W
ie kann im Arzneimittelsektor Geld gespart werden, ohne die ärztliche Therapiefreiheit oder die Qualität der Behandlung einzu- schränken? Die Antwort lautet: durch eine Aut-idem-Regelung. Belgien, Dä- nemark, Frankreich, die Niederlande und Spanien praktizieren daher seit Jahren aut idem. Großbritannien, Italien und Schwe-den kennen einge- schränkte Regelun- gen. Seit dem 23. Fe- bruar gilt auch in Deutschland eine Aut-idem-Regelung.
Sie sieht vor, dass der Apotheker im- mer dann ein preis- wertes Arzneimittel abgeben muss, wenn der Arzt nicht im unteren Preisdrittel verordnet hat und die Substitution nicht durch ein entspre- chendes Kreuz auf dem Rezeptformu- lar ausgeschlossen oder nur unter einer
Wirkstoffbezeichnung verordnet hat.
Verordnet der Arzt im unteren Preis- drittel, darf der Apotheker folglich nicht substituieren. Die Abgabe eines teureren Präparats als des verordneten durch den Apotheker ist damit ausge- schlossen. Dies ist relevant, weil die Verantwortung für die Wirtschaftlich- keit der Verordnung auch weiterhin beim Arzt bleibt.
Substituierte Arzneimittel müssen wirkstoffgleich sein, die gleiche Dosie- rung und Indikation aufweisen und hin- sichtlich der Darreichungsform thera- peutisch vergleichbar sein. Die thera- peutische Vergleichbarkeit bewertet
der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Er bildet Gruppen, in- nerhalb derer Arzneimittel gegeneinan- der ausgetauscht werden können. Für diese Gruppen berechnet der Bundes- verband der Betriebskrankenkassen (BKK) jeweils Preisdrittellinien. Sie kennzeichnen das untere Drittel des Abstandes zwischen den drei teuersten
und den drei billigsten Präparaten in ei- ner Gruppe. Alle Präparate im unteren Preisdrittel gelten als „preiswert“.
Unteres Preisdrittel festgelegt
Mitte Mai hat der Bundesausschuss die ersten Gruppen verabschiedet, denen auch das Bundesgesundheitsministeri- um zugestimmt hat. Sie sind im Internet unter www.bkk.de/service oder www.
kbv.de abrufbar. Auf der Basis der Prei- se vom 1. Juni legte der BKK-Bundes- verband die unteren Preisdrittellinien
für diese Gruppen fest. Sie traten am 1. Juli in Kraft, werden vierteljährlich aktualisiert und sind ebenfalls auf den Websites abrufbar. Die ersten verab- schiedeten Gruppen – knapp 300 – um- fassen 20 Prozent des generikafähigen Marktes, was einem Marktvolumen von zwei Milliarden Euro entspricht. Bis Mitte 2003 soll der gesamte generika- fähige Markt bear- beitet sein.
Bei der Bewer- tung nimmt der Bun- desausschuss jeden Arzneistoff einzeln unter die Lupe. Da nicht nach unter- schiedlicher Teilbar- keit von Kapseln oder Tabletten dif- ferenziert wird, steht es dem Arzt frei, bei entsprechenden Dosiervorgaben ei- ne Substitution aus- zuschließen. Dassel- be gilt für unter- schiedliche Hilfs- stoffe. Sieht der Arzt bei einem Pati- enten beispielsweise die Gefahr einer allergischen Reaktion, kann er auch hier die Substitution durch ein Kreuz ausschließen. Hinsichtlich der Biover- fügbarkeiten entscheidet die therapeu- tische Relevanz. So erfolgt bei Arznei- stoffen wie Zytostatika, Antiepileptika oder Emulsionen mit topischem Wirk- ort eine ausgeprägte Differenzierung nach Darreichungsform, die zum Bei- spiel bei Hustenlösern weniger detail- liert ist.
Reimporte fallen nicht unter die Aut- idem-Regelung und werden daher bei der Festlegung der Preisdrittellinien nicht berücksichtigt. Ein Kreuz des Arz- P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002 AA1869
Grafik
Verordnungsentwicklung Generika einschließlich 2001
Quelle:WIdO
Aut idem
Therapiehoheit bleibt beim Arzt
Seit Februar gilt die Arzneimittelsubstitution durch den Apotheker
als Regelfall. Jetzt hat die Selbstverwaltung ihre Hausaufgaben soweit
erledigt, dass aut idem umgesetzt werden kann.
tes auf dem Rezeptblock entbindet den Apotheker zudem nicht von der Ver- pflichtung, namensgleiche oder -ähnli- che Importarzneimittel abzugeben, wenn sie mit dem inländischen Präparat identisch sind.
Im Zweifelsfall Substitution ausschließen
Nach Auffassung des Bundesgesund- heitsministeriums und der Bundesopi- umstelle gilt die Aut-idem-Regelung auch für die Verordnung von Betäu- bungsmitteln. Substituiert der Apo- theker, muss er das abgegebene Präpa- rat auf dem Rezept vermerken. Auch
der Arzt muss seinen Durchschlag des Rezeptbelegsatzes entsprechend er- gänzen. Die Umständlichkeit dieses Verfahrens und die Sonderstellung der betroffenen Wirkstoffgruppen machen es jedoch unwahrscheinlich, dass Apotheker hier konsequent sub- stituieren werden. Im Zweifelsfall sollte ein Kreuz die Substitution aus- schließen.
