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Ausbildungsvarianten zur Qualifizierung von Fachkräften

Duale Ausbildung in Großunternehmen – Stellenwert und Ausbildungsvarianten

4.2 Ausbildungsvarianten zur Qualifizierung von Fachkräften

Die duale Ausbildung ist in den Großunternehmen in verschiedenen Varianten und Facetten etabliert. Eine „klassische Ausbildung“ ohne jegliche Gestaltungsvarianten existiert in der Praxis der Großunternehmen kaum. Die in der Untersuchung identifizierten alternativen Aus-bildungsmodelle gehen über die klassische Ausbildung aber in unterschiedlichem Umfang hinaus. Das Spektrum reicht von Ausbildungsvarianten, die zusätzliche Inhalte in die Ausbil-dung integrieren, bis hin zu Varianten, die in Kombination mit einem Studienabschluss an-geboten werden (duales Studium). Auch diese Variante wird von den Unternehmen zum Teil unter der Berufsausbildung subsumiert(vgl. dazu auch Bahl et al. 2011, S. 38), obwohl die Studienabsolventen und -absolventinnen in der Regel nicht auf der mittleren Fachkräfteebene eingesetzt werden.

Meist handelt es sich um fachliche Gründe, die eine inhaltliche Anreicherung der Aus-bildung erforderlich machen. Beispielsweise steigt durch technologische Entwicklungen die Komplexität der Facharbeit oder durch die Abflachung von Hierarchien der Verantwor-tungsbereich der Facharbeiter/-innen. Internationale Geschäftstätigkeiten verlangen zu-sätzliche Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen. Unter diesen Vorgaben reicht ausschließlich die Ausbildung nach den in der Ausbildungsordnung festgelegten Ausbil-dungsinhalten aus Sicht der befragten Großunternehmen nicht aus. Die Erweiterung ihres Qualifizierungsportfolios um eigene Ausbildungsvarianten ist damit auch als Reaktion auf sich verändernde Qualifikationsanforderungen zu sehen und wird von den befragten Un-ternehmen auch überwiegend so begründet. Die am zweithäufigsten genannte Begründung sind veränderte Bedingungen am Bewerbermarkt. Unternehmen, die nicht ausreichend viele oder nicht ausreichend geeignete Bewerber/-innen finden, bieten zielgruppenorien-tierte Ausbildungsvarianten an. Sie tun dies bekanntermaßen, um der Heterogenität der Bewerber/-innen gerecht zu werden (siehe dazu auch Institut der deutschen Wirtschaft 2011, S. 21 ff.) oder um die duale Ausbildung auch für leistungsstarke Bewerber/-innen at-traktiv zu gestalten (siehe dazu auch Goeser/Isenmann 2011, S. 21).

Um ausreichend viele Fachkräfte bestmöglich für zukünftige Herausforderungen zu qua-lifizieren,

˘ werden in noch überschaubarem Umfang Leistungsschwächere an die Ausbildung heran-geführt,

˘ vermitteln die Unternehmen den Auszubildenden zusätzliche fachliche und überfachliche Inhalte während der Ausbildung oder direkt im Anschluss daran,

˘ werden „Dritte Experten“ zur Vermittlung von theoretischen Inhalten einbezogen,

˘ werden auf Basis bestehender Ausbildungsberufe Lerneinheiten entwickelt, die dem be-trieblichen Bedarf entsprechen,

˘ erfolgt die systematische Verzahnung von Aus- und Weiterbildung zur Etablierung von Entwicklungspfaden,

˘ setzen die Unternehmen verstärkt auf das duale Studium.

Die identifizierten Varianten werden nachfolgend entlang ihrer jeweiligen Nähe zur klassischen Ausbildung vorgestellt (vgl. Abbildung 4). Im Einzelnen handelt es sich dabei um Varianten zur Unterstützung Leistungsschwächerer (z. B. Förderung der Ausbildungsfähigkeit, Verlängerung der Ausbildungsdauer) und um Varianten einer „AusbildungPlus“ im überfachlichen Bereich (z. B. Vermittlung von Querschnittsqualifikationen). Diese Varianten weisen eine deutliche Nähe zur klassischen dualen Ausbildung auf und werden der Vollständigkeit halber erwähnt.

