, um eine Arz- neimittelversorgung auf dem ge- wohnten Niveau zu gewährleisten.
Diese Bedenken hatte sie wieder- holt gegenüber dem Bundesgesund- heitsministerium geäußert – aller- dings ohne Erfolg.
Nervosität bei der Politik
Da das Gesetz für den Fall einer Budgetüberschreitung eine kollekti- ve Regreßpflicht der Kassenärzte in Höhe von bis zu fünf Prozent des Budgets (also maximal rund 1,8 Mil- liarden DM) vorsieht, stellte die Kassenärztliche Bundesvereinigung Überlegungen an, was zu tun sei, wenn die regionalen Budgets ausge- schöpft sind. Dies dürfte nach der- zeitiger Datenlage bei den meisten Kassenärztlichen Vereinigungen ab November der Fall sein. Mit einem Notprogramm (das Deutsche Ärzte-
blatt berichtete) sollten dann gleich- sam die „Notbremse“ gezogen und die Arzneimittelverordnungen auf ein Minimum reduziert werden. Ein Programm, das für erhebliche Un- ruhe in der Bevölkerung und stei- gende Nervosität bei der Bundesre- gierung sorgte. Bevor nun die KBV mit den bisherigen „Gedankenspie- len“ Ernst machen konnte, lud die Bundesgesundheitsministerin zum Gespräch. Das daraus resultierende Aktionsprogramm sieht folgende Maßnahmen vor:
c konsequente Umstellung der Arzneimittelverordnung im generi- kafähigen Bereich auf das untere Preisdrittel;
c konsequente Umsetzung der Verordnungseinschränkungen nach
§ 34 Abs. 1 SGB V („Bagatell-Arz- neimittel“, die Red.) sowie der Arz- neimittelrichtlinien durch Konkreti- sierung der davon betroffenen Wirk- stoffe sowie Festlegung eines Verfah- rens für Ausnahmetatbestände;
c Vermeidung des Einsatzes teurer Schrittinnovationen mit nicht gesichertem therapeutischen Zu- satznutzen;
c Einholung von Zweitmeinung bei bestimmten Präparaten mit im einzelnen Behandlungsfall umstrit- tenem oder nur geringfügigem the- rapeutischen Zusatznutzen;
c Erarbeitung eines vergleich- baren Maßnahmenkatalogs für Heil- mittelverordnungen.
Darüber hinaus sollen die Kas- senärzte gezielt über den therapeuti- schen Nutzen, die Indikation und die A-2123
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 34–35, 30. August 1999 (15)
Gesundheitsreform
Arzneibudget: Politik und Kassen in der Mitverantwortung
Gemeinsames Aktionsprogramm gesteht indirekt zu, daß
die Budgetierung zu Leistungseinschränkungen führt. Hoppe bezeichnete die jüngsten Gespräche zur Gesundheitsreform als Fehlschlag.
D
Preiwürdigkeit von Arznei- und Heil- mitteln informiert werden. Die Kran- kenkassen sollen die Versicherten dar- über in Kenntnis setzen, daß die Ärzte das Wirtschaftlichkeitsgebot, insbe- sondere zur Verordnung preisgünsti- ger Mittel, beachten müssen.
Tatsächlich ist dieses „Gemeinsa- me Aktionsprogramm“ über weite Strecken identisch mit den bisherigen Überlegungen der KBV zu ihrem Notprogramm. Lediglich die ohnehin umstrittene Einführung von „Warteli- sten“ und die Ausstellung von „Not- rezepten“ fehlen. Die Politik und die Krankenkassen haben mit dieser Ver- einbarung somit indirekt zugestan- den, daß das Arzneimittelbudget nur durch äußerste Sparsamkeit bis hin zur Leistungseinschränkung eingehal- ten werden kann. Ein klarer politi- scher Erfolg für die KBV; immerhin ist jetzt am Beispiel der Arzneimittel- budgets deutlich geworden, daß zu eng gefaßte Budgetierungen zu spür- baren Einschränkungen der Versor- gungsqualität führen.
Was aber, wenn das Budget trotz des Aktionsprogramms nicht einge- halten werden kann? Andrea Fischer beharrt auf der Regreßpflicht. Wie auch immer die Frage nachher tat- sächlich entschieden werden sollte:
Den Kassenärzten ist anzuraten, die zum Teil drastischen Vorgaben des Aktionsprogramms penibel einzuhal- ten. Auf diese Weise können sie we- nigstens nachweisen, alles in ihrer Kraft Stehende getan zu haben.
