• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Internistenkongress: Auch Ärzte sind Menschen und Patienten" (27.04.2007)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Internistenkongress: Auch Ärzte sind Menschen und Patienten" (27.04.2007)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A1144 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 17⏐⏐27. April 2007

M E D I Z I N R E P O R T

D

ie Gesundheit oder Krankheit von Ärzten galt lange Zeit als Privatangelegenheit. Während in den USA, aber auch in europäischen Ländern wie Großbritannien oder Finnland, das Thema „Ärztegesund- heit“ gesellschaftlich verankert ist, wurde es in Deutschland lange Zeit vernachlässigt. Erst allmählich be- ginnen Arbeitsmediziner, Psychiater und Psychologen zu untersuchen, welchen physischen und psychischen Belastungen Mediziner in Deutsch- land ausgesetzt sind.

Der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) war es an- lässlich ihres 125. Geburtstages auf der Jahrestagung in Wiesbaden ein Anliegen, die gesundheitliche Situa- tion der Ärztinnen und Ärzte* in Deutschland zu beleuchten. Ihre Kernbotschaft: Verantwortungsbe- wusstes Arztsein bedeute auch, die eigenen physischen und psychischen Grenzen anzuerkennen. „Trotz des hohen Anspruchs an den Arzt be-

steht keine Verpflichtung zur Selbst- aufgabe und zur Selbstaufopferung“, sagte der Kongresspräsident Prof.

Dr. med. Wolfgang Hiddemann (Mün- chen-Großhadern). Wie wichtig die- ser Hinweis ist, belege die hohe Zahl von Ärzten und Pflegekräften, die im Laufe ihres Berufslebens ein „Burn- out“-Syndrom oder eine schwere Depression erleiden.

Verdrängung als Besonderheit des Ärztestandes

Man müsse davon ausgehen, dass diese Zahl angesichts der kontinuier- lich erschwerten organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingun- gen noch steigen werde. „Davor gilt es, uns selbst zu schützen“, beton- te Hiddemann: „Es ist an der Zeit, auch die Bedürfnisse des Arztes als Mensch zu formulieren. Mensch- lichkeit dem Patienten gegenüber darf nicht bedeuten, von uns selbst Unmenschliches zu verlangen.“

„Viele Ärzte geben täglich so viel Gas, dass sie bereits an einem Er- schöpfungssyndrom, an Depressio- nen, Schlafstörungen und anderen

stressinduzierten Störungen leiden“, sagte Prof. Dr. med. Martin Midde- ke (München). Eingestehen möch- ten sich die wenigsten diese „Funk- tionsstörungen“, denn zum Arztide- al gehöre es, alles zu schaffen und keine Schwächen zu zeigen. „Die Hilflosigkeit der Ärzte angesichts eigener körperlicher oder seelischer Erkrankungen ist immens, ihre Ver- drängung eine Besonderheit des Ärztestandes“, so Middeke.

Während die einen verdrängen, weichen andere auf Ersatzhandlun- gen aus, um den täglichen Stress- pegel herunterzudrücken. „Im Ver- gleich zur Allgemeinbevölkerung konsumieren Ärzte zwar weniger Zigaretten und illegale Drogen, aber sie trinken mehr Alkohol und grei- fen eher zu Benzodiazepinen“, wie der Psychologe Harald Jurkat von der Universität Gießen berichtete.

Wenn überhaupt, betäuben diese Maßnahmen nur kurzfristig. Lang- fristig führen sie die Betroffenen in einen physischen und psychischen Teufelskreis. So wundert es nicht, dass Ärzte ihre Vitalität sowie sozia- le und emotionale Funktionsfähig- keit schlechter bewerten als die All- gemeinbevölkerung. Auch die ge- sundheitliche Situation der Ärzte- schaft hat sich deutlich verschlech- tert: „Stressbedingte Symptome, de- pressive Krisen, Suizid, Alkohol-, Drogen- und Tablettenmissbrauch nehmen zu“, so Jurkat.

Acht bis neun Prozent der Ärzte würden irgendwann in ihrem Leben abhängig von Alkohol oder anderen Suchtmitteln, berichtete Priv.-Doz.

Dr. med. Götz Mundle (Oberberg- Klinik in Hornberg/Schwarzwald).

Die Einrichtung hat sich auf die Be- handlung suchtkranker Ärzte spe- zialisiert. In der Bevölkerung liegt die Suchterkrankungsquote mit fünf

INTERNISTENKONGRESS

Auch Ärzte sind Menschen und Patienten

Symposium „Ärztegesundheit“: Ein verantwortungsvoller Arzt ist der, der die eigenen physischen und psychischen Grenzen anerkennt.

