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Forschungsfrage 2: Erreichbarkeitsanalysen in der Planungspraxis

1.7 Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit

1.7.2 Forschungsfrage 2: Erreichbarkeitsanalysen in der Planungspraxis

Welche Verfahren zur Modellierung der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln werden in der Nahverkehrsplanung aktuell eingesetzt?

Wie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt, reduziert eine zusätzliche Genauigkeit die Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsmodellen.

Die Genauigkeit der Modelle wird wesentlich von ihrer räumlichen Auf­

lösung, der Detaillierung der Wege sowie den genutzten Indikatoren beeinflusst (vgl. Abbildung 5). Bevor jedoch untersucht wird, inwiefern sich eine Reduzierung der Modelldetaillierung auf die Güte der Modell­

ergebnisse auswirkt, ist zu hinterfragen, welche Detaillierung in der praktischen Anwendung überhaupt zum Einsatz kommt.

Ausgangslage

In den vergangenen Jahren haben sich unterschiedliche Untersuchungen mit der Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsinstrumenten in der Planungs­

praxis beschäftigt (vgl. Abschnitt 1.3.2). Ein Großteil dieser Untersuchun­

gen wurde innerhalb eines Forschungsnetzwerkes durchgeführt, wel­

ches im Rahmen der COST Action TU1002 »Accessibility Instruments for Planning Practice in Europe« zwischen 2012 und 2013 entstanden ist (te Brömmelstroet et al. 2014; Hull et al. 2012). Im Zentrum stand die Frage, welche Erreichbarkeitsinstrumente in der Planungspraxis nützlich und anwendbar sind. Der Nutzen (usefulness) wurde u. a. über die Fähigkeit zur Problembeschreibung, zur Kommunikation und zur strategischen Planung operationalisiert (te Brömmelstroet et al. 2016, S. 1180). Die Nutzbarkeit (usability) beschreibt hingegen die Möglichkeit der Anwender, die dargestellten Indikatoren zu verstehen und auf kon­

krete Fragestellungen zu übertragen (ebd., S. 1179).

In den Workshops wurde nur die praktische Nutzbarkeit von Erreichbarkeitsinstrumenten untersucht, die bereits vorab im wissen­

schaftlichen Bereich entwickelt wurden. Nicht beantwortet wurde, ob eine Vereinfachung der jeweils zugrundeliegenden Modelle zu einer ver­

minderten Nutzbarkeit führt. Die Untersuchungen zeigten nur geringe Unterschiede der Nutzbarkeit unterschiedlicher räumlicher Auflösungen,

1 Einführung

Indikatoren und Verkehrsmodi (te Brömmelstroet et al. 2014, S. 163ff.;

te Brömmelstroet et al. 2016, S. 1188ff.). Diese geringen Unterschiede er­

möglichen es nicht, Schlussfolgerungen hinsichtlich der für die prakti­

sche Arbeit notwendigen Modelldetaillierung zu ziehen.

In anderen Untersuchungen wurde indes versucht, den Umgang mit Erreichbarkeitskriterien in der Praxis zu erforschen. Beispielsweise hat eine Analyse von 42 regional transport plans (RTP) in den USA ge­

zeigt, dass nach wie vor eine große Lücke zwischen der wissenschaftli­

chen Diskussion um Erreichbarkeit und ihrer praktischen Anwendung besteht (Proffitt et al. 2019). Nur in rund der Hälfte der RTP werden Erreichbarkeitsziele definiert und diese nur in wenigen Fällen über Er­

reichbarkeitskriterien operationalisiert (ebd., S. 184). Hinzu kommt, dass Erreichbarkeit zumeist über den Zugang (access) zum Verkehrssystem und nicht über die Möglichkeit zur Zielerreichung definiert wird (ebd., S. 185). In einer ähnlichen Untersuchung verglichen Boisjoly & El­

Geneidy (2017a) die Verkehrspläne von weltweit 32 Metropolregionen. Sie betonen, dass eine Bedeutungszunahme von Erreichbarkeitszielen zu be­

obachten ist. Gleichzeitig ist ihre Operationalisierung über Kennzahlen noch die Ausnahme (ebd., S. 48). Die geringe Verankerung von Kriterien konnte von den Autoren auch bei einer Befragung von 343 Praktikern aus dem öffentlichen und privaten Sektor beobachtet werden (Boisjoly & El Geneidy 2017b, S. 39). Als die wesentlichen Barrieren werden insbesonde­

re fehlendes Wissen und fehlende Daten hervorgehoben (ebd., S. 37). Die genannten Forschungsarbeiten hatten jedoch das Ziel, den Umgang mit Erreichbarkeiten zu beschreiben und den Umgang mit Kennzahlen und Indikatoren zu ermitteln. Rückschlüsse auf die Modelldetaillierung und die berücksichtigten Verkehrsmodi lassen sich aber nur in begrenztem Umfang ableiten.

