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Archiv "Kann nur noch Selbstbeteiligung helfen?" (11.05.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

THEMEN DER ZEIT

Kann nur noch

Selbstbeteiligung helfen?

B

undesarbeitsminister Norbert Blüm bezeichnet die Preispo- litik der Pharma-Industrie als

„bedrohlich" und „nicht am Ge- meinwohl orientiert", der nord- rhein-westfälische Sozialminister Friedhelm Farthmann spricht von

„unverantwortlichen Praktiken".

Die Krankenkassen wollen nur noch eine letzte „Schonfrist" ge- währen und selbst Pharmaver-

band-Hauptgeschäftsführer Hans Rüdiger Vogel zeigt Verhand- lungsbereitschaft und bittet um Geduld.

Worum geht es? Obwohl die ge- setzliche Krankenversicherung (GKV) durch „Negativliste" und Erhöhung der Rezepteblattge- bühr für 1983 um 3,6 Prozent der Ausgaben für Arzneimittel entla- stet worden war, stiegen ihre ef- fektiven Ausgaben in diesem Be- reich dann doch um 5,6 Prozent.

Neben dem Ausweichen auf er- stattungsfähige Medikamente und größere Packungen sind insbe- sondere die Preisanhebungen um 5,9 Prozent der pharmazeuti- schen Industrie hierfür verant- wortlich. Die allgemeine Teue- rungsrate betrug demgegenüber nur 3 Prozent.

Dennoch setzte die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen auf ihrer jüngsten Sitzung am 28.

März keinen Arzneimittelhöchst- betrag mehr fest. Ist also die Selbstverwaltung am Ende? Kann jetzt nur noch Selbstbeteiligung helfen?

In der Tat ist es kein Mangel, wenn in der Konzertierten Aktion Arz- neimittelhöchstbeträge künftig nicht mehr veröffentlicht würden, sondern eher ein Fortschritt. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Bekanntgabe von Leitli- nien nicht kostendämpfend wirkt, sondern die Ansprüche zunächst einmal rundum auf diese Leitlinie anhebt. Was als maximale Ober- grenze gedacht war, wird als das für alle bereits Zugestandene auf- gefaßt und wirkt so kostentrei- bend.

Philipp Herder-Dorneich

Die hohen Zuwachsraten im Arz- neimittelsektor, als Versagen der Konzertierten Aktion aufgefaßt, haben dazu geführt, die Forderun- gen nach Selbstbeteiligung wie- der zu erheben: Selbstbeteiligung statt Selbstverwaltung! Ist dieses

„Entweder-Oder" richtig? Kann Selbstbeteiligung erfolgreicher sein als Selbstverwaltung?

Um es vorweg zu sagen: Ich halte diese Alternative für falsch.

Selbstbeteiligung kann Selbstver- waltung ergänzen, aber nicht er- setzen.

Paradoxon Selbstbeteiligung Selbstbeteiligung als Mittel zur Kostendämpfung wirft nämlich ein Paradoxon auf, das schwieri- ger zu lösen ist, als viele meinen.

Denn Selbstbeteiligung bedeutet ja zunächst einmal, daß die Versi- cherten ihren Geldbeutel für et- was auftun, was sie bisher um- sonst erhielten. Ihre Ausgaben (und das sind ihre „Kosten") stei- gen also zunächst einmal an. Erst wenn Selbstbeteiligung zu Ausga- beneinsparungen bei den Kran- kenkassen führt und wenn diese Einsparungen in Form von Bei- tragssenkungen an die Versicher- ten weitergegeben werden, hat es sich auch für die Versicherten

„gelohnt".

