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Besonderheiten des Führens in sozialwirtschaftlichen Organisationen . 21

Wie bereits erwähnt, sehen sich sozialwirtschaftliche Organisationen und damit auch deren Management mit komplexen Strukturen und sehr diversen Anforderungen konfrontiert.

Helmut Becker (2017: 3) sieht den Grund hierfür in der Tatsache, dass sich die Sozialwirtschaft in dem Spannungsfeld zwischen ökonomischer und sozialer Welt befindet. In diesem Sinne bezieht Sozialwirtschaft „ihr Wissen aus einer Vielzahl von Wissenschaftsdisziplinen [...], die sich ergänzen können, in vielen Bereichen aber auch untereinander widersprüchlich sind― (ebd.: 2). Organisationen des dritten Sektors weisen etliche Strukturbesonderheiten auf, wodurch die Anwendung etablierter Managementmodelle und betriebswirtschaftlichen Wissens nicht eins-zu-eins übernommen werden können (vgl. Beher et al. 2008: 31). Beher et al. (ebd.) zählen zu diesen Strukturbesonderheiten „die komplexe Ressourcenstruktur, die heterogenen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse sowie insbesondere ihre Wertorientierung―. Für das Management und Führungskräfte sozialwirtschaftlicher Organisationen, bedeutet dies in logischer Konsequenz, dass sie die mitunter stark divergierenden wirtschaftlichen und sozialen Denkstrukturen kennen und verbinden und somit eine interdisziplinäre und ganzheitliche Sichtweise einnehmen müssen (vgl. Becker 2017: 2).

Becker (2017: 4) fasst die Grundsätze und Prinzipien der Sozialwirtschaft im Wesentlichen unter dem sogenannten „Sozialwirtschaftlichen Sechseck― zusammen, welche eine wirtschaftliche Orientierung, eine rechtliche Orientierung, eine Mitarbeiter*innen-orientierung, eine Kund*innenMitarbeiter*innen-orientierung, eine ethische Orientierung sowie eine Sachzielorientierung umfasst. Ruth Simsa (2013: 145f.) beschäftigt sich ebenfalls mit der Balance von Widersprüchen im Non-Profit-Sektor und den daraus folgenden Herausforderungen auf Managementebene. Vor allem das ständige Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Werten, oder anders ausgedrückt zwischen Sinn und Geld, ist ein sehr spezielles Charakteristikum des sozialen Sektors und eine Aufgabe, die sich durch alle Ebenen der Organisation zieht. Während monetäre Interessen im Sinne der Liquidität einer

Organisation natürlich eine wesentliche Rolle spielen, so ist dieser Bereich gleichzeitig Werte,- und Normenorientiert und geprägt von Konsensorientierung wie kein anderer (vgl.

ebd.: 145). Zusätzlich ist der sozialwirtschaftliche Sektor gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Interessens- und Anspruchsgruppen. „Management in NPOs muss unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, das Wechselspiel mit verschiedenen Umwelten gestalten und viel Widersprüche balancieren― (Simsa 2013: 151). Hier die Brücke zu schlagen zwischen politischem und wirtschaftlichem Druck, stellt einen Balanceakt dar, dem oftmals kaum gerecht werden kann. Denn einerseits gilt es politischen und wirtschaftlichen Forderungen nachzukommen, Leistungen messbar zu machen und andererseits gilt es gleichzeitig den eigenen - meist hohen - ethischen Prinzipien und Werten gerecht zu werden. Aufgrund der fortschreitenden Ökonomisierung des Sozialen Bereichs, gilt entsprechend dem „Sozialwirtschaftlichen Sechseck― ein Fokus auf die wirtschaftliche Orientierung in Bezug auf Sachzielorientierung und ethischer Orientierung zu legen (vgl. Becker 2017: 5). Empirische Studien belegen dementsprechend wenig überraschend, dass sich Führungskräfte im sozialen Sektor auf Grund der Komplexität des Feldes nicht sonderlich wohl fühlen und ihren Aufgabenbereich als stark stresshaft erleben (vgl. Simsa 2013: 361). Auf operativer Ebene definiert Ruth Simsa (ebd.: 152) in Bezug auf Führungskräfte in NPOs vier Aufgabenfelder,

