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Gruppendynamische Prozesse

Im Dokument Was kann Bildung bewirken? (Seite 115-121)

10 Günstige Bedingungen sowie beeinflussende Faktoren

10.4 Gruppendynamische Prozesse

In Gruppen können unterschiedliche Veränderungsprozesse wahrgenommen werden. Die Dimensionen reichen dabei von Spannung bis Entspannung, Harmonie und Konflikte, niedriger bis hoher Arbeitsfähigkeit, Unzufriedenheit oder Zufriedenheit der Teilnehmenden sowie der Fremd- oder Selbststeuerung die Beziehung zur Kursleitung betreffend. Die Prozesse verlaufen meistens nicht gleichförmig und beinhalten neben Wendepunkte, Höhe- und Tiefpunkte auch Krisen oder

Sternstunden. Gruppen schlagen bei ihren Entwicklungen einen Zickzackkurs ein, sodass es keine lineare Entwicklung in Richtung mehr Zusammenhalt oder Arbeitsfähigkeit gibt (vgl. König/Schattenhofer 2011: 55f.). Kursleitende sollen neben dem Lern- auch den Gruppenprozess laufend beobachten. Was bedeutet, neben der nonverbalen Kommunikation auch Veränderungen in der Gruppenstruktur zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren. Eine Reihe von Verfahren wirken dabei unterstützend, die von den Cohnschen Regeln, in denen Störungen Vorrang haben, Stichproben in Form des Blitzlichtes bis hin zum Stimmungsbarometer reichen. Die Entwicklung von Gruppen ist von der Herstellung der Balance zwischen aufgabenbezogenen und sozio-emotionalen Bedürfnissen der Mehrheit der Kursteilnehmenden gekennzeichnet. Dieser Prozess wird durch das von Tuckmann (1965, 1977) entwickelte Phasenmodell der Gruppenentwicklung beschrieben (vgl.

Doerry 2010: 139f.)

Nach Tuckmann setzen sich die Entwicklungsphasen einer Gruppe in einem Fünf-Stufen-Modell zusammen:

 Forming: Kennenlernen, Orientierung, , Vereinbarungen

 Storming: Rollenverteilung, Interessenskonflikte, Selbstbehauptung, Konkurrenz

 Norming: Kooperation, Konfliktlösung, Verteilung der Aufgaben

 Performing: effektives Arbeiten, positives Gruppenklima, aufgeteilte Verantwortung

 Adjourning: Ergebnissicherung, Evaluation, Abschied (vgl. Siebert 2011: 98).

Indem der Gruppenprozess über eine eigene Dynamik verfügt, ergeben sich in den einzelnen Phasen folgende Fragen und Aufgaben an die Gruppenleitung:

Phase Forming: großer Druck, es allen recht machen zu müssen; Versuchung, alles selbst in die Hand zu nehmen; auch die Leitung ist neu in dieser Gruppe und will sich in Ruhe orientieren; Überforderung; Angst etwas zu übersehen. Werde ich als Leitung akzeptiert? Aufgabe besteht darin dem Druck und der Unzufriedenheit standzuhalten.

Phase Storming: Spannungsreiche Situation, hin- und hergerissen zwischen Sichbehaupten und Nachgeben; Antworten auf Fragen der TeilnehmerInnen befriedigen nicht; widersprüchliche Erwartungen nehmen zu; TeilnehmerInnen leiten die Gruppe mit; Vorschläge der Leitung bleiben nicht unwidersprochen. Aufgabe an

die Leitung besteht darin Konflikte nicht zu unterdrücken; auf Kritik oder Aggressionen zu reagieren; Auseinandersetzungen zu fördern und zwischen persönlichen und rollenbezogenen Angriffen zu unterscheiden.

