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Zwischenfazit: Du-Realisierung im Mittelfeld schweizer- schweizer-deutscher SMS

5  Detail-Analyse 2: Du-Realisierung im Mittelfeld

5.4  Zwischenfazit: Du-Realisierung im Mittelfeld schweizer- schweizer-deutscher SMS

Die Theorie besagt, dass die Auslassung nachgestellter Pronomen im nicht-dia-lektalen Deutsch nicht möglich sei. Für das Schweizerdeutsche trifft dies aber zusammen mit einer Reihe anderer germanischen Mundarten nicht zu: Dort tritt die Mikrorealisierung nachgestellter Pronomen in verschiedenen Konstellationen (z. B. Interrogativ- oder Subordinationsstrukturen) auf. Im Schweizerdeutschen ist insbesondere das Pronomen der zweiten Person Singular betroffen, wobei diese Möglichkeit auf diachrone Entwicklungen zurückgeführt wird.

Dass das 2sg-Pronomen mikrovalenziell in die Flexionsendung des Verbs integriert wird, stellt dabei nicht nur eine Möglichkeit, sondern vielmehr den strukturellen Regelfall dar. Dies bestätigen die Daten aus dem Korpus im Rahmen einer Untersuchung der fünf Verben haben, sein, kommen, können, gehen in Interrogativstrukturen. Dabei hat sich herausgestellt, dass bei allen Verben die Mikrorealisierung den häufigeren Fall darstellt, wobei sich das Verhältnis bei den Verben können und gehen im Vergleich zu den anderen signifikant ausgegli-chener gestaltet. Dass dem so ist, konnte auf die für die Makrorealisierung ver-antwortlichen pragmatischen Ursachen zurückgeführt werden. Wenn nämlich die Mikrorealisierung den Regelfall widerspiegelt, ergibt sich daraus die Frage, welche potentiellen Auslöser für eine sowohl syntaktisch als auch semantisch unnötige Makrorealisierung verantwortlich sein können. Die weitere Analyse hat gezeigt, dass neben einer möglichen Orientierung am geschriebenen Standard

201 Offen bleibt die Frage, inwieweit die Semantik des Verbs Einfluss auf die Realisierungsbe-dingungen hat. Dazu müsste untersucht werden, ob bei anderen Verben allenfalls weitere Fakto-ren oder Bedingungen für die exzeptionelle Realisierung des du-Pronomens beobachtbar wäFakto-ren.

Allerdings erscheint dies eher unwahrscheinlich, da die oben behandelten Verben nicht nur be-sonders häufig auftreten, sondern verschiedene Kategorien, aber auch semantische Felder abde-cken (Bewegung: kommen/gehen; Existenz: sein; Besitz: haben; Modalität: können). Insofern ist anzunehmen, dass die beobachteten Tendenzen auch auf andere Verben zutreffen.

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hauptsächlich drei pragmatische Faktoren für eine nachgestellte Realisierung des du-Pronomens in Interrogativstrukturen in SMS ursächlich sind: Das ist zum einen die Emphase, die auch bei anderen Sprachen, in denen Mikrorealisie-rungen den strukturellen Normalfall bilden, als Erklärung herangezogen wird.

Eine zweite Funktion der Makrorealisierung stellt die Kontrastmarkierung dar.

Als letzte Ursache konnte schliesslich die Höflichkeitsform zur Abschwächung potentiell gesichtsbedrohender Akte eruiert werden.

Das Fazit dieser explorativen Untersuchung lautet daher: Die Makrorealisie-rung des nachgestellten du-Pronomens stellt in Interrogativstrukturen in schwei-zerdeutschen SMS die Ausnahme dar und ist, das hat die Analyse gezeigt, vorwie-gend auf pragmatische Ursachen zurückzuführen.

In den beiden bisher durchgeführten Detail-Analysen habe ich mich vorwiegend mit der Auslassbarkeit von Subjektpronomen im Vorfeld sowie exemplarisch im Mittelfeld befasst. Als weiteren Aspekt der Elliptizität in schweizerdeutschen SMS werde ich im Folgenden den Fokus auf eine andere, nicht pronominale Ellipsen-form richten: Die nachstehende Analyse ist ausgelassenen Determinativen, Prä-positionen und Verschmelzungen gewidmet. Gemeinsam ist diesen drei Katego-rien, dass sie den Kopf der jeweiligen Phrase bilden und dass es sich dabei um strukturelle Elemente mit vorwiegend grammatischer Bedeutung handelt (vgl. di Meola 2000: 32; ausführlich siehe unten). Die Auslassung solch „grammatische[r]

Konstruktionselemente“, wie sie bei Zifonun et al. (1997: 434) genannt werden, wird dabei oft mit dem sogenannten „ethnolektalen Deutsch“ in Verbindung gebracht (vgl. u. a. Dürscheid 2003a: 335), das auch für die vorliegende Unter-suchung als Bezugsrahmen dienen soll und auf dessen Merkmale daher weiter unten einzugehen ist.

Die erste Sichtung der Korpusdaten zu den Kopf-Ellipsen ergibt, dass Deter-minative und Verschmelzungen wesentlich häufiger fehlen als blosse Präpo-sitionen. Worin die Ursachen für dieses Ungleichgewicht liegen und welchen Bedingungen und Restriktionen Kopf-Ellipsen in schweizerdeutschen SMS im Allgemeinen sowie im Spezifischen unterliegen, werde ich in der nachfolgenden empirischen Analyse aufzeigen. Diese wird, soviel ist vorab festzuhalten, weniger quantitativ ausgerichtet sein als die Untersuchungen zu den Vorfeld-Ellipsen. Das ist zum einen mit der insgesamt viel geringeren Auslassungshäufigkeit zu erklä-ren, aufgrund derselben sich eine qualitative Analyse der gefundenen Ellipsen anbietet. Zum anderen liegen für die Kopf-Ellipsen keine Zahlen zu den realisier-ten Elemenrealisier-ten vor,202 weshalb dahingehend kein quantitativer Vergleich möglich ist. Als weiterer Faktor kommt hinzu, dass das Phänomen der Kopf-Ellipsen in der Forschung bislang wenig Beachtung gefunden hat. Deren Analyse erfordert daher, im Vergleich zu den subjektpronominalen VfE, auch basale Kategorisie-rungsarbeit.

Das vorliegende Kapitel ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt setze ich mich mit den theoretischen Perspektiven zum Thema auseinander, wobei zunächst eine Einordnung der Begriffe ‚Artikel‘ bzw. ‚Determinativ‘, ‚Präposition‘

202 Das liegt daran, dass das PoS-Tagging, das ich eigentlich für die Suche nach den realisierten Elementen eingeplant hatte, nicht rechtzeitig zur Verfügung stand. Da es aber ohnehin nur sehr wenige Fälle von Ellipsen gibt, wäre eine solche Darstellung vermutlich auch nicht besonders aussagekräftig gewesen.

DOI 10.1515/9783110517859-006

Theoretische Einbettung der Kopf-Ellipsen  183

und ‚Verschmelzung‘ vorgenommen wird (vgl. 6.1.1). Anschliessend ist darauf einzugehen, welche Auslassungsoptionen für diese Kategorien gemäss den Aus-sagen in der entsprechenden Forschungsliteratur jeweils bestehen (vgl. 6.1.2).

Danach folgt die empirische Auswertung der annotierten Korpusdaten (vgl. 6.2).

Zum Schluss werden die Ergebnisse zusammengefasst und ein Fazit zur Auslass-barkeit der Kopf-Ellipsen im schweizerdeutschen Subkorpus gezogen (vgl. 6.3).