DÄ:Herr Zöller, am Mittwoch kamen mehr als 20 000 Ärzte nach Berlin, um ihrem Ärger über die Gesundheitspolitik Luft zu machen. Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt zeigte jedoch wenig Verständnis für die Anliegen der Ärzteschaft. Können Sie den Frust der Mediziner verstehen?
Zöller:Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass die Ärzte mit ihrer Situation nicht zufrieden sind und dies auch arti- kulieren. Man muss die Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen und un- zureichende Bezahlung ernst nehmen.
Es gibt einem schon zu denken, dass im- mer weniger Medizinabsolventen den ärztlichen Beruf ergreifen.
DÄ:Mitverantwortlich für die Gesund- heitspolitik der Bundesregierung sind aber auch CDU und CSU. Viele Ärzte haben sich nach der Bundestagswahl mehr eigene Akzente von der Union ver- sprochen.
Zöller:Wenn Äußerungen der Bundes- gesundheitsministerin veröffentlicht werden, die dem Inhalt des Koalitions- vertrages widersprechen, dann könnte ein falscher Eindruck entstehen. Wenn man aber genau hinschaut, wird deut- lich, dass wir uns bei den Koalitionsver- handlungen damit durchgesetzt haben, dass etwa die privaten Krankenver- sicherungen erhalten bleiben und es keine Einheitsgebühren gibt. Wir ste- hen auch dafür, dass für die Patienten die freie Arztwahl und die Wahlfreiheit für bestimmte Leistungspakete hochge- halten werden. Das ist die Handschrift der Union.
DÄ: Begonnen hat Schwarz-Rot aber wie fast alle Regierungen vor ihr, mit einem Kostendämpfungsgesetz, dem so genannten Arzneimittelversorgungs- Wirtschaftlichkeitsgesetz.
Zöller:Das ist richtig, aber das Gesetz muss als Zwischenmaßnahme bewertet werden, damit wir in diesem Jahr kei- nen Druck auf die Beitragssätze be- kommen und den Rücken frei haben für die anstehenden Reformen.
DÄ: Mittlerweile sind deutsche Ärzte Weltmeister beim Verschreiben von Ge- nerika.Was macht Sie so sicher, dass wei- tere Einsparungen ohne
Qualitätsverlust mög- lich sind?
Zöller: Zunächst muss einmal gesagt werden, dass selbstverständlich auch Ärzte für eine wirtschaftliche Verord- nungsweise in der Ver- antwortung stehen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Zielverein- barungen der Selbst- verwaltungspartner ein- gehalten worden wä- ren. Stattdessen ist der Kostenanstieg mit gut 17 Prozent etwa doppelt so hoch ausgefallen wie von Krankenkassen und Ärzteschaft vereinbart.
Bei dem, was für Arzneimittel aus- gegeben wird, gibt es bestimmt noch Wirtschaftlichkeitsreserven. Das zeigt sich schon, wenn man verschiedene Ärzte untereinander vergleicht, die ein ähnliches oder gleiches Patientenpo- tenzial haben.
DÄ:Auch um den Preis, dass die geplan- te Bonus-Malus-Regelung das Vertrau- ensverhältnis zwischen Arzt und Patient beeinträchtigen könnte?
Zöller: Damit Ärzte nicht Verdächti- gungen ausgesetzt sind, sie sparten zu- lasten der Patienten, hat die Union dafür gesorgt, dass die Bonusregelung nicht individualisiert worden ist, sondern auf die Kassenärztlichen Vereinigungen be- zogen wird. Diese können dann ent- sprechend dem wirtschaftlichen Verhal- ten der Ärzte eine Vergütungsregelung finden. Darüber hinaus hat die Neu- regelung für bestimmte Ärzte mit be-
sonders teuren Patienten sogar den Vorteil, dass sie nicht mehr im Durch- schnitt nach Arzneimittelkosten, son- dern nach Tagestherapiekosten bewer- tet werden. Außerdem wollen wir diese Tagestherapiekosten nicht für alle Ver- ordnungen bestimmen, sondern nur P O L I T I K
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A162 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 4⏐⏐27. Januar 2006
Gesundheitsreform
„Ärzte verdienen eine
leistungsgerechte Bezahlung“
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Wolfgang Zöller, fordert, die Gebühren für die Behandlung
von Privatpatienten anzuheben.
Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller:
„Man muss die Ärzte-Proteste ernst nehmen.“
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Foto:Georg J.Lopata
für bestimmte Therapien. Wenn wir die acht häufigsten herausnehmen, haben wir den Großteil der Ausgaben abge- deckt. Diese werden aus den Richt- größen herausgenommen.
DÄ: Besondere Lust auf den Arztberuf machen Kostendämpfungsgesetze trotz- dem nicht. Gerade in Ostdeutschland wol- len sich immer weniger Ärzte niederlassen.
Zöller:Das ist sicherlich richtig. Aber was den Ärztemangel in Ostdeutsch- land angeht, muss man genau auf die Ursachen schauen. Das Hauptproblem ist dort doch die Honorarsituation im ambulanten Bereich. In den neuen Län- dern gibt es einfach zu wenig Privat- patienten, die für eine wirtschaftliche Praxisführung wichtig sind. An diesem Beispiel sieht man, wie notwendig es ist, die Privatversicherung zu erhalten.
DÄ:Umso verheerender würde es sich für die Ärzte in ganz Deutschland aus- wirken, wenn es zu einer Absenkung der Steigerungsfaktoren für die Behandlung von Privatpatienten kommt.
