• Keine Ergebnisse gefunden

Diskussion und Modellierungsvorschlag

4.2  Vorfeld-Ellipsen: Empirische Befunde im Korpus

4.2.2  Objekt-Ellipsen

4.2.3.7  Diskussion und Modellierungsvorschlag

Offenbar, das haben die Analysen gezeigt, eignet sich eine klassisch-dichotome Kategorisierung der beiden es-Nichtrealisierungsformen Personalpronomen und Expletiva aufgrund der bisweilen schwer rekonstruierbaren Phorik derselben nur bedingt.171 Ergänzend dazu versuche ich im Folgenden in Anlehnung an Admonis Forderung, das es-System nicht als linear dichotom Kategorisierung zu erfassen, wie in Abbildung 20, sondern vielmehr „[…] in der Form eines Vielecks, in dem die Ecken (= GW) [Gebrauchsweisen, KF] miteinander sowohl durch Kanten als auch durch mehrere Sekanten verbunden sind, die die gemeinsamen Merkmale der GW bezeichnen.“ (Admoni 1976: 222). Abbildung 24 (unten) erfasst diesen Vorschlag.

Das Modell zeigt kein ‚Vieleck‘, wie Admoni es vorgeschlagen hat, sondern eine Raute. An deren linken äusseren Spitze befindet sich das Merkmal ‚objekt im Ko-Text‘, am gegenüberliegenden Ende liegt das Merkmal ‚kein Bezugs-objekt‘. Diese beiden Merkmale bilden die Endpunkte einer sich auf das Vorhan-densein eines Bezugsobjekt beziehenden Skala172 – und nicht etwa dichotome Fixpunkte. Innerhalb der Raute ist am linken Skalenende das Korrelat-es angesie-delt, da dieses als strukturell phorisches Element auf ein Bezugsobjekt innerhalb des gleichen Satzes verweist, also im unmittelbaren Ko-Text. Am rechten Ende der Skala befindet sich das Platzhalter-es, das keine Verweiskraft besitzt. Die Skala weist ausserdem Zwischenstufen auf: Eine solche stellt etwa die obere Spitze der Raute dar, die mehr oder weniger bekannte173 Bezugsobjekte im Kontext erfasst.

171 An dieser Stelle ist zu betonen, dass auch eine andere Klassifizierung der jeweiligen Formen zu dem generellen Ergebnis geführt hätte, dass die Nichtrealisierung verschiedener es-Kategorien deren Realisierung eindeutig überwiegt.

172 Admoni (vgl. 1976: 223) ordnet seine 12 Gebrauchsweisen von es ebenfalls skalar an, wobei der eine Pol die Gebrauchsweise mit und der andere diejenige ohne semantischem Gehalt bein-haltet.

173 Der Begriff ‚bekannt‘ ist hier deshalb in Klammern, weil, wie die obigen Ausführungen ge-zeigt haben, das kontextuelle Bezugsobjekt zwar bekannt sein kann, dies aber nicht muss (dies

Vorfeld-Ellipsen: Empirische Befunde im Korpus  155

Abbildung 24: Modellierungsvorschlag für nichtrealisierte Vorfeld-es-Formen im Kontext informeller Schriftlichkeit dialektaler SMS

Die Kante zwischen der linken und der oberen Spitze ist mit ‚phorisch‘ bezeichnet und umfasst damit diejenigen Vorkommen von es, die auf einen Bezugsausdruck verweisen. Ihr gegenüber liegt die ‚nicht-phorische Kante‘. Da aber eben keine dichotome Unterscheidung zwischen phorisch und nicht-phorisch angenommen wird, sind die beiden Kanten mit gestrichelten Pfeilen verbunden, die signalisie-ren sollen, dass dazwischen eine flexible Anordnung der einzelnen es-Formen möglich ist. Davon sind insbesondere das expletive es und das Personalprono-men betroffen, deren variable Anordnung innerhalb des Rautenraums zusätzlich durch die gestrichelten Pfeile signalisiert wird.174 In der Mitte befinden sich die es-losen Expletiva, die, wie oben ausgeführt, in Bezug auf die Phorik eine Zwi-schenposition innerhalb des Kontinuums von Expletiva und Personalpronomen

ist insbesondere bei den Personalpronomen sowie den expletiven es-Formen der Fall). Ein be-kanntes Bezugsobjekt verstärkt dabei natürlich die Phorik, ist also auf der Skala weiter links anzusetzen.

