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Verhaltensrollen, Verhaltensnormen und Sozialisierung

10. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

10.4 Fallübergreifende Analyse

10.4.6 Verhaltensrollen, Verhaltensnormen und Sozialisierung

In den geführten Interviews wurden immer wieder sehr eindrucksvolle Situationen geschildert, mit denen die Frauen im Laufe ihrer Karriere konfrontiert waren und sehr

bezeichnend sind für die Rollen und Erwartungshaltungen gegenüber dem weiblichen Geschlecht. In zwei der drei Interviews sind zunächst Erzählungen von Gegebenheiten aufgefallen, in denen der Dresscode, die Art und Weise, wie Frauen sich beruflich zu kleiden haben, angesprochen wurden.

Also das war, da kann ich mich schon ganz klar erinnern an so ein, [...] an die Sitzung mit den Versicherungsträger*innen zum Beispiel, [...] und ähm was ich schon festgestellt habe ist sozusagen Kleidung spiegelt ein bisschen wider manchmal, was man, also wenn man sich schön anzieht in so komischen Sitzungen, dann schadet das normalerweise nicht, ähm weil es offensichtlich einen Code gibt, der Professionalität oder den Grad der Professionalität widerspiegelt. Wie auch immer, jedenfalls habe ich schönes Gewand angehabt und das wollte ich damit sagen, und hohe Schuhe (lacht) (Interview 2: 392 - 405).

In diesem Fall hatte die Interviewpartnerin bereits eine Leitungsposition inne und erzählt eine typische Situation aus einer offiziellen Sitzung. Schönes Gewand und hohe Schuhe sind hier inoffizieller Dresscode. Dies wird nicht explizit verlangt, es wird jedoch ein gewisser Kleidungsstil vorausgesetzt, der mehr oder weniger standesgemäß ist. Bei Interviewpartnerin 3 handelt es sich noch nicht um ein offizielles Meeting als Führungskraft, nichtsdestotrotz wurde ihr in jungen Jahren nahegelegt, sich als Frau moderat zu kleiden.

Weil, und das fand ich auch sehr spannend, meine Vorgesetzte damals ich kann mich jetzt erinnern, das ist ja entsetzlich eigentlich - das war eine Fürsorgerin damals noch, und ich war wie gesagt ein junges Dirndl, und ich habe keine Miniröcke angehabt, aber ich habe Röcke angehabt, auch. Lustig, ich habe / und hat gemeint, ich solle mich bitte standesgemäß anziehen. Längere Röcke, im Spital einen weißen langen Mantel drüber, also so wirklich, ich wurde ähm zitiert zu ihr, damit ich mich als Frau gemäß kleide (Interview 3: 146 - 154).

In der Analyse aufgefallen ist auch eine Aussage der Interviewpartnerin relativ bald nach der Erzählung, sich standesgemäß zu kleiden. Durch ihre intensive Arbeit mit Mädchen im Kinderheim, hat sie sich mit ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft beschäftigt.

Ich habe mich damals auch sehr auseinandergesetzt, eben auch mit, das war eh auch so das Alter, so die Zeit wo man das tut, so zwischen 20 und 30, was meine Rolle als Frau, als Mädchen, wie ist die Gesellschaft und so und das hat es mir noch mehr vor Augen geführt, damals. Das hat mich immer begleitet (ebd.: 190 - 194).

Dies ist insofern eindrucksvoll, als dass diese Suche nach dem Platz in der Gesellschaft und der Rolle, die eingenommen wird, etwas sehr geschlechtsspezifisch Weibliches zu sein scheint. Wie alle Aussagen, die getroffen werden, kann nicht für jeden Menschen verallgemeinert gesprochen werden. Je nach individueller Geschichte, Sozialisierung und

Charakter gibt es sicher auch Männer, die ihre Rolle hinterfragen. Abgesehen von historischen Frauenrechtsbewegungen sind aktuelle Gleichberechtigungsdebatten und feministische Bewegungen Zeugnis für eine vor allem Frauen betreffende Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft und einer ständigen Reflexion des eigenen Handelns und Kampf um einen gleichberechtigten Platz neben Männern. Wie in dem Zitat angesprochen, ist diese Auseinandersetzung etwas, das einen das ganze Leben hindurch - wenn auch sicherlich in unterschiedlicher Intensität - begleitet. Prägend ist hierfür die eigene Sozialisierung und damit einhergehend auch die Zeit, in die jemand hineingeboren wurde.

Im vorherigen Kapitel bereits geschildert wurde die Erfahrung einer Interviewpartnerin, die bereits als Mädchen versuchte, sich zurückzuhalten, weil Menschen in ihrer Umgebung ihr gesagt haben, dass sie zu laut sei und zu viel redet. Interviewpartnerin 1 weißt an einem Punkt des Gespräch ebenfalls darauf hin, dass sie von ihrer Sozialisation geprägt ist von den 70iger und 80iger Jahren und dies auch eine Bedeutung hat dafür, wie der Zugang zum Thema der Gleichberechtigung und der Stellung der Frau in der Gesellschaft ist. Spannend war die Aussage im dritten Gespräch, wo es eigentlich um die Frage ging, ob es für Frauen in sozialwirtschaftlichen Organisationen leichter ist Karriere zu machen als in anderen Branchen.