Zöller:Es ist ein Missverständnis, dass immer wieder gesagt wird, wir wollen die Sätze der Gebührenordnung für Ärzte insgesamt senken. Das ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart wor- den. Stattdessen wollen wir die schon jetzt abgesenkten Gebührensätze für Standardtarifversicherte in der GOÄ verbindlich verankern und eine Be- handlungspflicht für diese Personen- gruppe einführen. Gleiches gilt, falls die Beihilfe für Beamte in den Bundeslän- dern abgesenkt wird. Die Alternative wäre, dass die Beamten von den Län- dern generell in die GKV entlassen werden. Dann bekämen die Ärzte eine noch schlechtere Vergütung als heute.
Ich verweise auf das Beispiel Postbeam- te, bei denen die abgesenkte GOÄ-Ver- gütung besser ist als in der GKV.
DÄ:Eine umfassende Reform der GOÄ ist von der Politik seit Jahren verschleppt worden. Wundert es Sie, dass die Ärzte gegen die Behandlungspflicht Sturm laufen?
Zöller: Ich kann verstehen, dass die Ärzte mit dem Bewertungsgefüge in- nerhalb der GOÄ unzufrieden sind. Für die GOÄ insgesamt bin ich sogar der Meinung, dass wir die Gebühren an-
heben müssen. Es ist höchste Zeit, dass eine leistungsgerechte Bezahlung für Ärzte umgesetzt und die Gebührenord- nung entsprechend überarbeitet wird.
DÄ: Unzufrieden sind Ärzte auch mit den Honoraren für Kassenpatienten.
Dass es mit der angestrebten morbiditäts- orientierten Vergütung nicht vorangeht, ist aber nicht nur die Schuld der Selbst- verwaltung.
Zöller:Die Kassenärztliche Bundesver- einigung hatte diese Vergütungsumstel- lung gefordert. Nun hat sie Probleme mit der Umsetzung innerhalb der Selbstver- waltung. Die großen Versorgerkassen, bei denen viele chronisch
kranke Menschen ver- sichert sind, wollen einer morbiditätsorientierten Vergütung nur zustim- men, wenn sie dafür ei- nen Ausgleich über den Risikostrukturausgleich erhalten.Wir müssen den
gesamten Sachverhalt daher nochmals überprüfen und gegebenenfalls eine einfachere Lösung für ein neues Ver- gütungssystem finden.
DÄ: Bislang blockiert aber die Union die morbiditätsorientierte Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs.
Zöller:Die von Rot-Grün entwickelten Vorschläge für einen Morbi-RSA waren manipulationsanfällig und außerdem kompliziert. Es läuft den Bemühungen um mehr Wirtschaftlichkeit entgegen, wenn die Ausgaben für Arzneimittel und Krankenhausbehandlung zur Richt- schnur für Morbidität gemacht werden.
Schließlich sollen doch die Liegedauern in den Krankenhäusern verkürzt und Einsparungen bei den Arzneimittelver- ordnungen erzielt werden. Wir wollen dieses Problem lösen und den Leuten bis Mitte des Jahres sagen, wo es hingeht.
DÄ: Bis zum Sommer will sich die Koalition auch über eine Finanzreform der Gesetzlichen Krankenversicherung einigen. Was sagen Sie dazu, dass Frau Schmidt schon mal vorprescht und ein eigenes Reformkonzept vorbereitet?
Zöller:Dass Frau Schmidt als Ministerin Vorschläge und Diskussionsgrundlagen erarbeitet, ist selbstverständlich. Wir haben aber die Regelung verabredet,
dass ein Entwurf des Ministeriums nicht mehr mit der Überschrift Gesetzent- wurf von CDU/CSU und SPD an die Verbände geht. Wenn ein Entwurf mit unserem Namen veröffentlicht wird, dann müssen wir vorher in die Ent- scheidung mit eingebunden werden. Im Übrigen wird auch die Union bis Ende März Eckpunkte formulieren, mit de- nen wir in die Verhandlungen gehen.
DÄ:Was wird darin stehen?
Zöller:Auf jeden Fall wollen wir durch- setzen, dass die Gesundheitskosten end- lich von den Arbeitskosten abgekoppelt werden. Außerdem sind wir überzeugt, dass es gerechter ist, so genannte versicherungs- fremde Leistungen, wie die beitragsfreie Mitver- sicherung von Kindern, nicht länger über die Lohnkosten zu finanzie- ren, sondern von der All- gemeinheit. Ganz wichtig ist aber, dass wir nicht nur die Einnah- meseite verbessern, sondern auch auf der Ausgabenseite zum Beispiel durch mehr Wahlfreiheit der Versicherten neue Akzente setzen.
DÄ: Die Ministerin hat zu erkennen gegeben, sich bei ihrem Konzept am niederländischen Reformmodell zu orientieren. Was halten Sie davon?
Zöller:Da bin ich sehr vorsichtig. Das niederländische Modell ist in der öf- fentlichen Diskussion so dargestellt worden, als sei es ein Kompromiss zwi- schen Bürgerversicherung und Gesund- heitsprämie. Wenn man aber genauer hinschaut, ist es eher ein Schritt in Rich- tung Bürgerversicherung. Die Pflicht- versicherung für alle ist zwar privat- rechtlich organisiert, aber stark mit Elementen der Gesetzlichen Kranken- versicherung durchsetzt.
DÄ:Nach einer Annäherung zwischen Union und SPD klingt das nicht. Wie optimistisch sind Sie, dass die große Finanzreform bis zum Sommer steht?
Zöller:Ich bin trotz allem optimistisch, allein schon deswegen, weil wir sonst zum 1. Januar nächsten Jahres massive Beitragssatzerhöhungen bekämen. Das kann sich niemand erlauben.
DÄ-Fragen: Samir Rabbata, Timo Blöß P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 4⏐⏐27. Januar 2006 AA163