Ziele

Am Beispiel von Nahverkehrsplänen wird der Umgang mit Erreichbar­

keitsinstrumenten in der Planungspraxis beispielhaft untersucht. Bei die­

sen Plänen handelt es sich um öffentliche Planungsdokumente, die der strategischen Entwicklung des öffentlichen Verkehrsangebotes dienen.

Gegenstand dieser Pläne sind sowohl die Darstellung des gegenwärti­

gen Angebotes als auch die Verankerung von Entwicklungszielen und

1 Einführung

konkreter Maßnahmen. Beides wird auch mit Hilfe der Erreichbarkeits­

analysen durchgeführt. In diesem Zusammenhang stellt sich insbeson­

dere die Frage, auf welchen räumlichen Auflösungen die bisher durch­

geführten Erreichbarkeitsanalysen basieren und welche Detaillierungen dem intermodalen Verkehrsgraphen des öffentlichen Verkehrs zugrunde liegt. Dabei geht es auch um die Anforderungen, die mit der Operatio­

nalisierung und Evaluierung von Erreichbarkeitskriterien und Erreich­

barkeitszielen verbunden sind. Mit Beantwortung dieser Forschungs­

frage wird die Rolle von Erreichbarkeitsanalysen in der gegenwärtigen Nahverkehrsplanung herausgearbeitet. Zusätzlich werden Empfehlun­

gen hinsichtlich des Aufbaus von Erreichbarkeitsmodellen gegeben, um ihren Einsatz in der Nahverkehrsplanung zu erleichtern.

Methode

Da die Integration öffentlicher Verkehrsmittel in Erreichbarkeitsmodelle einen Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, wird der Bereich der ÖPNV­

Planung exemplarisch ausgewählt, um den Einsatz von Erreichbar­

keitsanalysen zu untersuchen. Nahverkehrspläne sind strategische und formale Planungsinstrumente zur mittel­ und langfristigen Entwicklung des ÖPNV. Nach Holz Rau et al. (2009, S. 1) sollen sie die Aufgabenträger in die Lage versetzen, das ÖPNV­Angebot zu entwickeln und gleichzeitig sowohl finanzielle als auch landesplanerische Rahmenbedingungen be­

rücksichtigen. Ihre rechtliche Verankerung und Ausgestaltung werden in Abschnitt 4.1.1 näher erläutert.

NVP werden auch daher ausgewählt, da von besonders hohen An­

forderungen an die Modellierung des öffentlichen Verkehrssystems auszugehen ist. Raumwiderstände, die den ÖPNV betreffen aber in die­

sen Plänen nicht aufgeführt sind, können als vernachlässigbar angese­

hen werden. Zu diesen Raumwiderständen könnten beispielsweise die Bedienhäufigkeit, die Startwartezeit oder der Fahrpreis gehören. Das Sampling umfasst insgesamt 22 NVP. Die Metropolregion Hamburg mit ihren Landkreisen und kreisfreien Städten ist in diesem Sampling vollständig vertreten. Es wird eine Dokumentenanalyse durchgeführt, in der die folgenden Kriterien im Fokus stehen:

verwendete Indikatoren und Formalisierung der Angebotsqualitäten

zugrundeliegende räumliche Auflösung bei der Festlegung und Bewertung von Erreichbarkeitsstandards

1 Einführung

verwendeter Modellierungsansatz bei den dargestellten Erreichbarkeitsanalysen

Die Angebotsqualität des öffentlichen Verkehrssystems wird über die Er­

schließungs­, Bedienungs­ und Verbindungsfunktion abgebildet (VDV 2019; FGSV 2010). Der Umgang mit Erreichbarkeit ist in drei Stufen un­

terteilt. Die erste Stufe ist die Formulierung von Erreichbarkeitszielen.

In der Regel ist es jedoch nur indirekt möglich, aus diesen Zielen Indi­

katoren, die räumliche Auflösung und den notwendigen Modellierungs­

ansatz abzuleiten. Die zweite Stufe bildet die Festlegung von Standards.

Diese Standards lassen sich zumeist direkt in einen Erreichbarkeits­

indikator übersetzen. Beispielsweise kann gefordert werden, dass alle Bewohner in einem Landkreis innerhalb von 600 Metern die nächste Haltestelle erreichen sollen. Unklar bleibt jedoch, mit welcher Auflösung die Wohnstandorte zu berücksichtigen sind und ob die 600 Meter einer Luftlinien­ oder einer Realdistanz entsprechen. Wenn in NVP zahlreiche und detaillierte Erreichbarkeitsanalysen abgebildet werden, lassen sich aus diesen zumeist das räumliche Bezugssystem und der genutzte Mo­

dellierungsansatz herauslesen. Im Ergebnis lässt sich ein differenziertes Bild hinsichtlich der Durchführung und Darstellung von Erreichbar­

keitsanalysen in der Nahverkehrsplanung zeichnen. In der anschließen­

den Forschungsfrage wird dann u. a. untersucht, in welchem Umfang die formulierten Erreichbarkeitsstandards und die durchgeführten Er­

reichbarkeitsanalysen die Realbedingungen verzerren.

1.7.3 Forschungsfrage 3: Die räumliche Auflösung