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Archiv "Bürokratie: Teure „Brieffreundschaften“" (01.06.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 22⏐⏐1. Juni 2007 A1545

P O L I T I K

K

einer kann sich mehr daran erinnern, irgendwann war es einfach da: das erste Formular im deutschen Gesundheitswesen. Was anfangs auch von Ärzten als not- wendig akzeptiert wurde, ist zu ei- ner lähmenden Krankheit mutiert.

Mit immer neuen Metastasen hat sich die Bürokratie wie ein Krebs- geschwür tief in das System gefres- sen. Dabei verschlingt der Verwal- tungsaufwand immer mehr Zeit und Geld. Rund 1,6 Milliarden Euro kosten die „Brieffreundschaften“

zwischen Ärzten und Krankenkas- sen jährlich, schätzen Experten. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merck (SPD), ver- sprach im Vorfeld der Gesundheits- reform, überflüssigen Papierkram aus den Behandlungszimmern zu verbannen – wohl auch, um die oh- nehin verärgerten Ärzte milde zu stimmen. In der „Arbeitsgruppe (AG) Bürokratieabbau“ sollten die Ärzte im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kassenvertretern Vorschläge zur Reduzierung der Dokumentati- onspflichten erarbeiten. Ein Teil da- von, so Caspers-Merck damals, werde auch im anstehenden GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV- WSG) umgesetzt.

Kein Rezept gefunden

Ein Jahr später ist von der großen Initiative nicht viel übrig geblie- ben. Von den 20 Vorschlägen, auf die sich Ärzte und Kassen einigen konnten, sollen neun von der Selbstverwaltung umgesetzt wer- den; die anderen fanden Eingang in die Reform. Doch auch damit liefert das GKV-WSG keine geeig- nete Therapie gegen den Bürokra- tiewahn. Bundesgesundheitsminis- terin Ulla Schmidt sieht das an- ders. Mit den Vorschriften aus dem

Reformwerk und den noch nicht umgesetzten Maßnahmen der AG Bürokratieabbau ließe sich „die überbordende Verwaltung ein ganzes Stück zurückstutzen“, sagte Schmidt beim Deutschen Ärztetag in Münster.

Bei den Wirtschaftlichkeitsprü- fungen etwa würden nun lediglich noch fünf Prozent der Praxen ge- prüft, die Unterlagen dafür müss- ten nur noch zwei Jahre aufbe- wahrt werden. Die meisten Büro- kratie-Abbau-Paragrafen im Re- formgesetz aber widmen sich den Disease-Management-Pro- grammen (DMP). „Die sind we- nig spektakulär, beseitigen aber viel Kleinkram, der den Ärzten viel Ärger gemacht hat“, sagt Evert Jan van Lente. Als Lei- ter der Abteilung DMP beim AOK-Bundesverband hat er in der AG Bürokratieabbau mitgear- beitet. So sei die Überprüfung der aktiven Teilnahme an den Pro- grammen erleichtert worden. Bis- her mussten alle rund 40 Parameter der Dokumentation bis zu einem streng vorgegebenen Fristablauf vollständig und plausibel vorlie- gen. „Jetzt reicht es“, so van Lente,

„wenn die wichtigsten Daten recht- zeitig da sind.“ Erst wenn in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen die Dokumentationen fehlerhaft oder unvollständig sind, werden die Versicherten aus den DMP ausge- schrieben. Bisher war das schon der Fall, wenn zwei Dokumentatio- nen innerhalb von drei Jahren man- gelhaft waren – mit der Folge, dass Ärzte ihre Patienten mit viel Auf- wand wieder in die DMP einschrei- ben mussten. Zusätzlich werden Patienten fortan erst „gestrichen“, wenn ihre Kassenzugehörigkeit länger als ein halbes Jahr unterbro- chen ist. Damit würden die Ärzte

entlastet, sagt van Lente. In man- chen Regionen mussten bis zu 20 Prozent der DMP-Teilnehmer aus diesen Gründen aus- und wieder eingeschrieben werden.

Aus Papier- wird „PC-Kram“

Von Vorteil ist das vor allem für Ärzte, die die Daten nach wie vor

„per Kugelschreiber“ aufnehmen.

Denn anders als bei der elektroni- schen Dokumentation gibt es dabei keine automatische Plausibilitäts- prüfung, die am Ende auf Fehler und Widersprüchlichkeiten hin- weist. Von 2008 an soll mit dem

BÜROKRATIE

Teure „Brieffreundschaften“

Seit Langem ärgern sich Ärzte über unnötige Verwaltungs-

pflichten. Diese verschlingen Zeit und Geld. Die Gesundheits-

reform dürfte dieses Problem noch verschärfen.

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A1546 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 22⏐⏐1. Juni 2007

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GKV-WSG die elektronische Do- kumentation flächendeckend in den Arztpraxen eingeführt werden.

Doch damit ist das Problem nicht behoben: Künftig wird aus Papier- schlicht „PC-Kram“. „Die elektro- nische Dokumentation kostet auch Zeit“, sagt Dr. med. Uwe Kraffel, stellvertretender Vorstandsvorsit- zender der Kassenärztlichen Verei- nigung Berlin. Notwendig seien vielmehr bundeseinheitliche DMP.

Bisher brauche er für jedes DMP an- dere PC-Programme, die stets up- to-date gehalten werden müssten.

Am Ende müsse er trotzdem noch viel mit der Hand ausfüllen.