Eines läßt sich auf alle Fälle sa- gen, wenn es wirklich zu Beitrags- senkungen durch Selbstbeteili- gung kommt, haben zunächst ein- mal die Arbeitgeber ihre Entla- stung sicher, bei den Versicherten aber werden nicht alle einen Vor- teil davon haben; einige werden

immer draufzahlen. Die Beiträge werden ja prozentual berechnet;

folglich haben bei einer Beitrags- senkung die Höherverdienenden

einen größeren absoluten Betrag gespart. Die chronisch Kranken, die Rentner, die Minderverdie- nenden und die Kinderreichen werden durch Selbstbeteiligung immer höher belastet, die Allein- stehenden werden durch Bei- tragssenkungen immer beson- ders begünstigt. Selbstbeteili- gung hat also Verteilungswirkun- gen: von einkommensschwachen, kinderreichen Kranken zu gut ver- dienenden, alleinstehenden Ge- sunden.

Aber wird es überhaupt zu Bei- tragssenkungen kommen? Spie- len wir im folgenden einmal im einzelnen durch, welche Hürden genommen werden müssen, bis Selbstbeteiligung den Geldbeutel der Versicherten wirklich schont.

Kostendämpfung — ein Hürdenlauf

Zu einer Kostendämpfung kann es nämlich nur kommen, wenn die Versicherten ihre nachgefragten Mengen unter der Last der Selbst- beteiligung zurücknehmen. In vie- len Fällen jedoch ist die Nachfra- ge unelastisch, da der Bedarf nach Medikamenten unabweislich ist. An dieser ersten Hürde läuft bereits viel Steuerungswirkung auf.

Sinken aber dann, wenn die nach- gefragten Mengen tatsächlich zu- rückgegangen sind, automatisch auch die Ausgaben? Nein, denn Ausgaben sind das Produkt aus Menge x Preis. Trotz zurückge- hender Mengen können die Aus- gaben sogar steigen, nämlich wenn die Preise anziehen. Im ver- gangenen Jahr war dieser Effekt zu beobachten: Die Preiseffekte überkompensierten den von Ärz- ten, Patienten und Selbstbeteili- 1526 (28) Heft 19 vom 11. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Arzneimittel

gung bewirkten Mengenrück- gang.

Aber nehmen wir einmal an, auch diese zweite Hürde werde über- sprungen, so ist noch immer die Entlastung für die Versicherten nicht sicher. Denn zunächst er- reicht sie die Krankenkassen. Und dort kann sie möglicherweise auch hängenbleiben. Die Kassen registrieren nämlich zunächst fi- nanzielle Mehreinnahmen, das heißt, es wird von ihnen Finanz- druck genommen. Sinkender Fi- nanzdruck aber senkt auch den Reformdruck. Notwendige, steue- rungswirksame Reformen, die im- mer für alle Betroffenen unange- nehm sind, können aufgeschoben werden.

So ist beispielsweise damit zu rechnen, daß zunehmendes Fi- nanzaufkommen infolge einer hö- heren Selbstbeteiligung die Kran- kenhausfinanzierungsreform ver- zögert und den Bettenabbau we- niger dringlich erscheinen läßt.

Die Kassen sind dann zwar weni- ger in Bedrängnis, die Versicher- ten aber werden nicht entlastet.

Kasse macht sinnlich

Außerdem ist auch damit zu rech- nen, daß mehr „Kasse" bei den Kassen die Politiker „sinnlich"

macht. Bisher haben die Politiker es häufig verstanden, Geld aus der Krankenversicherung abzu- ziehen und damit anderswo Lö- cher zu stopfen. Allein 1983 und 1984 wurden so rund 3,3 Milliarden DM bei der gesetzli- chen Krankenversicherung abge- schöpft.

Was bedeutet diese Überlegung konkret für die Situation im Arz- neimittelsektor? Wir haben hier zwar rückläufige Mengen, aber überkompensierende Preiserhö- hungen zu beobachten. Was soll da Selbstbeteiligung? Möglicher- weise würde durch sie weiterer Mengenrückgang bewirkt, aber würde er nicht wiederum durch Preiserhöhungen überkompen- siert werden?

Teufelskreis

der Selbstbeteiligung

Selbstbeteiligung bringt den Ver- sicherten nur dann eine Entla- stung, wenn das Finanzaufkom- mer daraus von der Pharmain- dustrie nicht durch Preiserhöhun- gen zurückgeholt werden kann.

