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10. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

10.4 Fallübergreifende Analyse

10.4.5 Zuschreibungen und Stereotype

In den ersten beiden Interviews ist Leistung hingegen nicht explizit Thema, wobei Interviewpartnerin 2 an einem Punkt darauf hinweist, dass Netzwerke prinzipiell wichtiger sind als Leistung, wenn es um den beruflichen Aufstieg geht. Vor allem in Interview 1 ist auffallend, dass die eigene Leistung, die im Laufe des beruflichen Werdegangs erbracht wurde, nicht als solche wahrgenommen und gesehen wird. Es ist oft die Rede davon, dass sie Glück hatte, sie eigentlich nie etwas angestrebt hat sondern ihr die Angebote und Möglichkeiten mehr oder minder immer zugeflogen sind. Gleichzeitig wird beim Lesen der Biographie deutlich, dass die Gesprächspartnerin im Laufe ihres Lebens viel gesehen, viel Erfahrungen gesammelt und vieles geleistet hat. Auch wenn sie oft Stellenangebote durch direkte Förderung bekommen hat, ist es schwer vorstellbar, dass sie ohne Grund gefragt wurde, sondern Potential in ihr gesehen und gefördert wurde, dessen sie sich selber nur nicht bewusst gewesen sein dürfte.

10.4.5 Zuschreibungen und Stereotype

In diesem Kapitel soll es nun sowohl um bewusste als auch unbewusste Zuschreibungen oder Stereotype für „männliches― und „weibliches― Verhalten gehen. Unter bewussten Zuschreibungen werden jene Aussagen verstanden, welche von den Interviewpartnerinnen explizit einem Geschlecht zugeordnet wurden. Unter anderem wurde diesbezüglich in dem Interview auch konkret die Frage gestellt, was die Frauen mit dem Begriff „acting like a man― in Bezug auf Führungspositionen verbinden. Durch die Frage nach der Einschätzung, was eine gute Führungskraft ausmacht, wurde versucht eher unterbewusste Zuschreibungen zu erkennen. Dies war auf Grund der hohen Selbstreflexion meiner Interviewpartnerinnen nicht so erfolgreich wie erhofft, da auch hier meist „typisch männliche―, „typisch weibliche― Zuschreibungen im eigenen Erzählen erkannt und angesprochen wurden.

In Interview 1 lassen sich viele interessante Inhalte finden, die auch Interpretationsspielraum für unbewusste Zuschreibungen zulassen. Prinzipiell wurde bereits erwähnt, dass sie immer wieder davon spricht, Glück gehabt zu haben oder unverhofft zu einer Leitungsstelle gekommen zu sein, ohne dass sie großartig was dafür tun musste. Gleichzeitig ergibt sich von außen als Gesprächspartnerin ein ganz anderes Bild. Ihrer Geschichte folgend, hat sie in ihrer Karriere viel geleistet und viel Erfahrung gesammelt und sich immer wieder sehr bewusst mit ihrer Rolle auseinandergesetzt.

Gleichzeitig wirkt es, als ob sie ihren eigenen Beitrag und ihre Leistung nicht wirklich wahrgenommen hat.

Und in dieser Zeit nach acht Jahren hat dann der Leiter, nicht der, dann sondern ein anderer hat gsagt, er hat ein Jobangebot in der Zentrale und ich soll ihn doch, seine ständige Stellvertreterin werden und da war ich dann wie vom Donner gerührt, weil ich nie in meinem Leben daran gedacht hätte irgendeine Leitungsfunktion jemals anzunehmen, auch nicht als Stellvertreterin. Also es war für mich völlig ähm überraschend, dass er das sozusagen irgendwie in mir gesehen hat, oder ich da gefragt wurde und das war für mich ganz überraschend. Was vielleicht typisch ist für Frauen (Interview 1: 164 - 172).

Bedeutend ist hier, wie auch in anderen Passagen, dass sie im Nachhinein in der Reflexion der damaligen Situation, ihr eigenes Tun und Fühlen als „vielleicht typisch für Frauen―

einschätzt. Im Zuge des Jobangebotes spricht sie davon, dass sie sich das selber eigentlich nicht zutraut und den Job mehr oder weniger nur aus Loyalität zu ihrem Vorgesetzten annimmt.

Und dann hab ich mir gedacht, puh das trau ich mir eigentlich nicht zu, aber ich möchte auch nicht, dass das irgendwer anderer macht, mit dem [sic!] ich vielleicht nicht kann. Und hab mir gedacht, na gut. Und hab mir auch irgendwie nicht zu dem Leiter, der gsagt hat: na, du kannst das sicher, mach das, da hab ich so eine Loyalität gehabt, dass ich mir gedacht hab, na ich will den auch nicht enttäuschen (ebd.: 181 - 187).