Reformdiskussion: Starre Haltung des Ministeriums
Einen Tag nach der Einigung zum Aktionsprogramm waren die Spitzenorganisationen der Ärzte- schaft erneut zu Gesprächen über die anstehende Gesundheitsreform 2000 mit der Bundesgesundheitsministerin zusammengekommen. Ein Treffen, das der Präsident der Bundesärzte- kammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe als Fehlschlag bezeichnete.
Hoppe zeigte sich enttäuscht von der
„starren Haltung des Ministeriums“.
Es habe sich nichts bewegt. „Wir ha- ben der Ministerin goldene Brücken gebaut, aber sie hat sie nicht genutzt“, kritisierte Hoppe. Josef Maus A-2124
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m 26. November entscheidet der Bundesrat über die Ge- sundheitsreform 2000 der rot- grünen Bundesregierung. Lehnt die Länderkammer das Gesetz ab, hat der Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat nur noch bis zum 17.
Dezember (letzte Sitzung des Bun- desrates) Zeit, eine Kompromißlö- sung zu finden. Vor diesem Hinter- grund gewinnen auch die fünf Land- tagswahlen im Herbst an gesundheits- politischer Bedeutung, da sie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat entscheidend verändern könnten.
Proteste gegen die Budgetierung
Die Vertreter der Gesundheits- berufe haben den Stellenwert der Landespolitik erkannt und in den mei- sten Ländern bereits Bündnisse ge- schlossen, um regional über die Fol- gen eines unbefristeten Globalbud- gets und den geplanten Machtzuwachs der Krankenkassen zu informieren.
Am 14. Juli kamen mehr als 20 000 Interessierte auf dem Münche- ner Marienplatz zusammen, um gegen die Gesundheitsreform zu demon- strieren – eingeladen hatten Organi- sationen der Gesundheitsberufe in Bayern. Das Bremer Bündnis eröffne- te seine Informationskampagne am 21. Juli auf dem Marktplatz der Han- sestadt. In Nordrhein-Westfalen ar- beiten 25 Organisationen zusammen.
Ihre Forderung an die Landesregie- rung, die Reform im Bundesrat zu stoppen, unterstrich Bündnis-Spre- cher Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Ärztekammer Nordrhein sowie der Bundesärzte-
kammer, am 18. August bei einer Pressekonferenz im Düsseldorfer Landtag. „Über den Bundesrat besit- zen die Länder, die wichtige Kompe- tenzen in der Gesundheitspolitik ha- ben, maßgeblichen Einfluß auf die Entscheidungen“, sagte Hoppe.
Das Niedersächsische Bündnis für Gesundheit will sich am 2. Sep- tember in Hannover der Öffentlich- keit präsentieren und seine Vorstel- lungen zur Gesundheitsreform dar- legen. Eine Großveranstaltung in Dortmund plant die „Aktionsgemein- schaft Krankenhausberufe“, zu der auch die Ärztekammer Westfalen- Lippe gehört, für den 3. September.
Vor dem Wiesbadener Landtag soll am 8. September ein Aktionstag statt- finden – initiiert von den 18 Organisa- tionen des hessischen Gesundheits- bündnisses. Am 12. September star- ten die Organisationen der Gesund- heitsberufe in Thüringen eine ge- meinsame Unterschriftenaktion mit dem Titel „Gleiches Recht auf Ge- sundheit in Ost und West“. Am 15.
September plant der „Runde Tisch der Gesundheitsberufe“ in Mecklen- burg-Vorpommern eine Demonstrati- on vor dem Landtag in Schwerin. Für denselben Tag bereiten die 40 betei- ligten Organisationen des Bündnisses in Rheinland-Pfalz einen Aktionstag in der Mainzer Innenstadt vor.
Auch in Baden-Württemberg, Berlin, Sachsen und Schleswig-Hol- stein wurden bereits regionale Bünd- nisse der Gesundheitsberufe gegrün- det – konkrete Termine für Veranstal- tungen liegen jedoch noch nicht vor.
In den übrigen Ländern sind Zusam- menschlüsse geplant, Sondierungsge- spräche haben teilweise bereits statt- gefunden. Jens Flintrop