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eit über einer Woche ist die im Arz- neimittelausgaben-Begrenzungsge- setz verankerte und von zahlreichen Ärzteverbänden heftig kritisierte Aut- idem-Neuregelung in Kraft. Dennoch werden Rezepte in den Apotheken wie ehedem „behandelt“ – was niemanden verwundert. Denn was im Gesetzestext markig festgeschrieben wurde (DÄ, Heft 9/2002), kann mangels Inhalt nicht im Alltag umgesetzt werden.Obwohl die neue Aut-idem-Rege- lung von der Apothekerschaft grund- sätzlich begrüßt wird, da sie ihre phar- mazeutische Kompetenz nun auch offi- ziell gewürdigt sieht, ist die Mehrzahl der Pharmazeuten wegen der über- stürzten Einführung des Gesetzes nicht zufrieden. Man hätte es für sinnvoller erachtet, den Organen der medizini- schen Selbstverwaltung Zeit einzuräu- men, um ihre „Hausaufgaben“ erledi- gen zu können, erklärten Vertreter der Bundesvereinigung Deutscher Apothe- kerverbände (ABDA) auf dem Phar- macon-Kongress in Davos.
Start im Spätsommer
Gemeint ist damit die Festlegung thera- peutisch vergleichbarer Wirkstoffe, Darreichungsformen und Packungs- größen durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. „Dies ist ei- ne immense Aufgabe, denn allein die Festbetragsgruppe I, die man zurzeit bearbeitet, enthält 340 Arzneistoffe“, sagte Dr. Christiane Eckert-Lill. Erst dann könne man für die neu gebildeten Gruppen die „obere Preislinie des unte- ren Preisdrittels“ festlegen. „Da diese Preislinie die Entscheidungsgrenze für den Apotheker markiert, wird man die neue Aut-idem-Regelung frühestens im Spätsommer auf ihre Alltagstauglich- keit prüfen können.“
ABDA-Präsident Hans-Günter Frie- se ist sich der Vorbehalte der Ärzte- schaft gegenüber der Neuregelung durchaus bewusst und stellte klar, dass die Therapiehoheit des Arztes in jedem Fall erhalten bleiben muss. „Aut idem darf nicht zum Zankapfel zwischen bei- den Heilberufen werden“, sagte Friese.
„Die Regelung ist in Kraft, deshalb müssen wir sie pragmatisch angehen.“
Er empfahl seinen pharmazeutischen Kollegen, verstärkt die Kommunikati- on mit den Ärzten zu suchen.
Friese wies darauf hin, dass die Aut- idem-Substitution nicht nur in den Nie- derlanden, der Schweiz und in Frank- reich problemlos praktiziert werde; be- reits seit Jahren suchten die Apotheker im Nacht- und Notdienst auch hierzu- lande Medikamente nach Vorgaben des Arztes aus. Entkräften wollte Friese auch die Befürchtung der Ärzte, dass den Patienten möglicherweise Generi- ka mit nicht optimaler Qualität abgege- ben werden könnten. „Die Qualität der Generika ist in den letzten Jahren ver- bessert worden“, so Friese. Und wie bisher hafte der Hersteller für die Qua- lität seines Produktes.
Die berufspolitische Veranstaltung im Rahmen des Davoser Kongresses spiegelte die Sorge der Apotheker wi- der, dass eine mögliche Freigabe des Versandhandels durch die Politik zu einer generellen Systemveränderung führen könne. ABDA-Geschäftsführer Dr. Frank Diener wies das von Gesund- heitsökonomen angeführte Argument entschieden zurück, dass der Versand- handel zu einer Kostenersparnis im Ge- sundheitssystem beitragen könne: „Na- tionen mit legalisiertem Versandhandel – wie die USA und die Niederlande – haben ihre Arzneimittelkosten deutlich schlechter im Griff als die Bundesrepu- blik.“ Es gebe keinen Beleg dafür, dass die Erlaubnis von Ketten- und Versand-
apotheken in Verbindung mit einer Freigabe der Arzneimittelpreise die Ausgabenentwicklung besser als das jetzige System steuern würde. Dennoch versuchten verschiedene Interessen- gruppen mithilfe von Gutachten,
„Stimmung“ gegen das bestehende Sy- stem zu machen.
Versandhandel ist nur
„Rosinenpickerei“
Dass man die Kosten der Arzneimittel- versorgung nicht auf den Anteil des Vertriebs reduzieren könne, belegte Diener mit dem GKV-Arzneimittel-In- dex: Danach entfallen auf die Industrie 57,7 Prozent der Kosten für die Arznei- mittelversorgung, 13,8 Prozent auf die Mehrwertsteuer, 8,5 Prozent auf den Großhandel und nur 20 Prozent auf die Apotheken. „Die komplette Wert- schöpfungskette ist involviert, vor al- lem aber der Nichtvertriebsbereich“, sagte Diener.
Einig waren sich die Apotheker in Davos, dass man es nicht hinnehmen werde, dem Versandhandel die „Rosi- nen“ der pharmazeutischen Versorgung zu überlassen. „Der Gesetzgeber und die Kassen können nicht mit Selbstver- ständlichkeit erwarten, dass 22 000 Apotheken, die 140 000 Menschen ei- nen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, die Restversorgung mit Nacht- und Wo- chenenddiensten sicherstellen.“
Als Alternative zum Versandhandel bieten die Apotheker folgenden Kom- promiss an: Künftig sollen apothe- kenpflichtige Arzneimittel, die über Telefon, Fax oder Internet bestellt wer- den – für den Fall, dass dem Patien- ten eine Abholung in der Apotheke nicht zugemutet werden kann –, durch pharmazeutisches Personal zugestellt werden. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 10½½½½8. März 2002 AA603