Hier wird deutlich, dass sie die Entscheidung nicht aus der eigenen Überzeugung heraus trifft, sondern um nach außen nicht zu enttäuschen. Zu einem späteren Zeitpunkt erzählt sie auch von einem Punkt in ihrer Laufbahn, wo ein anderes Stellenangebot auf höherer Leitungseben frei wurde und sie sich zunächst nicht bewerben wollte, weil sie nicht wusste ob ihr diese Position liegt und ob sie dafür geeignet ist, woraufhin sie für die Entscheidungshilfe zu einem Coach ging.

Und das war auch so etwas typisches, dass man sich da als Frau sehr unterschätzt.

[...] Und ich habe mir das irgendwie, habe ich mir gedacht, das darf ich gar nicht und der [Coach, Anm. d. Verf.] hat das ganz anders gesehen. Der hat sich gedacht: na Sie

sind ja jetzt seit 20 Jahren Sozialarbeiterin, Sie waren da jetzt weg, aber Sie haben viele Erfahrungen und Sie können sich ja Dinge wieder aneignen und ich verstehe nicht, warum Sie mir erzählen, warum das alles nicht geht. Also es war wirklich - und das glaube ich ist typisch weiblich - es waren eigentlich immer Männer, fällt mir jetzt auf, die zu mir gesagt haben: willst du das nicht machen? Oder: du könntest doch des machen. Also das ist interessant, ja. Weil die das nicht so eng gesehen haben wie ich, was mir da jetzt / also die haben da in mir scheinbar irgendwelche Fähigkeiten gesehen, die ich nicht gesehen habe oder zumindest geglaubt habe, dass das zu wenige sind und das war schon sehr bestimmend. Das Thema ist schon sehr sehr interessant. (lacht) Ist spannend, ja (ebd.: 527 - 544).

Sie spricht hier sehr konkret an, dass diese Selbstzweifel, diese Gedanken wie „ich darf das gar nicht― durchaus etwas sehr Weibliches sind. Gleichzeitig betont sie in diesem Zusammenhang die Bedeutung dessen, dass es durchgehend Männer waren, die sie gefördert und ermutigt haben. Sie erwähnt auch explizit, dass es von großer Wichtigkeit war, dass der Coach ein Mann war.

Und er [der Coach, Anm. d. Verf.] hat gesagt: Sie erzählen mir nur Dinge, die dagegen sprechen. Wenn Sie den Job machen wollen, dann müssen Sie fokussieren auf das, was dafür spricht! Und Sie müssen das auch nach außen so vertreten, weil wenn Sie überall herumerzählen: ja ich würde das gerne machen, aber eigentlich bin ich nicht geeignet. Und das kann ich nicht und das und das, dann wird das nichts.

Das war für mich ganz wichtig, diese Rückmeldung. Ganz ganz wichtig. Und ich weiß nicht, ob mir eine Frau das so gegeben hätte, diese Rückmeldung. Weil dann, das war für mich wirklich so, dass ich mir gedacht habe: eigentlich interessiert mich das total und ich bewerbe mich jetzt (ebd.: 511 - 521).

Es ist in der Form ihrer Schilderung der Ereignisse zu erkennen, dass Männern mehr Selbstverständnis mit sich bringen und sich selbst meist nicht so stark hinterfragen. Dieses Selbstverständnis wird in diesem Fall wiederum positiv an die Interviewpartnerin weitergegeben. Sei es der Coach, der nicht versteht, weshalb sie sich nicht für die Stelle bewerben soll, sei es ihr Ehemann, der sie ermutigt den Job anzunehmen, wenn sie ihn machen möchte, sei es ihr Vorgesetzter, der ihr die Position anbietet, weil er davon überzeugt ist, dass sie dafür gut geeignet ist. In einem anderen Gesprächssauschnitt über die Eigenschaften eines Vorgesetzten im Gegensatz zu ihrer Selbsteinschätzung kommt dies nochmal recht gut zur Geltung.

Ja, und dann ist der verstorben und dann ist eben der andere gekommen, der aber sehr charismatische Persönlichkeit war, der ähm viele Fähigkeiten hatte und der das Team sehr gut gewonnen hat und der schon Erfahrungen gehabt hat und der war aber eben relativ schnell auf einem Job in der Zentrale und ich war das alles nicht. Also ich bin aus dem Team gekommen, ich war eine Sozialarbeiterin, ich hab nicht wirklich Erfahrungen gehabt und war auch nicht charismatisch und ähm und das

Team war sozusagen auch nicht / und das Team wollte eigentlich keine wirkliche Leitung (ebd.: 214 - 222).

