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Zum Stellenwert der dualen Ausbildung in Großunternehmen

Duale Ausbildung in Großunternehmen – Stellenwert und Ausbildungsvarianten

4.1 Zum Stellenwert der dualen Ausbildung in Großunternehmen

Äquivalent zu anderen Studien (vgl. dazu Weber 2007; Dionisius u. a. 2009; Hippach-Schnei-der/Weigel 2011) kann der Stellenwert der Berufsausbildung in den befragten Großunter-nehmen als hoch eingeschätzt werden. Die klassische duale Ausbildung wird derzeit und zukünftig als „Königsweg“ eingeschätzt, um Fachkräfte für die mittlere Qualifikationsebene auszubilden. Der Großteil der befragten Unternehmensvertreter/-innen ist mit dem Qualifi-zierungsweg duale Ausbildung (sehr) zufrieden. Dabei ist es wichtig anzumerken, dass davon auszugehen ist, dass die Unternehmen sich bei den Aussagen zum Stellenwert und zur

Zufrie-denheit mit der dualen Ausbildung auf die im eigenen Haus betriebene Ausbildungsorgani-sation und -kultur beziehen. Entsprechend sind die befragten Großunternehmen mit der in ihren Unternehmen ausgestalteten dualen Ausbildung zufrieden.

Die Faktoren, die den Stellenwert der Ausbildung in Unternehmen begünstigen, lassen sich übersichtlich anhand eines mehrdimensionalen Betrachtungsansatzes darstellen, der das breite Spektrum der benannten Gründe und potenziellen Hemmnisse für die duale Ausbil-dung verdeutlicht. Neben ökonomischen sind auch werteorientierte und gesellschaftspoliti-sche Gründe erkennbar, die die Ausbildungsaktivitäten der Großunternehmen beeinflussen (vgl. Abbildung 3).

Erwartungsgemäß kann der in der Studie zum Ausdruck gebrachte hohe Stellenwert vor allem über die ökonomische Dimension begründet werden. Auch wenn sich das Kosten-Nutzen-Ver-hältnis nur schwer in Zahlen ausdrücken lässt, wird die Ausbildung von den Großunternehmen als rentabel angesehen. Die qualitative Hochwertigkeit der Ausbildung rechtfertigt für viele Un-ternehmen die entstehenden (hohen) Kosten. Neben dem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis wird das zukünftige Festhalten an der dualen Ausbildung von den befragten Großunternehmen weiterhin über die steigende Flexibilität und dadurch zu erreichende Qualität dualer Ausbildung begründet. Sie schätzen die Gestaltungsoffenheit und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Ausbildung, wie z. B. neue Prüfungsformen oder zweijährige Berufe, die es ihnen ermög-lichen, die Fachkräfte entsprechend betriebsspezifischen Anforderungen auszubilden. Dieser Befund bestätigt die Erkenntnisse thematisch affiner Studien zur Kosten-Nutzen-Betrachtung dualer Berufsausbildung, in denen der Grad der Ausbildungsaktivität als von positiven Effektivi-tätsbetrachtungen abhängig beschrieben wird (vgl. u. a. Dionisius et al. 2009).

Gesellschafts-politische Dimension

Werte-orientierte Dimension Ökonomische

Dimension

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 3: Strukturierungsansatz zur Bewertung des Stellenwerts dualer Ausbildung

Weitere benannte positive Effekte, die zu einem hohen Stellenwert der Ausbildung beitragen, sind die frühe Integration der Auszubildenden in die Unternehmensstruktur und -kultur, die Vermittlung unternehmensbezogener Werte sowie die Erzeugung eines hohen Identifizie-rungsgrades mit dem Unternehmen. Über den externen Markt rekrutierte Fachkräfte können diesen Vorsprung gegenüber den Ausbildungsabsolventen und -absolventinnen nicht oder nur schwer einholen. Auch spielt die Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung keine unbedeutende Rolle. Diese wird als gemeinsame Aufgabe von Staat, Gesellschaft und Unter-nehmen verstanden.

Drei zentrale Gründe für die befragten Unternehmen, selbst auszubilden, sind:

˘ Passgenauigkeit: Alle 30 Befragten nennen die nach den betrieblichen Anforderungen ausgerichtete Qualifizierung von Nachwuchskräften als Hauptgrund für die eigene Aus-bildung.

˘ Fachkräftemangel: Ein Großteil (24 von 30) äußert als Grund für die eigene Ausbildung die Gewinnung von Fachkräften, da es einen Mangel an qualifiziertem Personal auf dem Arbeitsmarkt gibt.

˘ Kostenersparnis: 22 Unternehmen geben die Einsparung hoher Einarbeitungskosten be-triebsfremder Fachkräfte als Grund an.

Trotz der vielfältig benannten positiven Konnotationen für die duale Ausbildung haben die Unternehmen auf Veränderungs- und Verbesserungsbedarf hingewiesen.

