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Geschlechtsspezifische Herausforderungen

11. D ISKUSSION DER E RGEBNISSE

11.1 Geschlechtsspezifische Herausforderungen

11.1.1 Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Ein Themenbereich, dem von allen drei Interviewpartnerinnen hohe Relevanz zugesprochen wurde, war jener der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Interviews haben gezeigt, dass es für die befragten Frauen einen großen Unterschied macht, ob neben der Berufsausübung parallel Betreuungspflichten bestehen oder nicht. Hier machten die ersten beiden Interviewpartnerinnen deutlich, dass sich ihre Kinderlosigkeit sicherlich positiv auf ihren Karriereweg ausgewirkt hat, da es für die Ausübung einer Führungsposition viel Zeit und Flexibilität benötigt. Dies spiegelt auch der Vergleich des beruflichen Werdegangs zu Interviewpartnerin 3 als alleinerziehende Mutter wieder. Für sie war es lange Zeit nicht möglich Vollzeit zu arbeiten, wodurch sich die Option, eine Führungsposition einzunehmen, verzögerte. Laut Zahlen der Statistik Austria lag die Teilzeitarbeitsquote von Frauen mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter im Jahr 2018 bei 72,1%. Im Gegenzug dazu lag die Quote bei Männern in Österreich bei 6,5% (vgl.

Statistik Austria 2019: Entwicklung der Erwerbstätigen- und Teilzeitquoten). Die Zahlen zeigen deutlich, dass sich Männer von der Geburt eines Kindes beruflich kaum beeinflusst werden, während die Mütter später vermehrt nur noch Teilzeit ins Arbeitsleben zurückkehren (vgl. ebd.). Dies ist insofern relevant, da der Managementbereich stark mit der Vorstellung der permanenten Verfügbarkeit verknüpft ist und dies wiederum nur durch Vollzeitbeschäftigung erfüllt werden kann (vgl. Eberherr und Hanappi-Egger 2014: 232).

Eine 2012 von Eberherr und Hanappi-Egger durchgeführte Falluntersuchung zeigte auf, dass die oftmals selbstverständliche Verknüpfung mit einer Vollzeittätigkeit zur Folge hat, dass teilzeitangestellte Mitarbeiter*innen eine Übernahme von Leitungsaufgaben von vornherein nicht in Erwägung ziehen (vgl. ebd.). Prinzipiell kann gesagt werden, dass - unabhängig von Betreuungspflichten - Teilzeitarbeit in Österreich auch heute noch typisch weiblich ist. Insgesamt befanden sich 2018 47,5% der Frauen in einer Teilzeitbeschäftigung, während lediglich 11,2% der Männer nicht Vollzeit erwerbstätig waren (vgl. Statistik Austria 2019: Voll- Teilzeiterwerbstätige und Teilzeitquote). In Zusammenhang mit den Ergebnissen der von Eberherr und Hanappi-Egger durchgeführten Untersuchung kann davon ausgegangen werden, dass vor allem Frauen aufgrund ihrer Teilzeitarbeit eingeschränkter sind in ihrer Möglichkeit der Übernahme einer Leitungsfunktion. Diese Annahme wird auch durch die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bekräftigt. Neben den eingeschränkten Möglichkeiten der alleinerziehenden Interviewpartnerin, schilderte auch Gesprächspartnerin 2 ihre Beobachtungen bezüglich höheren Leitungspositionen und Kinderlosigkeit. In ihrer Erfahrung sind weibliche Führungskräfte, welche auf höheren Ebenen, wie beispielsweise Bereichsleitung und Geschäftsführung arbeiten, eher kinderlos oder haben Kinder, die bereits volljährig und dementsprechend selbstständig sind. Spannend in diesem Zusammenhang war auch die Aussage einer Interviewpartnerin, die nicht nur die schwere Vereinbarkeit der zeitlichen Anforderungen einer Führungsposition mit familiären Kinderbetreuungspflichten kritisierte, sondern auch die schwierige Vereinbarkeit der Funktion mit der Tätigkeit zu pflegender Angehöriger. Diese Aussage ist insofern interessant, als dass die Gesprächspartnerin die Pflege naher Angehöriger automatisch mit von Frauen getätigter Arbeit verbindet. In Bezug auf die Pflege naher Angehörige konnten keine aktuellen Zahlen zur Geschlechteraufteilung gefunden werden. Thematisch herangezogen werden kann jedoch der Österreichische Pflegevorsorgebericht 2017, herausgegeben vom Bundesministerium Arbeit, Soziales Gesundheit und Konsumentenschutz, in welchem die

Zahl von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Österreich erhoben wurde, welche sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern. Der statistischen Erhebung zufolge sind es hier bereits zu 70% Mädchen, die pflegerische Aufgaben übernehmen (vgl.