die den Alltag jeder Führungskraft ausmachen, nämlich (1) direkte MitarbeiterInnenführung [sic!], (2) die Gestaltung der Zusammenarbeit, insbesondere in Teams, (3) die Entwicklung der Organisation und (4) die Erfüllung der Aufgaben und Ziele (ebd.).

Auf strategischer Ebene wiederum lassen sich die Orientierung an inhaltlichen Zielen sowie die Interessen der verschiedenen Stakeholder sowie die ständig notwendige Beobachtung der Umwelten finden (vgl. ebd.: 153). Eine zusätzliche Herausforderung mit welcher Management und Führung in sozialwirtschaftlichen Organisationen konfrontiert sind, stellen die bereits kurz angesprochene Ideologien der Basisorientierung und Mitbestimmungswunsch seitens der Mitarbeiter*innen dar, welche oftmals „eine ausgeprägte Abwehr von formalen Strukturen, Autorität und Macht― (ebd.: 362) zur Folge haben. Es handelt sich hierbei um eine Ablehnung hierarchischer Strukturen, welche auf Grund ihrer starren Bedingungen das gewünschte Ausmaß von Partizipation an Entscheidungsprozessen seitens der Basis verringert und so auf Widerstand stößt (vgl.

ebd.: 362). Vor allem die bereits erwähnte Komplexität der Anforderungen benötigt jedoch umso mehr eine Klarheit und Stabilität, welche oft nur durch ebendiese hierarchische

Strukturen gegeben bzw. erleichtert werden kann. Der Versuch dieses Spannungsverhältnis bestmöglich aufzulösen, stellt Führungskräfte wiederum vor das Problem einer erhöhten sozialen Belastung, da dazu tendiert wird, diese Skepsis gegenüber hierarchischer Strukturen und systemischer Führung mit verstärktem persönlich-interaktivem Aufwand entgegen zu treten (vgl. ebd.: 363).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Multifunktionalität sozialwirtschaftlicher Organisationen und des Non-Profit Sektors allgemein, spezielle Herausforderungen an und für das Management und Führungskräfte in diesem Sektor mit sich bringen.

7.3 Weibliche Führungskräfte im sozialen Sektor

Nachdem nun ein Überblick über die Komplexität der Anforderungen auf Führungsebene gegeben wurde, soll nun in einem nächsten Teil auf die Situation weiblicher Führungskräfte und Besonderheiten der an sie gestellten Erwartungen in sozial-wirtschaftlichen Organisationen eingegangen werden. Diese Besonderheiten werden anhand zwei Studien von Beher et al. (2008) „Die vergessene Elite― und Ursula Müller (2014) „Frauen in Führungspositionen in der Sozialwirtschaft― dargestellt. Auffallend in der Recherche zu dem Thema ist, dass im deutschsprachigen Raum sehr wenig aktuelle Studien gefunden werden konnten, welche die besonderen Herausforderungen von Frauen in Führungspositionen sozialwirtschaftlicher Organisationen in den Blick nehmen. Beher et al. (2008: 14f.) verweisen auf ihr Bestreben anhand ihrer quantitativ angelegten Studie eine Forschungslücke zu schließen, da

bisher kaum empirisch gestützte Aussagen über die in der täglichen Praxis gestellten Anforderungen oder über die Aufgaben- und Tätigkeitsprofile derjenigen, die in Nonprofit-Organisationen Verantwortung übernehmen, getroffen werden [können]

(ebd.: 14).

