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Archiv "Gesundheitsreform: Erste Lesung im Bundestag – Etappensieg der Koalition" (27.06.2003)

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ieht so ein verlockender Vorschlag aus? „Ich biete Ihnen hier eine Ver- fahrensverständigung an“ – mit die- sen trockenen Worten hatte sich Franz Müntefering bei der ersten Lesung des Gesundheitssystemmodernisierungsge- setzes (GMG) am 19. Juni im Bundestag als erster Redner an Angela Merkel, Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, ge- wandt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende bot an, bei der Gesundheitsreform doch noch zusammenzuarbeiten und eine Verständigung nicht erst im Herbst im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat anzustreben. Wenn die Union dem Angebot allerdings nicht zustimme,

„dann lassen wir uns nicht aufhalten“.

Wer im Fall einer solchen Verweige- rungshaltung am Ende den Schwarzen Peter in der Tasche hätte, ist nach Auffas- sung von Müntefering klar: die Union.

Ende des Jahres werde Deutschland auf Erneuerung eingestellt sein, „und Sie ha- ben das nicht geschafft“. Schon die drei Monate zwischen Gerhard Schröders Grundsatzrede Mitte März und der Vor- lage des GMG habe die Union schließ- lich „ein bißchen verschlafen“, lästerte der Sozialdemokrat. Vor der ersten Le- sung habe sie sich nun noch ohne Herrn Seehofer zusammenraufen müssen – ei- ne süffisante Anspielung auf den inner- parteilichen Disput bei den Konservati- ven. Der ehemalige Bundesgesundheits- minister hatte seinen Fraktionskollegen vorgeworfen, ihre Reformvorschläge kä- men einer „Privatisierungsorgie“ gleich (DÄ, Heft 24 und 25/2003). Bei der er- sten Lesung blieb sein Platz leer.

Angela Merkels Antwort fiel so süß- sauer aus wie das Angebot. Angesichts des Reformeifers in der SPD wies sie dar- auf hin, dass Einsichten immer gut seien.

Die Union habe allerdings nicht geschla- fen, sondern auf einen Gesetzentwurf ge- wartet.Was immer man gemeinschaftlich

durchsetzen könne, das wolle man auch.

Immerhin gebe es gemeinsame Ziele, beispielsweise die Senkung des durch- schnittlichen GKV-Beitragssatzes auf 13 Prozent oder eine Verbesserung des Qualitätsmanagements im Gesundheits- wesen. Münteferings Drohung, man wer-

de das GMG auf jeden Fall durchsetzen, sei aber kein Satz, „der zu dem Angebot, dass Sie dann formal gemacht haben, passt.“ Den Dissens mit Seehofer hielt sie im Übrigen nicht für ein Hindernis:

„Wir waren immer sprechfähig, wir sind sprechfähig, wir haben ein Alternativ- konzept“, behauptete Merkel.

Dieses hatte die Union bereits ei- nen Tag zuvor präsentiert – in Anwe- senheit ihrer Gesundheitspolitiker An-

nette Widmann-Mauz, Andreas Storm und Wolfgang Zöller. In dem Antrag, der wie das GMG als nächstes in den zuständigen Ausschüssen beraten wird, schlägt die Union im Kern vor, dass sich alle Mitglieder der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) künftig mit je- weils zehn Prozent an den Kosten bean- spruchter Leistungen beteiligen. Die Grenze soll bei zwei Prozent des Brut- toeinkommens liegen, auf das GKV- Beiträge bezahlt werden. Ausnahmen würde es für mitversicherte Kinder ge- ben sowie für Leistungen der Präventi- on und Früherkennung. Weiter sollen die GKV-Versicherten verpflichtet wer- den, die Kostenübernahme für Zahner- satz privat abzusichern; dies werde etwa 7,50 Euro im Monat kosten.

