Aktuelle Medizin
Psychotherapie in der Allgemeinpraxis
unterdrückten Wut auf ihren Mann herrühren, versuchen zu lernen, ihre wahren Gefühle zuzulassen und auszusprechen, statt sie zu ver- drängen.
Immer gehen wir also vom Augen- scheinlichen aus, von dem, was wir sehen, vom Hörbaren, von dem, was uns die Stimme und Sprache vermit- telt, und wir nehmen die Sprache beim Wort, indem wir die alten bild- haften Redensarten ernstnehmen.
Vielleicht kommt der Patient zu ei- ner ganz neuen Einsicht, wenn wir ihm seine Äußerung, er habe kalte Füße, als Frage zurückgeben, wobei er denn kalte Füße gekriegt habe.
Schließlich achten wir bei unseren Patienten auf Unstimmigkeiten zwi- schen Stimme und Aussage, oder Aussage und Körperhaltung und sprechen sie an. Zum Beispiel: „Sie sagen, daß Sie sich ruhig und ent- spannt fühlen, aber Ihre unruhigen Beine sagen etwas ganz anderes."
Während wir versuchen, über diese Beobachtungen den Patienten ganz zu erfassen und im Kontakt mit ihm zu sein, versuchen wir gleichzeitig auch, uns selbst wahrzunehmen, das heißt in Beziehung zu bleiben mit dem, was mit uns selbst in der Begegnung mit diesem Patienten geschieht. Wir lassen die Bilder und die Empfindungen, die bei uns etwa aufsteigen, zu und sprechen sie dann aus, wenn sie für den thera- peutischen Prozeß förderlich schei- nen. Zum Beispiel: „Ich merke jetzt, daß meine Aufmerksamkeit schwin- det, während Sie das erzählen", oder „Ich fühle mich ganz angerührt von dem, was Sie da sagen."
Es geht hier also nicht darum, etwa eifrig und angespannt nach psychi- schen Ursachen somatischer Stö- rungen und Krankheiten zu fahnden.
Erforderlich ist vielmehr eine eher passive Haltung des Arztes. Eine Einstellung, für die Worte wie Zuge- wandtsein, Offensein, Gewahrsein (awareness) zutreffen.
So wird es möglich, daß, abgehoben von der alltäglichen Unruhe und Routine der ärztlichen Sprechstun-
de, in einem Moment der Ruhe und Besinnung, Arzt und Patient einan- der vertrauensvoll begegnen, so daß der Patient sich einer schmerzlichen Einsicht stellen kann, der er vordem ausgewichen ist,und Lösungsversu- che ins Auge fassen kann, die er vorher nicht gewagt hat.
Sich so auf den Kranken einzulas- sen, bewirkt beim Arzt den Zuge- winn eines wichtigen Erlebnisberei- ches und bedeutet auch Wachstum und Entwicklung seiner Persönlich- keit als Arzt. Für den Kranken be- deutet diese ärztliche Haltung, daß er auch in der schmerzlichen Erfah- rung von Krankheit und existentiel- ler Bedrohung seinen Arzt helfend und nahe weiß.
Literatur
(1) Koehle, K.: Psychosomatik in der Inneren Klinik — Modellversuch einer Integration, Der Kassenarzt 19 (1979) 2672-2693 — (2) Pflanz, M.: Sozialer Wandel und Krankheit, Enke-Ver- lag, Stuttgart (1962) — (3) Keller, K.: Psychoso- matik, eine Bestätigung der Allgemeinmedizin, Zeitschrift für Allgemeinmedizin 51 (1975) 14-18 — (4) Vogler, W.: Psychovegetative Stö- rungen, Zeitschrift für Allgemeinmedizin 51 (1975) 1372 — (5) Perls, F.: Grundlagen der Gestalttherapie, Verlag J. Pfeiffer, München (1976) 32-33 (6) Uexküll, Th. v.: Grundlagen der psychosomatischen Medizin, Täg. Praxis 17 (1976) 745-756 — (7) Verden-Studie: Struk- turanalyse allgemeinmedizinischer Praxen, Münch. med. Wschr. 119 (1977) 45-46 — (8) Cremerius, J.: Zur Theorie und Praxis der psy- chosomatischen Medizin, Suhrkamp Taschen- buch (1978) 274-295 — (9) Rogers, C.: Klient- zentrierte Gesprächstherapie, Band 1 u. 11. Stu- dienausgabe, Kindler Verlag (1973) (10) Pfeif- fer, W. M.: Zur Therapie und Methodik der Gesprächspsychotherapie (Klientzentrierte Therapie) nach Rogers, Tägl. Praxis 17 (1976) 513-521) — (11) Perls, F. S.: Heferline, R. F., u.
Goodman, P.: Gestalttherapy, Julian Press, repr. Dell, New York (1965)
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Eberhard Schaeffer Ringstraße 61
4763 Ense 2
FÜR SIE GELESEN
Frühdiagnose der
Virusmeningoenzephalitis durch Hirnszintigraphie
Der Nachweis der Herpes-simplex- Enzephalitis stellt ein besonderes Problem dar, da die Diagnose den direkten Virusnachweis im Hirnge- webe erfordert.
Der frühe Beginn einer wirkungsvol- len Therapie ist dringend erforder- lich, da eine irreversible Zerstörung von Hirnsubstanz innerhalb weniger Tage eintritt.
Die Empfindlichkeit der Hirnszinti- graphie und der Computertomogra- phie wurde bei 25 Patienten vergli- chen, bei denen die Diagnose auf- grund des klinischen Verlaufs, des Liquorbefundes, der EEG-Untersu- chungen und des Hirnszintigramms weitestmöglich gesichert war.
Die Computertomographie mit Kon- trastanhebung wurde innerhalb von vier Tagen nach Beginn der neurolo- gischen Symptomatik bei 23 Patien- ten durchgeführt. Im CT fanden sich keine eindeutigen Befunde, insbe- sondere keine Bereiche mit vermin- derter Dichte, Massenverschiebun- gen oder ungewöhnlicher Kontrast- verstärkung.
Technisch einwandfreie szintigra- phische Untersuchungen konnten bei 21 Patienten durchgeführt wer- den, davon waren 90 Prozent patho- logisch verändert. Bei allen Patien- ten mit Herpes-simplex-Enzephalitis fanden sich pathologische Szinti- gramme, am häufigsten war der Temporallappen betroffen.
Das Hirnszintigramm sollte daher als erste diagnostische Maßnahme bei Verdacht auf Virusmeningo- enzephalitis betrachtet werden, besonders dann, wenn eine Herpes- simplex-Enzephalitis klinisch ver- mutet wird. Mhs
Kim, E. E.; Deland, S. H.; Montebello, J.: Sensi- tivity of Radionuclide Brain Scan and Compu- er Tomography in Early Detection of Viral Me- ningeonencephalitis, Radiology 132 (1979) 425-429, Kim, E. E., M. D., Division of Nuclear Medicine, University of Kentucky, Medical Cen- ter, Lexington, KY 40506, USA
1246 Heft 19 vom 8. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT