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Archiv "Brief an einen Arzt: „Man muß kein Heiliger werden, um anderen zu helfen“" (25.09.1985)

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Karlheinz Böhm: Brief an einen Arzt

mu-ß werden,

z um anderen u helfen"

kein Heiliger

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

MENSCHEN FÜR MENSCHEN

L

ieber Freund! — Du hast als Arzt Dein Leben lang genauso als Mensch für Menschen ge- arbeitet, wie ich das als Schau- spieler getan habe — und doch ha- ben diese drei Worte für uns bei- de während der letzten drei Jahre eine tiefere und andere Bedeu- tung gewonnen. Die aus der scheinbaren Verschiedenheit un- serer Berufe und unserer Leben

resultierende Motivation hat uns immer wieder zu fruchtbaren, kri- tischen Diskussionen geführt, oh- ne die ich mir heute meine Arbeit weder in der sogenannten Dritten Welt noch in Europa vorstellen

könnte.

Immer wieder werden wir nach der Motivation unserer Arbeit ge- fragt — und immer wieder macht mich das angesichts des Wissens um die Sozialstrukturen unserer Welt-Gesellschaft auf dem Plane- ten Erde fassungslos. Oder hast Du Dich als junger Mensch je da- nach gefragt, warum Du als Arzt Menschen, die krank sind oder in Not, helfen willst? Als ich im Mai 1981 als Schauspieler und Gast der Unterhaltungssendung „Wet- ten, daß ..." vor die Kamera trat, um die scheinbar frivole Wette ge- gen das Publikum aufzustellen, daß nicht einmal jeder dritte Zu- schauer bereit wäre, eine einzige

DM zugunsten der Hunger-leiden- den Menschen in der sogenann- ten Sahel-Zone in Afrika zu spen- den, waren meine Antriebsfedern nicht das so oft verlangte „Schlüs- sel-Erlebnis", sondern Wut, Ver- zweiflung, Hilflosigkeit, Ohn- macht und das Wissen um Statisti- ken des Schreckens, mit deren Zahlenmaterial wir heute fast sorglos zu leben scheinen.

D

aß wir dabei dem Einschnitt des 8. August 1945 in der Ge- schichte der Menschheit ge- nauso wenig gerecht werden, wie dem einfachsten Gebot der Näch- stenliebe, das in jeder großen gei- stigen Bewegung oder allen gro- ßen Religionen zu finden ist, mag uns einmal in der Geschichte bit- ter angekreidet werden. Von Be- ginn an habe ich mich gegen die Verleihung eines in unserer Epo- che nur allzugerne und allzu- schnell verliehenen „Plastik-Heili- genscheins" verwehrt und nie verhohlen, daß es soziale und po- litische Motive sind, die diese scheinbare Veränderung meines Berufes hervorgerufen haben. Im Duden nachgeschlagen bedeutet das Wort „sozial": die mensch- liche Gesellschaft oder Gemein- schaft betreffend, gemeinnützig, menschlich, wohltätig. Und das

Wort „Politik" wird mit „aktiver Teilnahme an der Führung, Erhal- tung und Ordnung eines Gemein- wesens" erklärt. Um Menschen in bitterster Not zu helfen, brauche ich also nicht den Begriff „Huma- nität" zu strapazieren, der als „ed- le Menschlichkeit als harmoni- sche Ausbildung der wertvollen Bildungs- und Gemütslage im Menschen, hohe Gesittung, der Sinn für das Gute im Verhalten zu den Mitmenschen und zur Krea- tur" beschrieben wird. (...)

n was für einer Zeit leben wir, in der Franz Alt, ursprünglich Journalist und Fernsehredak- teur, Bücher schreibt mit dem Titel

„Frieden ist möglich!" und „Liebe ist möglich"? In der wir gelernt ha- ben, mit der Bedrohung durch täg- lich mögliche Zerstörung genauso zu leben, wie mit der Zahl der Verkehrsunfälle oder gar den Opfern der immer wiederkehren- den Dürrekatastrophen, über de- ren stillem Sterben ab und zu der Vorhang fast zufällig hochgezo- gen wird, um uns vor gefüllten Tellern das schlechte Gewissen per Mattscheibe in die wohlbehü- tete Bürgerstube einzujagen? — Ja, mein Lieber, natürlich hast Du recht, wenn Du auf die statistische These, man könne mit nur zehn Prozent der jährlichen Weltrü- stungsausgaben den Hunger auf dem Planeten Erde verschwinden lassen, antwortest, in der Praxis sei das nicht durchführbar.