Des Weiteren werden Ausbildungsvarianten beschrieben, deren inhaltliche und organi-satorische Ausgestaltung sich erkennbar von dem klassischen Modell dadurch unterscheiden, dass sie ein abweichendes Gestaltungsprinzip verfolgen (z. B. Ausbildung mit „Dritten Exper-ten“, berufsübergreifende Grundausbildung, Ausbildung mit Zusatzinhalten anderer Berufe) und die internationale Geschäftstätigkeit flankieren (z. B. Auslandsaufenthalte der Auszubil-denden, Export deutscher Ausbildungselemente ins Ausland) oder Grenzen von Aus- und Wei-terbildung verschwimmen lassen (z. B. Verzahnung von Aus- und WeiWei-terbildung, Ausbildung als Basis eines strukturierten Weiterbildungsprozesses).

Nähe/Distanz der

Verzahnung von Aus- und Weiterbildung Ausbildung als Basis für einen strukturierten

PE-Prozess

Duales Studium – verschiedene Varianten

Zusätzliche Inhalte Abweichende Organisation Weiterführende Abschlüsse

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 4: Varianten von Ausbildung nach ihrer Nähe/Distanz zur „klassischen“ Ausbildung

Die identifizierten Ausbildungsvarianten lassen sich entlang der drei folgenden Prinzipien zusammenfassend beschreiben: Potenzialausschöpfung unterschiedlicher Qualifikations-niveaus, Gestaltung von Lerneinheiten und Verzahnung von Aus- und Weiterbildung.

Prinzip der Potenzialausschöpfung unterschiedlicher Qualifikationsniveaus

Die befragten Unternehmen reagieren auf das heterogene Qualifikationsniveau ihrer Auszubil-denden und versuchen, deren Leistungspotenzial optimal auszuschöpfen. Ziel ist es, die Ausbil-dung so bedarfsorientiert wie möglich zu gestalten und die Jugendlichen aufbauend auf ihren Eingangsqualifikationen individuelle Unterstützung und Förderung erfahren zu lassen.

Zum einen betrifft dies leistungsstarke Auszubildende. Diesen wird verstärkt der Erwerb überfachlicher Kompetenzen, wie z. B. Sprachentraining, Diversityworkshops oder interkul-turelle Trainings sowie Kenntnisse im Projektmanagement, angeboten und zusätzliche fach-liche Ausbildungsinhalte vermittelt, etwa durch die Integration von Inhalten aus zertifizierten Fort-/Weiterbildungen (siehe Prinzip „Gestaltung von Lerneinheiten“).

Gleichzeitig erkennen Unternehmen, dass die Potenzialausschöpfung nicht nur „am obe-ren Rand“ notwendig und erfolgreich sein kann. Auch leistungsschwächere und arbeitslose Jugendliche werden in begrenztem Ausmaß mit entsprechenden Programmen unterstützt.

Sie werden – zusätzlich zur Förderung über ausbildungsbegleitende Hilfen oder Maßnahmen der Einstiegsqualifizierung (EQ) – in zum Teil ein- bis zweijährigen Berufsorientierungs- oder Berufsvorbereitungsprogrammen an die Ausbildung herangeführt. Diese Modelle sind entwe-der als Ausbildungsnetzwerke mit Partnerbetrieben organisiert oentwe-der werden nur von einem Betrieb durchgeführt. Oftmals erfolgt eine enge Kooperation mit regionalen (Berufs-)Schulen und Bildungsträgern. Vereinzelt wird den Jugendlichen auch sozialpädagogische Begleitung zur Seite gestellt. Diese Varianten werden nicht ausschließlich aus gesellschaftlicher Verant-wortung heraus angeboten; vielmehr haben die Unternehmen erkannt, dass sie zur Deckung ihres Fachkräftebedarfs die Potenziale der Leistungsschwächeren benötigen. Vereinzelt wer-den diese Ausbildungsplätze erweitert und zusätzliche Programme für die Zielgruppe ent-wickelt. Da die Kosten dafür relativ hoch sind, wird ihr Anteil, nach Angaben der Befragten, trotz hoher Erfolgsquoten bei der Vermittlung in eine reguläre Ausbildung im Vergleich zur regulären Ausbildung aber weiterhin überschaubar bleiben.