Hier wird recht deutlich eine Eigenschaft angesprochen, die relativ wichtig zu sein scheint für eine Führungskraft, wobei dieses Bild von charismatisch, kultiviert immer noch ein sehr männlich geprägtes ist. Es wird in allen Interviews auch immer wieder zum Thema gemacht, welche Attribute für Führungskräfte wichtig sind und viele davon eher Männern zugeschrieben werden.

Das war, glaub ich das, was Männern leichter fällt: vor Gruppen aufzutreten, zu präsentieren, selbstbewusst, sich selber nicht sehr in Frage stellend, also schon bis zu einem gewissen Grad aber also viel, sagen wir viel, viel, ja viel selbstbewusster, oder viel überzeugter von sich selber, ähm, so im Auftreten nach außen, in Gruppen, in den Leitungsgremien, wo man ja dann teilnehmen musste, sogar, das eigentlich sogar, das ist jetzt eh typisch, dass ich das jetzt so sage, der hat das genossen (ebd.:

250 - 272).

Auch hier die explizite Zuschreibung männlicher Attribute: Selbstbewusstsein, Repräsentation und Auftreten nach außen, es genießen können, im Mittelpunkt zu stehen, sich nicht allzu sehr in Frage zu stellen. Interviewpartnerin 2 spricht diesbezüglich in Zusammenhang mit dem Begriff „acting like a man― von ähnlichen männlichen Eigenschaften.

[...] was ich damit verbinde wäre eher sozusagen diese Ellenbogentechnik durchzusetzen, ein bisschen, ähm, oder das, was man Männern oft auch zuschreibt.

Dieses Platz nehmen, Raum nehmen, (seufzt) sich vielleicht ein bisschen von sich überzeugter als notwendig zu sein und sich in der Führung so zu benehmen. Das würde ich damit verbinden. Ja (Interview 2: 601 - 606).

In Bezug auf Eigenschaften als Führungskraft benennt sie es als herausfordernd, diplomatisch zu bleiben und die eigenen Emotionen immer wieder beiseiteschieben zu müssen. Dies wiederum kann auch als eher stereotyp männlich und weiblich gesehen werden, Diplomatie versus Emotionalität. Hier ist interessant, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt meint, dass es Personen gibt, die ihr männliche Attribute zuspielen würden.

Sonst gibt es sicher Personen, also es gibt sicher Personen, die mir so männliche Attribute zuspielen würden, also zuschreiben würden, so dieses quasi präsent zu sein, sich den Raum zu nehmen. Das tue ich schon, das stimmt schon. Ja. Das weiß ich auch, dass manchmal neben mir nicht so viel Platz ist (ebd.: 646 - 650).

Nicht unwesentlich in Verbindung mit diesen Zuschreibungen ist sicherlich die Bemerkung, die fast als Randnotiz erwähnt wurde, dass manchmal neben ihr nicht so viel Platz ist. Sehr aussagekräftig ist diesbezüglich auch eine Anekdote aus der Kindheit, in der

die Interviewpartnerin erzählt, dass sie bereits als Kind sehr laut und sehr präsent war, dies von ihrem Umfeld jedoch nicht unbedingt positiv aufgenommen wurde.

Ich glaube in diesem Kontext wird das oft so gemacht, also ich für mich, das war schon immer für mich als Kind schon, haben die Leute immer gesagt: Wahnsinn, scheißt sich nix und redet immer, die anderen kommen gar nicht zu Wort, weil sie immer so viel redet. (lacht) So bin ich immer damit beschäftigt, mich manchmal zurückzunehmen (ebd.: 653 - 658).

Hier kommt sehr deutlich die Rolle der Sozialisierung zur Geltung. Dies wird im anschließenden Kapitel zu dem Thema der Verhaltensrollen, Verhaltensnormen und Sozialisierung nochmals gesondert behandelt. Sie schildert in dem Gespräch auch ihre Einschätzung zu eher weiblichen Attributen und Erfahrungen mit geschlechtsspezifischen Aufgabenverteilungen.

