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Die kleinräumige Modellierung in der Planungspraxis

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

2.2.2 Die kleinräumige Modellierung in der Planungspraxis

Erreichbarkeitsmodelle sollen auch der Anwendung im behördlichen Planungsalltag dienen. Die Integration in die Planungspraxis ist bisher jedoch weitgehend misslungen (vgl. Kapitel 1). Als Gründe werden eine zu hohe Komplexität und Technikorientierung, sowie die geringe Flexi-bilität im Umgang mit unvorhersehbaren Planungsaufgaben genannt (te Brömmelstroet 2007, S. 9). Das rigorrelevance dilemma meint in diesem Zusammenhang das Aufeinandertreffen von an der Genauigkeit orien-tierten Entwicklern und an der Nutzbarkeit und Interpretierbarkeit inte-ressierten Nutzern (te Brömmelstroet et al. 2014, S.vii). Es stellt sich also die Frage, wie Erreichbarkeitsmodelle aufgebaut sein müssen, um zur praktischen Anwendung zu gelangen. Im Kontext der räumlichen Auf-lösung ist zu beantworten, welcher Grad der Disaggregation überhaupt

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einen Zusatznutzen liefert und wie hoch der resultierende Zusatzaufwand ist. Zu beantworten ist außerdem, ob bereits Präferenzen hinsichtlich einer bestimmten Auflösung existieren. Hewko et al. (2002, S. 1203) fas-sen das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag wie folgt zusammen:

»There is, however, a substantial trade-off between the efficiency of the analysis (in terms of computing time, data preparation etc.) and the improvement of the approximation of [accessibility].«

Bisher gibt es keine Untersuchungen, die für spezifische Fragestellungen darlegen können, welche räumliche Auflösung vorzuziehen ist. Ledig-lich erste Hinweise können aus einzelnen Arbeiten abgeleitet werden. So wurde gezeigt, dass Praxisanwender raster- und vektorbasierte Raumbe-zugssysteme ähnlich einfach lesen und interpretieren können (te Bröm-melstroet et al. 2016, S. 1188). Diese Untersuchung kommt aber auch zum dem Schluss, dass der rasterbasierte Ansatz den Gebrauch einer gemein-samen Sprache erschwert, da diesem keine tradierte Raumeinteilung zu-grunde liegt. Dem Rasteransatz werden jedoch, und das muss durchaus als Widerspruch gelten, eine hohe Effizienzsteigerung bei der Durchfüh-rung von Analysen und eine verbesserte Kommunikation zugestanden (2016, S. 1188, 1189). Auch Kwan & Weber (2008, S. 112) bemängeln, dass sich die Raumauflösung eher an der Datenverfügbarkeit und Modellier-barkeit, nicht jedoch an der individuellen Wahrnehmung des Raumes orientiert. In diesem Zusammenhang empfehlen sie jedoch eine weitere Disaggregation, um individuelle Interaktionsmuster besser abzubilden und den theoretischen Annahmen eher zu entsprechen. Zudem sollten neue GIS-Technologien zur Reduzierung des MAUP in Erreichbarkeits-modellen genutzt werden (Kwan & Weber 2003, S. 344, 345).

Es kann bisher nicht abschließend geklärt werden, ob die Planungs-praxis eine bestimmte räumliche Auflösung, ungeachtet ihrer inhaltli-chen Vor- und Nachteile, eindeutig präferiert. Insofern muss der Fokus auf den Faktoren liegen, die die praktische Nutzbarkeit nur indirekt be-einflussen. Zu diesen gehören die Rechenzeit, der Speicherbedarf und die Genauigkeit.

Neben den genutzten Erreichbarkeitsindikatoren (vgl. Abschnitt 2.1) und der Detaillierung des Verkehrsgraphen (vgl. Abschnitt 2.3) ist die räumliche Auflösung der entscheidende Parameter, welcher die

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Rechenzeiten beeinflusst. In regionalen Modellen kann die Berech-nung von Erreichbarkeitsindikatoren für mehrere hunderttausend Raumeinheiten und Gelegenheiten in einem multimodalen Verkehrs-graphen mehrere Stunden oder Tage dauern (Benenson et al. 2017b, S. 236; Kujala et al. 2018, S. 53). Immer wieder wird die Bedeutung eigener Szenarien (»easy to play with«) in Webanwendungen hervorgehoben (te Brömmelstroet 2010, S. 34; Papa et al. 2017, S. 115ff.; Pusch 2019, S. 210).