Aber dieser Einwand erinnert mich doch sehr an das Argument, daß Rüstung notwendig sei, um Frieden zu erhalten oder daran, daß der saturierte Wohlstandsbür- ger meint, es gäbe so viel Elend, daß man ja doch nichts verändern könne und unweigerlich landen wir dann beim oft zitierten Trop- fen auf dem heißen Stein.

N

un, gottlob, bist Du ein gutes Beispiel dafür, daß man kein Heiliger werden muß, um an- deren zu helfen und daß Handeln besser ist als scheinbar rationales 2792 (24) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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.. die dort versuchen zu helfen, wo dogmatisches Denken den Zugang zur Menschlich- keit verwehrt.

Und ich glau- be zutiefst, im Sinne der Menschen zu handeln, die Menschen für Menschen Spenden an- vertrauen, um Menschen in Not zu hel- fen, ohne Rücksicht auf die politi- schen Hand- lungsweisen der Regierun- gen dieser Länder ..."

Foto:

Brot für die Welt, Klijn

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Menschen für Menschen

Denken — denn in diesen Denk- pausen sterben viele Menschen an Hunger.

W

enn ich an die 2000 Men- schen im Erer-Tal, irgend- wo 500 km östlich der äthiopischen Hauptstadt gelegen, denke, die heute als Bauern mit harter Arbeit ihre eigene Zukunft bestimmen können, und wenn ich mich an die Bilder dieser Men- schen entsinne, als ich sie zum er- sten Mal in einem Flüchtlingsla- ger am Rande der äthiopischen Halbwüste Ogaden als Opfer der Dürre oder des sinnlosen Bruder- krieges zwischen Somalia und Äthiopien dahinvegetieren sah, dann weiß ich, daß wir den Weg weitergehen müssen, der von der Erkenntnis „Menschen für Men- schen" geprägt ist. (...)

Nicht nur Du, sondern viele der besten Mitarbeiter von „Men- schen für Menschen" , werfen im- mer wieder die Frage auf, warum ich in meinen Appellen politische Fragen, besonders aber die welt-

weite Rüstungsmaschinerie in den Mittelpunkt stelle. Zweimal möchte ich Dir eines meiner gro- ßen menschlichen Vorbilder zitie- ren, dessen Askese, dessen Idea- lismus, aber auch sein Pragmatis- mus, das Schicksal eines 300-(700?)Millionen-Volkes ent- scheidend verändert hat: Mahat- ma Gandhi.

Zum ersten: „Ich behaupte, daß der menschliche Geist oder die menschliche Gesellschaft sich nicht abschotten lassen in herme- tische Sparten: Soziales, Politik, Religion. Sie alle wirken ineinan- der und aufeinander. Ich kann oh- ne Zögern und doch in aller De- mut zum Beispiel sagen, daß ein Mensch, der behauptet, Religion habe nichts mit Politik zu tun, nicht weiß, was Religion bedeu- tet."

W

ie kann ich heute Huma- nitäres tun, ohne an die politisch-wirtschaftlichen Strukturen zu erinnern, deren ein- zig erklärtes Ziel der eigene volle

Bauch und die eigene Sicherheit sind, ohne jemals an die zwei Drit- tel der Menschheit zu denken, die als Ausschuß dieses Machtden- kens an der untersten Grenze des Existenzminimums leben und von denen jährlich 80 Millionen ver- hungern?

