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Archiv "Aut-idem-Regelung: Unglückliche Umstände" (29.03.2002)

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andstreichartige Überrumpelung der deutschen Ärzteschaft“, „über- fallartige Inkraftsetzung“, „Chaos im Gesundheitswesen“ – das In-Kraft- Treten des Arzneimittelausgaben-Be- grenzungsgesetzes am 23. Februar hat heftige Reaktionen bei einigen Ärzte- verbänden ausgelöst. Stein des Anstoßes ist die darin enthaltene generelle Aut- idem-Regelung. Sie verpflich-

tet den Apotheker, bei jeder Arzneimittel-Verordnung ein wirkstoffgleiches Präparat aus dem unteren Preisdrittel abzu- geben, es sei denn, der Arzt hat dies ausdrücklich ausgeschlos- sen oder bereits selbst ein Medikament aus dem unteren Preisdrittel verordnet.

Es ist tatsächlich misslich, dass das Gesetz keine Über- gangsfrist vorsieht, denn grund- legende Vorarbeiten sind noch nicht abgeschlossen (siehe

DÄ, Heft 9/2002). So arbeitet der Bun- desausschuss der Ärzte und Kranken- kassen noch an den Listen der aus- tauschbaren Präparategruppen, die den Spitzenverbänden der Krankenkassen als Grundlage dienen sollen, um das un- tere Preisdrittel festzusetzen. Mit einer reibungslosen Anwendung der Aut- idem-Regelung rechnen die Beteiligten mithin erst ab Mitte dieses Jahres. Den- noch sollen die Apotheker nach dem Willen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bereits jetzt von der Aut-idem-Regelung Gebrauch ma- chen, wenn eine preisgünstige Substi- tutionsmöglichkeit „eindeutig“ erkenn- bar ist – beispielsweise wenn der Arzt ein Originalpräparat verordnet hat.

Um das ihrer Ansicht nach drohende Chaos zu verhindern, haben einige Ärz- teverbände zum Boykott der Regelung aufgerufen. Glaubt man den Verbän- den, finden vor allem Rezept-Stempel, die aut idem ausschließen, reißenden Absatz. Für den Vorsitzenden des NAV-Virchow-Bundes, Dr. med. Maxi- milian Zollner, belegen die rund 2 000

Stempel, die der Verband bislang an nie- dergelassene Ärzte verschickt hat, die Verunsicherung der Kollegen. Er kün- digte an, dass der NAV auch nach Besei- tigung der derzeitigen Schwierigkeiten weiter Widerstand gegen die Neurege- lung leisten werde. Zollner fürchtet vor allem um die Therapietreue der chro- nisch Kranken, wenn sie in der Apo- theke häufig wechselnde Medikamen- tenpackungen erhalten. Auch sei die Haftungsfrage ungeklärt. Beide Kri- tikpunkte hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bereits im Gesetzgebungsverfahren angeführt – ohne Erfolg. Um die ärztliche Therapie- hoheit zu wahren, ging der NAV bei sei- ner jüngsten außerordentlichen Haupt- versammlung sogar so weit, das Dispen- sierrecht für Ärzte zu fordern.

Mit einer Stempel-Aktion prote- stiert auch der Medi-Verbund gegen aut idem. 3 500 Stempel habe man bereits an Medi-Ärzte in Baden-Württemberg verschickt, aufgrund der großen Nach- frage seien weitere 3 000 in Auftrag ge- geben worden. Mit den Rezeptauf-

drucken will der Verbund für Klarheit bei Patienten und Apothekern sorgen.

Seit dem 23. Februar hat sich nämlich auch die Bedeutung des Aut-idem- Kästchens auf den noch gültigen Re- zeptvordrucken in sein Gegenteil ver- kehrt. Der Verbund bezweifelt zudem die vom BMG erhofften Einspareffek- te. Die Pharmaindustrie werde ihre Preise so einstellen, dass das untere Preisdrittel möglichst hoch liege. Da dieses zurzeit noch nicht definiert sei, könnten die Apotheker die Aut-idem- Regelung nach eigenem Gutdünken umsetzen, befürchtet der Medi-Ver- bund. Mit dem Ausschluss von aut

idem könnten die Ärzte Preis und medizinische Qualität ih- rer Verordnungen hingegen selbst bestimmen.

