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Archiv "Freiberuflichkeit: Sind Ärzte Beauftragte der Kassen?" (10.02.2012)

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A 246 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 6

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10. Februar 2012

FREIBERUFLICHKEIT

Sind Ärzte Beauftragte der Kassen?

Bei Korruptionsvorwürfen fielen Ärzte bislang nicht in die Zuständigkeit des Strafgesetzbuches.

Ein anstehendes Urteil des Bundesgerichtshofs könnte das bald ändern.

D

er ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf“, heißt es so- wohl im § 1 der Bundesärzteord- nung als auch im § 1 der (Mus- ter-)Berufsordnung. Dort heißt es zudem, im § 32: „Ärzten ist es nicht gestattet, von Patienten oder Ande- ren Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird.“ Beide Aspekte gehören zu- sammen, denn nur wer frei ist, kann auch unabhängig sein. Beide As- pekte sind für den Arztberuf essen- ziell. Und beide Aspekte könnten in Kürze eine höchstrichterliche straf- rechtliche Neubewertung erhalten.

Bislang lehnten Gerichte häufig Klagen gegen Ärzte ab, die Vorteile für sich angenommen haben sollen.

Denn Ärzte galten im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB) weder als Amtsträger noch als Beauftragte der Krankenkassen – und konnten deshalb nicht nach den Vorgaben des StGB zur Rechenschaft gezo- gen werden. Doch allmählich än- dert sich diese Auffassung.

Beispiel 1: In Niedersachsen hatte ein Apotheker der Staatsan- waltschaft Braunschweig zufolge Vertragsärzten Zuwendungen für den Umbau der Praxis sowie monat- liche Zahlungen gewährt. Als Ge- genleistung sollten die Ärzte den Apotheker bei der Verschreibung von Zytostatika bevorzugen. Das Landgericht Braunschweig lehnte eine Verhandlung ab, weil Vertrags- ärzte keine Beauftragten einer Kran- kenkasse nach § 299 StGB seien.

Dagegen legte die Staatsanwalt- schaft Beschwerde ein. Das Ober- landesgericht Braunschweig ent- schied am 23. Februar 2010 zwar, ein Zusammenhang zwischen den Zahlungen und den Zytostatikaver- schreibungen sei nicht hinreichend ermittelt worden. Im Gegensatz zum Landgericht vertrat es jedoch die Auffassung, ein Vertragsarzt sei durchaus als Beauftragter der Kran- kenkassen anzusehen.

Beispiel 2: Die Staatsanwalt- schaft Verden hatte gegen ein Unter- nehmen ermittelt, das Hilfsmittel zur elektromedizinischen Reizstromthe- rapie vertreibt. Der Vorwurf lautete:

Verdacht auf Bestechung im ge- schäftlichen Verkehr. Denn das Un- ternehmen bot niedergelassenen Ärzten an, ein hochwertiges medizi- nisches Gerät unentgeltlich oder für einen geringen Preis zu erhalten, wenn sie im Gegenzug die Reiz- stromgeräte des Unternehmens ver- ordneten. In speziellen Kuverts sollten die Ärzte die Verordnungen sammeln und an das Unternehmen senden. Zwischen 2004 und 2008 erhielt das Unternehmen 70 045 Verordnungen – ob diese ohne eine entsprechende Indikation ausge- stellt worden waren, konnte indes nicht geklärt werden.

Das Landgericht Verden lehnte die Klage der Staatsanwaltschaft im August 2010 ab. Ärzte seien keine

§ 11 StGB, Personen- und Sachbegriffe Als Amtsträger gilt, wer nach deutschem Recht dazu bestellt ist, bei einer Behörde, bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen.

§ 299 StGB, Bestechlichkeit im geschäftli- chen Verkehr

Wer als Angestellter oder Beauftragter eines ge- schäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Ge- genleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Bestraft werden soll zu- dem derjenige, der dem Beauftragten eines ge- schäftlichen Betriebs diesen Vorteil anbietet.

§ 331 StGB, Vorteilsannahme

Ein Amtsträger, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird mit Frei-

heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 332 StGB, Bestechlichkeit

Ein Amtsträger, der einen Vorteil für sich oder ei- nen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten ver- letzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheits- strafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren be- straft. Falls der Täter den Vorteil als Gegenleis- tung für eine künftige Handlung fordert, sich ver- sprechen lässt oder annimmt, so ist bereits straf- bar, wenn er sich dem anderen gegenüber bereit gezeigt hat, bei der Handlung seine Pflichten zu verletzen oder, soweit die Handlung in seinem Er- messen steht, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen.

DER GESETZESTEXT

Foto: dapd

P O L I T I K

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Beauftragten der Krankenkasse nach § 299 StGB, befand auch die- ses Gericht. Denn sie könnten bei der Verordnung von Hilfsmitteln kein für die Krankenkasse verbind- liches Votum abgeben, welcher An- bieter zum Zuge kommen solle. So- mit fehle die erforderliche Letztent- scheidungszuständigkeit. Und Ärz- te seien auch keine Amtsträger nach

§ 11 StGB, denn der Zulassungsbe- schluss durch den Zulassungsaus- schuss sei kein dafür erforderlicher öffentlich-rechtlicher Bestellungs- akt. Die Staatsanwaltschaft Verden ging daraufhin in Revision und leg- te den Fall dem Bundesgerichtshof (BGH) vor.

Beispiel 3: Im Dezember 2010 verurteilte das Landgericht Ham- burg einen niedergelassenen Ver- tragsarzt und eine Pharmareferentin wegen Bestechlichkeit beziehungs- weise Bestechung im geschäftli- chen Verkehr. Der Arzt hatte dem Gericht zufolge umsatzabhängige Prämien für die Verordnung be- stimmter Medikamente erhalten.