Insbesondere betriebliche Experten/Expertinnen, die angeben, mit der dualen Ausbil-dung weniger zufrieden zu sein (5 von 30), nennen als häufigsten Mangel die Qualität des Berufsschulunterrichts und wünschen sich eine Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Berufsschulen. Die benannten Verbesserungspotenziale sind deckungsgleich mit der öffent-lich diskutierten Kritik an der Rolle der Berufsschulen im deutschen Bildungssystem (vgl. dazu Handelsblatt 2012). Kritisiert werden vor allem die nicht zufriedenstellende Verzahnung der Berufsschulcurricula mit den sich verändernden betrieblichen Anforderungen sowie der vorherrschende Mangel an Lehrkräften. Die erkennbare mangelnde Wertschätzung der Be-rufsschulen im deutschen Bildungssystem wird im Vergleich zu Hochschulen – gemessen am finanziellen Aufwand der Länder – teilweise als nicht angemessen bewertet. Die Unternehmen kaufen deshalb zum Teil mit hohem finanziellem Aufwand die für sie relevanten Inhalte bei ex-ternen Partnern ein (z. B. Zusammenarbeit mit Weiterbildungsakademien und Hochschulen).

Als weitere Ansatzpunkte zur Verbesserung der dualen Ausbildung werden hauptsäch-lich folgende Aspekte genannt: die Unübersichthauptsäch-lichkeit der Ausbildungsberufe, die immer noch zu geringe Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Berufen und Bildungssystemen und der oftmals langjährige und unflexible Prozess bei der Neuordnung von Berufen.

Die folgende Tabelle ermöglicht eine Übersicht über die im Einzelnen benannten för-dernden und hemmenden Faktoren für die duale Ausbildung sowie über den geäußerten Ver-besserungsbedarf am dualen Ausbildungssystem aus Sicht der befragten Unternehmen.

Tabelle 1: Fördernde und hemmende Faktoren der Ausbildung nach BBiG/HwO aus Sicht der Unternehmen

Aspekt Leistungsfähigkeit

Fördernde Faktoren ˘ Kombination aus Theorie und Praxis

˘ Höheres Ausbildungsniveau/Gestiegene Anforderungen

˘ Qualitativ höhere Ausbildung als früher

˘ Zentrales Prüfungssystem bei den zuständigen Stellen (Kammern)

˘ Betriebsspezifische Qualifizierung der Fachkräfte

˘ Möglichkeiten der Verzahnung von Aus- und Weiterbildung

Hemmende Faktoren ˘ Zu wenig Praxisbezug im Schulsystem, zu wenig individuelle Förderung der Schüler/-innen

˘ Zunehmende Heterogenität der Bewerbergruppe

˘ Trend zur Akademisierung des Bildungssystems und dadurch Abwertung der Berufsbildung

˘ Leistung/Kooperation mit den Berufsschulen/Fehlende Inhalte in Curricula der Berufsschulen

˘ Zu große Anzahl an Berufen

˘ Fehlende Durchlässigkeit an der Schnittstelle zur Hochschule Verbesserungsbedarf ˘ Individuellere Förderung der Schüler/-innen während der Schulzeit

˘ Attraktivität der dualen Ausbildung gegenüber Studiengängen stärken

˘ Verbesserte Ausbildung der Schüler/-innen in der Berufsschule bzw. Professionalisierung des Lehrpersonals und bessere Kooperation mit Unternehmen; Stärkung der Stellung der Berufs-schulen im Schulsystem

˘ Weniger Berufe bzw. Stärkung des Berufsgruppenprinzips

˘ Mehr Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Studium Aspekt Kosten-Nutzen-Verhältnis

Fördernde Faktoren ˘ Höhere Rentabilität der eigenen Ausbildung gegenüber der Rekrutierung externer Fachkräfte Hemmende Faktoren ˘ Abnehmende Zahl der (geeigneten) Bewerber/-innen

Verbesserungsbedarf ˘ Abkehr von politisch forcierter Akademisierung des Berufsbildungssystems

Aspekt Flexibilität

Fördernde Faktoren ˘ Höhere Flexibilität (z. B. durch Gestaltungsoffenheit, Berufsgruppen), um auf heterogene Ziel-gruppen zugehen zu können

˘ Schnellere Umsetzung neuer Berufe

˘ Erneuerung der Berufsbilder und positive Entwicklung des Prüfungswesens durch die Einführung der gestreckten Abschlussprüfung

Hemmende Faktoren ˘ Zunehmend steigendes Anforderungsniveau der Ausbildung, zu viele Inhalte

˘ Umsetzung neuer Berufe noch nicht schnell genug

˘ Bindung von Ausbilderkapazität durch hohes Engagement bei der IHK Verbesserungsbedarf ˘ Häufigere und schnellere Überprüfung und Neuordnung der Berufsbilder

˘ Flexibilisierung des Systems/Modularisierung

Aspekt Werteorientierung

Fördernde Faktoren ˘ Vermittlung unternehmensbezogener Werte/Erzeugung eines hohen Identifizierungsgrades mit dem Unternehmen

˘ Fortführung der Unternehmenstradition Hemmende Faktoren ˘ Keine benannt

Quelle: Eigene Darstellung

Der durch die befragten Großunternehmen identifizierte Verbesserungsbedarf – auch mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen (vgl. Wünsche et al. 2011) – ist nicht völlig neu.

Deutlich wird jedoch, dass Großunternehmen aufgrund ihrer finanziellen und personellen

Ressourcen den festgestellten Verbesserungsbedarf innerbetrieblich kompensieren. Unter-nehmen, die ihren Bedarf durch das Ausbildungsangebot auf Dauer nicht erfüllt sehen, entwi-ckeln proaktiv eigene Ausbildungsvarianten, die sich vom klassischen dualen Ausbildungssys-tem in einem unterschiedlichen Ausmaß entfernen.