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4.1  Theoretische Einbettung der Vorfeld-Ellipsen

4.1.2  Auslassungsoptionen im Vorfeld

4.1.2.3  VfE: Es-Formen

Im folgenden Abschnitt möchte ich nun einige generelle Überlegungen zu den verschiedenen es-Formen und deren Auslassbarkeit darlegen (ausführlicher dazu vgl. Kapitel 4.2.3). In der oben zitierten Studie von Androutsopoulos/Schmidt (2002) ist bereits zur Sprache gekommen, dass die Auslassung von das/es mit zu den häufigsten gehört, allerdings wird dort nicht spezifiziert, um welche spezifi-sche Variante von das oder es es sich dabei handelt. Bei Auer (1993) hingegen ist davon auszugehen, dass er zwar verschiedene Kategorien von es berücksichtigt, diese aber nicht explizit unterscheidet,94 sondern sie gesamthaft unter den Ter-minus ‚Expletiva‘ fasst. Er definiert diese expletiven es/das-Formen darüber, dass ihr Auftreten durch syntaktische oder lexikalische Faktoren bedingt sei, und dass sie in keiner Kohäsionsbeziehung zum Vortext stünden. Werden solche Elemente ausgelassen, so spricht Auer (vgl. ebd.: 195 f.) von eigentlicher Verbspitzenstel-lung, der er – wie oben angedeutet – keine Ellipseninterpretation zuspricht. Er kommt auf dieser Basis zu folgendem Schluss:

In diesem ersten strukturell zu identifizierenden Fall von Verbspitzenstellung unter-scheidet sich das Gesprochene vom Geschriebenen Deutsch also dadurch, dass es auf die semanto-pragmatisch weitgehend überflüssige Vorfeldbesetzung mit einem Platzhalter-element („dummy“) verzichtet. Statt eine solche Struktur einzufügen, bleibt die Position X leer. (ebd.: 197)

Auer geht hier also von einer Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschrie-benem Deutsch hinsichtlich der Möglichkeit aus, die von ihm als „Platzhalter“- oder „dummy“-Element bezeichnete Konstituente auszulassen. Dass diese auch in der geschriebenen Sprache oftmals fehlen kann, zeigt die später folgende Analyse, für die in zweierlei Hinsicht ein anderer Weg gewählt worden ist als bei Auer: Zum einen werden alle ausgelassenen es-Elemente insofern als elliptisch interpretiert, als die in der Arbeitsdefinition genannte Bedingung der Rekon stru-ierbarkeit gegeben ist. Zum anderen werden die es-Formen unterschieden und in insgesamt vier verschiedene Kategorien unterteilt; allerdings ist, wie noch zu zeigen sein wird, die genaue Zuordnung zur jeweiligen es-Kategorie in manchen

94 Das zeigt sich anhand der von Auer (vgl. 1993: 196) gewählten Beispiele, die impersonale Konstruktionen (es gibt, es regnet), aber auch Korrelat-Verwendungen (es ist gut, dass…) umfas-sen.

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Fällen problematisch bzw. mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Die Unter-scheidung der es-Formen ist für die nachfolgende Analyse und auch für die Aus-lassbarkeitsbedingungen der einzelnen Kategorien von zentraler Bedeutung, weshalb die vier bei der Annotation berücksichtigten es-Kategorien im Einzelnen erläutert und auf ihre (theoretische) Auslassbarkeit hin überprüft werden. Da die Darstellung der verwendeten Kategorien an dieser Stelle allerdings zu weit vom Thema wegführen würde, erfolgt sie direkt im dazugehörigen Analysekapitel (vgl.

4.2.3).

4.1.2.4  Zusammenfassung

Die kurze Skizzierung verschiedener ausgewählter Studien zum Phänomen der Vorfeld-Ellipse hat gezeigt, dass es zwar viele Überschneidungspunkte, aber teil-weise auch abweichende Befunde gibt. Die gemeinsame Orientierung im (situati-ven, textuellen) Kontext spielt offenbar für die Nichtrealisierbarkeit der Vorfeld-elemente eine zentrale Rolle, da sie die Rekonstruier- bzw. die Identifizierbarkeit des ausgelassenen Vorfeld-Elements gewährleistet.95 Diese ist jedoch je nach Ellipsenform unterschiedlich stark gegeben: Während bei den Subjektpronomen der ersten beiden Singular-Personen und den (pronominalen) Objekten mehr oder weniger Einigkeit darüber herrscht, dass ihre Auslassung unproblematisch ist, unterliegen insbesondere die dritte Person Singular, die Plural-Personen sowie die es-Formen unterschiedlich starken Restriktionen, was ihre Auslassbar-keit im Vorfeld anbelangt.

