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Archiv "Ein äußerst umstrittenes Thema: Euthanasie in den Niederlanden" (26.02.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

m Parlament wurde das Gesetz am 9. Februar mit großer Mehr- heit - 91 Ja-Stimmen gegen 45 Nein-Stimmen - verabschiedet. Die Ja-Stimmen kamen hauptsächlich von den Abgeordneten der Regie- rungskoalition, bestehend aus dem Christdemokratischen Appell (CDA) und der sozialdemokrati- schen Partij van de Arbeid (PvdA).

Sollte die Regelung wie vorgesehen 1994 in Kraft treten, wären die Nie- derlande der erste westliche Staat, der Euthanasie gesetzlich erlaubt.

Mit dem Reformgesetz soll eine bereits seit Jahren stillschweigend verfolgte Praxis legalisiert werden:

Die vorliegende Fassung sieht vor, Sterbehilfe weiterhin grundsätzlich unter Strafe zu stellen. Wenn jedoch ein im Gesetz genau vorgeschriebe- nes Verfahren eingehalten wird, bleibt die Sterbehilfe straffrei. Ziel des Gesetzes ist es, einerseits den ef- fektiven Schutz des menschlichen Lebens zu gewährleisten; anderer- seits soll aber auch der Wunsch des Patienten respektiert werden, wür- dig zu sterben ..

Der Gesetzesvorschlag orien- tiert sich dabei an einer Aufteilung von Sterbehilfemaßnahmen in drei Kategorien:

..,. Töten eines Patienten auf dessen

ausdrücklichen Wunsch (Euthana- sie)

..,. Hilfe bei der Selbsttötung eines

Patienten

..,. Töten von "willensunfähigen" Pa-

tienten

Maßstab für die Strafbarkeit der Sterbehilfe ist ein Prüfverfahren, das 1990 in Zusammenarbeit mit der Kö- niglich Niederländischen Ärzteorga- nisation (KNMG) entwickelt wurde.

Mit Hilfe dieses Verfahrens lassen sich die einzelnen Schritte der jewei- ligen Sterbehilfe nachvollziehen: In Form eines Meldeberichtsbogens muß der behandelnde Arzt Angaben machen zur Krankengeschichte, zur freiwilligen und wiederholten Bitte des Patienten um Lebensbeendi- gung, zur Beratung mit einem Kolle- gen sowie zur gewählten Form der Sterbehilfe. Das Gutachten wird dann an den Gemeindearzt weiter- gereicht, der eine - rein äußerliche

- Leichenbeschau vornimmt und die Angaben überprüft. Daraufhin

AKTUELLE POLITIK

Ein äußerst umstrittenes Thema

Euthanasie in den Niederlanden

Aktive ärztliche Sterbehilfe soll in den Niederlanden künftig zu- lässig sein. Mit dieser Entscheidung strebt die Regierungsko- alition die Regelung einer seit fast 20 Jahren strittigen Frage an.

An die Gewährung der Sterbehilfe haben die Abgeordneten strenge Auflagen geknüpft. Zunächst muß das Gesetz nochden Senat passieren, bevor es in Kraft treten kann. Wann dies sein wird und wie dessen Entscheidung ausfällt, ist noch völlig offen.

erstattet dieser der Staatsanwalt- schaft Meldung über den Fall. Hat sich der Sterbehelfer nicht an die Regeln gehalten, muß er mit einer Freiheitsstrafe bis zu 12 Jahren rech- nen.

Verschiedene Ansichten der Ärzteverbände

Der Niederländische Ärztever- band (NA V), die weitaus kleinere der beiden Standesorganisationen für Ärzte, bemängelt dieses Verfah- ren. Das Gutachten des Arztes sei der einzige Maßstab, den die Staats- anwaltschaft und der Leichenbe- schauer für ihre Beurteilung zur Verfügung haben. Dabei sei niCht davon auszugehen, daß ein Sterbe- helfer aufgrund seiner Angaben zur Sorgfaltspflicht an seiner eigenen Verurteilung mitwirken wird, merkt Dr. Kare! Gunning, Sekretär der NA V, an. Er zeigt sich besorgt über die aktuelle Entwicklung, die seiner Meinung nach das Leben eines Kranken nicht mehr adäquat schützt und deshalb auch gegen die interna- tionalen Menschenrechtskonventio- nen verstößt.