Auch Ursula Müller (2014: 14f.) kritisiert das Fehlen aussagekräftiger Zahlen trotz der Tatsache, dass diverse Untersuchungen in einzelnen Arbeitsfeldern eine erhebliche Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen in der Sozialen Arbeit aufweisen.

Vor dem Hintergrund des sozialen Sektors als stark weiblich dominierter Tätigkeitsbereich, verwundert die Tatsache fehlender Forschungen in Hinblick auf Geschlechterstrukturen in sozialwirtschaftlichen Organisationen. Es bleibt das Gefühl, dass sich soziale Organisationen darauf ausruhen, sich zwar augenscheinlich seit jeher für Gleichberechtigung stark zu machen und diese oftmals in ihren Leitbildern und Werten

verankert zu haben, sich weiterführend jedoch nicht näher mit vergeschlechtlichten Strukturen und deren Auswirkungen für Frauen in ihrem Karriereverlauf auseinander-zusetzen. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die rezipierten Studien in Deutschland durchgeführt und erhoben wurden. Da es in Österreich keine aktuellen Forschungen mit vergleichbar aussagekräftigem Datenmaterial zu geben scheint, muss auf deutsche Studien zu diesem Thema zurückgegriffen werden. Dies scheint mir jedoch insofern unproblematisch, als dass die österreichische und deutsche Soziallandschaft in Bezug auf den in dieser Arbeit gelegten Fokus auf Frauen in Führungspositionen durchaus eine Vergleichbarkeit zulassen.3 Die Auswertung der erhobenen Daten in Bezug auf den Karriereverlauf von Frauen und Männern in sozialen Organisationen und dessen Einflussfaktoren weist für Beher et al. (2008: 210) ein durchaus zwiespältiges Bild auf.

Während vielerlei Antworten in Bezug auf Bildungsweg, Motiven sowie Erfahrungshintergrund ein recht homogenes Bild zeichneten, so wurden in Hinblick auf das Familienprofil große Geschlechterdifferenzen deutlich. Im Gegensatz zu männlichen Führungskräften, waren weibliche Führungskräfte öfter ledig und hatten seltener und auch weniger Kinder (vgl. ebd.: 195), wobei beruflich tätige Frauen in Führungspositionen

„öfter ein partnerschaftliches Erziehungsmodell als die übrigen Befragten [praktizierten]―

(ebd.: 210). Spannend sind hier auch die Ergebnisse der Erhebung in Bezug auf das subjektive Verzichtsempfinden. "Erstaunlicherweise vertraten die befragten Männer - mit Ausnahme des Bereichs Gesundheit - in höherem Maße als ihre Kolleginnen die Ansicht, für den beruflichen Aufstieg, Ansprüche im Privatleben reduziert zu haben" (ebd.: 197).

Bleiben die Ursachen für dieses Ergebnis von Beher et. al. unkommentiert, so stellt sich die berechtigte Frage, ob Frauen den Balanceakt zwischen Privat,- Berufs- und Familienleben auf Grund sozial antrainierter Selbstverständlichkeit, die Verantwortung für den Familienbereich zu übernehmen und die Belastung, die damit einhergeht somit nicht mehr als solche wahrzunehmen, als weniger anspruchsvoll erleben.

Einen möglichen Erklärungsansatz bietet auch Ursula Müller (2014), welche anhand der durchgeführten Interviews mit weiblichen Führungskräften in sozialwirtschaftlichen

3 Es wird hier verwiesen auf Gøsta Esping Andersons Typolisierung der Wohlfahrtsstaaten aus seinem 1990 erschienenen Werk „The Three Worlds of Welfare Capitalism―. Diese basiert auf der Überzeugung, dass die bisher bestehenden theoretischen Modelle von Wohlfahrtsstaaten inadäquat waren und Wohlfahtsstaaen nicht alle unter einem Typus subsumiert werden können (vgl. Esping-Anderson 1990: 2f.). Laut Esping-Esping-Andersons Modell können Österreich und Deutschland dem konservativ-kontinentaleuropäischen Typus zugeordnet und damit miteinander verglichen werden.

