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er Apotheker ist verpflichtet, das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die von ihm nach Bewertung aller Um- stände als „bedenklich“ eingestuft werden müssen, abzulehnen. Diese Verpflichtung kann der Therapiefrei- heit des deutschen Arztes, wie sie auch aus § 1 der geltenden Berufsord- nung hervorgeht, entgegenstehen.Gerade in jüngster Zeit hat der Skandal um verschiedene ärztlich verordnete Schlank-
heitsrezepturen diese potentielle Span- nungssituation deut- lich gemacht. Als Vorsitzender der Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzteschaft habe ich seinerzeit nicht um- hin gekonnt, in die- sem Zusammenhang Vorwürfe sowohl in Richtung der verord- nenden Ärzte wie auch derjenigen Apo- theker zum Aus- druck zu bringen, die diese Rezepturen entgegen ihrem vor-
auszusetzenden Fachwissen herge- stellt und abgegeben haben.
Verständnis für den Apotheker
In der Zwischenzeit hat nun die Arzneimittelkommission der Deut- schen Apotheker eine sehr lesenswerte Stellungnahme zu der schwierigen Frage publiziert, wie denn der Apo- theker mit „bedenklichen Arzneimit- teln“ umzugehen hat. Darin geht es nicht nur um die Definition eines be- denklichen Arzneimittels, sondern eben auch um das Problem, wie sich der Apotheker dem Arzt gegenüber verhalten soll, der ein bedenkliches Arzneimittel, zum Beispiel in Form einer freien Rezeptur, verordnet. Es erscheint mir wichtig, daß wir seitens der Ärzteschaft für die schwierige Situation, in die ein Apotheker hier, insbesondere nach dem derzeit gel- tenden Haftungsrecht, kommen kann, Verständnis aufbringen und im konkreten Fall versuchen, gemeinsam
mit dem Apotheker eine Lösung zu finden.
Die Entscheidung, ob ein be- denkliches Arzneimittel abgegeben werden kann oder ob eine Rezeptur
„bedenklich“ ist, kann immer nur für den Individualfall eines Patienten ge- troffen werden und setzt deshalb im allgemeinen eine intensive und offene Diskussion zwischen Apotheker und Arzt voraus. Der Arzt sollte deshalb für Rückfragen des Apothekers Ver-
ständnis haben und versuchen, ihm seine ärztlichen/pharmakologischen Gründe für die in Frage stehende Re- zeptur darzulegen. Es kann dabei nicht genügen, wenn wir uns als Ärzte allein auf die „Therapiefreiheit“ im Rahmen unserer Berufsordnung zurückziehen.
Nicht allen Ärzten scheint klar zu sein, daß im Falle eines Schadens durch Abgabe und Anwendung be- denklicher Arzneimittel Arzt und Apotheker gemeinsam und umfas- send haften. Deshalb kann es auch Situationen geben, in denen der Apo- theker die Abgabe verweigern muß.
Zu beachten:
die „Negativliste“
Eine besondere Schwierigkeit für Arzt und Apotheker ist darin zu sehen, daß nur für wenige Arzneimit- tel seitens der zuständigen Bundes- oberbehörde eine Bewertung vor- liegt, aus der die Bedenklichkeit klar hervorgeht. Es ist deshalb auch von
ärztlicher Seite zu fordern, daß zu- mindest die vorliegenden Entschei- dungen in jedem Fall der Fachöffent- lichkeit bekanntgemacht werden.
Ein Altarzneimittel, sei es als Fertigarzneimittel oder Bestandteil einer Rezeptur, das sich noch am Markt befindet, obwohl eine Negativ- monographie der entsprechenden Aufbereitungskommission vorliegt, wird im allgemeinen als bedenklich zu gelten haben, sofern die negative Be- urteilung wesentlich auf ein nicht vertret- bares Risiko zurück- zuführen ist.
In diesem Zusam- menhang sollte in Er- innerung gerufen wer- den, daß durch die
„Negativliste“ die Er- stattungspflicht im Rahmen der gesetzli- chen Krankenversi- cherung für derartige Arzneimittel ausge- schlossen ist. Der Arzt wird deshalb auch dafür Verständ- nis haben, wenn ihn der Apotheker in ei- nem speziellen Fall über die negative Bewertung der Auf- bereitungskommission informiert.
Wenn Inhalt der Rücksprache und In- formation in der Apotheke dokumen- tiert werden, so dürfte im Einzelfall aufgrund einer individuellen Nutzen- Risiko-Abschätzung durch den Arzt dennoch eine Abgabe auf Privatre- zept möglich sein.
Dem interessierten Leser sei empfohlen, sich die Stellungnahme der Apothekerschaft unter Doku- mentenummer 1004 im neu eingerich- teten Info-Service der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzte- schaft (Telefonnummer 02 21/40 04- 5 10/5 11) per fax-on-demand abzuru- fen.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. B. Müller-Oerlinghausen Vorsitzender der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Psychiatrische Klinik und Poliklinik der FU Berlin
Eschenallee 3 14050 Berlin
A-3161
P O L I T I K KOMMENTAR
Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 48, 29. November 1996 (17)