In dem Antrag heißt es auch: „Statt Ärzte, Pflegekräfte und Apotheker stän- dig zu diffamieren, gilt es, die Menschen, die diese Gesundheitsberufe ergriffen haben, von überflüssigen Verwaltungs- aufgaben und Gängelung zu befreien.“

Zu zuverlässigen Rahmenbedingungen gehöre zudem „eine leistungsgerechte und kalkulierbare Honorierung“. Unter dem Stichwort „Qualitätswettbewerb statt Einkaufsmodell“ ist aufgeführt, dass statt eines Wettbewerbs um Ärzte ein Wettbewerb um das beste Versorgungs- modell in Gang gesetzt werden müsse.

Konkret wird ein 3-Säulen-Modell vor- geschlagen, das im Wesentlichen dem Konzept der KBV zu einer differenzier- ten Vertragsgestaltung mit Kollektiv- und Einzelverträgen entspricht. Eine weitgehende Öffnung der Kranken- häuser für die ambulante Versorgung lehnt die Union ab, eine institutionelle Ermächtigung bei hoch spezialisierten Leistungen sei jedoch zu erteilen.

Ebenso zwiespältig wie die Stellung- nahmen der beiden Fraktionsvorsitzen- den fielen die folgenden Redebeiträge P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2627. Juni 2003 AA1775

Gesundheitsreform: Erste Lesung im Bundestag

Etappensieg der Koalition

Die rot-grüne Koalition hat in der vergangenen Woche

das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz im Parlament eingebracht. Es ist das erste Vorhaben, das helfen soll, die SPD-Agenda 2010 umzusetzen.

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Schmidt, Schröder und Merkel im Bundestag

Foto:ddp

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ufall oder nicht – kurz hintereinan- der haben in Berlin zwei private Gruppierungen, die allerdings mancherlei Verbindungen zum Ge- sundheitswesen aufweisen, umfangrei- che Alternativ-Konzepte zu Reformen der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgelegt. Dazu kam noch ein Thesen- papier des Managerkreises der Fried- rich-Ebert-Stiftung – und auch Unter- nehmensberatungen halten sich derzeit nicht zurück.

Der „Falkauer Kreis“ präsentierte am 16. Juni sein Konzept („ Durch Ver- ändern bewahren“, Tübingen, Stauf- fenburg Verlag, ISBN 3-86057-014-5), einen Tag später Prof. Dr. med. Fritz Beske und sein Institut für Gesund- heits-System-Forschung seine Alterna- tive („Das Gesundheitswesen zu- kunftsfähig machen – Kieler Alternati- ve“, Kiel, ISBN 3-88312-286-6). Beiden Alternativen ist gemeinsam, dass sie ein Gesamtkonzept für eine Weiterent- wicklung der Gesetzlichen Kranken- versicherung und des Gesundheitswe- sens zum Ziel haben. Beide setzen auf Evolution, ausgehend von den gewach- senen Strukturen.

Der Falkauer Kreis ist eine informel- le Vereinigung von Fachleuten aus dem Gesundheitswesen. So gehört ihm Prof.

Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe an, der Präsident der Bundesärztekammer, der freilich Wert darauf legte, als Person, nicht aber in seiner offiziellen Funktion im Denkerkreis mitzuwirken. Bei der Präsentation des Konzepts bekräftigte Hoppe, er habe seit jeher gerne mit Querdenkern zusammengearbeitet.

Dazu gehört auch Prof. Dr. med. Micha- el Arnold, ehedem Anatom in Tübin-

gen, später viel gefragter Gesundheits- ökonom und zeitweilig Vorsitzender des Sachverständigenrats der Konzer- tierten Aktion im Gesundheitswesen.

Gleichfalls mit von der Partie ist Ger- hard Schulte, BKK-Vorsitzender in Bayern, früher im Bundesgesundheits- ministerium tätig und Mitverfasser mancher Reformgesetze.

Das Konzept der drei kreist ideolo- gisch um die Neubestimmung der Soli- darität: Der Falkauer Kreis schlägt als neuen Begriff die „Kernsolidarität“ vor und kennzeichnet damit, dass Solida- rität ihre Grenzen hat. Gleichgewichtig daneben stehe die Subsidiarität.

