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Es soll nun in einem nächsten Schritt der Begriff und die damit verbundenen Studien und Debatten des „Doing gender― näher erläutert und analysiert werden. Dies ist für das Forschungsvorhaben insofern relevant, als es sich hierbei um Dekonstruktion „typisch männlichen, typisch weiblichen― Verhaltens auf Grund des biologischen Geschlechts handelt und gleichzeitig die Bedeutung der - auf Grund unserer Sozialisierung - verankerten Verhaltensweisen aufzeigt, welche wir in unseren täglichen Interaktionen produzieren und reproduzieren und damit wiederum in uns verfestigte stereotype Verhaltensmuster weitertragen.2

Das Konzept des „Doing gender― [...] besagt im Kern, dass Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität als fortlaufender Herstellungsprozess aufzufassen sind, der zusammen mit faktisch jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird und in den unterschiedlich institutionelle Ressourcen eingehen (Gildemeister 2008: 172).

Auf Grund der mittlerweile stark inflationären Verwendung des Begriffs, soll zunächst ein Überblick über dessen Entstehung gegeben und anhand aktueller Debatten und Forschungen der Begriff der Konstruktion analysiert werden. Danach folgt ein Überblick über den interaktionstheoretischen Zugang, um die Bedeutung von Interaktionen für das soziokulturelle Geschlechterverständnis aufzuzeigen. Abschließend wird auf den Begriff des „Undoing gender― und damit dem Aufbrechen stereotyper Strukturen und Verhaltensweisen eingegangen, welcher vor allem innerhalb des organisationalen Arbeitskontextes erfasst werden soll.

5.1 Der Begriff des „Doing gender“

In der Geschlechterforschung wird der Begriff des „Doing gender― verwendet, um sozial konstruiertes Geschlecht und damit sozial konstruiertes Geschlechterverhalten von einem biologischen Geschlecht („sex―) abzukoppeln. Das Ziel ist es, „Geschlecht bzw.

Geschlechtszugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten― (ebd.: 167), und in diesem Sinne, das biologische Geschlecht nicht immer dem

2 Es soll hiermit darauf hingewiesen werden, dass vor allem im Zuge der „Doing gender― Zugänge, der Thematik des Transgender eine große Bedeutung zukommt. Dieses Thema wird auf Grund der Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit nicht behandelt, da es den Rahmen dieser Masterarbeit überschreiten würde.

Verhalten voranzustellen, sondern umgekehrt, Geschlecht und Geschlechtsidentität als Resultat sozialer Prozesse und Interaktionen zu erfassen (vgl. ebd.).

Bereits in den 50er Jahren wurde im anglosächsischen Raum zwischen den Begriffen des biologischen Geschlechts („sex―) und des kulturell geprägten Geschlechts („gender―) unterschieden, wobei hier der Weg für die Frauenforschung geebnet wurde, binäre Geschlechtsunterschiede zwischen Männern und Frauen nicht auf unveränderbare biologische und in dem Sinne natürliche Unterschiede zurückzuführen, sondern als Ergebnis von Geschichte und kultureller Gegebenheiten zu verstehen (vgl. ebd.: 169;

Gildemeister und Wetterer 2017: 23). Auch aus einem ethnomethodologischen Ansatz heraus, besteht Geschlecht und Geschlechteridentität bzw. Geschlechtszugehörigkeit nicht a priori, als „angeboren―, sondern entsteht erst durch ständige Interaktionen (vgl. Kelan 2010: 179). „Gender― gilt somit

als erworbener Status, von den sozial und kulturell geprägten

„Geschlechtscharakteren―, die im Verlauf von Sozialisierungsprozessen angeeignet werden und die mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung korrespondieren, auf deren Erfordernisse hin sie strukturiert sind (Gildemeister und Wetterer 2017: 24).

5.2 Die Krux mit dem Konstruktionsbegriff

Sowohl Angelika Wetterer (2010: 129) als auch Regine Gildemeister (2008: 169f.) verweisen auf die Problematik der inflationären und vor allem unterschiedlichen Verwendung des Konstruktionsbegriffs im Sinne der „Geschlechtskonstruktion―. Dies soll im Sinne der Vollständigkeit in diesem Kapitel lediglich kurz skizziert und die Conclusio daraus zusammengefasst werden. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass unterschiedliche konzeptionelle Ansätze oftmals auf unterschiedlichen theoretischen Grundlagen basieren und somit der Begriff der Konstruktion im jeweiligen Verwendungszusammenhang betrachtet werden muss.