Prinzip Gestaltung von Lerneinheiten

Um Fachkräfte bedarfsgerecht aus- und weiterzubilden, ist die Erhöhung der Durchlässigkeit zwischen und innerhalb von Bildungssystemen (z. B. Durchstieg zwischen einzelnen Berufen) für die befragten Unternehmen handlungsleitendes Motiv. In Ergänzung dazu wurde auch in weiteren Studien deutlich, dass innovative Varianten wie Ausbildungsbausteine oder Be-rufsgruppen in Großunternehmen bereits umgesetzt werden und deren Wunschvorstellung für eine zukunftsorientierte Berufsbildung widerspiegeln (vgl. auch Waldhausen/Werner 2005; Alesi/Teichler 2013).

Auch in dieser Untersuchung wurden Ausbildungsvarianten identifiziert, in denen einzelne Unternehmen ihre benötigten Qualifikationsinhalte über abgeschlossene Lerneinheiten neu sortieren und inhaltlich anreichern. Im Ergebnis entsteht – aufbauend auf einer oder meh-reren Ausbildungsordnungen – ein System aufeinander bezogener Lerninhalte, die flexibel, auch berufsübergreifend, vermittelt werden. Mithilfe individuell gestalteter Ausbildungs-konzepte versuchen Unternehmen, vorhandene Ausbildungsberufe entsprechend ihren bran-chen-/betriebsspezifischen Anforderungen weiterzuentwickeln (vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung 2011, S. 7 ff.).

In der Untersuchung konnten drei Modelle identifiziert werden, die diesem Gestaltungs-prinzip folgen:

˘ Ausbildung mit Zusatzinhalten aus anderen Berufen,

˘ Ausbildung mit Unterstützung „Dritter Experten“,

˘ berufsübergreifende Grundausbildung (Stärkung des Berufsgruppenprinzips).

In Fällen, in denen vorhandene Berufsprofile die betrieblichen Anforderungen nicht vollstän-dig abbilden, integrieren die Großunternehmen gezielt Inhalte aus anderen Ausbildungsberu-fen in die Ausbildung im Basisberuf, damit die Fachkräfte entweder breiter oder spezialisierter einsetzbar sind. Beispiele hierfür sind Verfahrensmechaniker/-innen mit Zusatzqualifikation Berufskraftfahrer/-in oder Anlagenmechaniker/-in mit Prüfung zum Schweißer/zur Schwei-ßerin. Dies ist auch in Fällen erkennbar, in denen Verbindungen von Qualifikationen gefragt sind, die in den verfügbaren Berufsbildern nicht vorgesehen sind, wie z. B. Elektronikfach-kräfte mit Kenntnissen über Mikrotechnologie oder Wasserkraft. Die Kombination von Aus-bildungsinhalten unterschiedlicher Berufe ist für die Unternehmen eine gute Möglichkeit, betriebs- oder branchenspezifische Tätigkeitszuschnitte abzubilden (vgl. dazu auch Institut der deutschen Wirtschaft 2011).

Das in zwei befragten Unternehmen der Bankenbranche angewendete Modell der Ausbil-dung mit Unterstützung „Dritter Experten“ sieht ebenfalls die Entwicklung von Lerneinheiten in Abhängigkeit der unternehmensspezifischen Qualifikationsanforderungen vor. Bemer-kenswert sind zwei Aspekte:

˘ Die Ausbildungsordnung zum/zur Bankkaufmann/-frau dient lediglich als Rahmen, deckt aber die benötigten Kompetenzen offensichtlich nicht ausreichend ab. Daher wurde eine Reihe von modularen Zusatzinhalten entwickelt.

˘ Die Berufsschule wird zudem auf die Funktion der Vermittlung von Grundkenntnissen be-grenzt. Um einen bundesweit einheitlichen Qualifikationsstandard bei allen Auszubildenden zu erreichen, verlassen sich beide Unternehmen auf die Dienstleistung einer Akademie, die die Jugendlichen auf die IHK-Abschlussprüfung und das spätere Tätigkeitsfeld vorbereitet.