Strittig ist auch, wie mit den Fäl- len verfahren werden soll, bei denen der Arzt Sterbehilfe bei "willensun- fähigen" Patienten leistet. Als "wil- lensunfähig" ·gelten beispielsweise behinderte Säuglinge und komatöse Patienten. Mit ihrer neuen Geset-

zesinitiative strebt die Regierung an, diese Fälle in gleicher Weise wie die Euthanasie und die Hilfe bei Selbst- tötung zu behandeln.

Der NA V, der eine solche Rege- lung rundweg ablehnt, will beim Se- nat noch Vorschläge und Beschwer- de einreichen, bevor das Gesetz end- gültig verabschiedet wird, erklärte Gunning gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt

Die KNMG hingegen- mit

r~nd 25 000 Mitgliedern die größte Arzteorganisation des Landes - ist mit der Position der Regierung über- wiegend einverstanden. Die Rege- lung hätte sogar noch etwas liberaler ausfallen können, merkte Johann Legenaate, Mitglied des Rechtsbei- rates der KNMG, an. Seine Organi- sation bevorzuge eine völlige Straf- freiheit in puncto Sterbehilfe.

In der Praxis nicht neu

Auch Legenaate kritisiert die Regelung der "Sterbehilfe ohne aus- drücklichen Wunsch des Patienten".

Er fordert, daß ausreichend Klarheit darüber bestehen muß, wann und unter welchen Umständen sich ein Arzt strafbar macht, wenn er sich für die Tötung eines "willensunfähigen"

Patienten entscheidet. Trotz ihrer Kritikpunkte sei die KNMG aber der Meinung, daß die niederländischen Ärzte die angestrebte Regelung ak- zeptieren können. [>

Dt. Ärztebl. 90, Heft 8, 26. Februar 1993 (17) A1-489

(2)

In der Praxis wurde in den Nie- derlanden schon seit Jahren so ver- fahren, wie es die neue Regelung vorsieht. Ins Rollen gekommen war die Diskussion um die Euthanasie, nachdem 1973 erstmals eine Ärztin wegen aktiver Sterbehilfe zu einer Woche Gefängnis verurteilt worden war. Das Urteil wurde von vielen Sei- ten, darunter auch von Ärzten und der „Niederländischen Vereinigung für Freiwillige Euthanasie", heftig kritisiert. Sie forderten eine weitrei- chende Legalisierung der Sterbe- hilfe.

Zu berücksichtigen ist, daß der Begriff „Euthanasie" in den Nieder- landen nicht dieselben Assoziatio- nen auslöst wie in Deutschland vor dem Hintergrund der Erfahrungen im Dritten Reich. In unserem Nach- barland wird der Begriff in seiner ei- gentlichen Bedeutung verstanden, nämlich als „leichtes Sterben" durch aktive Hilfe des Arztes auf ausdrück- lichen Wunsch eines Patienten.

Aufgrund der jahrelangen Dis- kussionen wurde 1984 von der Re- gierung ein Gesetzesantrag einge- bracht. Danach sollte Euthanasie grundsätzlich nicht strafbar sein. Das Gesetz scheiterte jedoch vor allem am Widerstand der Christdemokra- ten. Trotzdem wurde aktive Sterbe- hilfe durch Ärzte in den folgenden Jahren von der Regierung still- schweigend toleriert.

Euthanasie nur in zwei Prozent der Fälle

1989 untersuchten Sozialmedizi- ner der Erasmus-Universität im Auf- trag der Regierung den Status quo auf dem Gebiet der Sterbehilfe. Das Ergebnis, der sogenannte Remme- link-Report, wurde 1991 in der briti- schen Zeitschrift „The Lancet" ver- öffentlicht (The Lancet 338/1991, S.669-674). Darin heißt es, daß von ungefähr 20 000 Fällen im Jahr 1990, in denen eine Intention zur Tötung eines Patienten vorgelegen hat, nur 2 300 der eigentlichen Euthanasie entsprachen. Das waren also ledig- lich knapp zwei Prozent aller Sterbe- fälle (129 000). In 400 Fällen wurde außerdem Hilfe zur Selbsttötung ge-

leistet. Weitere knapp 16 000 Fälle fielen unter die Kategorie „normale medizinische Behandlung". Darun- ter verstehen die Verfasser des Be- richtes das Einstellen einer Behand- lung sowie eine Überdosierung, auch mit der Absicht zu töten.