174 Diese Möglichkeit zur flexiblen Anordnung ist beim Personalpronomen auch in Bezug auf die phorische Kante möglich. Die Beispiele aus dem Korpus haben gezeigt, dass das Personalpro-nomen es sowohl mit Bezugselement im Ko-Text, aber auch mit mehr oder weniger bekannten Bezugsobjekt im Kontext auftreten kann.

einnehmen. Die Darstellung erfasst damit insbesondere die anhand der Korpus-auswertung festgestellte Tatsache, dass die Einordung gerade von nichtreali-sierten es-Formen – aber durchaus auch von ihren realinichtreali-sierten Pendants – nicht immer innerhalb undurchlässiger Kategoriengrenzen möglich ist. Dass aber eine solche eindeutige Zuordnung auch gar nicht immer nötig ist, sondern eine fle-xible Anordnung innerhalb eines dennoch klar umrissenen Raumes fruchtbrin-gender sein kann, ist zum einen den Daten selbst zu entnehmen und entspricht damit andererseits Admonis (vgl. 1976: 226) Forderung nach einer angemessenen Erfassung grammatischer Erscheinungen im Rahmen ihrer realen Existenz.

In Bezug auf die verschiedenen es-Formen bleibt festzuhalten, dass auf der Folie der dialektalen, privat-informellen und durch Kürze und Geschwindigkeit geprägten Schriftlichkeit, die in den SMS im Korpus vorliegen, die Realisierung von es-Formen obsolet bzw. ihre Nichtrealisierung zur Normalität geworden ist.

Dies ist ihrer einfachen Rekonstruierbarkeit ebenso geschuldet wie ihrer Unbe-tontheit sowie ihrer teilweisen semantischen oder syntaktischen Leere. Es führt im Weiteren schliesslich auch dazu, dass eine eindeutige Kategorienzuordnung weder immer möglich noch immer notwendig ist.

Abschliessend seien noch einige relativierende Anmerkungen angeführt. In Fussnote 144 habe ich darauf hingewiesen, dass realisierte das-Formen nicht in die Auszählung mit eingeflossen sind. Dies habe ich in Anlehnung an Czicza (vgl.

2014: 21) damit begründet, dass die das-Formen als deiktisch betonbare Elemente verstanden werden, während in der hier durchgeführten Analyse die (nicht)-pho-rischen es-Formen im Fokus standen. Man könnte hier einwenden, dass bei den nichtrealisierten Formen nicht immer eindeutig entscheidbar ist, ob das ausge-lassene Element phorisch oder deiktisch ist.175 Dies mag in Einzelfällen durch-aus zutreffend sein, würde aber die präsentierten Zahlen, die im Hinblick auf das (Nicht)Realisierungsverhältnis sehr eindeutige Ergebnisse gezeitigt haben, nicht wesentlich beeinflussen. Die Vermutung, dass die nichtrealisierten Elemente vor-wiegend es-Formen sind, ist zudem aus verschiedenen Gründen sinnvoll: Da es sich dabei um unbetonte und unbetonbare Elemente handelt, liegt die Annahme ausgelassener es-Formen näher als diejenige nichtrealisierter das-Lexeme, die ja in der Regel das betonte Pendant zu den es darstellen (vgl. Duden 2009: 1105).

Im Weiteren konnte oben gezeigt werden, dass die Auslassbarkeit der es-Formen wesentlich auf ihrer einfachen Rekonstruierbarkeit beruht, die ihrerseits damit zusammenhängt, dass das es als Vorfeld-Element in bestimmten

Konstellatio-175 Entsprechend gehen beispielsweise Androutsopoulos/Schmidt (2002) anders vor und fas-sen es- und das-Auslassungen zusammen.

Zwischenfazit: Vorfeld-Ellipsen in schweizerdeutschen SMS   157

nen sowohl regelhaft (z. B. bei Witterungsverben) als auch teilweise formelhaft (z. B. in es-losen Expletiva) auftritt – bzw. im hier untersuchten Fall eben nicht auftritt.

4.3  Zwischenfazit: Vorfeld-Ellipsen in schweizerdeutschen