• Keine Ergebnisse gefunden

Regionale Disparitäten beim Übergang in duale Ausbildung: eine Typologie des IAB

4. Determinanten des Übergangsgeschehens

4.1 Theoretische Zugänge

Im zweiten Schritt der Erarbeitung der Ausbildungstypisierung gilt es nun, regionale Struk-turgrößen zu identifizieren, die einen Einfluss auf die Übergangsrate in betriebliche Ausbil-dung ausüben. Dazu sind zunächst theoretische Überlegungen hilfreich. Allerdings gibt es bisher keine konsistente Theorie des Ausbildungsmarktes (Wolter/Ryan 2011). Bestehen-de Ansätze untersuchen entweBestehen-der das Investitionsverhalten von Firmen in Ausbildung (die Nachfrageseite des Ausbildungsmarktes) oder Übergangsrisiken von Schulabgängern/Schul-abgängerinnen in Ausbildung (die Angebotsseite des Ausbildungsmarktes). Beide Teilfrage-stellungen wurden bisher zudem meist aus Mikroperspektive der einzelnen Betriebe bzw.

Individuen analysiert. Entsprechend finden sich nur sehr wenige empirische Studien, die die Effekte regionaler Merkmale auf Ausbildungsmärkte untersuchen (Mühlemann/Wolter 2007, 2011; Schweri/Müller 2007; Hillmert 2001).

Die Ergebnisse der vorliegenden Literatur lassen sich wie folgt zusammenfassen: Da das duale Ausbildungssystem in Deutschland marktbasiert ist (wenn auch unvollkommen), ist dieser Sektor der beruflichen Bildung sehr viel anfälliger für zyklische Fluktuationen in Ange-bot und Nachfrage als schulisch organisierte Bildung (Wolter/Ryan 2011). Gut belegt ist hier die Tatsache, dass die Ausbildungsentscheidungen von Arbeitgebern von ihren Geschäftser-wartungen abhängen (Troltsch/Walden 2010). Auf der Makroebene führt das dazu, dass räumliche und zeitliche Konjunkturschwankungen die Nachfrageseite des Ausbildungsmark-tes beeinflussen (Kleinert/Jacob 2012; Hillmert 2001; Wolter/Ryan 2011). Umgekehrt ist das Angebot an Auszubildenden im dualen System eng an demografische Entwicklungen gekoppelt. Hier zeigt sich, dass der Wettbewerb zwischen Bewerbern/Bewerberinnen um Ausbildungsplätze steigt, je mehr von ihnen gleichzeitig die Schule verlassen (Kleinert/Ja-cob 2012; Hillmert 2001).

Neben zyklischen Veränderungen gibt es strukturelle regionale Differenzen, die sich meist deutlich langsamer verändern. Auf der Angebotsseite spielt vor allem die Bildungs-zusammensetzung von Schulabgängern/Schulabgängerinnen eine Rolle. Je mehr von ihnen eine Hochschulreife erwerben, desto mehr werden auch nach der Schule ein Studium auf-nehmen, anstatt um Ausbildungsplätze zu konkurrieren (Schweri/Müller 2007). Das Glei-che gilt, wenn sich in einer Region viele schulisGlei-che Alternativen zur betriebliGlei-chen Ausbildung wie zum Beispiel Berufsfachschulen, Fachschulen, Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten befinden (Mühlemann/Wolter 2007). Daneben sind auch sozialstrukturelle Merkmale wichtige Determinanten der individuellen Übergangschancen von Schulabgän-gern/Schulabgängerinnen in duale Ausbildung. Sie signalisieren Arbeitgebern mögliche Pro-bleme während der Ausbildung und führen so dazu, dass sie Jugendliche mit diesen Merkma-len oft nicht einstelMerkma-len. Vor allem Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und junge Männer mit Migrationshintergrund taten sich in den letzten Jahren schwer, einen

betrieb-lichen Ausbildungsplatz zu finden (Solga 2002; Aybek 2011). Ob dieser Zusammenhang auf der Aggregatebene ebenfalls Wirkung zeigt, wurde bisher nicht untersucht.

Auf der Nachfrageseite des Ausbildungsmarktes liefert die Literatur zu der Frage, wa-rum Firmen in Ausbildung investieren (Acemoglu/Pischke 1998, 1999; Leuven 2005), ei-nige Hinweise auf regionale Differenzen in Firmencharakteristika, die Ausbildungsmärkte beeinflussen könnten. Empirisch konnte erstens gezeigt werden, dass tarifgebundene Firmen eher dual ausbilden als nicht tarifgebundene, weil in Tarifverhandlungen Lohnuntergrenzen festgelegt werden, die zu Lohnkompression führen (Dustmann/Schönberg 2008). Zweitens führen friktionale Arbeitsmärkte dazu, dass ältere und größere Firmen stärker von betrieb-licher Ausbildung profitieren als neu gegründete und kleinere (Dustmann/Schönberg 2008). Außerdem haben große Firmen in der Regel eine größere Menge geeigneter Arbeit für Auszubildende und passende Vakanzen für Facharbeiter/-innen im Anschluss an die Aus-bildung (Schweri/Müller 2007), und sie verfügen meist über interne Arbeitsmärkte und können somit mehr Nutzen aus Informationen über die Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Auszubildenden ziehen (Dustmann/Schönberg 2008).