A

nfang dieses Jahres war ich zum ersten Mal in der süd- westlich von Addis Abeba ge- legenen Provinz Illubabor. Als Du im August des selben Jah- res nach acht Tagen in den bei- den neuen Projekten von uns in den Gebieten des sogenannten Resettlement-Programmes der äthiopischen Regierung zurück- kamst, warst Du noch immer voll von den Bildern des Elends, der Hilflosigkeit, der Verzweiflung und voll der Motivation sofort hel- fen zu müssen. Und genauso war es mir ergangen, als ich im Früh- jahr dieses Jahres Menschen sah, die aus Gebieten kamen, die als ökologisch tot gelten, in denen es seit vier Jahren nicht mehr gereg- net hatte — obwohl sie einst das waldreichste Areal Äthiopiens wa- ren. (...) Allein in dieser Provinz Illubabor sind etwa 82 000 Men- schen neu angesiedelt. Ohne aus- reichenden Gesundheitsdienst, ohne Zugtiere, ohne Pflüge, Saat- gut oder landwirtschaftliche Gerä- te um Ackerbau zu betreiben und vor allem auch ohne Kleider um Regen, Kälte und klimatische Um- stellung nur annähernd überste- hen zu können.

Die Regierung der Vereinigten Staaten und mit ihr die meisten Regierungen des sogenannten Westblocks lehnen eine Hilfelei- stung an diese Menschen durch was immer ab, mit der Begrün- dung, daß sie das Umsiedlungs- programm der äthiopischen Re- gierung als politische Aktion ge- gen Rebellengruppen in den Hun- gerprovinzen Wollo und Tigre ab- lehnen. Wie immer kritisch man diesem Versuch, mit dem Hunger- problem im eigenen Lande fertig zu werden, gegenübersteht, wie immer berechtigt man die Durch- Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 39 vom 25. September 1985 (27) 2793

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Menschen für Menschen KURZBERICHT

führung oder Vorbereitung dieser Aktion kritisieren mag — welche Schuld daran trifft die Menschen, die heute in einem verzweifelten Kampf ums Überleben mit einer Realität konfrontiert sind, die ihre traditionelle Denkungsweise bei weitem überfordert?

W

ir waren und sind bis heute die ersten, die dort versu- chen zu helfen, wo dogma- tisches Denken den Zugang zur Menschlichkeit verwehrt, und ich glaube, zutiefst im Sinne der Men- schen zu handeln, die Menschen für Menschen Spenden anvertrau- en, um Menschen in Not zu hel- fen, ohne Rücksicht auf die politi- schen Handlungsweisen der Re- gierungen dieser Länder. Und auch das mag eine der Brücken zwischen uns sein, mein Lieber, über die wir, ungeachtet aller Mei- nungsverschiedenheiten immer wieder die nötige gemeinsame Kraft finden. Denn der Arzt fragt doch genau so wenig nach dem Verursacher eines Notfalles, wenn er seinen Patienten behandelt, wie der Schauspieler nach der po- litischen oder sozialen Herkunft seines Publikums, dem er den Spiegel einer alltäglichen Realität vorhält.

Mein Lieber, ich bin dankbar, daß sich unsere Wege eines Tages ge- kreuzt haben und wenn manche meinen, wir täten etwas Besonde- res, so lasse mich bitte diese Ge- danken an Dich mit dem zweiten Zitat von Mahatma Gandhi enden:

„Ich hege nicht den Schatten ei- nes Zweifels, daß jeder Mann und jede Frau tun kann, was ich getan habe — wenn er oder sie den glei- chen Einsatz wagt und gleich stark ist im Hoffen und im Glau-

ben." ❑

Der Schauspieler Karlheinz Böhm ist In- itiator und Vorsitzender der Stiftung

„Menschen für Menschen" (Neuhauser Straße 49/111, 8000 München 2). Der vor- stehende Text wurde für den Internatio- nalen Notärzte-Kongreß in München am 19. September 1985 verfaßt. Böhm hat das Redemanuskript dem DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT zur Verfügung gestellt; es wurde leicht gekürzt.

