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IV- und ÖV-Graphen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

2.3.3 Aufbau und Einsatz von Verkehrs graphen des ÖV Sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene zeigen

2.3.3.4 Fahrplandaten und Softwareeinsatz

Die Verwendung eines fahrplanfeinen ÖV-Verkehrsgraphen erzeugt einen hohen Datenbedarf und den Einsatz spezieller Routingsoftware.

Zwar konnte in den vergangenen Jahren eine Entwicklung zu kosten-freien Daten und Routingverfahren beobachtet werden, dennoch bleibt der Umgang mit Fahrplandaten eine große Herausforderung in regio-nalen Erreichbarkeitsmodellen.

Fahrplandaten

In den Fahrplandaten sind unter anderem Informationen zu den ein-zelnen Fahrplanfahrten (Fahrplanzeiten, Haltefolge etc.) und die Halte stellenstandorte enthalten. Die Literaturanalyse hat gezeigt, dass die Verwendung fahrplanfeiner ÖV-Verkehrsgraphen bereits als Stan-dard in der Erreichbarkeitsmodellierung anzusehen ist (vgl. Abschnitt

Quelle: eigene Darstellung

Tabelle 10: Bestimmung eigenständiger Verbindungen kursiv = eigenständige Verbindung

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

2.3.3.3). Dies bedeutet aber nicht, dass Fahrplaninformationen immer uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Zwar kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass »Fahrplaninformationen datenschutz-rechtlich geschützte personenbezogene Daten oder Betriebsgeheimnisse beinhalten«, gleichwohl ist ihre räumliche Abdeckung in Deutschland noch unzureichend (BBSR 2019, S. 74). Im September 2018 stellten 16 Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen die Soll-Fahrplandaten in ihrem Bediengebiet zur freien Verfügung (ebd., S. 75). Weitere Verkehrs-verbünde haben diesen Schritt bereits angekündigt. Da aber nicht das gesamte Bundesgebiet von Verkehrsverbünden abgedeckt wird, bleiben Lücken auch weiterhin bestehen. Des Weiteren führt die Zuständigkeit unterschiedlicher Verbünde dazu, dass Fahrplandaten aus unterschiedli-chen Quellen zusammengeführt werden müssen, wenn es der Zuschnitt des Untersuchungsgebietes erfordert. Daraus ergeben sich umfangreiche Nachbearbeitungsbedarfe, etwa hinsichtlich der Haltestellennummerie-rung oder der EliminieHaltestellennummerie-rung doppelter Fahrplanfahrten (Spiekermann &

Schwarze 2014, S. 65). Es ist also kein Zufall, dass ÖV-Verkehrsgraphen nahezu ausschließlich für Gebiete erstellt werden, die über einen einheit-lichen Fahrplandatenbestand verfügen (Friedrich et al. 2016; Wulfhorst et al. 2010).

Ein weiteres Problem sind die auftretenden Kanteneffekte, also die fehlende Nachbildung des ÖV-Angebotes außerhalb des Untersuchungs-raumes. Da diese Grenzräume fast immer in die Gebiete anderer Verbün-de oVerbün-der verbundfreier Regionen hineinreichen, ist das Zusammentragen und Verbinden von Fahrplandaten aus Excel-Datensätzen und PDF-Dateien unvermeidbar (Schwarze 2015; Spiekermann & Schwarze 2014).

Im globalen Maßstab ist die General Transit Feed Specification (GTFS) heute das am häufigsten genutzte offene Fahrplanformat. Für den unternehmensinternen Umgang mit ÖV-Daten kommt gerade in Euro-pa vielfach das HAFAS-Rohdatenformat (HaCon Fahrplan-Auskunfts-System) zum Einsatz. Mitunter wird auch das Standardformat des VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) verwendet. Die genutzte Routingsoftware muss den Umgang mit den bereitgestellten Daten-formaten erlauben. Gerade GTFS-Daten zeichnen sich dadurch aus, dass alle gängigen Softwarelösungen geeignete Importfunktionen besitzen (vgl. Folgeabsatz).

Das Format GTFS entstand 2005 20, um Fahrplandaten öffentli-chen zugänglich zu maöffentli-chen und neue Anwendungsfelder zu erschließen (Antrim & Barbeau 2013, Roth 2010). GTFS-Daten können zum Beispiel für die einfache Verbindungssuche über eine API (application program-ming interface) abgerufen werden (Chowdhury et al. 2014, S. 89). Eine weitere Möglichkeit ist das Auslesen der Bedienhäufigkeiten von Halte-stellen (Bok & Kwon 2016). Zentral ist jedoch ihre Bedeutung für den Aufbau von ÖV-Verkehrsgraphen. In 19 Arbeiten wurden GTFS-Daten verwendet, in weiteren 15 Fällen blieb das genutzte Datenformat unklar (vgl. Anhang 7). HAFAS kommt dagegen nur in fünf Anwendungsfällen zum Einsatz (Djurhuus et al. 2016; ÖROK 2018; Spiekermann & Schwarze 2014; Wulfhorst et al. 2010).

