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Archiv "Niedergelassene stellen sich den Herausforderungen" (12.12.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

I

n überaus düsteren Farben zeichneten die 64 Delegierten während der diesjährigen Bun- deshauptversammlung des NAV (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands) den Ist-Zu- stand und die Zukunftsperspekti- ven des ärztlichen Berufsstandes.

Immer mehr öffnet sich die ,,Ko- stenschere" zwischen stagnieren- den oder gar rückläufigen Hono- rarumsätzen und den überpropor- tional steigenden Betriebsausga- ben und Praxiskosten. Hinzu kommt: Die „Überschußproduk- tion" einer weit über einen flä- chendeckenden Bedarf hinaus in die Kassenarztpraxis strömenden Ärztegeneration, sinkende Fall- zahlen und durch die Kosten- dämpfungsgesetze stark gebrem- ste Umsatzentwicklung haben bei vielen Kassenärzten sogar zu Realeinkommenseinbußen ge- führt. In Großstädten spüren alt- eingesessene Ärzte bereits die Konkurrenz der jüngeren. Die Nachrückenden erscheinen als Bedrohung. Der „Verteilungs- kampf" ist längst im Gang.

Sosehr die Delegierten des NAV das politische Umfeld, die verfehl- te Bildungspolitik, die "Zwangs- beglückung" durch kostenträchti- ge und zum Teil ausufernde So- zialleistungen für die sich dra- stisch verschlechternden Exi- stenzbedingungen ausmachen wollten — bloße Resignation und Enttäuschung sei indes kein Re- zept, um einen „Selbstmord auf

Raten - der berufstätigen Ärzte zu verhindern, lautete das Fazit der langen Debatten, zu dem Dr. Pe- ter Stempel, Mannheim, das Stichwort gegeben hatte. Mehr- heitlich hatten die Delegierten dem NAV-Bundesvorsitzenden Dr.

med. Erwin Hirschmann, Kinder- arzt aus München, beigepflichtet, man solle das Schicksal in die ei- genen Hände nehmen und sich al- len Widerwärtigkeiten von innen und außen energisch entgegen- stemmen. Allein eine aktive Vor- wärtsstrategie, eine sich den Zeit- läufen anpassende Strukturpolitik sei das Gebot der Stunde.

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Niedergelassene stellen sich den Herausforderungen

NAV-Bundeshauptversammlung ruft zur

aktiven Strukturpolitik auf

Eine Minderheitsmeinung von De- legierten konnte sich indes nicht durchsetzen, die da lautete: Der NAV sei der Verband der Kolle- gen, die bereits niedergelassen sind. Es sei daher vorrangige Auf- gabe des Verbandes, die Interes- sen dieser bereits berufstätigen Ärzte zu vertreten, mögen noch so viele Mediziner vor der Tür ste- hen. Parolen wie etwa: „Das Hemd ist uns näher als der Rock"

gingen manchen Rednern leicht von den Lippen und fanden man- che Bundesgenossen. So sehr die Meinungen auch hin und her wog- ten, so sehr der NAV nach einer neuen Standortbestimmung rang, letztendlich brachte der NAV-Bun- desvorsitzende Dr. Hirschmann die Delegierten mehrheitlich (mit 60 zu 4 Stimmen!) hinter die Lo- sungen, die er in seinem „Bericht zur Lage" detailliert dargelegt hatte. Keines der bisher vom NAV verfochtenen Essentials wurde aufgegeben, wenn auch zeitweilig daran gerüttelt wurde. Eine rigo- rose Aussperrung der noch vor den Türen der Arztpraxis stehen- den Kollegen und eine fintenrei- che Abschottungspolitik lehnt der Verband entschieden ab (wiewohl einzelne Delegierte unumwunden forderten, den Zugang zum ärzt- lichen Beruf massiv zu drosseln).

Eine behutsame Niederlassungs- steuerung will auch der NAV tole- rieren. Eine dirigistische Lenkung des Ärztestromes in noch unter-

versorgte Regionen und bestimm- te Fachgebiete sei jedoch verfas- sungsrechtlich bedenklich.

