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Archiv "Vertragswettbewerb: KVen nicht mehr auf Augenhöhe mit Kassen" (08.05.2009)

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A916 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 19⏐⏐8. Mai 2009

P O L I T I K

E

nde April musste sich AOK- Funktionär Wilfried Jacobs entscheiden, ob er dem Hausärzte- verband oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) den Vor- zug geben sollte. Der Chef der AOK-Rheinland/Hamburg wählte die KBV und kam zu deren Fachver- anstaltung „KBV-Kontrovers“, bei der es um die Zukunft des Kollektiv- vertrags ging. Zu den am selben Tag stattfindenden Verhandlungen seiner Kasse mit dem Hausärzteverband schickte er seine Stellvertreterin.

„Man kann davon manches ablei- ten“, sagte Jacobs gleich zu Beginn der Tagung.

Tatsächlich scheint sich das Ver- hältnis zwischen dem Deutschen Hausärzteverband und seinen Lan- desverbänden auf der einen und dem AOK-Lager auf der anderen Seite zu trüben. Im Mai 2008 schlossen in Baden-Württemberg

die AOK, Medi und der dortige Hausärzteverband den ersten Ver- trag zur hausarztzentrierten Versor- gung nach § 73 b SGB V ohne Be- teiligung einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ab. Seither folgte dem Beispiel nur die AOK in Bay- ern – und das auch nur zögerlich.

Das ärgert den Deutschen Hausärzteverband, der den Kassen nun eine Frist bis zum 15. Mai ge- setzt hat, um in Verhandlungen zu treten (siehe DÄ, Heft 16/2009).

Kommen die Kassen dem nicht nach, will der Verband sein vom Gesetz- geber verliehenes „Quasi-Monopol“

nutzen und entsprechende Vereinba- rungen mithilfe von Schiedsämtern durchsetzen.

AOK-Chef Jacobs zeigte sich bei der KBV-Veranstaltung verärgert über den Deutschen Hausärztever- band. „Die neuen Instrumente der Macht scheinen die Hausärztever- bände weniger zur Verbesserung der Patientenversorgung nutzen zu wol- len als zur Verbesserung ihrer Ein- kommenssituation“, bemängelte er.

Abzulehnen sei auch die Forderung des Hausärzteverbandes, die Verträ- ge in Baden-Württemberg und Bay- ern zur Grundlage für entsprechen- de Verhandlungen zu machen:

„Mich interessiert nicht, was in an-

deren Ländern vereinbart wurde.

Mich interessiert nur, was für meine Versicherten das Beste ist. Insge- samt gibt es im Gesundheitswesen zu viele Ideologen und zu wenig Macher – auf allen Seiten.“

So sprach sich Jacobs auch dage- gen aus, Kollektivvertrag und Selek- tivverträge gegeneinander auszuspie- len. Beide Möglichkeiten könnten sich ergänzen. „Mit den KVen habe ich überhaupt keine Probleme. Es kann auch eine große Vielfalt von Selektivverträgen geben, ohne die KVen abzuschaffen. Von mir hat noch nie ein Patient verlangt, dass ich ei- nen Vertrag nur mit dem Hausärzte- verband oder nur mit der KV machen soll. Das ist denen egal, wenn die Ver- sorgung gut ist“, sagte Jacobs.

Unausgesprochen ließ der AOK- Vorstand jedoch, dass sich allenfalls

„Add on“-Verträge problemlos als Ergänzung zum Kollektivvertrag in das KV-System implementieren las- sen. Dabei handelt es sich um Kon- trakte, bei denen Leistungen und Vergütungen zusätzlich zu denen der „Normalversorgung“ vereinbart werden. Eine Bereinigung der Ge- samtvergütung – wie bei den Verträ- gen in Baden-Württemberg oder Bayern – höhlt das KV-System hin- gegen weiter aus.

VERTRAGSWETTBEWERB

KVen nicht mehr auf Augen

Selektivverträge sind längst nicht mehr bloß Ergänzung, sondern bereits wesentlicher Bestandteil der

Routineversorgung. Verdrängten sie den Kollektivvertrag vollends, benachteilige dies Patienten, warnt die KBV.

Einhellige Meinung auf dem Podium:

Noch ist die Versorgung gesichert, aber gerecht geht es schon jetzt nicht mehr zu.

V.l.: Rolf Rosenbrock, Jeanne Nicklas-Faust, Carl-Heinz Müller, Moderator Heinz Stüwe, Stefan Etgeton, Rainer

Daubenbüchel, Thomas Ballast

Wenn der Gesetzgeber nicht eine sinnvolle Wettbewerbsordnung eta- bliert, kollabiert das KV-System.