Ihre Schlußfolgerung lautet, daß in den Niederlanden das medizini- sche Entscheiden und Handeln um das Lebensende im Großen und Ganzen von „guter Qualität" ist.

Diese Quintessenz war unter ande- rem der Anlaß dafür, daß die Regie- rung die bestehende Praxis im we- sentlichen beibehielt, wie auch der neueste Gesetzesvorstoß zeigt.

Überwiegend ablehnende Haltung des Auslandes

Die Meinungen zu einem libera- len Sterbehilfe-Gesetz gehen nicht nur in den Niederlanden, sondern auch im Ausland auseinander. Er- fahrungen aus der Praxis mit „Töten auf Verlangen" schildert Prof. Pieter Admiraal, Arzt für Anästhesie im Reinier de Graaf Gasthuis, Delft, in der „Zeitschrift für ärztliche Fortbil- dung" (1 /1993). Schon seit Anfang der 70er Jahre sei Euthanasie in der Delfter Klinik möglich, aber „aus- schließlich als ein würdiger Abschluß der Sterbensbegleitung". Admiraal steht auf dem Standpunkt, „keine Euthanasie ohne Sterbensbeglei- tung, aber auch: keine Sterbensbe- gleitung ohne die Möglichkeit der Euthanasie". In seiner Klinik wür- den entweder eine steigende Dosis Barbiturate per Infusion gegeben oder Barbiturate und Curare direkt intravenös gespritzt. Dies würde auch von der KNMG empfohlen.

Admiraals Meinung nach ist es völlig unmöglich, alles Leiden erträglich zu machen, trotz gut organisierter, pal- liativer terminaler Versorgung.

Gerade die Situation der palli- ativen Medizin aber, erläutert Dr.

Gunning vom Niederländischen Ärz- teverband, sei in den Niederlanden allgemein nicht sehr gut. In einer op- timalen Schmerzbehandlung sieht er allerdings eine sinnvolle Alternative zur Euthanasie. Deshalb bemühe sich der NAV schon seit Jahren dar-

um, die Palliativmedizin zu fördern.

Leider erhalte die Organisation von der Regierung für ihre Anstrengun- gen keine ausreichende Unterstüt- zung. „Ein Großteil aller Schmerz- und Krebspatienten wird unzurei- chend behandelt", führt Gunning an und beruft sich dabei auf einen Be- richt des nationalen Gesundheitsra- tes zur Lage der Schmerzbehandlung in den Niederlanden.

Die staatliche Aufsichtsbehörde für die psychische Volksgesundheit in Rijswijk bemängelt, daß für psy- chische Patienten dieselben Kriteri- en gelten sollen wie für physisch Kranke. Besonders im Fall der „Hil- fe bei Selbsttötung" müßten Unter- schiede gemacht werden, fordert Dijck Beumer, eine der Leiter der Behörde. Bei einem psychisch Kran- ken, der wiederholt den Wunsch äu- ßert zu sterben, sei zu berücksichti- gen, daß dieser Wunsch aus seiner Störung heraus resultieren kann, nicht aber Folge einer lebensbedroh- lichen Erkrankung ist. Dies sei daher noch lange kein Kriterium dafür, daß ein Arzt auch tatsächlich Hilfe bei der geforderten Selbsttötung leisten darf. Deshalb müsse für diese Fälle ein gesondertes Meldeverfahren ent- wickelt werden, so Beumer.

Die Niederlande sind in Europa isoliert

Der Weltärztebund erinnert an- läßlich der Entscheidung in den Nie- derlanden an eine Deklaration des 39. Weltärztetages vom Oktober 1987 in Madrid, in der Euthanasie als „unethisch" abgelehnt wird.

Auch innerhalb der europäi- schen Ärzteschaft stehen die Nieder- lande mit ihrer Befürwortung der Euthanasie ziemlich isoliert da. Dies zeigte sich konkret auf der Plenar- versammlung des Ständigen Aus- schusses (Comite permanent) der Ärzte der Europäischen Gemein- schaft in Cascais, Portugal. Dort wei- gerte sich die belgische Delegation, den Holländern den künftigen Vor- sitz zu übertragen, wenn diese nicht von ihrer liberalen Position zur Eu- thanasie abrücken würden.

Petra Spielberg A1.490 (18) Dt. Ärztebl. 90, Heft 8, 26. Februar 1993

Referenzen

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