Also ich habe schon den Eindruck, dass Frauen einen ticken, ich habe das Gefühl, Frauen arbeiten anders um sich zu profilieren. Im Sinne von: genauer bis ein bisschen mehr, würde ich sagen, ein bisschen ausgearbeiteter; ähm übernehmen schneller Aufgaben, die jetzt nicht unbedingt karrierefördernd sind, sowas wie Protokoll schreiben, zum Beispiel. Tatsächlich. Und Männer reden oft. [...] Und das ist im sozialen Bereich nicht anders, würde ich sagen (ebd.: 610 - 619).

Ähnliches erzählt auch Interviewpartnerin 3, indem sie sagt, dass Frauen oft Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise die Teilnahme an übergreifenden Vernetzungsgremien oder die Diskussion zu politischen Themen, dies jedoch in Bezug auf die Karriere nichts zählt. Sie ist der Überzeugung, dass Verantwortung ein großes Thema ist. Sowohl die Verantwortung für die Familie, als auch die Verantwortung für den Job und die Einschätzung, dass Frauen oft mehr in der Beziehungsarbeit bleiben wollen und sich deshalb nicht so sehr für Leitungspositionen interessieren.

Ich glaube, ich würde nicht in dieser Funktion (Leitung, Anm.) bleiben, wenn ich nicht auch den Kontakt zu den Leuten hätte. Weil mir die Beziehungsarbeit ganz wichtig ist. Und ich glaube das schon, dass das was Frauenspezifisches ist. Diese Form der Beziehungsarbeit. Und dass sozusagen diese strategischen Dinge nicht jeder Frau liegen (Interview 3: 874 - 879).

Geht es hingegen um „typisch männliche― Zuschreibungen in Bezug auf Führungs-positionen, kommt an mehreren Stellen zur Spache, dass viele ihrer Vorgesetzten durchaus narzisstische Persönlichkeitsstrukturen hatten.

Hab dann auch mitbekommen, und da war ich schon lange genug in der Sozialarbeit dabei, dass in Führungspositionen immer nur Männer sind und die Mädels rundherum und ich sage jetzt zynisch: Mädels, ja! - ich meine das jetzt nicht als

solche, sondern die Mädels quasi, Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und wer hier herumhirscht, um diese Männer sozusagen, ich sag das jetzt beinhart: ich hatte sehr viele männliche Vorgesetzte und alle hatten einen leicht narzisstischen Einschlag.

Leicht bis sehr schwer (ebd.: 438 - 445).

Hier wird auch wieder ein sehr deutliches Bild von männlichen und weiblichen Verhalten wiedergespiegelt. Junge Frauen, die sich um die Gunst und Aufmerksamkeit der Männer in hierarchisch höheren Positionen bemühen und Männer mit narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen. Eine weitere Aussage, welche bei der Analyse ins Auge fiel, war jene Schilderung in Bezug auf Kind und Familie und der Wunsch wieder arbeiten zu gehen.

Und habe dann, nachdem es finanziell zum einen nicht anders ging, aber andererseits auch weil ich sozusagen nicht der klassische Kinder-Mutter-Typ bin ohne Arbeit und so, also nur Kind alleine und Kind und Haushalt und so nie meines war also vom Wunsch her, bin dann nach einem halben Jahr wieder arbeiten gegangen (ebd.: 258 - 263).

Sie beschreibt sich hier nicht als „klassischen Mutter-Kind-Typ― und verbindet damit den Wunsch des zuhause bleiben mit dem Kind, welcher gesellschaftlich immer noch sehr stark Frauen und in ihrer Rolle als Mütter zugeschrieben wird.

Zusammenfassend kann also durchaus erkannt werden, dass viele der gesellschaftlich immer noch bestehenden stereotypen Bilder sowie geschlechtsspezifische Zuschreibungen in den Erzählungen und vor allem in den persönlichen Erfahrungen der Frauen wiederzufinden sind und ihre berufliche Laufbahn und ihre Karriere geprägt haben. Zum Abschluss dieses Kapitels soll ein Zitat verwendet werden, dass besonders im Gedächtnis geblieben und somit nochmals hervorgehoben werden soll.

Also „acting like a man―, der Begriff als solches ist mir nicht bekannt, aber wenn ich es jetzt übersetze, dass Frauen ähm sehr tough - kann das stimmen - eine sehr toughe Führungspersönlichkeit übernehmen. Wenn ich jetzt tough beschreibe: ist pragmatisch, würde ich sagen. (...) Ich glaube, dass Frauen wesentlich leistungsorientierter sind in Wahrheit. Man müsst sagen: „acting like a woman―. Also ich glaube, dass die Männer, die in Führungspositionen sind, die sie wirklich gut machen, gute Führer sozusagen, „acten like a woman―. Das glaube ich eher.

(Interview 3: 954 – 964).