Also ohne Kind ist es sicher einfacher, Karriere zu machen. Und Ausbildung zu machen und Interessensvielfalt zu haben, früher waren ja bestimmte Berufe und der Sozialbereich ist ja im wesentlichen für Frauen vorprogrammiert. Auf Grund der Erziehung, auf Grund der Kultur, auf Grund der Entwicklung. Das hat sich ein bissl gelockert gehabt ist aber glaube ich jetzt wieder rückschrittlich. Ja (Interview 3: 1011 - 1017).

Einerseits wird hier nochmals die Schwierigkeit für Frauen genannt, Kind und Karriere zu vereinbaren. Andererseits wird hier sehr deutlich angesprochen, dass es gewisse „typische―

Frauenberufe auf Grund der Sozialisierung und Kultur gibt, welche immer wieder reproduziert werden. Dies sind vor allem Care-Berufe, also der Sozialbereich inklusive Pflegebereich. Berufssparten, welche weder viel Geld noch viel Prestige einbringen.

Interviewpartnerin 2 schilderte zwei unterschiedliche und eindrückliche Situationen ihrer beruflichen Laufbahn, die hier jedenfalls wiedergegeben werden sollen, weil sie sehr geschlechtstypische Verhaltensweisen aufzeigen.

[...] also es gibt immer so etwas, z.B. so einen Arzt in einer diese Einrichtungen, mit dem wir sehr viel zusammenarbeiten so in einer Leitungsposition, der hat mich z.B.

der hat mich manchmal, also hin und wieder Schatzi am Telefon genannt, was total schwierig ist, genau und er hat mich einmal aber auch in einer Sitzung sozusagen wo jetzt auch die Hälfte von meinem Team anwesend war aber quasi auch aus der

anderen Einrichtung sehr viele Leute mich ziemlich massiv immer als hübsche Frau benannt sozusagen oder angesprochen. Genau, so. Und das ist total schwierig. Also ich finde dieses (...) darauf reagieren in einer Situation wo du auch sozusagen ja irgendwie zusammenarbeiten musst, du hast einen Auftrag, du musst zurechtkommen, du bist ein bisschen perplex, du sollst jetzt schnell reagieren, du sollst richtig reagieren, du sollst nicht alle beleidigen und musst trotzdem klarlegen, dass das nicht geht, du hast dein eigenes Team dabei das irgendwie sehr irritiert war [...] (Interview 2: 432 - 446).

Es wird hier ein herabwürdigendes Verhalten seitens eines ranghohen männlichen Kollegen gezeigt. Unausgesprochen werden Rollen zugeteilt, Fronten werden geklärt.

Damit nicht genug, geschieht dies nicht nur im Rahmen von Zweiergesprächen, sondern wird diese Ansprache vor dem eigenen Team der weiblichen Führungskraft weitergeführt und sie somit bis zu einem gewissen Grad in ihrer Autorität diskreditiert. Noch bezeichnender ist jedoch weiterführend ihre Schilderung darüber, was diese Situation in ihr ausgelöst hat.

Also ich finde das ist, also das ist, was man ein bisschen mitschleppt quasi. Also zum Beispiel beim ersten Schatzi habe ich mich nicht gewehrt, weil ich so so so irritiert war, dass das irgendwer macht, und das sind aber diese hemmenden Faktoren oder ein sehr geschlechtstypisches Fehlverhalten und sie wiederum kommt nicht nur in die Bedrängnis, dies möglichst professionell und ohne jemanden zu nahe zu treten, zu korrigieren. Sie hat darüber hinaus auch noch Schuldgefühle sich selbst gegenüber, da sie die Situation insofern „selbst zu verantworten― hat, weil sie damals bei der ersten Schatzi-Anrede nicht schnell genug reagiert hat. Im Zuge des Gesprächs schildert sie eine weitere Situation bereits in ihrer Rolle als Führungskraft, welche nicht minder irritierend wirkt.

Und ich kam in diesen Raum, das ist total lustig, da saßen jetzt einmal diese zwölf Männer, alle in Anzügen, alle mit diesen Aktenkoffern und saßen schon da. [...] Und dann habe ich schon gelernt sozusagen, also weil es gibt ja so Normen wie man sich verhält bei solchen Besprechungen finde ich, das weiß man ja nicht immer weil man ein bisschen unsicher ist aber das war klar sozusagen, man sagt Grüß Gott, dann geht man durch, schüttelt allen die Hand, hintereinander, sagt seinen Namen und wo man herkommt. Und das habe ich gemacht. Und dann: sehr verwirrend, sagte einer von diesen Männern, der ein bisschen auf das Handy vorher immer getippt hat: Ach so, ach ja im übrigen, ich hätte gerne einen Kaffee mit Milch. Und das hat mich wirklich mmhh, derartig irritiert, dass ich gar nicht reagieren habe können auf diese Aussage

also so ähnlich irgenwie, so wenn da schon eine Frau hereinkommt, dann kann das nur die Frau sein, die quasi Kaffee bringt oder die fragt. Also die Sekretärin so irgendwie. Und das, also das sind so die Momente, wo du / und das ist mir öfter passiert quasi (ebd.: 405 - 423).