*Im folgenden Text wird für „Ärztinnen und Ärzte“

geschlechtsneutral nur der Begriff „Ärzte“ verwendet.

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 17⏐⏐27. April 2007 A1145

M E D I Z I N R E P O R T

Prozent etwas niedriger. Als letzten Ausweg sehen viele den Suizid.

Nach dem Ergebnis einer schotti- schen Untersuchung ist die Suizid- rate unter Ärzten zehn- bis zwan- zigmal höher – mit Anästhesisten und Psychiatern an der Spitze. „Ärz- tinnen wählen den Freitod noch häufiger als ihre männlichen Kolle- gen“, sagte Dr. med. Astrid Bühren (Murnau), Präsidentin des Deut- schen Ärztinnenbundes.

Gerade für die jungen Ärzte sind nicht nur Arbeitsverdichtung, lange Arbeitszeiten und schlechte Bezah- lung Gründe zur Klage. Viele lei- den auch am Arbeitsklima in den Krankenhäusern. Gemeinsam mit seiner Kollegin Katja Raskin konnte Jurkat erstmals zeigen, dass die Hierarchie in Krankenhäusern die Lebensqualität der Ärzte negativ beeinflusst. Sie fragten, wie es Medizinern auf den verschiedenen Stufen der Karriereleiter ging, und verglichen die Ergebnisse mit den Angaben amerikanischer Ärzte, die von starren Hierarchien weitgehend verschont bleiben.

Wie in Deutschland arbeiten auch US-Wissenschaftler durchschnittlich rund 56 Stunden pro Woche. Ihre gefühlte Lebensqualität unterschei- det sich jedoch deutlich: Während sie bei den Ärzten jenseits des At- lantiks über dem Durchschnitt der Bevölkerung liegt, sind die deutschen Klinikärzte unzufriedener. „Besser als der Normalbürger fühlen sich in Deutschland nur Chefärzte“, be- tonte Jurkat in Wiesbaden. Ein Viertel von ihnen war mit seinem Leben „sehr zufrieden“. Bei den Assistenzärzten äußerten sich nur sechs Prozent so positiv. „Im Aus- land führen neben flachen Hierar- chien auch eine höhere Wertschät- zung des ärztlichen Personals zu ei- ner höheren Arbeitszufriedenheit“, sagte Jurkat.

Bild der Unverletzlichkeit

Körperlich krank werden Ärzte na- türlich genauso häufig wie andere Menschen. Von einigen Krankhei- ten sind sie sogar häufiger betroffen.

„Aber sie reagieren meistens anders darauf als ihre Patienten“, erläuterte Dr. med. Bernhard Mäulen, Fach- arzt für Psychiatrie und Psychothe-

rapie in Villingen-Schwenningen.

„Ärzten fällt es sehr schwer, sich als Patient einem Kollegen anzuver- trauen – und sie halten sich selbst nur selten an das, was sie ihren Pa- tienten empfehlen.“ Mäulen skiz- zierte den kranken Arzt wie folgt:

Zunächst versuche er, sein Leiden mit Selbstmedikation zu lindern.

Lasse sich die Konsultation eines Kollegen letztlich nicht umgehen, begegne er ihm kritisch, ja miss- trauisch. Dass der ärztliche Patient um alle Komplikationen weiß, die bei einer Therapie auftreten kön- nen, mache die Situation nicht ein- facher.

„Obwohl der kranke Arzt sich in seinem Innersten zutiefst verunsi- chert fühlt, fällt es ihm schwer, das Bild von der eigenen Unverletzlich- keit und Stärke aufzugeben“, beton- te Mäulen. Doch der verwundete Heiler kann nicht „aus seiner Haut heraus“, er verschließt sich und bleibt allein mit seiner Angst. Die Krankheit empfindet er nicht selten als Zusammenbruch seiner Exis- tenz, seiner Lebensplanung und sei- nes Selbstwertgefühls.

Ausnahmesituation für den kranken Arzt und Kollegen

Demgegenüber reagiert der Kolle- ge, der den Verdacht auf eine erns- te Erkrankung bestätigt, befangen;

denn er weiß, dass Ärzte oft die schlechtesten Patienten sind: Sie befolgen die Verordnung nicht, sind ungeduldig, zweifeln an allem und jedem und geben vor, weiter- hin selbst bestimmen zu wollen, was getan werden muss. Eine Ver- trauensbasis aufzubauen fällt nicht leicht.

