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Zielkonflikte beim Aufbau von Erreichbarkeitsmodellen

Die angestrebte Praxisintegration von Erreichbarkeitsinstrumenten kann folglich nur gelingen, wenn vier grundsätzliche Probleme gelöst werden. Erstens müssen öffentliche Einrichtungen über die personellen oder finanziellen Ressourcen verfügen, um ein nutzbares Erreichbar­

keitsmodell aufbauen oder beauftragen zu können. Zweitens müssen Kapazitäten und Fähigkeiten vorhanden sein, um mit diesem Modell zu arbeiten und die Ergebnisse richtig zu interpretieren. Drittens muss das Modell einen flexiblen Einsatz erlauben, der die Berechnung von Szenarien einschließt. Und viertens ist auch die dauerhafte Pflege bzw.

die Verstetigung des Erreichbarkeitsmodells Teil einer erfolgreichen Integration in die Planungspraxis. Die Verstetigung darf die öffentliche Einrichtung weder finanziell noch personell überfordern. Die genannten Hindernisse werden über die Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsmodellen adressiert (vgl. Abschnitt 1.3.2). Te Brömmelstroet (2017, S. 78) betont, dass die Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsmodellen erhöht werden müsse, um insbesondere einen flexiblen, auf Echtzeitberechnungen basierenden Einsatz zu ermöglichen. Hierzu zählt auch die Verwendung einfacher Indikatoren, die die Rechenzeiten senken und die Interpretierbarkeit erhöhen (te Brömmelstroet et al. 2016, S. 1185). Zudem müssen die Mo­

dellannahmen, auf denen Erreichbarkeitsanalysen basieren, zukünftig transparenter dargestellt und allgemein verständlich aufbereitet werden.

Boisjoly & El­Geneidy (2017b) bemängeln ebenfalls die geringe Nutzbar­

keit bisheriger Erreichbarkeitsmodelle. Sie sehen jedoch fehlende Daten und ein fehlendes Expertenwissen der potenziellen Anwender als die wesentlichen Hürden. Grundsätzlich sollte es nicht nur Experten vor­

behalten bleiben, Erreichbarkeitsmodelle aufzubauen oder zumindest anzuwenden.

Es stellt sich also die Frage, wie die Nutzbarkeit von Erreichbarkeits­

modellen zukünftig gesteigert werden kann. Hier entsteht jedoch ein

Berechnung von Szenariosflexible Anwendbarkeit einfache Verstetigung einfache Anwendungeinfache Interpretation der Ergebnisse

hohe räumliche Aufsung intermodale und detaillierte Wege komplexe IndikatorenRechenzeit

Speicherbedarf Datenbedarf

Spezialsoftware einfacher Modellaufbau

Berechnung von Szenariosflexible Anwendbarkeit einfache

hohe räumliche Aufsung intermodale Speicherbedarf

Spezialsoftware einfacher

Nutzb arke it

Genauigkeit

einfache Anwendungeinfache Interpretation der Ergebnisse

Wege komplexe IndikatorenRechenzeit

Datenbedarf

einfache Verstetigungintermodale und detaillierte WegeSpeicherbedarfeinfacher Modellaufbau

Genauigkeit Genauigkeit Genauigkeit Genauigkeit Genauigkeit

Expertenwissen

Abbildung 5: Zielkonflikt zwischen Nutzbarkeit und Genauigkeit von Erreichbarkeitsmodellen Quelle: eigene Darstellung

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Zielkonflikt, da die genannten Anforderungen zumeist eine prinzipiell geringere Modellgüte bedeuten, die hohe Genauigkeit bei der Erreich­

barkeitsberechnung jedoch nicht in Frage stehen soll. Als Genauigkeit wird die Fähigkeit eines Erreichbarkeitsmodells verstanden, die realen Erreichbarkeitsverhältnisse realitätsgetreu darzustellen. Wesentlich für diese Genauigkeit sind die räumliche Auflösung der Standorte und Verkehrsnetze, die Detaillierung von Wegen sowie die Aussagekraft der verwendeten Indikatoren. Der Zielkonflikt ergibt sich aus dem negativen Einfluss einer hohen Genauigkeit auf zahlreiche Modelleigenschaften (vgl. Abbildung 5). So führt eine hohe räumliche Auflösung zu langen Rechenzeiten. Kurze Rechenzeiten sind jedoch essentiell für die Fähig keit zur Echtzeitberechnung. Werden detaillierte Wege berechnet, erfordert dies ein umfangreiches Expertenwissen und geeignete Berechnungs­

routinen. Detaillierte Wege können zudem ebenfalls die Rechenzeiten verlängern.

Die Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsmodellen wird außerdem von regionalen Untersuchungsgebieten und multimodalen Verkehrsgraphen verringert. Je größer der modellhaft abzubildende Raum, desto länger die Rechenzeiten, Daten­ und Speicherbedarfe. Hinzu kommt die hohe Menge des notwendigen Datentransfers bei webbasierten Anwendungen (Peter 2019). Erreichbarkeitsmodelle sollten jedoch auf regionaler Ebene angesiedelt sein, da nur dort die für den Aufbau und die Pflege not­

wendigen Ressourcen verfügbar sind. Es ist insofern nicht möglich, den Zielkonflikt über eine wesentliche Verkleinerung der Untersuchungs­

gebiete aufzulösen. Auch wird immer wieder die Berücksichtigung aller Verkehrsmittel und insbesondere öffentlicher Verkehrsmittel ge­

fordert (van Wee 2016, S. 10). Gleichwohl erfordert gerade die detaillierte Nachbildung von ÖV­Wegen ein umfangreiches Expertenwissen sowie Fahrplandaten und spezielle Routingalgorithmen. Doch ist gerade das vielfache Fehlen von Erreichbarkeitswerten des öffentlichen Verkehrs ein wesentlicher Grund für die ausbleibende praktische Anwendung.

