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Die dritte Person Singular: sinkende Akzeptabilität

4.2  Vorfeld-Ellipsen: Empirische Befunde im Korpus

4.2.1.5  Die dritte Person Singular: sinkende Akzeptabilität

Bei der dritten Person Singular schliesslich ändert sich das Verhältnis zwischen Realisierung und Auslassung erstmals deutlich. Wie Abbildung 8 zeigt, stehen 229 realisierte 158 elliptischen Subjektpronomen gegenüber. Bei der 3sg sind demnach deutlich mehr realisierte als elliptische Subjektpronomen zu verzeich-nen. Im Vergleich zur ersten und zweiten Singularperson scheint also die Tilgung des Subjektpronomens der dritten Person mit gewissen Restriktionen verbunden zu sein – darauf wird auch in der weiter oben zitierten Literatur immer wieder verwiesen, in der die Auslassung des 3sg-Subjektpronomens nur bei vorangehen-dem Antezedens als möglich erachtet wird (vgl. Haegeman 2007; Auer 1993). Ob dies auch für die ausgewerteten schweizerdeutschen SMS-Daten zutrifft, wird weiter unten zu klären sein; zunächst folgen in Anlehnung an die Darstellungen zur ersten und zweiten Person Singular einige Beispiele mit realisierten und ellip-tischen 3sg-Subjektpronomen (30)–(35):

(30) Jö!ja er isch lieb,gaaanz harmlos,nöd meh.[…] (9349)

‚Jö!ja er ist lieb,ganz harmlos,nicht mehr.‘

(31) En chline Floh seit eifach so Dir schnäll hallo:-) Ø Wünscht en guete Tag und git uf Dich acht, daß Dich niemer hässig macht..;-) Lg (2291)

‚Ein kleiner Floh sagt einfach so Dir schnell hallo:-) Wünscht einen guten Tag und gibt auf Dich acht, dass Dich niemand wütend macht..;-) Liebe grüsse‘

(32) […] hare hed xaid ich söd do shriibä hehe..sie hed ebe kai cash meh:s […] (9128)

‚hare hat gesagt ich soll da schreiben hehe..sie hat eben keinen cash mehr:s‘

(33) Ja die blond, chli, dick, quadratisch carine… :-D Ø Hett en meeeega Nacke, langi blondi Haar und auge wie en bluethund :-D […] (7002)

‚Ja die blonde, kleine, dicke, quadratische carine… :-D Hat einen mega Nacken, lange blonde Haare und augen wie ein bluthund :-D‘

(34) […] Ich han übrigens usegfunde, was mit oisem Ässe los isch! Es isch abgseh vo es paar Usnahme veganisch… […] (2884)

‚Ich habe übrigens herausgefunden, was mit unserem Essen los ist! Es ist abgesehen von ein paar Ausnahmen veganisch…‘

(35) Ihr hend au MIS mitleid. Ø chunt vo herze :-D […] (7764)

‚Ihr habt auch MEIN mitleid. kommt von herzen :-D‘

Der Blick auf die ausgewählten Beispiele bestätigt in der Tat die Forderung nach einem vorangehenden Antezedens zur Lizensierung der subjektpronominalen 3sg-Ellipse. In allen drei Beispielen ohne Subjektpronomen (31), (33), (35) lässt sich ein anaphorischer Bezug auf eine vorangehende NP feststellen. In (31) ist das beispielsweise der vorausgehend erwähnte Floh, in (33) wird die beschriebene Person mit Namen genannt (Carine) und in (35) schliesslich geht das Bezugsno-men (Mitleid) der pronominalen es-Ellipse unmittelbar voraus.

Die weitere Auszählung der Korpusdaten bestätigt diesen Befund: In den ins-gesamt 158 Ellipsenvorkommen lässt sich für 107 im unmittelbaren Kontext der

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SMS eine Koreferenz120 identifizieren; bei nur 51 SMS ist dies nicht der Fall. Die nachfolgenden Beispiele zeigen solche Fälle:

(36) Ø Het selber kind und isch ghürote. (6760)

‚Hat selber kinder und ist verheiratet.‘

(37) eit. Ø isch haut dr bescht u dr schönscht.[…] (4337)

‚?. ist halt der beste und der schönste.‘

(38) erstfeld ab 19.33 gl.2, arth-goldau ab 20.13h gl. 4 Ø hät aber verspötig öpe 12-16 min.