Phase Norming: Nähe aushalten; mitmachen, sich einfügen ohne Angst, die Individualität zu verlieren; sich trauen, dem Zustand zu misstrauen; dem Anpassungsdruck widerstehen. Die Anforderung an die Leitung besteht in dieser Phase Distanz wahren zu können; nicht zu hilfreich und unersetzlich zu sein oder zu werden; den Rahmen aufrechtzuerhalten; sich trauen gegenzusteuern und auf vermiedene Konflikte zu achten.

Phase Performing: Durchhalten, die Experimentierfreude nicht verlieren; kollegiale Führung übernehmen. In dieser Phase besteht für die Leitung die Aufgabe Verantwortung zu übertragen; auf das Potenzial der Gruppe zu vertrauen; sich nicht für unersetzlich zu halten und der Gruppe weiterhin Zeit und Interesse zu widmen.

Phase Adjourning: Trauern, sich trennen können; sich neu orientieren; von alten Geschichten ablassen können; Offenes noch ansprechen, ohne alles Versäumtes nachholen zu müssen. Die Leitung hat hier die Aufgabe den Abschied zu gestalten;

für die Aufarbeitung der Reste zu sorgen und Offenes abzuschließen (vgl.

König/Schattenhofer 2011: 62f.).

In Gruppen sind diese Entwicklungsphasen vielfach zu beobachten, dennoch handelt es sich dabei um keine Gesetzmäßigkeit. Häufig kommt es erst im Laufe des Kurses oder Seminars zu Störungen, Konflikten, Fraktionskämpfen. Gruppen sind dynamische, emergente, selbstorganisierte Systeme, die nicht mechanisch verlaufen, sondern voller kritischer Ereignisse und Überraschungen sind (vgl. Siebert 2012:

100). GruppenleiterInnen sollen über eine hohe Kompetenz im Umgang mit Spannungen und Krisen verfügen, sodass sie ein Feingefühl dafür entwickeln, wann bei Störungen eingegriffen werden soll und wann nicht. Gruppenprozesse unterliegen laut Feldtheorie Kurt Lewins (1982) unterschiedlichen Polen, wobei die zentralsten Dimensionen dabei Differenzierung (z. B. Spannungen, gegensätzliche Meinungen) und Integration (z. B. Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, gleiche Sichtweisen und Erlebnisse) sind. Nach diesem Modell wird angenommen, dass sich die Gruppe durch größere, gleichermaßen verlaufende Ausschläge in beide Richtungen gut weiterentwickeln kann (vgl. König/Schattenhofer 2011: 58f.).

In Kursgruppen bildet sich im Laufe der Zeit meistens eine relativ stabile Struktur heraus. Dennoch ist die Gruppe ein dynamisches Gebilde, das auf Veränderungen reagiert. Konstanz bei der Zusammensetzung von Gruppen ist eine wichtige Bedingung ihres Funktionierens. Deshalb ist Fluktuation eine der unangenehmsten Begleiterscheinungen in der Gruppenharmonie. Schon bei geringfügiger Veränderung der Zusammensetzung der Teilnehmenden entsteht die Notwendigkeit, sich zu wiederholen, damit die Neuen ins Bild gebracht werden können. Gruppen sind existenzfähig, wenn sie nach außen eine gewisse Geschlossenheit bilden (vgl.

Krainz 2011: 164f.).

Nach Aufzeichnungen des Forschungstagebuches ist die Zusammensetzung der Gruppe sowie das Kennenlernen am ersten Kurstag für die Kursleitung fast immer ein spannender Augenblick. Da sich die Gruppe aus Wiedereinsteigerinnen unterschiedlicher Herkunft, Berufsausbildung und Alter zusammensetzen, handelt es sich erfahrungsgemäß meistens um heterogene Gruppen (vgl. FT 2 2017: 5).