Folglich ist, neben dem regionalen Bezug, auch die Multimodalität (vgl. Glossar) von Erreichbarkeitsmodellen unverzichtbar. Mit diesem Fokus lässt sich jedoch nicht beantworten, ob ein genaues und nutz­

bares regionales Erreichbarkeitsmodell einen zusätzlichen Nutzen stif­

tet. Zwar wird den potenziellen Anwendern der Zugang zu präzisen

1 Einführung

Erreichbarkeitsanalysen erleichtert, dieser ist aber nicht gleichbedeu­

tend mit einer vereinfachten Problemdurchdringung, versachlichten Kommunikation oder gesteigerten Arbeitseffizienz. Diese hängen im Wesentlichen von den Inhalten der Erreichbarkeitsinstrumente ab und

sind insofern nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Die Diskussion um die Modellvereinfachung berührt unmittelbar das ›rigor­relevance dilemma‹ (Silva 2008; Vonk et al. 2005). Laut diesem Dilemma können die Genauigkeit und die Nutzbarkeit von Erreichbar­

keitsmodellen nicht gleichzeitig erhöht werden. Da die Vereinfachung von Erreichbarkeitsmodellen jedoch unabdingbar ist, muss abgeschätzt werden, ob diese zu Genauigkeitsverlusten führt. Die Abschätzung erfolgt unter der Annahme einer regionalen Anwendung des Erreich­

barkeitsmodells. Auch soll dieses Erreichbarkeitsmodell alle Verkehrs­

modi umfassen, da das Fehlen unterschiedlicher Verkehrsmittel eine Beschränkung der möglichen Einsatzfelder bedeutet.

Da die räumliche Auflösung einen wesentlichen Einfluss auf die Rechenzeiten, Daten­ und Speicherbedarfe aufweist ist zu untersuchen, welche Auflösung in Abhängigkeit vom Anwendungsfall überhaupt not­

wendig ist. Die räumliche Auflösung sollte in der Lage sein, die an das Modell gerichteten Fragestellungen hinreichend genau zu beantworten.

Gleichzeitig ist es jedoch notwendig, die Auflösung auf das notwendige Maß zu beschränken, da zusätzliche Kleinräumigkeit zu exponentiell zunehmenden Rechenzeiten und zusätzlichen Datenbedarfen führt.

Zusammengefasst steht die Kleinräumigkeit im direkten Widerspruch zur angestrebten Flexibilität und der Möglichkeit einer Echtzeitberech­

nung (Silva et al.2017a, S. 143).

Auch die Detaillierung der Wege in den einzelnen Verkehrsmodi ist kritisch zu hinterfragen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die einzelnen Modi immer detaillierter abgebildet werden. Relevante Beispiele sind die Verwendung von Höhenmodellen, engmaschigen Straßen netzen, Verkehrsbelastungen und realen Fahrplandaten (Salonen

& Toivonen 2013, S. 146). Der Aufbau detaillierter Netzmodelle ist jedoch nicht ohne ein umfangreiches Expertenwissen möglich. Zudem können sie die Rechenzeiten erheblich steigern. Es stellt sich also die Frage, für welche Indikatoren überhaupt welche Detaillierung angestrebt werden sollte und wie sich auch die räumliche Auflösung auf die notwendige

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Detaillierung von Wegen auswirkt. Beispielsweise könnten die räum­

liche Auflösung reduziert, die Verkehrsgraphen simplifiziert und aus­

schließlich einfache Reiseaufwandsindikatoren berechnet werden.

Im Zusammenhang mit der praktischen Anwendung von Erreich­

barkeitsmodellen ist außerdem zu untersuchen, welche Indikatoren überhaupt verwendet und verstanden werden. Auch ist zu prüfen, wie sich die Vereinfachung von Erreichbarkeitsmodellen auf die Genauig­

keit unterschiedlicher Indikatoren auswirkt. Die Verwendung einfacher Reiseaufwandsindikatoren könnte zu einer erheblichen Reduzierung der Rechenzeiten beitragen.

Die Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsmodellen wird außerdem von der Verfügbarkeit der genutzten Datenquellen sowie den verwendeten Berechnungsroutinen beeinflusst. Die Verkehrsgraphen könnten vor dem Hintergrund der Datenverfügbarkeit aufgebaut werden. Fraglich ist außerdem, welche Gelegenheiten zu berücksichtigen sind. Zwar werden Arbeitsplätze gerade im Zusammenhang mit Kumulationsindikatoren häufig verwendet, ihre Beschaffung stellt jedoch eine hohe Herausforde­

rung dar, da keine freiverfügbaren Datenquellen mit einer hohen Quali­

tät vorhanden sind. Schlussendlich ist darauf zu achten, dass die Modelle mit einer Software aufgebaut werden, die keine hohen Lizenzgebühren erfordert und eine einfache Einarbeitung ermöglicht.