[…] (3549)

‚erstfeld ab 19.33 gleis 2, arth-goldau ab 20.13h gleis 4 hat aber verspätung etwa 12-16 minuten‘

(39) Bini blond ;-)! Ø Wird nöd viel größer! Aber gseh hanen sicher scho (3016)

‚Bin ich blond ;-)! Wird nicht viel grösser! Aber gesehen habe ich ihn sicher schon‘

Dabei muss in Bezug auf die SMS-Daten jedoch einschränkend festgehalten werden, dass immer nur einzelne SMS verfüg- und einsehbar sind. Das heisst, dass der vorangehende dialogische Kontext (und ein solcher ist für viele Nach-richten wahrscheinlich) nicht rekonstruierbar ist. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass bei einem nicht im unmittelbaren Kontext der Einzel-SMS auffind-baren Antezedens dieses in einer vorangegangenen Nachricht zu finden ist. Das kann aber aufgrund der Korpuszusammenstellung nicht mit abschliessender Sicherheit bestätigt werden.

Eine zentrale Ursache für die restringierte Auslassung der dritten Person liegt darin, dass sie mit drei Genera besetzt werden kann, während diese bei der Rekonstruktion der anderen getilgten grammatischen Personen keine Rolle spielen – ich bleibt immer ich, ob nun eine weibliche oder ein männlicher Schrei-ber_in über sich schreibt.121 Zwar ist auch bei der 3sg die Verbalflexion eindeutig ausgeprägt, sie sagt aber nichts über das grammatische Geschlecht des Subjekt-pronomens aus. Diesen Umstand zeigen die Beispiele (36)–(37) auf: Ohne Kennt-nis des vorausgehenden kommunikativen Kontextes kann nur darüber spekuliert werden, wie die entsprechende Leerstelle zu füllen wäre, während dies bei den ersten beiden Singular-Personen aufgrund der durch die kontextuelle Verfüg-barkeit rekonstruierbaren Rollenverteilung und der Genus-Unabhängigkeit ein-wandfrei möglich ist. In (36) ist beispielsweise unklar, welches grammatische Geschlecht das potentiell einzusetzende Subjektpronomen tragen würde, da sich

120 Diese muss sich nicht zwangsläufig auf eine Person beziehen, sondern kann – insbesondere beim es-Pronomen – auch abstraktere Grössen bezeichnen (vgl. dazu ausführlich Czicza 2014:

54–56 sowie die Ausführungen zu den verschiedenen es-Formen im Vorfeld unter 4.2.3).

121 Eisenberg (2013: 171) schreibt dazu: „Wenn klar ist, wer mit ich und du gemeint wird, wird das Genus überflüssig.“ [Hervorhebungen im Original, KF]

dies nicht an der Flexionsendung des Verbs ablesen lässt. In (37) hingegen ist aufgrund der maskulinen Prädikativform (der Beste, der Schönste) klar, dass hier ein er-Pronomen fehlt. Bei den anderen beiden Beispielen (38) und (39) erlaubt der Ko-Text zumindest vage Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Pronomens.

In (38) etwa ist unter Einzug von aussersprachlichen Weltwissensbeständen (vgl. Klein 1993: 765) klar, dass sich das fehlende Pronomen wohl auf einen Zug bezieht. Die Vorfeld-Leerstelle in Beispiel (39) hingegen könnte zunächst einmal durch Subjektpronomen aller Genera gefüllt werden. Die Schreiberin könnte sich hier ebenso gut auf jemanden auf einem Foto, das sich nicht vergrössern lässt, wie auch auf einen Hund, der aufgrund seiner Rassemerkmale nicht mehr wachsen wird, beziehen.

Dieses letzte Beispiel zeugt von der Schwierigkeit, die mit der Auslassung von 3sg-Pronomen einhergeht. Ohne die Kenntnis des gesamten Kontextes berei-tet die exakte lexikalische Rekonstruktion des getilgten Subjektpronomens Pro-bleme; klar zu bestimmen ist lediglich die grammatische Person, nicht jedoch ihr Genus. Aus diesem Grund ist die Auslassung der dritten Person Singular nur dann ohne weiteres möglich, wenn sich im unmittelbaren situativen oder textuel-len Kontext eine Referenz ausmachen lässt (siehe dazu Tabelle 10 weiter unten).