Organisationen unterschiedliche entscheidende Faktoren und förderliche Maßnahmen identifizieren konnte. Als einer dieser entscheidenden Aufstiegsfaktoren wurde die Wichtigkeit der Strukturierung von Beruf und Freizeit und deren Abgrenzung von einander herausgefiltert (vgl. Müller 2014: 210). Diesbezüglich wurde es von Frauen mit Kindern als hilfreich erlebt, Arbeit und Freizeit strikt zu trennen und sich auf den jeweiligen Lebensbereich zu fokussieren. „Die Zeit für wichtige andere Teile des Lebens zu finden ist wesentlich für den Aufstieg. So muss man Arbeit auch Arbeit sein lassen und umschalten und sich bewusst Freiraum vom Beruf schaffen― (ebd.). In diesem Sinne wird die Parallelstruktur Familie, in Form von Partnerschaft und Kind(ern) von Frauen in Führungspositionen als hilfreich erlebt und trägt durchaus unterstützend zum Aufstieg bei.

Zum einen ist die Auseinandersetzung mit Kindern förderlich, um die Arbeit in den Hintergrund rücken zu lassen und zum anderen macht es die Mutterrolle notwendig, sich zeitlich klar von der Arbeit abzugrenzen und die Zeit außerhalb des Berufslebens einzufordern (vgl. ebd.: 234).

Insgesamt konnten die Faktoren der Ausübung ergänzender Tätigkeiten, der Verfolgung eigener Interessen im Karriereverlauf sowie das selbstständige Ergreifen von Initiativen als förderlich für den Aufstieg von Frauen in sozialwirtschaftlichen Organisationen identifiziert werden (vgl. ebd.: 233). Es wird weiters aufgezeigt, dass der Karriereweg nicht unbedingt von Leistung und Person abhängt, sondern davon, Herausforderungen anzunehmen und einen eigenen Weg zu finden. Somit scheint das „Bild von Karrieren von Frauen in Führungspositionen [...] veränderbar. Die befragten Frauen zeigen Möglich-keiten auf, als Frau „sozialverträglich― Karriere zu machen― (ebd.: 228). Weitere wesentliche Faktoren für den Karriereverlauf von Frauen sind unter anderem auch, sich der eigenen Werte bewusst zu sein und diese Haltung zu leben, sowie eigene innere Prozesse zu verfolgen, ihr eigenes Können zu erkennen und sich dieses bewusst zu machen. Die Ergebnisse der von Müller durchgeführten Studie zeigen jedenfalls einen deutlichen Zusammenhang der Geschlechterkonstruktion und den Aufstieg von Frauen in der Sozialwirtschaft.

Deutlich wird, dass die gegenwärtige starke geschlechtliche Hierarchisierung des Handlungsfeldes Sozialwirtschaft durch Geschlechtervielfalt in Führung gerechter gestaltet werden kann. Hierfür ist die Haltung der Organisationsmitglieder wesentlich (ebd.: 244).

Frauen in Führungspositionen sehen sich mit beharrlich haltenden und verfestigten Strukturen konfrontiert, welche sie durch individuelle Dekonstruktion von Geschlecht

begegnen (müssen), wodurch langfristig Organisationskulturen und Strukturen verändert werden können (vgl. ebd.: 244f.). Dementsprechend ist die Karriere abhängig von vorherrschenden Rollenvorstellungen und damit verbundenen Anforderungen an moralische Vorstellung sozialen Handelns (vgl. ebd.). „Für Frauen handlungsleitend im Aufstieg sind, so das Fazit dieser Studie, die klare Haltung für soziale Gerechtigkeit und die Freude am Gestalten, sowohl von Aufgaben in der Organisation als auch der eigenen beruflichen Rolle― (Müller 2014: 244).