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Unternehmen (KMU) in Ostdeutschland

2. Fragestellungen und methodisches Vorgehen

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage und Problemstellung untersuchen wir KMU1 in Ostdeutschland in unterschiedlichen Branchen und Regionen (Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern), weil davon auszugehen ist, dass sich hier die Lage am Ausbildungsmarkt auf-grund der raschen und starken demografischen Entwicklung besonders gravierend verändert

1 Kleine und mittelständische Unternehmen zeichnen sich durch Eigenständigkeit sowie eine Mitarbeiterzahl unter 50 bzw. 250 sowie eine Umsatzgrenze von höchstens 10 bzw. 50 Mio. € aus. Alternativ kann die Bilanzsumme herange-zogen werden (vgl. Europäische Gemeinschaften 2006).

hat und die Unternehmen bereits mit einem erheblichem Handlungsdruck konfrontiert sind.2 Daher ist zu erwarten, dass Unternehmen ihre Strategien zur Fachkräfteakquise verändern und sich zunehmend leistungsschwächeren und benachteiligten Jugendlichen öffnen (müs-sen). Für die Untersuchung ergeben sich primär die folgenden Fragen:

1. Wie werden demografischer Wandel und Fachkräftesicherung als Probleme wahrgenom-men?

2. Wie wirkt sich dies auf Fachkräfteakquise und die betriebliche Berufsbildung aus?

a) Welche Einstellungs- und Selektionsstrategien bzw. Modifikationsstrategien nutzen Betriebe vor dem Hintergrund des demografischen Wandels?

b) In welchem Maße sind Betriebe bereit oder gezwungen, alternative Strategien zur Fachkräftesicherung zu nutzen?

3. Wie beeinflussen regional-, branchen-, betriebsspezifische Merkmale Wahrnehmung und Strategien der Betriebe?

Die Untersuchung ist zweistufig angelegt. In einem ersten Schritt wurden 31 problemzen-trierte Interviews mit Ausbildungsverantwortlichen aus Betrieben geführt und mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse entlang eines deduktiv-induktiv konzipierten Kategoriensystems ausgewertet (vgl. Diettrich/Jahn/Klöpfel 2014).

Die qualitative Studie zeigt, dass die Mehrzahl (26 von 31) der befragten KMU demo-grafisch bedingte Veränderungen auf dem Ausbildungsmarkt wahrnimmt, Ausmaß und Art jedoch nicht über die ausgewählten Branchen (Industrie, Handel, Dienstleistung, Handwerk) und Unternehmensgrößen (klein, mittel) hinweg gleich sind. Zudem wurde die Nutzung ver-schiedener Handlungsstrategien im Umgang mit dieser Situation erfragt. Es können differen-zierte Ansätze zur Veränderung der Ausbildungsstrategien identifiziert werden, die verdichtet zu vier Handlungsfeldern im Zusammenhang mit Grundsatzentscheidungen der Berufsaus-bildung und Fachkräfteakquise stehen (AbBerufsaus-bildung 1).

2 Die Erhebung erfolgte in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Beide Regionen sind durch eine vergleichbare Wirtschaftsstruktur geprägt, und ihnen steht eine vergleichbare demografische Entwicklung bevor, die in den kom-menden 15 Jahren zu einem Bevölkerungsrückgang von 12 % bis 15 % führen wird und sich hinsichtlich der zeitlichen Dimension und des Ausmaßes von den bundesweiten Entwicklungen unterscheidet (bundesweit 3,7 %) (vgl. Ber-telsmann Stiftung 2011a, 2011b). Gleichsam befinden sich in den Ländern städtische Zentren (z. B. Jena und Ros-tock), in denen die Entwicklung weit weniger dramatisch ausfällt und die vergleichbare Fälle für viele westdeutsche Kommunen und Regionen darstellen. „Urbanen Zentren mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik“ (Typ 7) sind Kommunen zugeordnet, die als Städte mit hoher Einwohnerdichte zwar wichtige Arbeitsplatzzentren bilden und eine stabile demografische Entwicklung aufweisen. Diese sind jedoch gleichsam relativ arm, haben eine geringe Kaufkraft und zeichnen sich durch eine geringe wirtschaftliche Dynamik aus. „Sozial heterogenen Zentren der Wis-sensgesellschaft“ (Typ 2) werden Kommunen zugeordnet, die als große Zentren und Kommunen ihres Umlands und i. d. R. als Universitätsstandort einen hohen Anteil an Hochqualifizierten aufweisen und in denen eher sogar eine Bevölkerungszunahme zu erwarten ist.