Wie im Projekt UrbanRural SOLUTIONS gezeigt, wird dies jedoch durch eine hohe räumliche Auflösung ebenfalls negativ beeinflusst (Peter 2019).

In regionalen Erreichbarkeitsmodellen kommt der Genauigkeit eine besondere Bedeutung zu, da den Modellentwicklern in der Regel das nötige lokale Wissen fehlt, um Mängel in der Datenbasis zu erkennen (vgl. Abschnitt 2.2.5). Hinzu kommt der bei der Validierung und Neu-berechnung regionaler Erreichbarkeitsmodelle entstehende hohe zeitli-che Aufwand. Insofern bedeutet eine geringere Auflösung nicht nur eine reduzierte Fehleranfälligkeit, sondern auch eine beschleunigte Neube-rechnung nach der Fehlerkorrektur. Lange BeNeube-rechnungszeiten wirken sich insofern nachteilig aus, da die Berechnungen erfahrungsgemäß nicht in den ersten zwei bis drei Durchläufen fehlerfrei umzusetzen sind.

Außerdem führen die komplexen, nicht auf einem spezialisierten Soft-wareansatz aufbauenden Erreichbarkeitsmodelle zu häufigen Fehlern in der Toolentwicklung.

Detaillierte regionale Erreichbarkeitsmodelle produzieren zudem große Datenmengen. Je höher die räumliche Auflösung, desto größer ist auch die Anzahl räumlicher Einheiten und entsprechend die Menge an Einzelwerten. Die reine Datenhaltung kann aufgrund des Preis-rückgangs bei Speichermodulen noch vernachlässigt werden. Anders verhält es sich mit der Ergebnisdarstellung. Gerade wenn diese auf einer Weboberfläche basiert, führen große Datenmengen zu Ein-schränkungen im Seitenaufbau. Dies betrifft auch das Erreichbarkeit-sportal der Metropolregion Hamburg (vgl. Anmerkungen), dessen Struktur auch die Übertragung der Rasterzellen notwendig macht (MRH o.J.a; Peter 2018). Große Datenmengen fallen ebenfalls an, wenn Erreichbarkeits indikatoren auf Basis von vorberechneten Raumwider-ständen ermittelt werden. Der Daseinsvorsorgeatlas Niedersachsen (DVAN) ermöglicht dem Online-Anwender die Berechnung von

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Standortszenarien der Daseinsvorsorgeeinrichtungen (Matthes et al. 2019, S. 166). Um die Performance zu verbessern, wurden auf einem klein-räumigen Raster die für die Bewertung von Szenarien notwendigen Raumwiderstände vorberechnet (Peter 2019). Zudem sind nicht nur fiktive Änderungen, sondern auch Korrekturen an der Raumstruk-tur als Szenarien zu interpretieren. Insofern ermöglicht dieser Ansatz die ständige Aktualisierung der Erreichbarkeitsanalysen auf Basis der aktuellen Standortdaten.

Fraglich ist allerdings, welche Vorteile sich aus einer höheren räum-lichen Auflösung ergeben und bis zu welchem Grad der Disaggregation diese wirksam sind. Immer wieder wurden Untersuchungen durch-geführt, die eine geringe Erklärbarkeit räumlicher Prozesse auf Basis aggregierter Erreichbarkeitsmodelle zeigen. Dies betrifft beispielsweise die soziale Exklusion im Allgemeinen (Preston & Rajé 2007), als auch die Benachteiligung von Frauen im Speziellen (Kwan 1999). Diese Unter-suchungen beziehen sich jedoch immer auf größere administrative Ge-bietseinheiten und nicht auf kleinräumige Raster. Auch fehlen in diesen Arbeiten Effektvergleiche zwischen einzelnen Erreichbarkeitsindikato-ren und Verkehrsmodi.