Zudem soll das Gespräch mit dem kranken Kollegen fachlich qualifiziert ablaufen, denn schließ- lich will man sich gegenseitig be- weisen, medizinisch kompetent zu sein. Unter dieser Konstellation wird fast vergessen, dass es sich bei der „Fallbesprechung“ nicht um ei- nen dritten Patienten, sondern um einen der beiden Ärzte handelt.

Wie kranke Ärzte und ihre behan- delnden Kollegen mit dieser unge- wöhnlichen Situation am besten umgehen können, hat Mäulen in je- weils zehn Empfehlungen (Kasten) zusammengefasst: „Einige Punkte mögen zunächst banal erscheinen, aber ein solch mentales Gerüst ist hilfreich, auch in Ausnahmesitua- tionen professionell zu handeln“, sagte Mäulen. Der Psychiater be- schäftigt sich seit Langem mit den gesundheitlichen Problemen seiner Arzt-Kollegen und leitet im Internet ein „Institut für Ärztegesundheit“

(www.aerztegesundheit.de). Dieses ist ein Diskussionsforum, in dem ei- ne Vielzahl von Aspekten zur Ärzte- gesundheit gesammelt und Hilfen für Ärzte mit gesundheitlichen Pro- blemen angeboten werden. I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

ZEHN EMPFEHLUNGEN . . .

. . . wenn man als Arzt krank wird

> (vorab) einen eigenen Hausarzt suchen

> rechtzeitig fremde Hilfe suchen (viele kranke Ärzte kommen erst in chronischen oder Spätstadien)

> Kollegen bitten, ihn so zu behandeln wie jeden anderen Patienten auch

> auf Patientenrolle einlassen, Verantwortung abgeben

> um normale Aufklärungsroutine bitten, Nachfragen bei Stress oder Angst

> normale Krankenhausroutine, keine Abkürzungen

> compliant sein!

> Familie/Freunde über die eigene Situation informieren

> auch Kollegen informieren, vor allem, wenn man noch arbeitsfähig ist

> sich fragen, was zu der Krankheit geführt hat (Arbeits- und/oder Lebensstil)

. . . wie man einen kranken Kollegen behandeln sollte

> „kollegialen“ Umgang vermeiden

> gründliche Untersuchung und Behandlung (gerade Ärzte sind voller „Risikofaktoren“)

> offene und umfassende Kommunikation

> eigene Therapieempfehlung vorgeben – unabhängig von der Hierarchiestufe des kranken Arztes

> Termine und Nachkontrollen festsetzen

> nicht zögern, einen stationären Aufenthalt zu empfehlen

> sich bewusst machen, dass bei „VIP“-Patienten eher ungewöhnliche Fehler gemacht werden

> berufsbezogene Anonymität bewahren; Schweige- pflicht gilt auch für den kranken Kollegen

> ausführliche Information gegebenenfalls mit Wiederholung (nicht: Sie wissen ja schon Herr/Frau Kollege/in)

> den Entlassungstermin bestimmen, nicht bestimmen lassen

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Einer Umfrage des Berufs- verbandes der Arzt-, Zahn- arzt- und Tierarzthelferinnen (BdA) zufolge hat sich die Beschäftigtenstruktur in den Arztpraxen „alarmierend ent- wickelt“:

Ein Fall für Mitchell & Markby, aus dem Eng- lischen von Edith Walter, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Glad- bach, 1997, 384 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag, 36 DM.. Die

Wertet man die rund 1000 An- fragen aus, die HIP im vergangenen Jahr beantwortet hat, läßt sich gene- rell sagen, daß sich diese Service- Einrichtung der Kassenärztlichen

Nachdem er sich selbst röntgendurchleuch- tete, was er mit Hilfe eines gro- ßen Spiegels zuwege brachte, und nach Durchforschen ein- schlägiger Literatur, kam er auf einen

Darüber hinaus werde die freie Arztwahl der Patienten untergraben, wenn ein priva- ter Arztsuchdienst nur an die Ärzte verweise, die sich gegen Entgelt in eine

Patienten und ihre Angehörigen kön- nen sich auf der Webseite über das Thema informieren, Fragen an das fachärztliche Expertenteam stellen und sich auf das Gespräch mit dem

Erfolgreiche Fernsehserien um Rechts- mediziner wie „CSI“, „Crossing Jor- dan“ oder „Post Mortem“ haben ei- ne Bewerbungswelle in der deutschen Rechtsmedizin

Auch, dass die ärztlichen Aktionen schon lange und bundes- weit andauern, dass Zehntausende mitmachen, besagt für sich genom- men nicht viel.. Fast jeden Tag erhebt irgendeine