Für niedergelassene Ärzte:
Pharmatherapie per EDV
D
aß der niedergelasse- ne Arzt mit der Preis- vergleichsliste in der Hand seine Medikamente verordnet, glaubt selbst die Blüm-Administration nicht.Denn Papier ist bekanntlich geduldig, besonders in Form einer ziemlich unhandlichen Druckschrift, deren Volumen nach dem Willen des Bundes- ausschusses der Ärzte und Krankenkassen sogar noch kräftig zunehmen wird, ob- gleich weniger verordnet werden soll. Das magische Dreieck von Verordnungs- aufwand, Arzneikosten und Wirksamkeit läßt sich — wenn überhaupt — offenbar nur mittels Computer lösen. Ver- nünftig programmiert und mit verläßlichen Daten aus- gestattet, weiß der „elektro- nische Assistent" einfach mehr, findet schneller und kombiniert besser. Den Be- weis lieferte jetzt in Köln die Vorstellung des „Arzneimit- telinformation„- und -verord- nungssystems AMIS".
Die Ziele, welche sich die Informatiker des Zentralin- stituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Köln, ge- stellt hatten, orientierten sich streng am Praxisalltag: Aus- wahl, Rezeptdruck und Do- kumentation im Kranken- blatt mit einem Handgriff — nur so läßt sich Akzeptanz der EDV-gestützten Arznei- verordnung in der Routine- anwendung erwarten. In der Sprache der Datenverarbei- ter nennt man dies eine effek- tive Benutzeroberfläche.
„AMIS" funktioniert in dem Punkt denkbar einfach:
Mit den Buchstaben I, W und F erschließt sich der Anwen- der die drei Suchstrategien des Systems — Indikationen, Wirkstoffgruppen und Fertig- arzneimittel. Als Antwort folgt jeweils eine übersicht- lich gegliederte Tabelle, bei- spielsweise von Wirkstoffen je Indikation oder von Arz- neimitteln je Wirkstoff. Wie es sich für moderne Bild- schirmdialoge gehört, bieten sich am Fuß jeder Darstel- lung die nächsten Schritte an.
So gelangt der Arzt bei Be- darf aus Ubersichten auf ein-
zelne Präparate mit ihrer Wirkstoffkombination, der Darreichungsform sowie der Packungsgröße. Auf der Wirkstoffebene wird ein al- ternativer Präparate-Preis- vergleich aufgrund der rech- nerisch mittleren Tages- bzw.
Einzelbehandlungskosten ge- boten. Diese Information wurde ebenso wie die Klassi- fizierung der Fertigarznei- mittel nach A (zur Behand- lung geeignet), B (nur bei ei- nem Teil der Patienten oder in besonderen Fällen geeig- net) und C (besondere Auf- merksamkeit geboten) aus der „amtlichen" Preisver- gleichsliste übernommen.
In der Routineverordnung geläufiger Medikamente zwingt „AMIS" nicht zum Durchblättern vergleichen- der Bildschirmübersichten.
Vielmehr kann der Arzt durch Direkteingabe der er- sten Buchstaben des Han- delsnamens ein „automati- siertes Rezept" erstellen und sofort ausdrucken. Je nach Programmumgebung des ver- wendeten Praxisrechners las- sen sich Wiederholungsver- ordnungen automatisch hin- zufügen. Gleichzeitig mit dem Ausdruck des Verord- nungsblattes erfolgen ohne weiteres Zutun die chronolo- gische Dokumentation in der Patientendatei sowie die Da- tenübertragung an die praxis- interne Medikamentenstati- stik.
Dem Zentralinstitut und dem fördernden Deutschen Institut für rationale Medizin ging es bei diesem Projekt nicht darum, ein wissen- schaftlich fundiertes Exper- tensystem der Pharmakologie auf die Beine zu stellen. Um- fassende Systeme scheiterten nämlich bislang selbst für the- rapeutische Teilgebiete regel- mäßig am Fehlen einer un- strittigen Informationsbasis, einer zuverlässigen Aktuali- sierung und eines notwendi- gen „ease of use" auf der EDV-organisatorischen Sei- te. Die „AMIS"-Datenbank beschränkt sich deshalb auf offizielle Daten aus der Quel- le der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV), die von der Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzte- schaft (Köln) kritisch gesich- tet und für den Alltagsge- brauch selektiert und ange- reichert werden.
Änderungsdienst über Lieferanten
In der vorgestellten Proto- typversion kann die Datenba- sis sowohl auf fachgebietsspe- zifische als auch auf praxisin- dividuelle Medikamentenka- taloge eingegrenzt werden — beispielsweise zur Einspa- rung von Speicherplatz oder zur Erleichterung der Aktua- lisierung. Den Daten-Ände- rungsdienst erhalten die Pra- xen über ihren Programmlie- feranten, der seinerseits die von der Ärzteorganisation unentgeltlich bereitgestellten Daten systemgerecht forma- tiert. Der Änderungsdienst soll zunächst halbjährlich, später monatlich erfolgen, so daß in den Praxen effektiv mit neuesten Informationen gearbeitet werden kann.
Auch in diesem Punkt ist
„AMIS" der mehr oder min- der historischen Datenlage anhand von Literatur überle- gen.
Die Vorbereitungen zum vorsichtigen Ausbau des Sy- stems laufen bereits. Das Zentralinstitut sieht eine pri- märe Aufgabe darin, den Präparaten, Wirkstoffen und Indikationsgruppen weitere Informationskategorien an- zulagern. Der therapeutische Nutzen soll durch program- mierte Hinweise auf Neben- wirkungen oder Wechselwir- kungen besser abgewogen werden können. Die Einbe- ziehung von Kontraindikatio- nen scheitert nach Aussagen des Projektleiters vorerst daran, daß Diagnosen in deutschen Arztpraxen nicht nach einheitlichen Kriterien dokumentiert sind, folglich auch nicht per Programm ab- geprüft werden können. Hin- zu kommt, daß bei komple- xeren Wirkzusammenhängen der Programmaufwand und damit die Rechenzeit expo- nentiell steigen. Dies ver- langsamt die gängigen Praxis- Computer stark oder legt sie für die übrige Praxisverwal- tung sogar lahm.
Das AMIS-Projekt ist als Prototyp angelegt, um den Anbietern von Praxisrech- nern modellhaft zu zeigen, wie mit amtlichen Daten ein brauchbares Benutzersystem realisiert werden kann Das vorgestellte Anwendungspa- ket ist von etwa 200 Arztpra- xen einsetzbar, die bislang schon eine entsprechende EDV-Konfiguration nutzten.
Da jedoch vollkommen auf Industriestandards abgestellt wurde und die Daten, die lo- gischen Abläufe sowie die technische Dokumentation jeder auf diesem Markt akti- ven Firma überlassen wer- den, steht dem breiten Ein- satz dieses Arzneimittelmo- duls prinzipiell nichts im We- ge. Dieses Projekt verdeut- licht, daß es angesichts not- wendiger Strukturreformen nicht so sehr darauf ankommt, Informationsnetze zur Nach- kontrolle ärztlichen Handelns aufzubauen, sondern „vor Ort" den notwendigen Daten- kranz so bereitzustellen, daß ein Fehlverhalten möglichst auszuschließen ist.
Erhard Geiss, Köln A-1298 (80) Dt. Ärztebl. 85, Heft 18, 5. Mai 1988