Zwei Unternehmen bilden ihre gewerblich-technischen Auszubildenden in den ersten sechs bzw. zwölf Monaten in einem berufsübergreifenden Grundmodul gemeinsam aus. Sie

nut-zen dazu die Berufsgruppen der Metall- und Elektroberufe. Das bringt viele Vorteile mit sich:

Durch das Bündeln von Ausbildungsressourcen wird die betriebliche Ausbildung kosteneffi-zienter. Da die Festlegung auf einen Ausbildungsberuf später erfolgt, bleibt die Bedarfspla-nung länger flexibel, und der PlaBedarfspla-nungshorizont für Unternehmen verkürzt sich. Zudem kön-nen in der Phase der gemeinsamen Grundbildung Stärken der Auszubildenden besser erkannt und die Berufswahl bei Bedarf angepasst werden.

Prinzip der Verzahnung von Aus- und Weiterbildung

Die befragten Unternehmen sind bemüht, fließende Übergänge zwischen der Aus- und Wei-terbildung zu schaffen. Die Schnittstellen von Aus- und WeiWei-terbildung sind deshalb in Groß-unternehmen inhaltlich und organisatorisch eng miteinander verzahnt. Dabei werden weiter-führende Qualifizierungen bereits während der dualen Ausbildung oder direkt im Anschluss daran angeboten. Es kann unterschieden werden zwischen Weiterbildungsmaßnahmen, die notwendig sind, um die Fachkräfte auf ihr späteres Aufgabenfeld vorzubereiten, und Quali-fizierungen, die die Einsatzmöglichkeiten der Fachkräfte erweitern. Beispielsweise erwerben Auszubildende bereits während der Ausbildung Weiterbildungszertifikate (wie beispielsweise Kfz-Mechatroniker/-in mit Qualifizierung zum/zur Servicetechniker/-in oder Bürokaufleute mit Zusatzqualifikation Dialogmarketing) oder für das spätere Arbeitsfeld erforderliche Be-rechtigungsscheine (z. B. Elektrofachkraft). Auch einzelne Inhalte von Aufstiegsfortbildun-gen z. B. zum/zur Meister/-in oder Techniker/-in oder der Erwerb der Fachhochschulreife während der Ausbildung sind weitverbreitete Modelle, um Karrierepfade für Fachkräfte zu etablieren.

In manchen der befragten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes stellt die duale Ausbildung den Ausgangspunkt für einen durchgängigen Personalentwicklungsprozess auf Facharbeiterebene dar. Im Sinne eines strategischen Kompetenzmanagements erfolgt bei-spielsweise in einem Unternehmen ein systematischer Abgleich von benötigten und vorhan-denen Kompetenzen (Soll-Ist-Abgleich) im Beruf Werkzeugmacher/-in. Nach Abschluss der Ausbildung durchlaufen alle jungen Fachkräfte ein mehrstufiges, auf ihren individuellen Kompetenzstand abgestimmtes Weiterbildungsprogramm, das sie im Ergebnis vom „Kenner“

über den „Anwender“ zum „Experten“ qualifizieren soll.

Die von den Großunternehmen benötigten Kompetenzen basieren auf aktuellen und zu-künftigen Anforderungen des Marktes, der sich in den einzelnen Branchen unterschiedlich darstellt. Gerade Großunternehmen können dazu auf unterschiedliche Modelle zurückgrei-fen, da sie meist bereits ein strategisches Kompetenzmanagement etabliert haben (vgl. dazu auch Bundesinstitut für Berufsbildung 2011, S. 7 ff.). Diese Entwicklung ist als positiv zu bewerten: Durchgängige und nach oben offene Karrierepfade, wie sie bisher meist Akade-mikern und Akademikerinnen vorbehalten waren, beginnen in den Unternehmen heute auf Grundlage einer dualen Berufsausbildung. Den jungen Fachkräften stehen dabei unterschied-liche Entwicklungsmöglichkeiten (Expertenlaufbahn, Führungslaufbahn oder

Projektlei-tung) offen. Am Ende dieser Entwicklung kann eine interne Weiterbildung, ein beruflicher Fortbildungs- oder ein Bachelor-/Masterabschluss stehen.