Österreichischer Pflegevorsorgebericht 2017: 9).

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass unbezahlte Reproduktionsarbeit immer noch weiblich ist und sich maßgeblich auf den Karriereverlauf von Frauen auswirkt, die dadurch den zeitlichen Anforderungen der Vollzeitbeschäftigung und Flexibilität für eine Führungsposition in Kombination mit familiär bedingten Betreuungspflichten nicht oder nur schwer erfüllen können. Maja Apelt und Sylka Scholz (2014: 296) weisen darauf hin, dass die Arbeitskraft als Ware in einem kapitalistischen System die prinzipielle Möglichkeit der Gleichstellung der Geschlechter beinhaltet. Solange jedoch die Trennung von Erwerbs- und Hausarbeit und damit jene von Familie und Arbeit, Frauen systematisch benachteiligt, wird die tatsächliche Gleichstellung von Männern und Frauen in naher Zukunft kaum möglich sein.

11.1.2 Die Bedeutung von Netzwerken

Eine wesentliche Erkenntnis der geführten Gespräche war die Bedeutung von Netzwerken für die Karriereverläufe von Frauen und Männern und die Tatsache, dass Frauen hierbei oft ausgeschlossen oder auch durch familiäre Pflichten benachteiligt werden. Im Theorieteil wurde bereits auf die Bedeutung der Netzwerke für den Karriereverlauf eingegangen, welche in diverser Fachliteratur immer wieder betont wird. Studien zeigen, dass informelle Kontakte einen großen Einfluss auf Jobvergaben im höheren Management haben. Diese informellen Netzwerke beinhalten jedoch oftmals eine starke Geschlechtersegregation, in welchen Frauen benachteiligt werden und sich dies negativ auf ihren Karriereweg auswirkt (vgl. Tonn 2016: 123). Argumentiert wird diese Benachteiligung mit der Tatsache, dass sich auf Führungsebene oft Männerbünde formieren und Frauen dementsprechend diskriminiert und weniger in berufsrelevante Netzwerke miteinbezogen werden (vgl. ebd.:

130). Interviewpartnerin 3 bestärkt diese Ergebnisse durch die Schilderung ihrer persönlichen Erfahrung mit männlichen Netzwerken. Sie erzählt von einer Gruppe von Männern, die regelmäßig gemeinsam Segeln waren und sich gegenseitig Posten und Jobs verschafft und zugespielt haben. Auch Interviewpartnerin 2 äußert deutlich, dass Seilschaften zwischen Männern meist stärker sind als jene von Frauen, wobei sie sich dies mit der vorhandenen Tradition erklärt, dass das Vereinswesen beispielsweise immer schon

sehr männerlastig war bzw. traditionell immer schon mehr informelle Männerbünde bestanden haben. Apelt und Scholz (2014: 301) erklären, dass diese Männerbünde mehrere Funktionen haben. Sie dienen zunächst der Stabilisierung männlicher Identität und Normen in Abgrenzung zu weiblichen und tragen weiters zur sozialen Schließung gegenüber Frauen bei (vgl. ebd.). Die Tendenz von Männern, sich zu homophilen Netzwerken zusammenzuschließen (vgl. Tonn 2016: 130), ist insofern problematisch, da diese Netzwerke eine wichtige Quelle informeller Informationsweitergaben sind, die sich wiederum Vorteilhaft auf den Karriereweg auswirken. Der Ausschluss von Frauen aus diesen Netzwerken - ob bewusst oder unbewusst - führt dementsprechend zu einer oftmals manifestierten Benachteiligung weiblicher Kolleginnen in Bezug auf ihren beruflichen Werdegang. Neben der Formierung der Männerbünde, welche Frauen aus gewissen Netzwerken ausschließt, besteht laut Tonn (2016: 180) ein weiterer Erklärungsansatz der schlechteren Vernetzung von Frauen darin, dass es berufstätigen Müttern mit jungen Kindern an Zeit- und Energiereserven für die nötige Netzwerkarbeit fehlt. Dieser Ansatz wird durch die Erfahrung einer Interviewpartnerin gestützt. Sie weist darauf hin, dass jene Besprechungen, die einem im professionellen Kontext Informationsvorsprünge bringen und in ihren Worten „Knackpunkte― darstellen, meist nicht direkt am Arbeitsplatz stattfinden, sondern nach der Arbeit oder in gewissen Nischen. Sie hat jedoch die Erfahrung gemacht, dass sich vor allem Kolleginnen mit Kindern die Zeit für diese Nischen oder Arbeitsfestivitäten nicht nehmen können und ihnen somit jene Vorteile der informellen Vernetzung nicht zuteilwerden.