Wie das Landgericht Verden war auch das Landgericht Hamburg der Auffassung, der Arzt erfülle nicht die Anforderung an eine Amtsträ- gerschaft nach § 11 StGB. Im Un- terschied zum Landgericht Verden war es jedoch der Ansicht, er sei durchaus als Beauftragter der Kas- sen nach § 299 StGB anzusehen.

Auch dieser Fall wurde dem Bun- desgerichtshof vorgelegt.

Am 5. Mai 2011 entschied der 3. Strafsenat des BGH über die Re- vision der Staatsanwaltschaft Ver- den – und legte sich fest: Bei der Verordnung von Hilfsmitteln sei ein niedergelassener Vertragsarzt als Amtsträger im Sinne des § 11 StGB anzusehen. Die Zuwendung von Vorteilen, die ihm im Zusammen- hang mit seiner Tätigkeit gewährt würden, könne daher den Tatbe- stand der Vorteilsannahme nach

§ 331 StGB und der Bestechlichkeit nach § 332 StGB erfüllen.

Die Zulassung eines Vertragsarz- tes führe dazu, so die Begründung, dass dieser zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung be- rechtigt und verpflichtet werde. Mit der Behandlung der Versicherten übe der Vertragsarzt eine ihm im

Rahmen der gesetzlichen Kranken- versicherung übertragene öffentli- che Aufgabe aus. Zudem falle eine gesetzliche Krankenkasse unter die im § 11 StGB genannten „sonstigen Stellen“. Denn sie sei zwar keine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne, aber rechtlich befugt, bei der Ausführung von Gesetzen und bei der Erfüllung von öffentlichen Auf- gaben mitzuwirken. Dazu gehörten auch Aufgaben der staatlichen Da- seinsvorsorge.

Auch der 3. Strafsenat des BGH hat die Fragestellung jedoch nicht abschließend beantwortet, sondern sie dem Großen Senat für Strafsa- chen des BGH zur Entscheidung

vorgelegt. Dieser muss nun zwei Fragen beantworten: Handelt ein niedergelassener Vertragsarzt bei Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben als Amtsträger im Sinne des § 11 StGB? Wenn nicht, handelt er dann im Sinne des § 299 StGB als Beauf- tragter der gesetzlichen Kranken- kassen? Diese Fragen seien in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt, so der 3. Straf- senat. Ihre Beantwortung habe über den vorliegenden Einzelfall hinaus aber erhebliche Auswirkungen auf die Strafverfolgungspraxis im weit verbreiteten Bereich des sogenann- ten Pharmamarketings. Auch der Fall aus Hamburg ist mittlerweile dem Großen Senat für Strafsachen des BGH vorgelegt worden, womit dieser sowohl über die Bereiche Hilfsmittel als auch Arzneimittel entscheiden muss.

Wie und wann sich der Große Senat entscheiden wird, ist derzeit nicht abzusehen. Viele Experten ha- ben sich in der Zwischenzeit zu dem Thema zu Wort gemeldet.

Häufig heißt es dabei: Der Beruf des Arztes sei ein freier Beruf. Und der Arzt sei seinen Patienten und nicht den Krankenkassen verpflich- tet. Deshalb könne er auch nicht als Amtsträger oder Beauftragter der

Krankenkassen angesehen werden.

Der 3. Strafsenat lässt dieses Argu- ment jedoch nicht gelten. Wenn die Voraussetzungen des § 11 StGB er- füllt seien, stehe die freiberufliche Ausübung des Arztberufes einer Amtsträgerschaft nicht entgegen.

Welche Auswirkungen das anste- hende Urteil des BGH auf die Recht- sprechung in Deutschland hätte, fasste der Oberstaatsanwalt der Wuppertaler Schwerpunktstaatsan- waltschaft Korruptionsbekämpfung, Wolf-Tilman Baumert, auf einer Konferenz des Bundesverbandes Medizintechnologie Ende vergange- nen Jahres in knappen Worten zu- sammen: Wenn der Große Senat

dem Urteil des 3. Strafsenats folgen sollte, „wird eine Welle von Klagen über das Land ziehen“.

Der Bundesvorsitzende des NAV- Virchow-Bundes, Dr. med. Dirk Heinrich, weist unterdessen darauf hin, dass das anstehende Urteil nicht nur Folgen für Ärzte hätte, die Vor- teile von Dritten angenommen ha- ben: Würde das BGH den Arzt als Beauftragter der Kassen oder gar als Amtsträger einstufen, sei seine Pra- xis nicht mehr seine eigene, sondern er werde für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts tätig, die dann mit ihren Vorschriften bis in die Pra- xis hineinregieren könne. „Dies wi- derspricht der freiheitlichen Orien- tierung eines freien Berufes und auch der freien Niederlassung in Selbstständigkeit“, so Heinrich. Auch die Auswirkungen auf das Patient- Arzt-Verhältnis seien gravierend.

Denn bislang trete der Arzt dem Pa- tienten als unabhängiger Behandler und Berater gegenüber. „Ist er in Zu- kunft Amtsträger oder Beauftragter der Krankenkassen, müssten sich seine Äußerungen, aber auch seine Rezepte und Verordnungen strengs- tens an den Vorgaben der Kranken- kassen orientieren“, sagte Heinrich.

„Die Rolle des Arztes als Anwalt des Patienten wäre dann vorbei.“

Falk Osterloh

Für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts tätig zu werden widerspräche der freiheitlichen Orientierung eines freien Berufs.

Dirk Heinrich, NAV-Vorsitzender

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