Im Gegensatz zu Sondennahrung fal- len auch Phytotherapeutika unter die
Aut-idem-Regelung. Der Bundesaus- schuss berücksichtigt dabei die Beson- derheiten der einzelnen Zubereitun- gen.
Für Arzneistoffe, für die zum 1. Juli noch keine Preisdrittellinien vorla- gen, gilt die bisherige Übergangsrege- lung: Der Apotheker soll immer dann substitutieren, wenn eine preisgünsti- ge Substitutionsmöglichkeit für ihn eindeutig erkennbar ist. Dabei hilft ihm seine Apothekensoftware, die in der Regel einen Überblick über alle wirkstoff-, dosis-, darreichungsform- und packungsgrößenidentischen Prä- parate gibt und das untere Preisdrittel oder -viertel innerhalb der Festbe- tragsgruppe kennzeichnet. Leider
wird diese Übergangsregelung von den Apothekern bis dato nicht umge- setzt.
Bei der Substitution muss der Apo- theker zudem die Indikationsgleich- heit beachten. Verordnet der Arzt ein Präparat, das für die Indikationen A und B zugelassen ist, muss das Generi- kum ebenfalls für A und B zugelassen sein. Es kann zusätzlich für C oder D eine Zulassung besitzen. Die Pak- kungsgröße orientiert sich bei der
Substitution nicht an den Zuzahlungs- stufen N1, N2 oder N3, sondern an den tatsächlich enthaltenen Einhei- ten. Für die Entscheidung über eine Substitution ist der Preis am Tag der Einlösung des Rezeptes ausschlagge- bend.
Die Apotheken stehen hinsichtlich der Erfüllung des gesetzlichen Auf- trags unter der Aufsicht der Kranken- kassen. Durch die fachlich fundierten Vorgaben des Bundesausschusses und die freie Entscheidung des Arztes, im Einzelfall eine Substitution auszu- schließen, kann ein therapeutisches Risiko für die Patienten infolge einer Substitution ausgeschlossen werden.
Dies ist von Bedeutung, da die thera- peutische Verantwortung haftungs- rechtlich beim Arzt bleibt. Bei der Überlegung, ob ein Patient problem- los auf ein Präparat im unteren Preis- drittel umgestellt werden kann, ist die Richtlinie der Deutschen Pharma- zeutischen Gesellschaft zur Guten Substitutionspraxis (www.biozentrum.
uni-frankfurt.de/DPhG/Statements/
Gsp.pdf) hilfreich. Sie gibt die Grund- prinzipien einer Substitution wieder und weist auf kritische Arzneistoffe hin.
Verhandlungen über neues Rezeptformular im Gange
Die Aut-idem-Regelung muss zunächst noch auf den herkömmlichen Rezept- formularen umgesetzt werden, wobei sich die Bedeutung des Aut-idem-Käst- chens umgekehrt hat. Das heißt, nur bei Ankreuzen des Kästchens wird die Sub- stitution ausgeschlossen. Verhandlun- gen über ein neues Rezeptformular sind jedoch im Gange.
Die Aut-idem-Regelung fordert den Arzt möglicherweise dazu heraus, sich intensiver mit der Pharmakologie eines Präparats auseinanderzusetzen. Die Anwendung der Regelung kann ihm jedoch helfen, ohne Einschränkungen in der medikamentösen Therapie wirt- schaftlich zu verordnen.
Eva Susanne Dietrich, Leonhard Hansen,
Kassenärztliche Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3
50931 Köln P O L I T I K
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A1870 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 27½½½½5. Juli 2002
Bekanntmachung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Aut-idem-Regelung für Arzneimittel (§ 129 Abs. 1 SGB V)
Auf der Grundlage der in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erteilten Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen unter Berücksichtigung ihrer therapeutischen Vergleichbarkeit werden die nachfolgenden oberen Preislinien des unteren Preisdrittels für den Zeitraum vom
1. 7. bis 30. 9. 2002 bekannt gegeben:
austauschbare Wirk- Wirk-
Packungs- Packungs- Obere Preislinie Wirkstoff
Darreichungsformen stärke stärken-
größe größen- des unteren Preis- einheit einheit drittels in Euro
Acetylcystein Filmtabletten, dispers: 200 mg 20 ST 3,75
Kapseln; Tabletten
Acetylcystein Filmtabletten, dispers: 200 mg 50 ST 8,73
Kapseln; Tabletten
Acetylcystein Brausetabletten: Granulat 100 mg 20 ST 3,00 im Beutel, flüssige Anwen-
dung; Pulver im Beutel, flüssige Anwendung;
Trinktabletten
Acetylcystein Brausetabletten: Granulat 100 mg 50 ST 5,92 im Beutel, flüssige Anwen-
dung; Pulver im Beutel, flüssige Anwendung;
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat Mitte Mai die ersten Gruppen verab- schiedet, innerhalb derer Arzneimittel gegeneinander ausgetauscht werden können. Jetzt hat der BKK Bundesverband das untere Preisdrittel berechnet. Es wird vierteljährlich aktualisiert.