Auf regionaler Ebene besteht weiterhin die Herausforderung, dass Fahrplandaten in unterschiedlicher Form, von unterschiedlichen Quel-len und mit teilweise unterschiedlichen HaltestelQuel-lennummern bereit-gestellt werden. Hinzu kommt, dass das nötige lokale Wissen fehlt, um die Daten im Gesamtgebiet mit gleichbleibender Qualität zu validieren.

Dieser Befund bleibt auch von der Entwicklung einheitlicher Fahrplan-formate unberührt, da diese weiterhin aus unterschiedlichen Quellen stammen. Auch bestehen bei den Verbünden und Aufgabenträgern aus Wettbewerbs- oder politischen Gründen mitunter Vorbehalte gegenüber der Datenfreigabe (Chowdhury et al. 2014, S. 81).

Software zur Modellierung und Berechnung von ÖV-Graphen Fahrplandaten werden in gerichtete und dreidimensionale Graphen übersetzt. Die Kanten können also nur in eine Richtung passiert wer-den, zudem sind die Kantengewichte von der Tageszeit abhängig. Diese Besonderheiten führen dazu, dass nur wenige Computerprogramme in der Lage sind, Fahrplandaten in einen ÖV-Graphen zu übersetzen.

Zudem sind spezielle Routingalgorithmen erforderlich, um beste Wege für unterschiedliche Raumwiderstände auf diesen Graphen zu ermit-teln. Um den Aufbau eines eigenen ÖV-Verkehrsgraphen zu vermeiden,

20 Die Initiative geht zurück auf Google und TriMet (Nahverkehrsbetrieb der Stadt Portland/Oregon USA). Es wurde unter dem Namen Google transit Feed Specification eingeführt und später durch General ersetzt.

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

Tabelle 11: Software zur Berechnung von Raumwiderständen im ÖV

Software Häufigkeit

ArcGIS Network-Analyst 23

PTV Visum 3

Neo4j 2

API 3

OTP 3

unklar 4

sonstige (VBA, Matlab etc.) 5

44

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

wurde in drei Untersuchungen die webbasierte Abfrage von Verbin-dungsinformationen über eine API durchgeführt (vgl. Tabelle 11).

So können beispielsweise über Google Maps Transit 21 Verbindungs-informationen ausgelesen und damit bereits bestehende ÖV-Graphen und Routingalgorithmen genutzt werden. Dieser Ansatz wurde unter anderem in der Region Göttingen unter Verwendung des R-Moduls gg-map und für die vergleichende Bewertung des ÖV-Angebotes in zehn internationalen Großstädten umgesetzt (Chowdhury et al. 2014; Wie-land & Dittrich 2016). Dieses Vorgehen hat jedoch den Nachteil, dass die Fahrplandaten weder eingesehen noch bearbeitet werden können. Auf der Makroebene kommt erschwerend hinzu, dass die Anzahl möglicher Abfragen limitiert 22 und die Berechnung von Matrizen über mehrere tausend Haltestellen sehr zeitaufwendig ist. Der Einsatz in hochaufge-lösten regionalen Modellen ist somit nur eingeschränkt möglich. Eine API kann auch genutzt werden, um Fahrplaninformationen abzurufen und diese anschließend in einen eigenen ÖV-Graphen zu übersetzen.

Dieses Verfahren ist gerade dann interessant, wenn keine Fahrplandaten zur Verfügung stehen aber dennoch ein eigener ÖV-Graph aufgebaut werden soll. Das Auslesen von Fahrplandaten per API ist jedoch

21 https://maps.google.com/landing/transit/index.html

(letzter Zugriff: 12.02.2019)

22 Beispielsweise können pro Monat lediglich 20.000 Abfragen über die Directions API von Google durchgeführt werden (Google 2018).

Quelle: eigene Darstellung

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

tensiv, weshalb die Beschränkung auf einen einzelnen Betrachtungstag sinnvoll sein kann (Kujala et al. 2018, S. 47).

Um die genannten Einschränkungen zu umgehen, werden in der Re-gel eigene ÖV-Graphen aufgebaut. Zu unterscheiden ist hier die Verwen-dung kommerzieller bzw. kostenpflichtiger und kostenfreier Software. In den vergangenen Jahren hat sich die Verwendung des ArcGIS® Network Analyst (NA) zur Modellierung und Berechnung von ÖV-Verkehrs-graphen etabliert (vgl. Tabelle 11). Zur Anwendung kommt zumeist das Werkzeug Add GTFS to a Network Dataset 23 mit dem es möglich ist, GTFS-Daten in einen herkömmlichen Graphen zu übersetzen (Farber et al. 2014; Stępniak & Goliszek 2017; Widener et al. 2015).