Arzneiverordnungen:

Information tut not

Fünf handliche Karten mit knapp gefaßten, übersichtlich angeord- neten Arzneimittel-Informationen für fünf Indikationsgebiete hat der Erste Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Pro- fessor Dr. Siegfried Häußler, in diesen Tagen mit einem persön- lich gehaltenen Anschreiben an alle Praktischen Ärzte/Allgemein- ärzte und alle niedergelassenen Internisten versandt. Die verschie- denfarbigen Karten informieren über Koronarmittel, Analgetika/

Antipyretika, Tranquillantien/Se- dativa/Hypnotika, Mittel gegen mäßig erhöhten Blutdruck und über nicht-steroidale Antirheuma- tika, überwissenschaftlicheGrund- sätze ihrer Anwendung einerseits und die Kosten andererseits.

Prof. Häußler: „Nach den Arznei- mittelrichtlinien sind wir Kassen- ärzte gehalten, stets zu prüfen, ob sich der angestrebte Heilerfolg auch durch preisgünstigere Arz- neimittel erreichen läßt." Um den Ärzten in dieser Richtung weitere Hilfestellung zu geben, hatte sich der Vorstand der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung an die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft gewandt; deren Mitglieder haben für die genann- ten Indikationsgebiete Texte aus- gearbeitet, die sie aufgrund ihrer langjährigen praktischen und kli- nischen Erfahrung wissenschaft- lich verantworten können.

Die auf den Karten angegebenen approximativen mittleren Tages- dosen sind, wie Professor Häußler in seinem Brief unterstreicht, zum groben Vergleich gedacht: „Bei der empfehlenswerten Beschrän- kung auf wenige Präparate einer therapeutischen Klasse dürften sich die täglichen Behandlungs- kosten beim einzelnen Patienten leicht errechnen lassen."

Prof. Häußler versicherte seinen Kolleginnen und Kollegen, daß

diese Karten allein ihrer Informa- tion dienen und keine Grundlage für „Arzneimittelregresse" dar- stellen: „Auch ohne direkten wirt- schaftlichen Druck müßten wir eben zu einer fühlbaren Senkung des Ausgabenzuwachses für Arz- neimittel kommen." Für Anregun- gen zu diesen und weiteren derar- tigen Informationskarten sind die Kassenärztliche Bundesvereini- gung und die Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzte- schaft dankbar.

Dieser Informationsinitiative der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, die jede Reglementierung vermeidet, verbunden mit der Bit- te an die Kassenärzte, sich um wirtschaftliche Verordnungsweise zu bemühen, kommt im Hinblick auf die erneut aufgeflammte Ko- stendämpfungsdiskussion beson- dere Bedeutung zu. In der zuneh- mend aggressiver werdenden po- litischen Diskussion sind die Kas- senärzte und die von ihnen veran- laßten Leistungen ein Dreh- und Angelpunkt; dabei reichen die po-

litischen Forderungen bis hin zu Kürzungen der kassenärztlichen Gesamtvergütung bei überpro- portionalen Ausgabenzuwächsen im Arzneimittelbereich.

Tatsächlich weisen nach wie vor die Kassenausgaben für verordne- te Arzneimittel hohe Zuwächse auf; bei einer Gesamtausgaben- Steigerung im 1. Halbjahr 1985 um 4,4 v. H. je Mitglied liegen die Arz- neimittei-Ausgabensteigerungen um 6,4 v. H. an der Spitze (zum Ver- gleich: die Ausgaben für ambulan- te kassenärztliche Versorgung er- höhten sich nur um 2,9 v. H.). — Die- se Entwicklung könnte gesetzge- berische Eingriffe geradezu provo- zieren. Ihnen entgegen setzt die Kassenärztliche Bundesvereini- gung, unserer freiheitlichen Wirt- schafts- und Sozialordnung ge- mäß, auf die Erhaltung der ärzt- lichen Therapiefreiheit durch ver- besserte Information. Prof. Häuß- ler an seine Kollegen: Bitte nutzen Sie diese Informationen bei Ihrer täglichen Arbeit in der Praxis und bei Hausbesuchen!

Ee

2794 (28) Heft 39 vom 25. September 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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