10.4.1 Bestimmte Zielgruppen

In Kursmaßnahmen kann eine bestimmte Homogenität der Kursgruppe den Lernprozess positiv beeinflussen. Die Homogenität betrifft hier neben den Motiven, das Vorwissen, das Anspruchsniveau, das Lernverhalten und die Verwendung des übermittelten Kursinhaltes. Zu Beginn des Kurses sollten deshalb die gemeinsamen und unterschiedlichen Interessen und Lernvoraussetzungen besprochen werden.

Berufsbildende Kursmaßnahmen können hingegen durchaus heterogen zusammengestellt werden. Wenn die Kursteilnehmenden aus verschiedenen Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen kommen sowie unterschiedlichen Alters sind, kann sich das unter Umständen anregend und motivierend auf die Gruppe auswirken. In der Erwachsenenbildung wird nicht nur durch das übermittelte Wissen der Kursleitung gelernt, die Kursteilnehmenden lernen ebenso untereinander von ihrem Erfahrungswissen. Demzufolge können unterschiedliche Biografien und Lebensereignisse von Vorteil für alle Lernbeteiligten sein. Somit bedeutet Zielgruppendidaktik nicht nur, Wissen an eine homogene Gruppe weiterzugeben, sondern gezielt Heterogenität sowie das Erfahrungswissen der Kursteilnehmenden zu reflektieren und zu nutzen (vgl. Nuissl/Siebert 2013: 133f.).

Nach Siebert (2011) lernen wir einerseits durch Selbstreflexion und andererseits durch die Konfrontation mit Andersdenkenden. Wenn neue Perspektiven wahrgenommen werden, durch Horizonterweiterung in Form von Anschlussfähigkeit und Neuigkeit kann in Gruppen gelernt werden. Andere Sichtweisen, die neu und interessant für uns sind, werden dabei mit der eigenen verknüpft. So erleichtert die Homogenität in einer Gruppe zwar das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Kohäsion, aber eine heterogene Gruppe kann aufgrund der Vielfalt des Wissens und der unterschiedlichen Erfahrungen lerneffektiver und interessanter sein (vgl. Siebert 2011: 100). Anhand der Aufzeichnungen in den Forschungstagebüchern wird diese Sichtweise geteilt (vgl. FT 1 2016: 4/FT 2 2017: 7/FT 3 2017: 9).

10.4.2 Dropout-Quote als Indikator eines erfolgreichen Kurses

In Bildungsmaßnahmen der Erwachsenenbildung ist das Wegbleiben aus einer Kursmaßnahme ein verbreitetes Phänomen. Unter Dropout fallen neben dem Kursabbruch auch die unregelmäßige Teilnahme und die passive Anwesenheit (vgl.

Nuissl 2010: 69).

Häufig sind es Kleinigkeiten, beispielsweise eine ironische oder kritische Bemerkung des Kursleitenden oder das Ignorieren eines Kursbeitrages, was zu Enttäuschungen und in Folge zum Dropout führt. Die extrinsische und intrinsische Motivation, emotionale Stimmungen sowie Stress haben ebenso einen bedeutenden Einfluss auf die Dropout-Quote. Je mehr thematische Interessen mit emotionalen Bedürfnissen verknüpft sind, desto geringer fällt sie aus. Oftmals liegt bei Kursen, die von der Arbeitsagentur verordnet wurden, bereits ein innerer Drop-out vor. Die Teilnehmenden sind ohne Interesse und aktiver Mitarbeit dabei. So können schweigende KursteilnehmerInnen oftmals ein Indiz für Dropout sein und sollten deshalb aktiv ins Kursgeschehen miteingebunden werden (vgl. Siebert 2011: 32f.).

Die Aufzeichnungen in den Forschungstagebüchern zeigen, dass Kursteilnehmerinnen, die am Vortag in der Gruppe ungeheuren Widerstand leisten, am darauffolgenden Kurstag der Gruppe oftmals fernbleiben. Per SMS wird dann abgesagt und als Grund häufig private Probleme angegeben oder die Wiedereinsteigerinnen nehmen Krankenstand sowie Pflegeurlaub in Anspruch (vgl.

