Die Information:
Bericht und Meinung Unwiderruflicher Widerruf
darauf aufmerksam machen müs- sen, daß die Veröffentlichungs- praxis des Bundesgesundheits- amtes schwere Vertrauenskrisen für Patienten, Ärzte, Apotheker und pharmazeutische Industrie provoziert:
Die Patienten werden von Maß- nahmen unterrichtet, über die nach Art, Umfang und Folgen für die weitere ärztliche Behandlung die Ärzte zum gleichen Zeitpunkt noch nicht unterrichtet sein kön- nen, weil die Berichterstattung in der allgemeinen Presse ihrer Na- tur nach nicht zugleich den für die Ärzte und ihr Handeln relevanten wissenschaftlichen Gesamtzu- sammenhang wiedergeben kann.
Als geradezu unsinnig muß es jetzt bezeichnet werden, daß die Zulassung von Arzneimitteln wi- derrufen wird, gleichzeitig aber weit mehr als ein halbes Jahr Zeit bleibt, vom Bundesgesundheits- amt doch ganz offenbar als ge- sundheitsgefährdend erkannte Arzneimittel „aufzubrauchen". Ei- ne derartige befristete Erlaubnis zur Verabreichung von Schadstof- fen und Giften hat es unseres Wis- sens in der ganzen Welt noch bei keiner für die Gesundheit der Be- völkerung verantwortlichen Be- hörde gegeben.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit wird sich fragen lassen müssen, welche dienstaufsichtlichen Maßnahmen er zu ergreifen gedenkt, um die für dieses widersprüchliche Wi- derrufsverfahren Verantwort- lichen zur Rechenschaft zu zie- hen. Schließlich dürfte jeder im Bundesgesundheitsamt Verant- wortliche wissen, daß die Veröf- fentlichung alle genannten Mittel vom Markt fegt, auch wenn nach- träglich durch Rechtsmittel die schon veröffentlichten Entschei- dungen rückgängig gemacht wer- den müssen. Die öffentlich ange- kündigten Widerrufe des Bundes- gesundheitsamtes sind für die be- troffenen Hersteller, für die Ärzte und für die Patienten stets unwi- derruflich. DÄ
DER KOMMENTAR
(Stolper-)Stein der Weisen
Man sollte es kaum für möglich halten, aber im diesjährigen Gut- achten des Sachverständigenra- tes zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung steht wirklich folgen- des: Die Ärzte mit ihrer zentra- len Stellung auf der Anbieter- seite werden wohl auch künftig bei Mengenentscheidungen das Übergewicht behalten; man sollte sie also bei den Preisentscheidun- gen strategisch schwächen. Dazu muß man die Stellung der Kassen beim Aushandeln von Preisen stärken, um dann über die Preise die Zahl der Anbieter von Kassen- leistungen steuern zu können. Es ist aber auch denkbar, die Anbie- ter hier zusätzlich einzubinden: in Großstädten und Ballungsräumen könnten die Krankenkassen Kran- kenhäuser betreiben, Ärzte be- schäftigen und Arzneimittel be- schaffen ...
Die fünf Professoren, auch „die fünf Weisen" genannt, haben tat- sächlich im November 1983 das
Krankenkassen-Ambulatorium von vor 50 Jahren wieder erfun- den — sie haben es nur gar nicht gemerkt. In ihrem Kapitel über das Gesundheitswesen kommt das Wort „Ambulatorium" über- haupt nicht vor!
„Die Preise akzeptieren"
Eine Zwei-Klassen-Medizin haben sie auch gleich miterfunden (auch dieses Wort kommt natürlich nicht vor), und zwar jeweils eine für Ärz- te und für Patienten. Kassenärzt- liche Versorgung wird in Zukunft nur von Ärzten angeboten, welche die „Preise der Krankenkassen akzeptieren": wem diese Preise zu niedrig sind, der wäre auf den Markt „außerhalb der Kassen ver- wiesen". Der Versicherte hinge- gen muß sich überlegen, ob er die
„Preise der Kassenärzte" akzep- tieren will oder lieber ins Ambula- torium geht: die dort — angeblich —
zu erzielenden Einsparungen er- hält er nämlich als Beitragsermä- ßigung wieder heraus.
Daß Kleinstadt- und Landbewoh- ner diese Alternative nicht hätten, ist den fünf Weisen offenbar gleichgültig. Aber der Versicherte soll überhaupt an einer „Abwä- gung von Nutzen und Kosten" in- teressiert werden: „Am einfach- sten geschieht das, indem der Be- troffene Rechnungen erhält, die er zur Begleichung an seine Kran- kenkasse weitergibt" — allen Ern- stes! Von Kassenärztlichen Verei- nigungen und Honorarverteilung haben diese Sachverständigen of- fenbar keine Ahnung.
Es kommt aber noch schlimmer.
Wenn man das komplizierte Arzt- Patienten-Verhältnis auf die öko- nomische Perspektive reduziert, heißt es — was immer das heißen mag —, so können die niedergelas- senen Ärzte die nachgefragte Menge mitbestimmen. Und dann:
„Zwar gibt es eine Gebührenord- nung, an die sich die Kassenärzte zu halten haben; es steht ihnen je- doch grundsätzlich frei, den Pa- tienten ein bestimmtes Mehrfa- ches des einfachen Gebührensat- zes zu berechnen." — Sie kennen also nicht einmal den Unterschied zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversiche- rung, jene fünf Herren, welche die Bundesregierung beraten und die laut Gesetz über „besondere wirt- schaftswissenschaftliche Kennt- nisse und volkswirtschaftliche Er- fahrungen verfügen müssen".
Man könnte die Reihe dieser Bei- spiele noch fortsetzen. Dabei fällt auf, daß die fünf Sachverständi- gen in anderen Teilen ihres Kapi- tels über die „Stärkung von Wett- bewerbselementen im Gesund- heitswesen" sich auf für sie offen- bar sichererem Grunde bewegen.
Dies gilt zum Beispiel für ihre Be- trachtung der Frage, warum der Gesundheitsbereich allenthalben als reformbedürftig gelte. Dies ha- be einmal mit der Ausgabenex- pansion seit Beginn der siebziger 22 Heft 49 vom 9. Dezember 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A