Dr. med. Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der KBV

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 19⏐⏐8. Mai 2009 A917

P O L I T I K

Ein friedliches Nebeneinander von Kollektivvertrag und Selektiv- verträgen kann der Vorstandsvorsit- zende der KBV, Dr. med. Andreas Köhler, deshalb nicht ausmachen:

„Der derzeitige systemwidrige und ordnungspolitisch verfehlte Wettbe- werb, insbesondere in der ambulan- ten ärztlichen Versorgung, führt nicht zu einem geordneten Umbau des Gesundheitswesens, sondern zum Raubbau an diesem.“ Köhler forderte die Parteien auf, sich zu dem Thema der künftigen Gestaltung der kassenärztlichen Versorgung zu posi- tionieren: „Wenn die Politik nicht die Spielräume für die Kassenärztlichen Vereinigungen erweitert und eine sinnvolle Wettbewerbsordnung eta- bliert, kollabiert das KV-System.“

Der Gesetzgeber habe den histo- rischen Kompromiss von 1955 ein- seitig gekündigt. Damals seien den KVen der ungeteilte Sicherstel- lungsauftrag und das Monopol zur Organisation der ambulanten ärztli- chen Versorgung übertragen wor- den. Im Gegenzug würden Ver- tragsärzte seither auf ihr Streikrecht verzichten und verpflichteten sich, Krankenversicherte zu den zwi- schen KVen und Kassen ausgehan- delten Konditionen zu behandeln.

„Das setzt eine starke Organisati- on voraus, die auf gleicher Augen- höhe mit den Kassen verhandeln kann. Genau das ist aber nicht mehr der Fall“, kritisierte der KBV-Vor- sitzende. Das damals zugesicherte Monopol sei mit der Neufassung des § 73 b SGB V endgültig zerstört

worden. „Der Sicherstellungsauf- trag ist geteilt. In selektiven Verträ- gen geht er auf die jeweilige Kran- kenkasse über“, sagte Köhler.

„Der Sicherstellungsauftrag kann nur funktionieren, wenn er in einer Hand liegt“, meinte auch KBV- Vorstandsmitglied, Dr. med. Carl- Heinz Müller, bei einer Podiumsdis- kussion im Rahmen der Veranstal- tung. Genau das sei aber immer seltener der Fall. Dies habe Auswir- kungen auf die Versorgungssicher- heit und Versorgungsgerechtigkeit.

„Denn mit selektiven Verträgen ist automatisch eine Differenzierung der Leistungserbringung verbun- den, die bestimmte Patienten oder Versicherte bestimmter Kassen ent- weder bevorzugt oder benachtei- ligt“, erklärte Müller.

Der Verlust beziehungsweise die Einschränkung der freien Arztwahl sei immanenter Bestandteil von Se- lektivverträgen. Der Vertragswettbe- werb hebele damit den Wettbewerb über die freie Arztwahl vollständig aus, warnte der KBV-Vorstand.

Auch die übrigen Experten kon- statierten, mit der Versorgungsge-

rechtigkeit gebe es mitunter massi- ve Probleme. Der Vorstandsvorsit- zende des Verbandes der Ersatzkas- sen, Thomas Ballast, wies allerdings darauf hin, dass Versorgungsgerech- tigkeit wohl nie erreicht werden könne. So werde etwa die Versor-

gungsdichte auf dem Land immer dünner sein als in Ballungsräumen.

Insbesondere für Menschen mit Behinderung oder für sozial Schwa- che bestehe derzeit keine Versor- gungsgerechtigkeit, erklärte Prof.

Dr. med. Jeanne Nicklas-Faust, Mit- glied der Akademie für Ethik in der Medizin. Die Vielzahl neuer Verträ- ge und Wahlmöglichkeiten wirke auf viele Patienten verwirrend und erschwere den Zugang zu medizini- schen Leistungen, mahnte auch Dr.

Stefan Etgeton vom Verbraucher- zentrale Bundesverband.

Zu Verwerfungen führt nach Mei- nung der Experten nicht zuletzt auch der mit dem Gesundheitsfonds ein- geführte morbiditätsorientierte Risi- kostrukturausgleich (Morbi-RSA).

„Es gibt die Schwierigkeit, dass eini- ge Patienten mit Krankheiten, die nicht im Morbi-RSA aufgeführt werden, schlechter behandelt wer- den. Um das zu verhindern, müssen wir eine nachvollziehbare verlässli- che Versorgungskette schaffen“, be- tonte KBV-Vorstand Müller. Uner- lässlich sei auch die korrekte Dia- gnosecodierung durch die Ärzte.

Einige Krankenkassen versuch- ten, Ärzte bei der Diagnosecodie- rung zu beeinflussen, um bei der Umverteilung der Gelder über den Morbi-RSA zu profitieren, berichte- te Dr. Rainer Daubenbüchel, ehe- maliger Präsident des Bundesversi- cherungsamtes.

Auch der Bayerische Hausärzte- verband habe ganz offen einen Zu- sammenhang zwischen finanziellen Regelungen in einem entsprechen- den Hausärztevertrag und der Frage der Codierung hergestellt. „Vor der Einführung des Morbi-RSA wurden wir vor dieser Gefahr gewarnt“, räumte Daubenbüchel ein. „Viel- leicht waren wir zu naiv. Aber mit einem solchen Maß krimineller Energie habe ich nicht gerechnet.“

Als Voraussetzung für den Kas- senwettbewerb bezeichnete Prof.

Dr. Rolf Rosenbrock, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begut- achtung der Entwicklung im Ge- sundheitswesen, den Morbi-RSA.

„Er darf aber kein Anreiz zur Ver- sichertenselektion sein“, mahnte

Rosenbrock. I

Samir Rabbata

höhe mit Kassen

Fotos:Georg J.Lopata

Im Gesundheitswesen gibt es zu viele Ideologen und zu wenig

Macher – auf allen Seiten.

Wilfried Jacobs, Vorsitzender der AOK Nordrhein/Hamburg

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