Einen Schritt weiter geht die Ärztegenossenschaft Schles- wig-Holstein. Sie nutzt das aus ihrer Sicht „skandalöse“

Verfahren, um für das eigene Pharmavertriebsunternehmen zu werben. Die Genossen- schaft rät allen Ärzten, Gene- rika von Q-Pharm zu verord- nen. Das sichere die Konti- nuität der Behandlung, und die Verordnung liege garantiert im un- teren Preisdrittel.

Nicht nur die Ärzte hat die neue Aut- idem-Regelung in Umtriebigkeit ver- setzt. Der Deutsche Generikaverband, dessen Mitgliedsunternehmen durch die Orientierung am unteren Preisdrit- tel um ihre Umsätze fürchten, hat ei- gens ein Rechtsgutachten zur Vollzugs- fähigkeit der Aut-idem-Regelung ein- geholt. Der Verfassungsrechtler Prof.

Rüdiger Zuck kommt zu dem Schluss:

Solange die im Gesetz festgelegten Grundlagen für die Umsetzung nicht gegeben sind, ist es nicht vollzugsfähig.

Das heißt, die Apotheken dürfen nicht substituieren – eine Ansicht, die das BMG nicht teilt. Der Verband rät mit- hin den Ärzten, in jedem Fall das umge- widmete Aut-idem-Feld auf dem Re- zept durchzukreuzen und damit die Substitution auszuschließen.

Andere Arzneimittelhersteller schrei- ben inzwischen fleißig Briefe an die Ärzte in der Hoffnung, den Absatz ih- rer Originalpräparate zu sichern. Mit dem Hinweis darauf, dass aut idem P O L I T I K

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A822 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 13½½½½29. März 2002

Aut-idem-Regelung

Unglückliche Umstände

Ärzteverbände protestieren gegen die Umkehr der bisher

geltenden Substitutions- regeln bei Arzneimittel- Verordnungen. Da die Vor- arbeiten noch nicht erledigt

seien, drohe das Chaos.

Foto: factum

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zwar rechtskräftig, aber frühestens zum 1. Juli umsetzbar und legal sei, listet man dem Arzt die Vorteile auf, die der Ausschluss der Substitution bietet: Er sichere die ärztliche Therapiehoheit, vermeide bisher ungeklärte Haftungs- fragen sowie unnötige Diskussionen mit den Patienten, die auch weiterhin ihre gewohnte und bewährte Medikati- on erhielten. Nicht zuletzt, so das Ver- sprechen, stünden dem Arzt bei Präpa- ratetreue weiterhin die Dienstleistun- gen und der Service des Unternehmens zur Verfügung.

Noch kein Trend erkennbar

Interessanterweise kündigen die Fir- men gleichzeitig an, dass sie, wenn die Ausführungsbestimmungen vorliegen und das Gesetz umgesetzt werden kann, entsprechende Maßnahmen er- greifen werden, „um auch weiterhin die Abgabefähigkeit unserer Arzneimittel im Rahmen der Aut-idem-Regelung zu gewährleisten“ – sprich die Preise zu senken. Offenbar liegt das Bundesmini- sterium für Gesundheit mit seinen Ein- sparerwartungen gar nicht so falsch.

Angesichts der Aufregung auf allen Seiten will das Ministerium mit einer Anzeigenkampagne über die Neurege- lungen informieren. 240 000 Euro lässt man sich die Aktion kosten. Bundesge- sundheitsministerin Ulla Schmidt be- tonte in diesem Zusammenhang erneut:

„Entscheidend ist der Wirkstoff, nicht der Name eines Medikamentes. Wenn zwei Medikamente dasselbe leisten, soll das günstigere Angebot zum Zuge kommen.“ Der Arzt könne aber selbst- verständlich auch weiterhin ein konkre- tes Arzneimittel verordnen, wenn dies für den Patienten notwendig sei.