In der Erzählung fällt auf, dass die Interviewpartnerin retrospektiv betrachtet immer noch fassungslos wirkt ob der fast schon skurril anmutenden Gegebenheit. Erschreckend wirkt in diesem Zusammenhang eher die letzte Aussage darüber, dass in ihrem Leben durchaus schon öfter mit derartigen Situationen konfrontiert war. Neben diesen eindrucksvollen Situationen zum Umgang von Männern mit Frauen, also von außen definierten Geschlechterrollen, gibt Interviewpartnerin 3 einen Einblick in die selbst zugeschriebenen Verhaltensnormen und auch Unsicherheiten.

Ähm, sozusagen, ich kann mich auch sehr gut noch erinnern, wie ich mir gedacht habe: was soll ich junges Mädel diesen erwachsenen, reifen Menschen erzählen. Also ich habe mich selber nur bedingt ernst genommen. Weil ich mir gedacht habe, das sind reife Menschen und da kommt jetzt so eine 21jährige herein und erzählt ihnen die Welt. So auf die Tour, ja? Das weiß ich noch (Interview 3: 82 - 88).

Sie schildert hier sehr starke Unsicherheiten, von denen sie geprägt war. Sie war damals in einem Krankenhaus tätig, wo zusätzlich stark hierarchische Strukturen herrschten und die Ärzte vorrangig männlich waren. Es ist natürlich durchaus möglich, dass ein männlicher Kollege in derselben Situation genauso mit Unsicherheiten zu kämpfen gehabt hätte.

Prinzipiell wurde bereits vorherigen Kapitel aufgezeigt, dass Frauen stärker betroffen sind von der ständigen Hinterfragung der eigenen Kompetenzen sowie der Hinterfragung dessen, was sich selbst zugemutet werden kann. Im nächsten Absatz schildert die Interviewpartnerin auch das Kokettieren mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung als junge, hübsche Frau.

Ich hatte damals, und ich sage es, ich mein, ich war damals wirklich - und ich meine das jetzt nicht aus Eitelkeitsding - sondern ich war ein junges, hübsches, blondes Mädel. Lange blonde Haare, lieb, entzückend, und das habe ich als Vorteil genutzt.

Ja?! Oder das ist auch so angenommen worden. Ich glaube schon, dass das ähm, dass das schon geschlechtsspezifische Rollendefinition und Umgang und so, dass das schon was gemacht hat. Ja. Das hat sich bei mir stark verändert. Also nicht nur altersbedingt sondern auch haltungsbedingt (lacht). [...] Ich war der Sonnenschein, man hat mich Sonnenschein genannt. Ich glaube nicht, dass man einen Mann Sonnenschein genannt hätte, und ähm habe auch mit diesem, hab mit dieser, hab damit auch gespielt ein Stück weit. Damit kann man auch Beziehung aufnehmen, und freut sich darüber und das Ego wird auch sozusagen, das weibliche Ego, wenn man es nicht reflektiert - jetzt im Nachhinein weiß ich das - aber das weibliche Ego wird damit ja auch nicht, ist ja auch nicht ähm unangenehm gewesen, damals (ebd.:

74 – 82; 100 - 107).

Interessant ist der gesellschaftliche Stellenwert, der äußere, oberflächliche Schönheit vor allem bei Frauen einnimmt. Einerseits hat es einen Einfluss auf die äußere Fremdwahrnehmung ihrer Person gegenüber, andererseits definierte sie im Sinne der Selbstwahrnehmung dies als etwas Positives, das Ego Streichelndes. Dieses sonnige Auftreten, ihre Jugend und Schönheit eröffneten ihr durchaus Möglichkeiten, die sie auch für sich zu nutzen wusste.

Ähm und was hat das gemacht? Es hat gemacht, es hat mir den Einstieg erleichtert, in Kontakt zu treten mit den Menschen in Wahrheit. So dieses sonnige Erscheinungsbild, junge Frau, Abwechslung im Spital, ähm, hatte ich schon den Eindruck, dass das auch damit zu tun hat, ja (ebd.: 113 - 117).

Die geschilderten Erfahrungen der Interviewpartnerinnen in Bezug auf geschlechts-spezifische Herausforderungen und stereotype Rollenzuschreibungen, denen sie im Laufe ihrer Karriere begegnet sind, sind durchaus eindrucksvoll und offenichtlich auch prägend für ihren Lebenslauf. Die Erzählungen zeigen deutlich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Wahrnehmungen und automatischen Zuschreibungen, welche mitunter positiv genutzt werden können, meist jedoch eine weitere Hürde für die Frauen darstellte, die es zu überwinden galt.