Kritisiert wird vor allem die vermeintliche Homogenität der Begriffsverwendung, welche bei genauerer Analyse in den unterschiedlichen theoretischen Zugängen und Bezugsrahmen jedoch stellenweise große Unterschiede und damit einen stark heterogenen Gebrauch aufweist (vgl. Wetterer 2010: 129). Dies hat zur Folge, dass die Frauen- und Geschlechterforschung von einer einheitlichen Theorie der Geschlechterkonstruktion weit entfernt ist (vgl. ebd.). Eine der Gründe hierfür sieht Gildemeister (2008: 171) auch im politischen Kontext, innerhalb dessen konstruktionstheoretische Perspektiven bezogen auf

„Geschlecht― entstanden sind. Den differenten Ansätzen gemein ist jedenfalls, „dass sie

aus den unterschiedlichsten Perspektiven die Frage nach der Relationierung von Natur und Kultur in Bezug auf die Kategorie Geschlecht neu aufwerfen― (ebd.). Mit dem interaktionistischen und ethnomethodologischen Zugang werden nun im folgenden Kapitel zwei Betrachtungs- und Herangehensweisen vorgestellt, welche in der Forschung des

„Doing gender― von wesentlicher Bedeutung sind.

5.2.1 Der interaktionistische Zugang

Wie zuvor bereits dargestellt, sieht der interaktionstheoretische Zugang Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität als Resultat komplexer sozialer Prozesse und stellt sich somit gegen die lang geglaubte Theorie, biologisches Geschlecht determiniert die Unterschiede im männlichen und weiblichen Geschlechterverhalten und menschlichen Handeln (vgl. ebd.: 172). In diesem Sinne produzieren und reproduzieren wir in uns verankertes Geschlechterwissen ständig in der unmittelbaren Interaktion mit anderen Menschen. Gildemeister (ebd.) macht darauf aufmerksam, dass etliche Missverständnisse in der Geschlechterdebatte daraus entstehen, dass dem Begriff der Interaktion im Sinne des sozialwissenschaftlichen Kontextes nicht die damit gemeinte Bedeutung zukommt. Es wird im alltäglichen Leben zumeist davon ausgegangen, dass wir es in der Regel mit einer vorsozial kategorisierten männlichen oder weiblichen Person zu tun haben und dementsprechend miteinander umgehen. Der interaktionstheoretische Zugang geht hingegen davon aus, dass Interaktion per se „einen formenden Prozess eigener Art darstellt, Zwänge impliziert, in die die Akteure [sic!] involviert sind und denen sie nicht ausweichen können― (ebd.), wobei einer dieser Zwänge die Kategorisierung in Mann und Frau beinhaltet und die Geschlechtszugehörigkeit dementsprechend zentral ist (vgl. Gildemeister 2008: 172; Kelan 2010: 179).

5.2.2 Der ethnomethodologische Zugang nach West und Zimmermann

Eine für die die „Doing gender― Forschung wesentliche und immer wieder rezensierte Theorie ist jene von Candace West und Don H. Zimmermann. Ethnomethodologie beschäftigt sich mit der Analyse situativen Verhaltens, um herauszufinden, wie vermeintlich objektive oder neutrale Gegebenheiten - wie beispielsweise stereotype Zuschreibungen der beiden Geschlechterrollen - überhaupt erst zu diesen werden. Dies wiederum liegt der Annahme zugrunde, dass das soziale Leben und die Welt durch Interaktionen geschaffen wird (vgl. Kelan 2010: 178).

West und Zimmermann legten nun mit ihrem im Jahre 1987 publizierten Artikel „Doing gender― den Grundstein für ebenjenes Konzept. Nicht unwichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch die Tatsache, dass sich die beiden Autoren über 10 Jahre darum bemühen mussten, ein Medium zu finden, welches den Artikel veröffentlicht (vgl.

West und Zimmerman 2009: 112). Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war eine 19jährige Frau namens Agnes - ursprünglich als Mann geboren und aufgezogen - welche sich in Los Angeles einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzog und weiterführend jene Herausforderungen, welchen Agnes vor und nach der Operation begegneten, um zu beweisen, dass sie „wirklich― eine Frau ist und auch als solche lebt bzw. leben möchte.