Der Berliner Delegierte Dr. Mari- antonius Hofmann gab sich — wie nur wenige — als entschiedener Verfechter des KBV-Hausarzt-Mo- dells einer gezielten, struktur- orientierten Niederlassungssteue- rung zu erkennen: „Das KBV-Mo- dell beinhaltet keine Niederlas- sungssperre, sondern setzt nur deutliche Warnschilder, und dies auch nur vorübergehend. Damit soll in erster Linie eine qualifizier- te Versorgung aller Patienten er- zielt werden. Das von der KBV empfohlene Überlaufsystem liegt in erster Linie im Interesse der Pa- tienten." Dagegen mutmaßt NAV- Chef Hirschmann, daß die globale Zulassungssteuerung ä la KBV letztendlich die Zulassungsfrei- heit begrenZe oder völlig untermi- niere, sobald über kurz oder lang das Überlaufprinzip wirkungslos werde. Der NAV-Vorsitzende pro- phezeit, daß sich bei Verhängung von vorübergehenden Zulas- sungssperren, alle nachrücken- den Ärzte in die wenigen noch of- fenen Planungsbereiche ergießen und dort für die bereits Niederge- lassenen zu einer tatsächlichen Bedrohung werden. Es käme ei- ner „stillen Enteignung" gleich, wenn der Arzt infolge von Sper- rung gezwungen wäre, seine ärzt- liche Tätigkeit (unfreiwillig) aufzu- geben oder unter dem Zwang der Not neu zu strukturieren. Dadurch verlöre er, so Hirschmann, auch die Verfügbarkeit über die eigene Praxis. Keinesfalls dürfte die Zahl der arbeitslosen Ärzte durch zu- sätzliche berufsbegrenzende Maß- nahmen zusätzlich erhöht wer- den. Die „kritische Masse für ein systemsprengendes Potential"

werde sehr schnell überschritten.

II> Ohne die Gefahren einer be- ginnenden „Ärzteschwemme"

und die vorhandene Überversor- gung falsch einzuschätzen, emp- fahl die Versammlung, die Reichs- versicherungsordnung (RVO) auch im Sinne des KBV-Hausärz- tevorschlages zu ergänzen. Es 3732 (24) Heft 50 vom 12. Dezember 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Überaus lebhaft und kontrovers diskutierten die 64 stimmberechtigten Delegierten während der Bundeshauptversammlung 1984 des NAV am 17. und 18. November im Kölner Ärztehaus den gesamten aktuellen sozial- und gesundheitspolitischen Pro- blemhaushalt. Die Frühjahrs-Arbeitstagung 1985 des NAV wird das Thema „Ent- wicklung neuer Strukturen zur Integration junger Ärzte" diskutieren Foto: FS

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

sollte eine Bestimmung aufge- nommen werden, durch die eine

„gleichmäßige kassenärztliche Versorgung im Bundesgebiet durch ausreichend qualifizierte Ärzte bestmöglichst sicherge- stellt" werde. Bei einer dadurch erforderlichen Änderung der Zu- lassungsordnung müsse die Ver- fassungsmäßigkeit unbedingt be- achtet werden.

Kapazitätsverordnung ändern!

In jedem Falle müßten die Rechte bereits niedergelassener Kassen- ärzte durch Neuregelungen unan- getastet bleiben (Ende der kas- senärztlichen Tätigkeit, Möglich- keit der Praxisübergabe an einen Nachfolger). Um den Zuwachs an Kassenärzten insgesamt auf ein erträgliches Maß zurückzuschrau- ben, empfiehlt der NAV, die Kapa- zitätsverordnung den tatsäch- lichen Ausbildungserfordernissen anzupassen. Konkret fordert der NAV, daß sich diese künftig aus- schließlich an der klinischen Aus- bildungskapazität orientiert. Dem- nach soll die Kapazität nur noch an der Zahl der zum Unterricht ge- eigneten und zur Verfügung ste- henden Patienten richten, soweit es für diese aus ärztlichen und ethischen Gründen zumutbar ist.