Die Forschungsergebnisse der vorliegenden Arbeit sowie die bereits im Theorieteil aufgearbeitete Erkenntnisse verdeutlichen jedenfalls, dass Frauen nicht im gleichen Maße von den Vorteilen informeller Netzwerke profitieren, wie Männer es tun. Dies wiederum wirkt sich negativ auf den Karriereweg der Frauen aus.

11.1.3 Der Stellenwert von Karriere und Leistung

Eine Erkenntnis einer von Jane Tonn (2016: 181) durchgeführten Studie, ist jene, dass Frauen sich der Bedeutung informeller Kontakte für ihren Karriereweg nicht so stark bewusst sind. Dies wird unter anderem damit begründet, dass Frauen dem Erbringen von Leistung für das Weiterkommen in ihrem beruflichen Werdegang einen größeren Stellenwert zukommen lassen als persönlichen Beziehungen. Während das Thema Leistung in den ersten beiden Interviews nicht direkt angesprochen wurde, wurde dies von der dritten Gesprächspartnerin explizit erwähnt. Sie macht darauf aufmerksam, dass Frauen

fachlich extra kompetent sein müssen, um ernst genommen zu werden und aus ihrer Erfahrung Frauen wesentlich leistungsorientierter sind als Männer. Interviewpartnerin 2 wiederum ist der Überzeugung, dass Netzwerke prinzipiell wichtiger sind als Leistung.

Diese Einschätzung deckt sich auch mit Erkenntnissen der im Theorieteil vorgestellten Netzwerkforschung. Ein weiterer geschlechtsspezifischer Aspekt, welcher im Zuge der Forschung von einer Interviewpartnerin aufgegriffen wurde, war jener der Bedeutung des Karrierebegriffs für Frauen. Interviewpartnerin 1 kommt auf Grund ihrer Beobachtungen und Erfahrungen zu der Ansicht, dass Frauen für sich weniger aus dem Karrierebegriff und dem Prestige, welches mit dem Titel der Führungskraft einhergeht, beziehen und die Funktion eher als Bürde wahrnehmen als Männer dies tun. Prinzipiell waren die ersten beiden Interviewpartnerinnen der Auffassung, dass sich Frauen aus diversen Gründen seltener für Leitungspositionen bewerben. Diese Einschätzung wird von Interviewpartnerin 3 jedoch nicht geteilt. Sie ist überzeugt davon, dass es nicht daran scheitert, dass sich im sozialen Bereich zu wenige Frauen für Führungspositionen bewerben, es jedoch als Frau schwieriger ist als solche angestellt zu werden. Die eigenen Forschungsergebnisse können weder belegen, dass Leistungsorientierung für Frauen wichtiger ist als für Männer, noch dass Frauen mit Karriere weniger anfangen können oder sich weniger für solche Positionen bewerben. Es wurden seitens der Interviewpartnerinnen hier jedoch interessante Anstöße für mögliche weiterführende Erhebungen gegeben, wobei hier die Befragung der Basismitarbeiterinnen von hohem Interesse sein könnte.

11.1.4 Stereotype und Verhaltensnormen

Weitere Forschungsergebnisse sind die Identifikation geschlechtsspezifischer Heraus-forderungen, welche auf stereotypen Zuschreibungen und sozialisierten Verhaltensrollen basieren. Wie bereits im Theorieteil im Kapitel „Doing gender― erläutert wurde, sind Geschlechterkonstruktionen und Zuschreibungen in hohem Maße erlernt (vgl. Eberherr und Hanappi-Egger 2014: 231). Geschlechterrollenerwartungen sind abhängig von dem jeweiligen sozial-kulturellen und gesellschaftlichen Kontext, welcher das Verständnis von Geschlechter- und Diversitätsverhältnissen stark beeinflusst (vgl. ebd.). In den Gesprächen mit den Interviewpartnerinnen wurde deutlich, dass die Frauen in ihrem Karriereverlauf mit einer Vielzahl von prägenden Erlebnissen konfrontiert waren, welche auf stereotype Zuschreibungen und Verhaltenserwartungen basieren. Dies reicht von der eigenen Reproduktion des jeweils erlerntes Geschlechterwissen bis hin zu stark diskriminierenden Situationen am Arbeitsplatz. Vor allem Interviewpartnerin 2 verdeutlicht in zwei