Wesentliche Schwierigkeit war für sie vor allem die gesellschaftliche Komponente der Weiblichkeit und damit das Zurechtfinden in sozialen Anforderungen an das Frau-Sein, mit welchen Mädchen von Geburt an konfrontiert und erzogen werden.

Agnes had to consciously contrive what the vast majority of women do without thinking. She was not ―faking" what "real" women do naturally. She was obliged to analyze and figure out how to act within socially structured circumstances and conceptions of femininity that women born with appropriate biological credentials come to take for granted early on. […] Agnes's case makes visible what culture has made invisible - the accomplishment of gender (Fenstermaker 2002: 8).

Als Resultat ihrer Untersuchung definierten West und Zimmermann (2009: 113f.) mit sex, sex categorization und gender drei Kategorien, um Geschlecht als soziales Konstrukt erfassen zu können. Während sex das biologische Geschlecht umfasst, so verstehen West und Zimmermann unter der Kategorie der sex categorization die sozialen und gesellschaftlichen Zuschreibungen an Geschlechter, welche beispielsweise Kleidung, Sprache, Verhalten etc. umfassen. Das Verhältnis zwischen sex categorization und gender umfasst die eigene offensichtliche und nach außen erkennbare Geschlechtszuschreibung - ich verhalte und kleide mich beispielsweise „typisch männlich―, „typisch weiblich― - bei gleichzeitiger Verpflichtung und eigener Verantwortung, dies den jeweiligen kulturellen Verhaltensnormen und gesellschaftlichem Kontext anzupassen. „We conceptualized this as an ongoing situated process, a ‗doing‘ rather than a ‗being‘― (ebd.: 114). Dies bedeutet also, dass Geschlecht hier nunmehr kein zugeschriebener Zustand ist, sondern vielmehr einen eigens erreichten Status darstellt. Dies wird möglich, indem - folgend der sex categorization - Männlichkeit und Weiblichkeit nicht mehr als natürlich angeborenes Personenmerkmal der Individuen zu sehen sind sondern diese vielmehr durch zwischenmenschliche Interaktionen und aktives Herstellen im jeweiligen kulturellen Kontext konstruiert und definiert werden (vgl. ebd.). Das eigene Tun und Handeln wird

daher im Alltag an die vorherrschenden Normen und Vorstellungen von Männern und Frauen angepasst und ist somit die ständige, aktive Herstellung von Geschlecht. West und Zimmermann sind davon überzeugt, dass diese ständige Herstellung von Geschlecht, im Sinne des „Doing gender― unumgänglich ist.

It is unavoidable because of the social consequences of sex category membership:

the allocation of power and resources not only in the domestic, economic, and political domains but also in the broad arena of interpersonal relations (Fenstermaker 2008: 21).

Problematisch hierbei ist jedoch die bereits erwähnte Anpassung an gesellschaftlich und kulturell vorgegebene Verhaltensnormen und dem jeweiligen Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit. Hierdurch werden im Prozess des „Doing gender― folglich vorherrschende Kategorien und Systeme immer wieder reproduziert. Wird sich diesem System nicht angepasst, drohen individuelle Konsequenzen wie Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausschluss (vgl. ebd: 22). West und Zimmermann (vgl. ebd.) machten sich auch Gedanken darüber, wie diese ständige Reproduktion aufgebrochen werden kann und verwiesen auf Soziale Bewegungen wie den Feminismus, welche existierende Ordnungen und Ideologien in Frage stellen und jene Menschen, welche alternative Konzepte leben, sozial auffangen.

Gender is a powerful ideological device that produces, reproduces, and legitimates the choices and constraints that are predicated on sex category. An understanding of how gender is produced in social situations will afford clarification of the interactional scaffolding of social structure and the social control processes that sustain it (ebd.: 23).

Ganz im Sinne des Aufbrechens sozialer Normen und der Hinterfragung immer weiter bestehenden Reproduktion bestehender Stereotypen, wird im nächsten Kapitel das Konzept des „Undoing gender― näher erläutert, welches in den letzten Jahren mehr und mehr diskutiert wurde. Es geht hierbei um die Idee, vorhandene Geschlechtsunterscheidungen zu neutralisieren und klare - gesellschaftlich diktierte - Kategorisierungen zu inaktivieren und überflüssig zu machen.