Die Strategien des Handlungsfeldes IV „Rückzug und alternative Fachkräftesicherung“ wer-den von wer-den befragten Unternehmen kaum in Betracht gezogen und auch nur aufgrund im-menser Schwierigkeiten bei der Rekrutierung. Die Mehrzahl der Unternehmen setzt zunächst auf Strategien des Handlungsfeldes I „Modifikation von Bewerbermarketing und kriterien“. Zunächst versuchen sie, ihre Rekrutierungskanäle zu erweitern und die Selektions-kriterien zu verändern. Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Strategien begrenzt, da einer-seits der absolute und starke Rückgang von potenziellen Auszubildenden die Möglichkeiten limitiert, z. B. durch die Senkung von Einstellungs- und Ausbildungsanforderungen weitere Jugendliche „zu finden“, andererseits führen betriebliche oder berufliche Standards nach wie vor zur Ausgrenzung potenzieller Bewerbergruppen.

Erfolgversprechender – gerade aus einer betriebspädagogischen Sicht – sind demgegen-über die Modifikationsstrategien zur Verbesserung der betrieblichen Ausbildungsstrukturen (Handlungsfeld II) und der Kooperation (Handlungsfeld III). Ansätze, die auf die Verbesse-rung der betrieblichen Ausbildungsstrukturen und der Ausbildungsqualität abzielen, werden jedoch im Vergleich zu den Selektionsstrategien eher selten thematisiert. Diese Strategien dienen v. a. der Anpassung an die Anforderungen der (heterogenen) Bewerbergruppen – ent-weder in Form defizitorientierter Unterstützung (z. B. Nachhilfe) oder in Form potenzialorien-tierter Förderung (z. B. Zusatzqualifikationen). Kooperationsstrategien werden i. d. R. auf die klassische Verbundausbildung reduziert, bzw. es erfolgt nur in Einzelfällen eine Zusammen-arbeit mit Bildungsdienstleistern. Insgesamt lässt sich allenfalls in Ansätzen eine Intensivie-rung von Kooperationsstrategien identifizieren.

Abbildung 1: Handlungsfelder im Überblick

Quelle: Diettrich/Jahn/Klöpfel 2014

Modifikation des Bewerbermarketings und der Selektionskriterien

(Handlungsfeld I)

Modifikation kooperativer Ausbildungsstrukturen (Handlungsfeld III)

Modifikation der betrieblichen Ausbildungsstrukturen

(Handlungsfeld II)

Rückzug und alternative Fachkräftesicherung

(Handlungsfeld IV) Ausbildungsstrategien

im demografischen Wandel

Die Befunde der Interviewstudie deuten zudem auf differenzierte Handlungsmöglichkeiten der KMU innerhalb der vier Handlungsfelder hin. Mittlere Unternehmen scheinen – vergli-chen mit den kleinen – eher bereit und fähig, Strategien der Modifikation und Koopera tion umzusetzen, und verfügen darüber hinaus über die Ressourcen, um Rekrutierungs- und Se-lektionsstrategien vielfältiger und intensiver umzusetzen (vgl. Diettrich/Jahn/Klöpfel 2014).

Aufgrund der eingangs skizzierten betriebs- und regionalspezifischen Ausprägungen und Auswirkungen des demografischen Wandels sowie der in der ersten Teilstudie identi-fizierten Einflüsse von Branchen- und Betriebsgrößenmerkmalen erfolgte in einer zweiten Teilstudie darauf aufbauend eine schriftliche quantitative Befragung, um die qualitativen Be-funde mit einer größeren Stichprobe zu stützen. Die Ergebnisse dieser Befragung werden im Zentrum der folgenden Ausführungen stehen.

Der Fragebogen enthielt Fragen zu wahrgenommenen oder antizipierten Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsstellen sowie entsprechenden Ursachen. Im Zentrum stan-den Fragen zu stan-den vier Handlungsfeldern sowie zu Unternehmensmerkmalen (Abbildung 2).