Man könnte aufgrund dieser theoretisch und empirisch fundierten Erkennt-nisse zunächst davon ausgehen, dass mit einer einfacher Identifizierbarkeit auch eine häufigere Auslassung einhergeht. Diese Hypothese trifft sicher in weiten Teilen zu, gerade was die erste Person Singular betrifft, allerdings stösst sie bei-spielsweise bei den es-Formen an ihre Grenzen: So sind im schweizerdeutschen Korpus weit mehr es-Formen – zunächst einmal unabhängig von ihrer konkre-ten Kategorisierung – ausgelassen als du-Pronomen (vgl. dazu die Übersicht in Kapitel 3.3).

Bevor die Resultate aus der Korpusannotation präsentiert und analysiert werden, möchte ich noch kurz auf einen problematischen Aspekt des Korpus

ein-95 Die Kommunikationsteilnehmenden müssen sich also der kontextuellen Rahmenbedingun-gen bewusst sein. Für die SMS-Kommunikation bedeutet das ganz konkret, dass die Empfän-ger_innen die Absender_innen aufgrund der (vermutlich) gespeicherten Telefonnummer identi-fizieren können (vgl. Günthner 2011: 14): „If the sender’s phone number is stored in the receiver’s phone book, the sender’s name will appear above the message on the screen, so it is clear, who sent the message.“ (Hård af Segerstad 2005: 328).

gehen. Oben ist darauf hingewiesen worden, wie zentral die gemeinsame Orien-tierung im Kommunikationskontext ist. Dies gilt in der Mehrheit der Fälle über die einzelne Äusserung hinweg oder um es mit Imo (2014: 172) konkreter auszu-drücken:

Only if the larger dialogical setting and workings of language are taken into account is it possible to explain why certain types of ellipses can be used in certain contexts and how it is possible that interactants can understand these ellipses.

Für das SMS-Korpus gestaltet sich die Situation jedoch so, dass kein Zugriff auf dieses dialogische Setting möglich ist, weil immer nur einzelne SMS vorliegen.

Für die nachfolgenden Untersuchungen bedeutet das, dass der Kontext, an dem die Kommunikationsteilnehmenden sich orientieren, nicht vollumfänglich rekonstruiert werden kann. Dies ist in manchen Fällen insofern problematisch, als die Auslassung oftmals erst durch die Beziehung bzw. den anaphorischen Verweis auf den vorausgehenden Text (dieser umfasst auch allfällige zuvor gesendete SMS) überhaupt erst lizensiert wird. Aufgrund dieser Sachlage kann beispielsweise nicht immer überprüft werden, ob bei der 3sg das in der Theorie geforderte Antezedens vorhanden ist oder nicht. Zudem ist es nicht möglich, Aussagen darüber zu treffen, ob bzw. inwiefern bestimmte Auslassungsformen zu Verständnisproblemen führen (können), da die Reaktion darauf verborgen bleibt. Es ist daher bei der nachfolgenden Analyse stets ins Bewusstsein zu rufen, dass kein Rückgriff auf den über die Einzelnachricht hinausgehenden Kontext möglich ist.

Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Auslassung von Vorfeld-Elementen keineswegs willkürlich vor sich geht – oder wie Reich (2011: 1849) es ausdrückt: „The way we drop (supposedly) redundant information, however, is by no means arbitrary; it is systematically guided by syntactic, semantic, prag-matic and other factors.” Welche Faktoren das sind und welchen Regularitäten und Beschränkungen die Nichtrealisierung von Subjektpronomen und anderen Vorfeld-Konstituenten in der schweizerdeutschen SMS-Kommunikation unter-liegt, soll nun die nachfolgende empirische Korpusanalyse offenlegen.

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