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Zur Entstehung der Theorie des transformativen Lernens

Im Dokument Was kann Bildung bewirken? (Seite 20-23)

Jack Mezirow, geboren 1923, zählt in den Vereinigten Staaten zu den führenden Theoretikern der Erwachsenenbildung. Mezirow wurde vor allem für seine Forschungen, die sich mit den Fragen der Basisbildung Erwachsener und mit Wiedereinstiegsprogrammen in höhere Bildung für Frauen beschäftigten, bekannt.

Die Entwicklung seiner Theorie, die ebenso als Theorie der Perspektivenumwandlung bezeichnet wird, entstand in verschiedenen Etappen. Die hier angeführten fünf Phasen werden von Marsick und Finger in einen historisch-persönlichen sowie einen sozialen Kontext gestellt. Marsick und Finger hatten viele Begegnungen mit Mezirow. Beide sind in der Erwachsenenbildung am Teachers College lehrend und haben viel von dieser Theorie übernommen (vgl. Marsick/Finger 1994: 46ff.).

Mezirows Konzept veränderte sich über die Jahre von einer Theorie der sozialen Rollenaushandlung zu einer der Bewusstseinsbildung, einer Theorie der Entwicklung

Erwachsener und schließlich zu einer Handlungstheorie, welche in fünf Phasen dargestellt werden (vgl. ebd.: 64).

Phase 1: Von der Kommunalentwicklung zur Bewusstseinsbildung – Schaffung von Praxis und Nützlichkeit

Phase 2: Die akademische Karriere – Symbolischer Interaktionismus und Grounded Theory

Phase 3: Roger Gould – die psychoanalytischen Dimensionen des Lernens Erwachsener

Phase 4: Jürgen Habermas – der rationale Diskurs und die kritische Selbstreflexion Phase 5: Zu einer Wandeltheorie des Erwachsenenlernens (vgl. Marsick/Finger 1994: 48-61).

Näher wird hier ab der zweiten Phase eingegangen. Diese Phase fand in der Zeit statt, wo Mezirow damit konfrontiert wurde, dass seine eigene Frau wieder ans College zurückkehrte. Mezirow untersuchte damals Wiedereinstiegsprogramme von Frauen zu höherer Bildung. Diese Frauenwiedereinstiegsstudie war eine nationale Untersuchung, basierend auf der Grounded Theory, die aus Interviews in vielen Colleges bestand. In dieser Zeit fasste Mezirow seine zentralen theoretischen Überlegungen im Konzept der Perspektivenwandlung zusammen und es entstanden die Phasen der Transformation, die im nächsten Kapitel angeführt werden.

In dieser Frauenwiedereinstiegsstudie in den 1970er Jahren verwendete er erstmalig die Begriffe Sinnschemata sowie Sinnperspektiven, die grundlegend für Mezirows Konzept über das transformative Lernen sind. Frauen wandeln ihre Sinnschemata als Ergebnis des Lernens der Veränderung von Sinnperspektiven was durch Bildung ermöglicht wird. Die Weltsicht dieser Frauen änderte sich, was wiederum zu neuen Chancen in ihrem Leben führte. Er konnte sehen, wie sich seine eigene Frau durch den Besuch des Colleges in Bezug auf die Art und Weise, wie sie sich selbst und die Welt sah, veränderte. Mezirow erkannte den Perspektivenwandel, der sich hier abspielte. In einem Artikel aus dem Jahr 1977 schrieb er, dass es eigenartig sei, dass diese Bildungsweise, die die Sichtweisen hunderttausender Frauen verändert hätten, nicht den Weg in die Literatur der Erwachsenenbildung gefunden hatte. In Kleingruppen intensiver Selbstbefragung und -reflexion, oft ohne formale Bildung,

haben sich diese Frauen als Produkte einer unterdrückten Geschlechterrolle begreifen gelernt. Die Frauen entwickelten daraufhin neue Sichtweisen, die mit größerer Autonomie und Verantwortlichkeit ihrem Leben gegenüber einhergingen.