Für die Ausbildung und Unterrich- tung am Patienten müssen ausrei- chend weitergebildete und zur Lehre geeignete Ärzte zur Verfü- gung stehen und angerechnet werden.

Eine „Zwangspensionierung" frei- beruflich tätiger Kassenärzte sei kein Ausweg aus dem Dilemma.

Gleichwohl sei es, so Dr. Hirsch- mann, kein Mißbrauch der erwirt- schafteten Honorare, wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen alle Anstrengungen unterneh- men, um Platz zu schaffen für die in die Kassenpraxis drängenden jungen Kollegen — sei es durch Übernahme einer bestehenden Praxis oder durch Eintritt in eine Senior-Junior-Praxis bis zum end- gültigen Ausscheiden des Praxis- inhabers. Bloße Umverteilungen von KV-Geldern in Form von Vor- ruhestands-Übergangshilfen wür- den die Gefahr in sich bergen, daß sich eine Überzahl junger Ärzte in die Kassenarztpraxis ergießt, de- ren Honorarumsatz sie zum

„Rand- und Grenzanbieter"-Da- sein verurteilt. Deren „Vorhal- tungskosten" gingen der Gesamt- heit der kassenärztlich/vertrags- ärztlich tätigen Ärzte verloren.

Hirschmanns Mosaiksteine einer selbstgestalteten aktiven Struk- turpolitik der Zukunft:

> Das berufliche Terrain der Ärz- teschaft müsse energischer als bisher gegen jedwede alternativ- und paramedizinischen Newco- mer verteidigt werden. Der Arzt von morgen werde seinen Le- bensunterhalt nicht mehr aus- schließlich aus der kurativen Me- dizin bestreiten können. Zu den neuen Aufgaben gehören bisher weniger beackerte Tätigkeitsfel-

NAV

der und „Marktnischen". Dazu zählt Hirschmann in erster Linie:

Prävention und Gesundheitsbera- tung, geriatrische Rehabilitation, Umweltmedizin, ärztlich-medizini- sche Beratung in vielen gesell- schaftlichen Bereichen — vom Wohnungsbau bis zu Verkehrsfra- gen —; Mitwirkung in psychosozia- len Diensten; Betreuung von Selbsthilfegruppen; verstärktes Engagement und Verantwortung in der Arbeits- und Betriebsmedi- zin. Gerade die sozialmedizini- schen Aufgaben müßten mehr als bisher als wesentlicher Bestand- teil der ärztlichen Tätigkeit der Zu- kunft begriffen werden, wenn sie den Ärzten nicht von anderen Be- rufsgruppen aus den Händen ge- nommen werden sollen. Wenn schon Steuerungsmaßnahmen für die Zulassung neuer ärztlicher Praxen in überversorgten Berei- chen toleriert werden müßten, sollten wirksame flankierende und antizipierende Maßnahmen ergriffen werden:

> Begünstigung ärztlicher Zu- sammenschlüsse, möglicherwei- se in Verbindung mit Erschwernis- sen für die Niederlassung in der herkömmlichen Einzelpraxis. Die- ser Weg sei verfassungsrechtlich eher tolerierbar als starre Meß- zahlen.

> Gezielte Beratung über sinn- volle Praxisausstattungen mit me- dizinisch-technischen Geräten, um aus der verfügbaren kassen- ärztlichen Gesamtvergütung lang- fristig die Existenz der einzelnen Arztpraxis sicherzustellen.

I> Eine vermehrte Kooperation in Gemeinschaftspraxen gebe dem Arzt Gelegenheit, „Nebenbe- schäftigungen" in der Sozialmedi- zin nachzugehen. In einer Zeit, in der Halbtagsarbeit und Job-Sha- ring weit verbreitet seien, sollten auch für Ärzte entsprechende Voraussetzungen geschaffen wer- den. In jedem Fall sollten Gemein- schaftspraxen so gefördert wer- den, daß die Einschränkung der Zulassung überflüssig wird.

Dr. Harald Clade Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 50 vom 12. Dezember 1984 (27) 3733

Referenzen

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