Die Balance zwischen beiden sucht auch Beske mit seiner Kieler Initiative neu zu bestimmen. Beske wie auch die Falkauer genießen gleichsam kirchli- chen Segen. Denn kurze Zeit zuvor hat- ten die katholischen Bischöfe ihre „Ori- entierungen“ vorgestellt (dazu Heft 24/

2003: „Gewissenshilfe“).Auch darin geht es um die Neubestimmung des Verhält- nisses von Solidarität und Subsidiarität.

Ganz schnöde und pragmatisch ge- sprochen bedeutet das, die Eigenver- antwortung des Versicherten und des Patienten stärker zu betonen als bis- her, einschließlich einer gewissen, sozial begrenzten Eigenbeteiligung. Beske schlägt pro Krankenhaustag zwölf Eu- ro für vierzehn Tage und pro Arztbe- such „eines zweiten Allgemeinarztes oder eines Facharztes der gleichen Fachrichtung“ fünfzehn Euro vor. Die Falkauer schlagen zehn Euro pro Arzt- besuch und zehn Euro pro Kranken- haustag vor.

Beide plädieren außerdem für eine Erweiterung der Beitragsbemessungs- P O L I T I K

A

A1776 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 2627. Juni 2003

aus. Krista Sager, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, warf der Union vor, dass ihr Antrag zwar Patien- ten und Versicherte in die Pflicht nehme, nicht aber die eigene Klientel: „Es kann doch nicht Aufgabe des Staates sein, ei- nen Zaun um alle Kartelle der Leistungs- erbringer zu ziehen.“ Dann nahm sie Horst Seehofer in Schutz,der seit kurzem ein Modell der Grünen, die Bürgerversi- cherung für alle, favorisiert. Ihm gehe es schlechter als dem Barden Troubadix bei den Galliern, bedauerte Sager. Man habe Seehofer zwar nicht verboten zu singen, wohl aber zu sprechen. Wenn ihm nach Letzterem sei, sei er zu Gesprächen einge- laden: „Wir sind im Umgang mit älteren querköpfigen Herren bestens geübt.“

Doch Sager nahm die Union auch in die Pflicht: Es gehe darum, den Mut zu ha- ben, „mit uns etwas zu verhandeln, was wir dann gemeinsam präsentieren.“

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Dr.

Wolfgang Gerhardt betonte, dass das Gesundheitssystem nicht nur medizini- sche Leistungen anzubieten, „sondern auch unser freiheitliches System abzubil- den habe.“ In einem eigenen Antrag for- dern die Liberalen die Bundesregierung auf, eine Steuerreform anzugehen und die Steuersätze auf 15, 25 und 35 Prozent zu senken, „damit die privaten Haushal- te zusätzliche finanzielle Spielräume für die Gestaltung ihres Versicherungs- schutzes erhalten“. Der Pflichtleistungs- katalog der GKV müsse auf einen Kern- bereich konzentriert, Komplexe ausge- gliedert und zusätzlich finanziert werden (Zahnbehandlung und -ersatz, Kuren, Fahrkosten, private Unfälle, Kranken- geld), die Selbstbeteiligungsregelungen spürbar steuernder gestaltet werden.

Darüber hinaus spricht sich die FDP für leistungsgerechte Vergütungssysteme mit festen Preisen aus sowie für eine Aner- kennung der Freiberuflichkeit als wesent- liches Element im Gesundheitswesen.

Am Montag dieser Woche haben die mehrtägigen Anhörungen zum GMG im Bundestagsausschuss für Gesund- heit und Soziales begonnen. Am Diens- tag, so hieß es bei Redaktionsschluss, solle ein kleiner Kreis von Politikern von Koalition und Union ausloten, ob es eine Basis für parteiübergreifende Konsensgespräche gibt. Sabine Rieser

Reformpolitik

Vielstimmige Anregungen für Ulla Schmidt

Während im deutschen Bundestag der Gesetzentwurf der Gesundheitsministerin und der Regierungskoalition zur Debatte steht, präsentieren private „think tanks“ alternative Vorschläge für Reformen des Gesundheitswesens.

Der Entwurf des GMG und das Konzept der CDU im Internet: www.aerzteblatt.de/plus2603

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