unterschiedlichen Passagen ihrer Ausführungen, die Rolle der Sozialisierung und die Zuschreibung männlicher Attribute. Sie erzählt, bereits als Kind dadurch aufgefallen zu sein, dass sie so laut war und sehr viel redete. Ihre Schlussfolgerung daraus war, immer damit beschäftigt zu sein, sich zurückzunehmen. An einer anderen Stelle erwähnt sie, dass ihr auch heute noch männliche Attribute zugespielt werden, da sie sich durch ihr selbstbewusstes Auftreten viel Raum nimmt, wodurch es manchen Menschen schwer fällt, sich neben ihr zu behaupten. Diese Zuschreibungen männlicher Attribute spielen im Kontext der Leitungspositionen eine wesentliche Rolle. Joan Acker (2012: 216) arbeitete in ihrem Beitrag „Gendered organizations and intersectionality: problems and possibilities―

geschlechtsspezifische Anforderungen an Frauen in Führungspositionen aus und kommt zu dem Schluss, dass an Frauen in solchen Positionen oft eine Doppelbotschaft gesendet wird, der Frauen nicht gerecht werden können. Im Sinne des „manage like a man― (vgl. ebd.) wird verdeutlicht, dass die Anforderungen an Führungskräfte mit stereotyp männlichen Attributen verbunden sind. Agieren Frauen nun in ihrer Funktion als Führungskraft stereotypisch männlich, werden sie oft als zu dominant und zickig erlebt, agieren sie stereotypisch weiblich, so wird ihnen oft Schwäche und fehlendes Durchsetzungsvermögen unterstellt (vgl. ebd.). Der Begriff „acting― bzw. „manage like a man― im Kontext der Leitungsfunktionen wird von den Gesprächspartnerinnen in Verbindung gesetzt mit Pragmatismus, Charisma, Ellenbogentechnik, sich Raum nehmen, sich selber nicht sehr in Frage stellend, selbstbewusst und von sich selbst überzeugt sein. Frauen hingegen bleiben eher in der Beziehungsarbeit, übernehmen öfter Aufgaben, die zwar notwendig aber nicht unbedingt karrierefördernd sind, ihre Art und Weise zu arbeiten ist leistungsorientierter und genauer und sie sind mit mehr Selbstzweifel konfrontiert, welche sich negativ auf den Karriereweg auswirken. Auffallend sind hierbei auch die sich sehr ähnlichen Aussagen darüber, aus welcher Motivation heraus die Frauen eine Führungsposition übernommen haben sowie der Fokus, den die Gesprächspartnerinnen in ihrer Funktion als Leitung setzen. Beweggrund für die Übernahme einer Leitungsposition war jedenfalls der Wunsch nach Veränderung und dem Interesse daran, mitgestalten zu können und - wie es Interviewpartnerin 3 formuliert - zu spüren, wie es ist, ernst genommen zu werden. Ein von den drei Interviewpartnerinnen geschilderter Fokus in ihrer Tätigkeit als Leitung ist die Orientierung an den Basismitarbeiter*innen und damit die Kommunikation und Transparenz gefällter Entscheidungen sowie Empathie und Mitbestimmungsrecht. Es können hier diverse intrinsische Motive auf Grund erlernten Verhaltenserwartungen und

Geschlechterzuschreibungen erkannt werden, welche gesellschaftlich immer noch als eher weiblich eingeordnet werden. Neben diesen auf Grund der Sozialisierung und erwarteten Verhaltensrollen selbst reproduzierten Geschlechtsstereotypen, wurden auch diskriminierende Erlebnisse geschildert, in denen die Frauen von außen auf ihre zugeschriebene Rolle als Frau reduziert wurden. Hier kommt der routinierten Vergeschlechtlichung in Organisationen und der Theorie der bereits vorgestellten

„Gendered Substructure― von Joan Acker große Bedeutung zu. „Doing gender― beinhaltet das „Konzept der Herstellung von Geschlecht in interaktiven Praktiken des Unterscheidens― (Eberherr und Hanappi-Egger 2014: 232) wobei Routinen als spezifische Form sozialer Praktiken in Organisationen große Wirkmächtigkeit zukommt da durch sie die Aneignung und Zuschreibung von Geschlechterrollen bedeutsam werden (vgl. ebd.:

233f.). „Bekannte Beispiele für Geschlechterattributionen sind die Rede von der angeblich besonderen Eignung von Frauen für kommunikative Tätigkeitsfelder oder deren fehlende Durchsetzungsfähigkeit als Führungskraft― (ebd.: 234). Routinierte Praktiken haben meist die Reproduktion nicht intendierten Handelns zur Folge und damit einer dauerhaften Geschlechterungleichheit. Dementsprechend kommt der Reflexionsfähigkeit und dem explorativen Lernen von Organisationen große Bedeutung zu wenn es um das Erkennen und Abschaffen routinierter Reproduktion von Geschlechterungleichheiten geht und damit anhaltende Chancengleichheit ermöglicht.