In qualitativer Hinsicht sind die Qualifikationsanforderungen von Firmen ein Faktor, der ihre Ausbildungsentscheidungen treibt. Arbeitgeber werden nur dann in Ausbildung investie-ren, wenn sie künftigen Bedarf an Fachkräften haben (und wenn Ausbildung für sie günstiger ist als die Einstellung externer Fachkräfte). Das mag ein Grund dafür sein, warum empirisch große Branchenunterschiede in den Ausbildungsentscheidungen von Firmen gezeigt werden konnten (Neubäumer/Bellmann 1999). Während traditionell das verarbeitende Gewer-be das Gros der dualen Ausbildung in Deutschland stellte (Hillmert 2008), wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Ausbildungsstellen in Dienstleistungsberufen angeboten, während die Stellen im verarbeitenden Sektor, insbesondere in manuellen Berufen in kleinen Firmen, zurückgegangen sind (Thelen/Busemeyer 2008; Bundesinstitut für Berufsbil-dung 2011). Daneben tragen Kosten und Erträge dazu bei, Branchenunterschiede in der Aus-bildungsnachfrage zu erklären. Mehrere Studien können zeigen, dass hohe Ausbildungskos-ten Arbeitgeber daran hindern, in Ausbildung zu investieren, und KosAusbildungskos-ten-Nutzen-Analysen belegen große Differenzen zwischen unterschiedlichen Berufen und Branchen in den Net-tokosten der Ausbildung in Deutschland (Schönfeld et al. 2010). Vergleichsweise niedrige Ausbildungskosten finden sich in der Landwirtschaft, in persönlichen Dienstleistungen, me-dizinischen Assistenzberufen, Hotel und Gastronomie sowie im Verkauf.

In räumlicher Hinsicht spielt auch der Urbanisierungsgrad einer Region eine Rolle. So hat in ländlichen Räumen die Reputation eines Betriebs einen größeren Einfluss auf betriebliche Ausbildungsentscheidungen als in städtischen Regionen (Sadowski 1980; Franz/Soskice 1995). Auf dem Land signalisiert die Beteiligung an Ausbildung Bewerbern/Bewerberinnen einen qualitativ hochwertigen Arbeitsplatz und vermittelt gesellschaftlich den Eindruck von sozialem Engagement.

Sektorale Unterschiede können schließlich auch aus Ausbildungsentscheidungen von Jugend-lichen resultieren. So zeigten Franz/Soskice (1995), dass es in den frühen 1990er-Jahren in Deutschland in „schmutzigen“ Berufen auf dem Bau und in der Metall- und Lebensmit-telverarbeitung mehr Ausbildungsstellen als Bewerber/-innen gab, wogegen in technischen Berufen, im Marketing und Verkauf, in der Verwaltung und in sozialen und erzieherischen Berufen mehr Bewerber/-innen als Stellen zu finden waren. Auf der regionalen Ebene füh-ren diese Rangfolgen von Berufen zu Ausbildungsmobilität: Regionen mit vielen unattrakti-ven Ausbildungsberufen dürften Schwierigkeiten haben, die dortigen Stellen zu besetzen, weil Jugendliche in benachbarte Regionen ausweichen. Umgekehrt dürften Regionen mit vielen attraktiven Ausbildungsplätzen einen großen Zustrom an Bewerbern/Bewerberinnen verzeichnen. Ähnliche Zusammenhänge dürften mit der Zahl der Firmen und der von ihnen angebotenen Ausbildungsstellen in der Region selbst und in angrenzenden Regionen beste-hen. Dass Ausbildungsmobilität in Deutschland von Bedeutung ist, zeigen Bogai/Seibert/

Wiethölter (2008). Diese räumlichen Interdependenzen gilt es in regionalen Analysen des Ausbildungsmarktes empirisch zu kontrollieren.

4.2 Operationalisierung und Ergebnisse

Schwieriger als die theoretische Ermittlung der relevanten Einflussgrößen ist deren Operatio-nalisierung. Für einige Faktoren liegen keine flächendeckenden Daten vor (Grad der betrieb-lichen Tarifbindung, schulische Alternativen), für andere lassen sich vorhandene Daten nicht auf die hier verwendeten räumlichen Einheiten aggregieren oder weisen zu viele fehlende Werte auf (SGB-II-Bezugsquote). Für die meisten theoretisch diskutierten Determinanten las-sen sich jedoch empirisch messbare Indikatoren finden (Tabelle 1).