Wie Ministerin Schmidt ist auch Dr. med. Hans-Georg Faust (CDU) davon überzeugt, dass die Ärzte durch das GKV-WSG bürokratisch entlastet würden. Nach Meinung des Bundestagsabgeordneten entlastet die Verordnung von Generika den Arzt, da der Apotheker das Medika- ment auswähle: „Bei der Verord- nung aut-idem-fähiger Arzneimittel hat der Apotheker immer das Arz- neimittel an den Patienten weiterzu- geben, für welches seine Kasse ei- nen entsprechenden Rabattvertrag abgeschlossen hat.“ Dass die Ärzte deswegen noch lange nicht ihre Ku- gelschreiber und Aktenordner weg- werfen, ist Faust bewusst: „Natür- lich ist mir auch klar, dass durch die Möglichkeit von Selektivverträgen oder die Neuregelung der morbi- ditätsbezogenenen Vergütung auch auf den einzelnen Leistungserbrin- ger ein Mehr an Arbeit zukommen kann.“ Ähnlich sieht das sein Kolle- ge im Bundestag, Dr. med. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen).

Der geplante Gesundheitsfonds funktioniere nur, wenn man einen morbiditätsorientierten Risikostruk- turausgleich schaffe. „Aber nur die

Leistungserbringer können die Morbidität festlegen“, sagt er. Das könnte zur Folge haben, dass mehr Diagnosen verschlüsselt würden.

„Man wird eine größere Anzahl von Behandlungsparametern erheben und dokumentieren müssen, um die Morbidität abzubilden“, sagt auch der Vizepräsident der Landesärzte- kammer Sachsen, Dr. med. Stefan Windau.

Zugleich befürchtet Terpe enor- men bürokratischen Mehraufwand, etwa durch die Überprüfung der Patienten-Compliance. „Auch das werden Ärzte dokumentieren müs- sen“, ist der Politiker überzeugt.

Wichtig sei dies etwa bei der Festle- gung der Obergrenze der Selbstbe- teiligung. Bei nicht therapiegerech- tem Verhalten soll die Belastungs- obergrenze für chronisch Kranke bei Zuzahlungen erhöht werden.

Nur Ärzte könnten beurteilen, ob sich die Patienten an die Therapie- richtlinien eines DMP halten. Er sieht mit der Reform mehr Bürokra- tie auf die Ärzte zukommen.

„Arzneimittellisten wie in den USA“

„Wir wissen, dass wir ein Formu- larwesen brauchen, aber man muss es beschränken“, sagt Dr. med. Die- ter Conrad, Vorsitzender des hessi-

schen Hausärzteverbandes. Um dem notwendigen Augenmaß Nachdruck zu verleihen, hat er mit seinem Ver- band Anfang des Jahres Aufkleber drucken lassen, mit denen Kranken- kassenformulare als „überflüssig“

oder „unsinnig“ gestempelt werden können. Die Nachfrage danach, oh- nehin gut, könnte durch das GKV- WSG noch zunehmen. Conrad be- fürchtet aufgrund der ausgeweite- ten Möglichkeiten für Rabatt- und Einzelverträge „Arzneimittellisten

wie in den USA.“ Die Arzneien würden fortan kassenspezifisch verteilt. Die Ärzte müssten über- prüfen, welche Arzneien sie wem verschreiben dürfen. Die Möglich- keit, per Aut-idem die Rabatt- verantwortung dem Apotheker zu übertragen, gebe es allenfalls ein- geschränkt. „Nicht alle Generika haben den gleichen Zulassungs- status“, sagt er. So könnten bei- spielsweise ACE-Hemmer eine Zu- lassung für die Bluthochdruckbe- handlung, aber zugleich eine Kon- traindikation bei koronaren Herz- erkrankungen haben. Das könnte Patienten beim Lesen des Beipack- zettels irreführen. Zugleich müss- ten Ärzte bei den Verschreibungen auch die Vorgaben des Arzneimittel- versorgungs-Wirtschaftlichkeitsge- setzes berücksichtigen, sagt Win- dau. „Wir müssen darauf achten, dass die Preise nicht zu hoch sind und die Medikamente zu sehr in die Bonus-Malus-Regelung fallen.“ Vor allem müsse dabei auch noch die Dosis stimmen.

Ein „DMP Bürokratie“ als Ge- genmaßnahme wünschen sich die Ärzte auch, um den Verwaltungs- wahn bei den Einzelverträgen in den Griff zu bekommen. So müssen Ärzte in Erfahrung bringen, ob der Patient für die hausarztzentrierte Versorgung oder in ein DMP einge- schrieben ist und welche Rabattver- träge seine Kasse ausgehandelt hat.

Derzeit kann niemand genau sagen, was passiert, wenn ein Patient nicht angibt, welche Versorgungsformen er gewählt hat. Ärztevertreter be- fürchten, dass dafür ein Kontroll- system notwendig werden könnte.

„Das wäre dann wohl Aufgabe der Arztpraxis“, meint Conrad.

Bei der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung hält man sich mit einer Beurteilung der Bürokratiebe- lastung durch das GKV-WSG noch zurück. Vor allem der Bereich der Einzelverträge berge jedoch ein großes Bürokratiepotenzial, sagt Sprecher Dr. Roland Stahl. Da aber niemand wisse, wie viele und wel- che Arten von Einzelverträgen es geben werde, lasse sich der zusätz- liche Verwaltungsaufwand nicht ab-

schätzen. I

Timo Blöß Mahnung an die

Krankenkassen.

Die Aktion des hessischen Hausärzteverbandes erfreut sich unter Ärzten einer regen Nachfrage.

Referenzen

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