FT 1 2016: 2f./FT 2 2017: 6):

„Jene Kursteilnehmerin, die großen Widerstand gegen die Gruppe und den Kurs leistet, ist bis Montag im Krankenstand. Die restliche Gruppe arbeitet optimal zusammen - ausreden lassen, zuhören, Wertschätzung und Respekt sind wieder vorhanden.“ (FT 1 2016: 3)

Der Kursleiterin fällt des Weiteren auf, dass eine zu lange Abwesenheit ihrerseits von der Gruppe ebenso zu vermehrten oftmals unentschuldigten Fehlstunden führt (vgl.

FT 1 2016: 4):

„Die Kursteilnehmerinnen sind sehr demotiviert, kommen teilweise zu spät;

vier von elf Teilnehmerinnen fehlen, drei sind überhaupt unentschuldigt. Ich habe den Eindruck, dass ich von der Gruppe zu lange weg war.“ (FT 1 2016:

4)

Eine Kursmaßnahme, die im März 2017 durchgeführt wurde, war von den ganzen bis dato durchgeführten Kursmaßnahmen, diejenige mit der geringsten Dropout-Rate.

Die Kursleiterin spürte in diesem Kurs von Anfang bis zum Ende eine große Vertrautheit sowie eine gewisse Verpflichtung der Gruppe der Kursleitung gegenüber. Die aktive Mitarbeit, Engagement, Interesse, eine gute Gruppendynamik und Zuverlässigkeit waren fast ausnahmslos gegeben. Am letzten Kurstag sowie in der Woche zuvor, wo die Einzelgespräche und Praktika stattfinden, waren alle Wiedereinsteigerinnen durchgehend anwesend. Auch die Wochen zuvor wurden auffallend wenige Abwesenheiten in Form von Krankenstand und Pflegeurlaub verzeichnet. Die Kursleitung war in dieser Gruppe häufiger anwesend, da sie diesmal auch die Arbeit der externen ReferentInnen übernommen hat. Die fortwährende Anwesenheit der Kursleitung ließ ein intensiveres gemeinsames Gruppengefüge entstehen. Es wurde in einer Wellenlänge gelacht und gedacht. Dadurch fühlten sich die Kursteilnehmerinnen vermutlich einerseits der Gruppe und andererseits der Kursleitung gegenüber verpflichteter daran teilzunehmen (vgl. FT 2 2017: 10).

Folgende Gründe können Erklärungen für Dropout liefern:

 Individuelle Faktoren: Darunter fallen Persönlichkeitsstruktur, Bildungsbiografie und Motivation. Je mehr persönliche Kontakte unter den Kursteilnehmenden gegeben sind, desto geringer ist die Dropout-Quote.

Können die Teilnehmenden zu ihren Erfahrungen und zu ihrer Alltagswelt keinen Bezug herstellen oder werden ihre Erwartungen im Kurs nicht erfüllt, erhöht dies ebenso die Dropout-Quote.

 Faktoren des Lehr- und Lernprozesses: Neben der persönlichen sowie fachlichen Akzeptanz der Kursleitung spielt die Zusammensetzung der Gruppe eine weitere Rolle, da eine Kursteilnahme meistens auch ein geselliges Ereignis darstellt. Oftmals kommt es gleich zu Beginn der Kursmaßnahme zum Abbruch, da in dieser Zeit Erwartungsmissverständnisse aufgedeckt werden. Eine Über- oder Unterforderung der Teilnehmenden oder eine zu scharfe Leistungskontrolle können ebenso Gründe für einen Dropout sein.

 Rahmenbedingungen: Dazu gehören neben der Dauer und der Erreichbarkeit der Bildungsmaßnahme der berufliche Nutzen (vgl. Nuissl 2010: 69).

Im internationalen Vergleich wurde ergänzend zu den günstigen Bedingungen, die transformative Lernprozesse beeinflussen, noch folgendes gefunden.

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