Um nach den theoretischen Erwägungen empirisch zu ermitteln, welche dieser Einfluss-faktoren einen messbaren Effekt auf die Übergangsrate in betriebliche Ausbildung haben, wurde die Übergangsrate auf die Strukturgrößen regressiert. Dabei wurden Variablen mit insignifikanten Effekten schrittweise aus dem Modell ausgeschlossen. Neben vielen Robust-heitstests mit unterschiedlichen Spezifikationen und Teilstichproben wurden die üblichen diagnostischen Tests sowie Tests auf räumliche Interdependenz durchgeführt, um die Ergeb-nisse zu validieren.5 Neben den Merkmalen der Region selbst wurden auch Eigenschaften von Regionen in die Analysen aufgenommen, mit denen starke Pendelbeziehungen bestehen, um zu berücksichtigen, dass Auszubildende die Grenzen der gewählten Untersuchungseinheiten überschreiten und Ausbildungsregionen räumlich interdependent sind (die sogenannten Um-gebungsvariablen). Dazu wurde zunächst aus den Ausbildungsdaten der Statistik der BA eine Matrix aller 154 Arbeitsagenturbezirken gebildet, die die Zahl der Ausbildungspendler im Jahr 2009/2010 enthält. Anschließend wurden alle in Tabelle 1 aufgeführten Variablen als Vektoren für alle Regionen berechnet, indem sie mit dieser Matrix gewichtet wurden.

5 Robuste Lagrange-Multiplier-Tests auf einen räumlichen Lag und einen räumlichen autoregressiven Fehler der ersten Ordnung (AR[1]).

Tabelle 1: Indikatoren für Determinanten der betrieblichen Übergangsrate

Determinante Indikator Errechnet aus

Demografischer Druck Relative Kohortengröße N Schulabgänger/

N Bevölkerung im Erwerbsalter (15–64)

Konjunktur Arbeitslosenquote

(abhängig Beschäftigte)

N Arbeitslose/

(N Arbeitslose + N abhängig Beschäftigte)

Bildungskomposition von Schul-abgängern

Anteil von Schulabgängern mit Hoch-schulreife

N Abgänger mit Hochschulreife/

N Abgänger aus allgemeinen Schulen Soziale Komposition von

Schul-abgängern

Anteil der ausländischen Bevölkerung N ausländische Bevölkerung/

N Bevölkerung Ausbildungsstellendichte Besatz mit potenziellen

Ausbildungs-stellen

N Beschäftigte in Ausbildungs-betrieben/

N Beschäftigte in allen Betrieben Größenstruktur der Betriebe Anteil großer Ausbildungsbetriebe N Ausbildungsbetriebe mit 500 oder

mehr Beschäftigten/

N Ausbildungsbetriebe Branchenstruktur der Betriebe Anteil Ausbildungsbetriebe in

sekun-därem Sektor

N Ausbildungsbetriebe in ver-arbeitendem und Baugewerbe/

N Ausbildungsbetriebe

Urbanisierung Bevölkerungsdichte (ln) Einwohner/km2

Das endgültige Modell enthält sechs Prädiktoren, die allesamt hochsignifikante Effekte auf-weisen (Tabelle 2). Insgesamt erklären diese Variablen fast 70 Prozent der Varianz der Über-gangsrate in betriebliche Ausbildung. Fünf Variablen sind Indikatoren für die Struktur des Ausbildungsmarktes in der Region selbst. Zusätzlich wurde eine Umgebungsvariable in das Modell aufgenommen: der Anteil großer Ausbildungsbetriebe in den angrenzenden Regio-nen. Alle Vorzeichen stimmen mit den theoretischen Überlegungen überein. Als nicht signifi-kant erwiesen sich dagegen drei Variablen: die Bevölkerungsdichte einer Region, ihr Auslän-deranteil und ihr Ausbildungsplatzbesatz. Insgesamt müssen also negative Effekte im Modell nicht zwangsläufig auf Engpässe im regionalen Ausbildungsmarkt hinweisen, so wie dies die Effekte der zyklischen Faktoren Kohortenstärke und Arbeitslosenquote tun. Einige Faktoren mit negativen Vorzeichen wirken vielmehr entlastend auf regionale Ausbildungsmärkte, weil Jugendliche damit Alternativen zu dualer Ausbildung haben, so zum Beispiel die Umgebungs-variable und der Abiturientenanteil. Dies muss dann vor allem bei der Interpretation der Aus-bildungstypen im nächsten Abschnitt beachtet werden.

Tabelle 2: Effekte der Strukturmerkmale auf die regionale Übergangsrate in betriebliche Ausbildung 2009/2010 (OLS-Regression)

Unabhängige Variablen b SE t Adj. R2 = .693

Konstante .504*** .0048 103.89 N = 154

Kohortenstärke -.059*** .0067 -8.76

Abiturientenquote -.028*** .0065 -4.25

Arbeitslosenquote -.040*** .0072 -5.53

Sekundärer Sektor -.051*** .0065 -7.87

Großbetriebsquote .029*** .0062 4.75

Umgebungsvariable Großbetriebe -.049*** .0050 -9.73

Quellen: BIBB-Erhebung der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, Statistik der BA, Bevölkerungsstatistik und Statistik der all-gemeinbildenden Schulen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder; eigene Berechnungen