Wäre aber die Selbstverwaltung stark genug, Preiserhöhungen zu verhindern, bräuchten wir über Selbstbeteiligung gar nicht zu re- den. Selbstbeteiligung führt sogar in einen Teufelskreis, wenn das zusätzliche Geld auf die Kassen so verweichlichend wirkt, daß sie vor der Pharmaindustrie in die Knie gehen.

Kostendämpfung setzt die Stärke voraus, die Pharmaindustrie dazu zu veranlassen, nicht nur Men- genrückgang, sondern auch (bei konstanten Preisen) Umsatzmin- derung hinzunehmen. Ist ein solcher Kostendämpfungsdruck überhaupt denkbar? Worin könn- te er bestehen?

Viele meinen, eine Selbstverwal- tungslösung liefe darauf hinaus, daß die Pharmaindustrie in einem Verband zusammengefaßt wird, der preisregulierend eingreifen kann. Das wäre dann allerdings ein Kartell; und Kartelle zu för- dern wäre ordnungspolitisch falsch. Denn der Pharmabereich ist einer der wenigen Marktberei- che in der gesetzlichen Kranken- versicherung, der noch existiert;

den darf man nicht schmälern.

Selbstverwaltungslösung kann al- so nicht darin gesucht werden, mit Zwangskartellen zu drohen.

Die Drohung sollte im Stichwort

„mehr Markt" liegen. Denn der Markt ist bisher im Arzneimittel- sektor nur sehr unvollkommen verwirklicht. Praktisch ist die Pharmaindustrie in ihrer Preisstel- lung autonom. Sie braucht mit den Konsumenten (den Patien- ten), den Nachfragern (den Ärz- ten) und den Zahlern (den Kassen) über Preise nicht zu verhandeln, sondern diese lediglich abzurech- nen. Nur in einem „Spot-Markt"

außerhalb der gesetzlichen Kran-

kenversicherung geschieht freie Markt-Preisbildung.

Daß Spot-Märkte, wenn sie nur groß genug sind, durchaus auf Preise zu drücken vermögen, die Machtgruppen hochzuhalten ver- suchen, zeigt der „Spot-Markt von Rotterdam", der sogar die Öl- scheiche und ihr Kartell zu beein- drucken vermochte.

Durch die „Negativliste" ist be- reits ein Teilbereich zu einem frei- en Markt gemacht worden. Eine Erweiterung der „Negativliste"

könnte vermutlich zu mehr Markt führen. Würden die Kassen, also die Zahler, in die Preisbildung der Pharmaindustrie eingeschaltet, so würde das Preisniveau sicher er- heblich sinken. Man kann das leicht an den Preisen deutscher Arzneimittel im Ausland ablesen, die dort unter dem Druck von Zu- lassungsverhandlungen mit der Regierung oder mit den Sozialver- sicherungen und der meist niedri- gen Personal- und damit Lohnko- sten deutlich niedriger sind. Es ist im Sinne von Markt-Preisbildung nicht einzusehen, warum die Zah- ler (die Kassen) ohne Preisver- handlungen zahlen sollen. Im Ge- genteil, die Wirtschaftlichkeitsfor- derung der RVO legt den Kassen dies sogar auf.

Das Einbringen von Marktver- handlungen wäre in Stufen denk- bar:

> Förderung der Re-Importe (über deren Preise wurde ja im Ausland bereits verhandelt).

I> Aushandlung von Einzelprei- sen oder Preisgruppen für Medi- kamente zwischen Kassen und Pharmaunternehmen. Es gibt ge- genwärtig 1247 Krankenkassen und 530 Pharmaunternehmen, die im Verband der Pharmazeuti- schen Industrie e.V. Mitglieder sind. Also ausreichender Wettbe- werb wäre möglich.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. rer. pol.

Philipp Herder-Dorneich Universität Köln

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 19 vom 11. Mai 1984 (31) 1527

Referenzen

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