Eine Auslassung ohne Antezedens ist zwar grundsätzlich auch möglich, wirkt aber stark markiert. Aufgrund der bisherigen Befunde, die von den ersten beiden Singular-Personen deutlich abweichen, wäre zu diskutieren, ob im Fall der dritten Person Singular der Terminus ‚Ellipse‘ dem für die ersten beiden Singular-Personen festgelegten Begriff der ‚Nichtrealisierung‘ vorzuziehen ist, da hier die Auslassung ganz offensichtlich stärker mit syntaktischer Unvollständigkeit asso-ziiert wird (vgl. dazu die terminologische Diskussion weiter unten). Dies schlägt sich insofern nieder, als stärkere Restriktionen gelten und keine freie Variation möglich ist.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Kategorie des Folgeverbs als potenti-ell auslösender Faktor für 3sg-Tilgungen. Abbildung 11 zeigt, dass im Vergleich zu den ersten beiden Singular-Personen verhältnismässig selten vor Modalverben ausgelassen wird, aber auch, dass Modalverben nach der dritten Person Singular überhaupt sehr selten gebraucht werden: insgesamt nur 15-mal. Hier offenbart sich ein Unterschied zu den beiden oben behandelten Singular-Personen, die jeweils eine verhältnismässig hohe Anzahl an (Nicht)Realisierungen vor Modal-verben aufweisen. Dieser Befund ist damit zu begründen, dass die 1sg und die 3sg bei den Modalverben identische Flexionsformen aufweisen (siehe oben). Durch die Verwechslungsgefahr mit der ersten Person Singular ist die Auslassung vor Modalverben deshalb geblockt bzw. nur ausnahmsweise möglich. Die statistische Signifikanzauswertung mithilfe des Chi-Quadrat-Tests ergibt derweil, dass sich sowohl die Vollverben (p-value = 0.007811) als auch die Kopulaverben (p-value

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= 0.001147) signifikant anders verhalten als die bei der 3sg feststellbare, auf die Verbarten bezogene Grundtendenz: Während bei den Vollverben (ebenso wie bei den Modalverben) die realisierten Subjektpronomen jeweils deutlich überwie-gen, gestaltet sich das Verhältnis zwischen realisierten und elliptischen Subjekt-pronomen bei den Kopulaverben genau umgekehrt: Hier überwiegt die Anzahl elliptischer 3sg-Pronomen knapp. Dies lässt den Schluss zu, dass die Auslass-barkeit der 3sg vor Kopulaverben akzeptabler ist als vor den anderen Verbkate-gorien – oder mit anderen Worten: Vor Kopulaverben können Subjektpronomen der dritten Person Singular leichter bzw. eher ausfallen als vor anderen Verben.

Fasst man nun die Ergebnisse zur 3sg in der Kreuztabelle zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

Tabelle 10: Realisierungsbedingungen für die 3sg im Vorfeld in formellen vs. informellen Kontexten

3sg formell informell

Realisierung unmarkiert unmarkiert

Ellipse markiert markiert

mit Koreferent möglich

Zu Tabelle 10 ist anzumerken, dass die Auslassung der 3sg auch mit einem Ante-zedens nicht im gleichen Masse unmarkiert ist, wie dies bei den ersten beiden Singular-Personen der Fall ist (deshalb ist hier auch der Terminus ‚möglich‘

gewählt worden). Dies liegt zum einen daran, dass eben überhaupt eine Refe-renz erforderlich ist, während dies bei der 1sg und 2sg aufgrund deren einfacher Identifizierbarkeit nicht notwendig ist. Zum anderen sind Auslassungen auch bei Vorhandensein der Referenz deutlich seltener als bei den ich- und du-Subjektpro-nomen und wirken allein schon deshalb stärker markiert. Dennoch ist abschlies-send festzuhalten: Die Auslassung von 3sg-Subjektpronomen im Vorfeld kommt grundsätzlich vor. Androutsopoulos/Schmidt (vgl. 2002: 68) stellen in ihrer Studie fest, dass abgesehen von der 1sg/2sg sowie der Auslassung von es/das die übrigen Pronomen viel zu selten auftreten würden, als dass gültige Aussa-gen dazu möglich wären. Das ist bei der vorlieAussa-genden Studie anders, was einer-seits auf die Unterschiede in der Korpuszusammenstellung zurückzuführen sein

mag,122 andererseits aber möglicherweise auch damit zu tun hat, dass sich bei der 3sg eine steigende Auslassungstendenz abzeichnet. Diese liesse sich vermutlich durch Analogiestrategien seitens der Nutzer_innen erklären, die die häufige und z. T. fast schon regelhafte Auslassung der ersten beiden Singular-Personen auf die 3sg übertragen.