In welchem Umfang die neue Substi- tutionsregelung inzwischen in der Pra- xis angewendet wird, ist noch völlig un- klar. Weder die ABDA – Bundesverei- nigung der Apotherverbände noch die KBV verfügen über Zahlen oder Trendmeldungen. Dafür sei es noch zu früh, heißt es von beiden Seiten. Klar ist so viel, der derzeitige Wirbel dürfte ebensoviel zur Verunsicherung von Ärzten, Apothekern und Patienten bei- tragen wie die unglücklichen Umstände der Einführung selbst. Heike Korzilius

P O L I T I K

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A824 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 13½½½½29. März 2002

Arzneimittelversand

Apotheker laufen Sturm

Die Apotheker wollen einer Legalisierung des Versand- handels zuvorkommen und kündigen ein Alternativ- programm an.

D

er vertraute Weg in die Apotheke um die Ecke könnte bei einigen Patienten schon bald in Verges- senheit geraten. Bundesgesundheitsmi- nisterin Ulla Schmidt will die Kranken- kassen entlasten und hat wiederholt das Versandhandelsverbot infrage gestellt.

Jetzt sorgt ein Vorstoß des Betriebs- krankenkassen-(BKK-)Landesverban- des Bayern für Aufsehen. Erstmalig in Deutschland schließt eine Krankenkas- se einen Liefervertrag mit einer Ver- sandhandelsapotheke. Durch die Zu- sammenarbeit mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris wolle man die Vorteile des freien Warenverkehrs innerhalb der Europäischen Union auch für den Arzneimittelsektor nutzen, so Gerhard Schulte, Vorstandsvorsitzen- der des BKK-Landesverbandes Bayern.

Die Apotheken bangen um ihre Mo- nopolstellung und laufen Sturm. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothe- kerverbände (ABDA) wies darauf hin, dass DocMorris mit zwei rechtskräfti- gen einstweiligen Verfügungen unter-

sagt wurde, Deutschland weiterhin zu beliefern. Wenn ein Krankenkassenver- band als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Kenntnis dieser Umstände nun einen entsprechenden Lieferver- trag abschließe, zeuge dies von einer unglaublichen Ignoranz und Arroganz gegenüber dem Gesetzgeber, empörten sich die Apotheker.

Um eine mögliche Legalisierung des Versandhandels in Deutschland zu ver- hindern, stellte die ABDA in Berlin ein Alternativprogramm vor, mit dem der Service der Apotheken weiter ausge- baut werden soll. Fachkräfte aus der Apotheke sollen künftig vor allem chro- nisch kranken und immobilen Patienten Arzneimittel nach Hause liefern und sie bei Bedarf auch beraten. Gleichzeitig wolle man mit einer so genannten Dre- hung der Arzneimittelpreisverordnung die Krankenkassen entlasten. Dazu sol- len die Vertriebsmargen für hochpreisi- ge Arzneien gesenkt und für preiswerte Arzneien erhöht werden. Nach Anga- ben der ABDA seien auf diesem Wege Einsparungen zwischen 350 bis 450 Mil- lionen Euro möglich.

Informationskampagne pro Apotheke

Das Thema Versandhandel werde im- mer wieder von interessierten Krei- sen in die Öffentlichkeit getragen, so ABDA-Präsident Hans-Günter Friese.

„Es geht um die Zerstörung des Sy- stems der bedarfsgerechten, wohnortna- hen Arzneimittelversorgung – koste es, was es wolle.“ Mit der neu gegründeten Initiative „Pro Apotheke“ wolle man auf dieses Problem aufmerksam ma- chen. Für die Informations- kampagne würden sich alle zusammenschließen, „die am Erhalt einer flächen- deckenden Rundum-Ver- sorgung durch unabhängi- ge Apotheken interessiert sind“, kündigte Friese an.

Das Alternativkonzept der ABDA erfülle alle Ziele, die mit Versandhandel ver- folgt würden, ohne ihn selbst mit all seinen Ri- siken in Kauf nehmen zu müssen. Samir Rabbata Die Apotheker warnen vor dem Ende der wohnortnahen Arznei-

mittelversorgung. Foto: ABDA

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