Von diesen Frauenwiedereinstiegstudien ausgehend entwickelte Mezirow seine Bildungstheorie (vgl. ebd.: 54-56.).

In der dritten Phase, welche sich in den späten 70er Jahren abspielte, lernte Mezirow den amerikanischen Psychoanalytiker Roger Gould kennen, der grundlegende Anstöße auf dem Weg zu seiner Theorie des Lernens Erwachsener beitrug (vgl.

ebd.: 56). Der Psychiater Roger Gould (1989) behauptet, dass ein traumatisch erlebtes Verbot in der Kindheit zu psychologischen Blockaden im Erwachsenenalter führen kann. ErwachsenenbildnerInnen verstehen dies oft als Lernblockaden. Um der Bedrohung durch Angst zu entgehen, entwickeln Menschen Handlungsmuster oder schützende Schalen in Form von Mitläufer, Allen-Rechttuern, Schauspieler, Perfektionisten oder Workaholics. Indem dem Erwachsenen bewusst wird, dass er nicht autonom handelt, wird die Bedingung für Lernen geschaffen. Ein Erwachsener kann die blockierte Funktion wieder erlangen, indem er die Psychodynamik seiner Lage versteht und trotz Angstgefühl angemessen handelt. ErwachsenenbildnerInnen können Lernende dabei unterstützen, die untauglichen Verhaltensweisen zu erkennen und in Folge zu verändern. Um hier eine Transformation zu erreichen, sollte man sich mit den auftretenden Angst- und Unwohlgefühlen intensiv auseinandersetzen, die einer autonomen Handlung im Wege stehen. Ebenso gehört eine Risikobereitschaft für neue Handlungsschritte dazu (vgl. Mezirow 1997: 117f.).

Die darauffolgende vierte Phase wird von Jürgen Habermas geprägt. Mezirows Denkweise wurde in Habermas Konzept bestätigt. Der deutsche Philosoph und Soziologe vereinigte jene drei für Mezirow bestimmenden Schulen in seiner kritischen Theorie: Symbolischer Interaktionismus, sozialer Wandel sowie Psychoanalyse. Von Habermas übernahm Mezirow die Idee des rationalen Diskurses und der kritischen Selbstreflexion. Sowohl für Habermas als auch für Mezirow waren die kritische Reflexion und die optimalen Bedingungen in einem rationalen Diskurs Voraussetzung für kommunikatives Lernen. Laut Mezirow reflektieren Erwachsene in einem rationalen Diskurs mit bestmöglichen Bedingungen, wie beispielsweise vollständiger Informationszugang für Lernende, ohne Zwänge, Offenheit für andere

Sichtweisen, ihre Einstellungen und Überzeugungen und gleichzeitig können sich diese verändern und somit können neue Sichtweisen entstehen (vgl. Marsick/Finger 1994: 58-60).

Im Erwachsenenalter ist das kommunikative Lernen bedeutsam. Dazu gehören unter anderem das Beschreiben, das Verstehen und Erläutern von Absichten, Werten, moralischen Grundsatzfragen, Idealen sowie Empfindungen und Ursachen. Ständig müssen wir darüber entscheiden, was für uns richtig oder falsch, passend oder unpassend, gut oder schlecht ist. Beim kommunikativen Lernen nach Habermas nimmt hier die Validitätsprüfung die Form eines Konsenses an, der wiederum durch einen rationalen Diskurs ermöglicht wird. Auf den rationalen Diskurs wird im Kapitel 1.4 intensiver eingegangen (vgl. Mezirow 1997: 62ff.).

In der letzten Phase wurde die Idee des Perspektivenwandels zur Theorie der Entwicklung von Erwachsenen ausgebaut. Mezirow entwickelt eine pragmatische Lerntheorie, wo kritische Reflexion, Diskurs und reflexives Handeln zentrale Punkte in der Erwachsenenbildung sind. Lernende sollen zudem die Wahl haben, auszuwählen und selbst zu entscheiden, zu handeln oder nicht, was wesentlich zur persönlichen Entwicklung beiträgt (vgl. ebd.: 63f.).

Im Dokument Was kann Bildung bewirken? (Seite 20-23)