Gerade in regionalen Modellen erfordert die Berechnung fahrplan-feiner ÖV-Graphen im NA lange Rechenzeiten. Da die Ergebnisse zudem nicht einfach weiterverarbeitet werden können, ist in der Regel eine skriptbasierte Steuerung der Berechnung notwendig. Für diesen Zweck kommen unter anderem Visual Basic, Python und Matlab zur Anwen-dung (Benenson et al. 2011; Kaplan et al. 2014; Schwarze 2015). Eine wei-tere Möglichkeit ist die Verwendung von PTV Visum (PTV AG 2018).

Dieses erlaubt den Import der gängigen Fahrplanformate über teilweise kostenpflichtige Schnittstellen. Die graphische Oberfläche erhöht gerade in regionalen Modellen die Übersichtlichkeit. Außerdem können Sze-narien einfach erstellt und abgespeichert werden. Die integrierte Funk-tion Haltestellenbereichs-Kenngrößenmatrix berechnen ermöglicht die Ermittlung zahlreicher Raumwiderstände zwischen allen Haltestellen mit einer geringen Rechenzeit (Weiss et al. 2018, S. 238). So ist es möglich, minimale oder gewichtete Reisezeiten, Umsteige- und Bedienhäufig-keiten, aber auch Fahrpreise, Fahrweiten und mittlere Wartezeiten für zahlreiche Relationen zu berechnen. Die Berechnung von Erreich-barkeitsindikatoren auf einem intermodalen Verkehrsgraphen erfolgt anschließend jedoch skriptbasiert unter Einbeziehung der Haltestellen-anbindung. Zwar bietet PTV Visum umfassende Anwendungsmög-lichkeiten, die Einsatzhäufigkeit ist aufgrund der hohen Kosten aber gering (te Brömmelstroet et al. 2017, S. 11). Gleichwohl existieren einige

23 https:// www.arcgis.com/home/item.html?id=0fa52a75d9ba4abcad6b88bb6285fael (letzter Zugriff: 12.08.2019)

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

regionale Erreichbarkeitsmodelle, die auf PTV Visum basieren (Fried-rich et al. 2016; ÖROK 2018; Weiss et al. 2018).

Zwischen 2009 und 2011 wurde der OTP (OpenTripPlanner 24) ent-wickelt, um die Berechnung von ÖV-Graphen zu erleichtern (McHugh &

TriMet 2011, S. 8). Da die TriMet bereits maßgeblich an der Entwicklung von GTFS beteiligt war, ist der OTP auf dieses Fahrplandatenformat spezialisiert. Des Weiteren wird über die Integration des Individualver-kehrs auf Basis von OSM-Netzen der ausschließliche Einsatz freier Daten garantiert. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Berechnung von 1-zu-1 oder 1-zu-1-zu-n Relationen (vgl. Abschnitt 2.1-zu-1.2). Dagegen ist es nur mit einem großen Aufwand möglich, Haltestellenmatrizen und damit Er-reichbarkeitsindikatoren für zahlreiche Raumeinheiten auf regionaler Ebene zu berechnen (Boisjoly & El-Geneidy 2016; Owen & Levinson 2015).

Eingesetzt wird der OTP zum Beispiel für die Berechnung von Fluchtwegen auf multimodalen Verkehrsnetzen in Entwicklungsländern (Narboneta & Teknomo 2013) oder zur Erstellung einzelner Reisezeitiso-chronen zur Abbildung der städtischen Mobilität (Conway 2012). Schon früh wurde betont, dass das Ineinandergreifen von GTFS und OTP in der Planungspraxis genutzt werden könnte, um kommerzielle Software zu ersetzen oder überhaupt eine fundierte Planungsgrundlage aufzubauen (Antrim & Barbeau 2013, S. 15). Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Berech-nung von n-zu-n Relationen in sehr großen Verkehrsnetzen zu zeitauf-wendig ist und die Datenvalidierung ohne Benutzeroberfläche erschwert wird. Häufige Programmfehler führen außerdem dazu, dass ein großer Zeitaufwand notwendig ist, um Ergebnisse mit einer akzeptablen Genau-igkeit zu erzielen (Röntgen & Pusch 2019, S. 291). Hinzu kommt, dass Berechnungsergebnisse nicht vollständig nachvollzogen werden können (blackboxing) und nur einige parametrische Anpassungen möglich sind.

Da die vorgestellten Softwarelösungen entweder hohe Kosten ver-ursachen oder erhebliche Schwächen aufweisen, wird mitunter auf voll-ständige Eigenentwicklungen zurückgegriffen (Fayyaz & Liu 2016; Kujala et al. 2018; Martin et al. 2008). Bei der Nutzung von Reisezeitmatrizen in großen Gebieten werden die häufig geringen Rechenzeiten als ein

24 Die Initiative geht zurück auf TriMet und OpenPlans (Portland, USA)

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

Vorteil genannt (Farber et al. 2016; Fayyaz & Liu 2016). Die Integration von Eigenentwicklungen in die Planungspraxis und ihre anschließende Verstetigung sind aber zumeist nicht praktikabel.