Die Datenerhebung erfolgte zwischen Januar und April 2013 in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Es wurden einerseits über die IHK und Arbeitgebervereinigungen sowie ande-rerseits über Kaltakquise Unternehmen zur Befragung eingeladen. Insgesamt beteiligten sich 327 Unternehmen an der Befragung. Im Hinblick auf die hier fokussierten Fragestellungen waren 266 Fragebögen auswertbar. Die Stichprobe entspricht einer Gelegenheitsstichprobe und ist nicht repräsentativ, allerdings aufgrund der hohen Zahl befragter KMU durchaus aus-sagekräftig.

Strategien der Modifikation des Bewerbermarketings und der Selektionskriterien

betrieblichen Ausbildungsstrukturen

Strategien der Modifikation kooperativer Ausbildungsstrukturen Strategien des Rückzugs und der alternativen Fachkräftesicherung

Ressourcen

Handlungsstrategien Problemwahrnehmung

Strategien der Modifikation der Besetzungsschwierigkeiten

Ursachenzuschreibung Unternehmensumwelt

Branche

Region

Unternehmensmerkmale Unternehmensgröße

Ausbildungsmotive

Abbildung 2: Design der Untersuchung

Tabelle 1: Angaben zur Stichprobe

  Häufigkeit Prozent Gültige

Prozent

Ausbildungs tätigkeit

Ausbildungsbereitschaft Nein 11 3,4 3,4

  Ja 316 96,6 96,6

Ausbildungstätigkeit Nein 43 13,1 13,6

Ja 273 83,5 86,4

Gesamtsumme 316 96,6 100,0

Fehlend 11 3,4

Veränderung der Anzahl an Auszubildenden in den ver-gangenen 3 Jahren

Weniger Auszubildende 81 24,8 33,8

Ist unverändert geblieben 114 34,9 47,5

Mehr Auszubildende 45 13,8 18,8

Gesamtsumme 240 73,4 100,0

Fehlend 87 26,6

Unternehmens merkmale

Region Thüringen 108 33,0 33,6

Mecklenburg-Vorpommern 213 65,1 66,4

Gesamtsumme 321 98,2 100,0

Fehlend 6 1,8

Unternehmensgröße Kleinstunternehmen (unter 10 MA) 35 10,7 15,8

Kleine Unternehmen (unter 50 MA) 71 21,7 32,0

Mittlere Unternehmen (unter 250 MA) 65 19,9 29,3

Große Unternehmen (über 250 MA) 51 15,6 23,0

Gesamtsumme 222 67,9 100,0

Fehlend 105 32,1

Branche Gastgewerbe und Tourismus 69 21,1 31,1

Dienstleistungen 46 14,1 20,7

Verarbeitendes Gewerbe 40 12,2 18,0

Handel 23 7,0 10,4

Bau 16 4,9 7,2

Sonstige 28 8,6 12,6

Gesamtsumme 222 67,9 100,0

Fehlend 105 32,1

Gesamtsumme   327 100,0

In Tabelle 1 wird ersichtlich, dass in der Stichprobe neben KMU auch große Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von über 250 vertreten sind. Auch wenn der Beitrag die KMU fokussiert, ist für die Auswertung insbesondere der Vergleich hilfreich und interessant. Es wird deutlich, dass das Gros der Unternehmen ausbildungsbereit ist und auch tatsächlich ausbildet. Da sich der Fragebogen vor allem an diese Unternehmen richtet und die Befragung 20 bis 30 Minuten dauerte, haben nicht alle Befragten den Fragebogen vollständig ausgefüllt und insbesondere Angaben zum Unternehmen gemacht.

Zudem wurden die Ausbildungsmotive erfragt. Grundsätzlich liegt das zentrale Motiv in der Sicherung des Fachkräftebedarfs (Troltsch 2008), daneben treten aber weitere Motive der Ausbildungsbereitschaft (Schönfeld/Wenzelmann 2012), wie z. B. die Übernahme sozialer Verantwortung, aber auch der Nutzengewinn durch produktive Leistung der Auszubildenden – die Bedeutung dieser Motive zeigen sich auch in unserer Studie (Tabelle 2).

Tabelle 2: Ausbildungsmotive im Überblick

Ausbildungsmotive N Minimum Maximum Mittelwert

Standard-abweichung

Produktive Leistung 264 1 4 2,66 ,813

Sicherung Fachkräftebedarf 266 1 4 3,78 ,483

Soziale Verantwortung 265 1 4 3,21 ,658

3. Befunde zu Besetzungsproblemen und Handlungsstrategien