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2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

2.2.3 Genauigkeit und Aggregationsfehler

2.2.3.4 Der Umgang mit Aggregationsfehlern

Skalen- und Zoneneffekte können zu umfangreichen Aggregations-fehlern in räumlichen Modellen führen. Die Wahl des Raumbezugs-systems und die Aufbereitung von Erreichbarkeitskarten sollen immer auch die Minderung von Aggregationsfehlern unterstützen. Grundsätz-lich sind technische und kartographische Lösungen zu unterscheiden.

Hohe räumliche Auflösung

Durch die Verwendung einer hohen räumlichen Auflösung ist es mög-lich, die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Wirkstärke von Aggrega-tionsfehlern zu reduzieren (Fotheringham 1989). Insofern ist es nahelie-gend, die Auflösung von Erreichbarkeitsmodellen zu erhöhen, um ihre Fehleranfälligkeit zu reduzieren (Hewko et al. 2002, S. 1188). Da sich sowohl die Datenverfügbarkeit als auch die Leistungsfähigkeit von Com-putern in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert haben, ist ein Trend zu immer höher aufgelösten Erreichbarkeitsmodellen nicht verwunder-lich (vgl. Abschnitt 2.2.2). Indes wird deutverwunder-lich, dass sich die Praxisinte-gration solcher Modelle aufgrund der zunehmenden Komplexität weiter erschwert (vgl. Abschnitt 1.4). Dieser Befund ist im regionalen Kontext besonders drängend, da sich regionale Erreichbarkeitsmodelle durch die hohe räumliche Auflösung großer Untersuchungsräume auszeichnen.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wird die Verwendung einer am Untersuchungsgegenstand ausgerichteten Skalierung vorge-schlagen (Openshaw 1996, S. 65). Madelin et al. (2009, S. 647) unterschei-den zwischen unterschei-den Grundraumeinheiten (Individuen, Wohnstandorte, Gelegenheiten), der Analyseebene (Raster, Verkehrszellen, Gemein-den etc.) und der Ausprägungsebene. Als Ausprägungsebene wird das Gebiet bezeichnet, auf der »ein Phänomen tatsächlich räumlich or-ganisiert ist« (ebd., S. 647). Diese Unterscheidung ist wichtig, da jede Ebene unterschiedliche politische Fragestellungen und Handlungsan-sätze berührt. Abbildung 19 zeigt diesen Zusammenhang auf Basis ei-ner fiktiven Gleichverteilung von Einkommensklassen. Der Zoneneffekt erzeugt eine räumliche Homogenität, wenn diese Gleichverteilung in den einzelnen Zonen bestehen bleibt, also in jeder Zone identische Durch-schnitte gebildet werden. Eine Erreichbarkeitskarte zeigt dann keine räum-lichen Konzentrationen. Die Zonierung kann aber auch eine räumliche

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Heterogenität generieren, die ihrerseits zu unterschiedlichen räumlichen Mustern führt. Ein konzentriertes Muster verweist eher auf eine Dispari-tät auf einer höheren Entscheidungsebene (beispielsweise Einkommen-sungleichheiten zwischen Stadtteilen oder Gemeinden) wohingegen ein gestreutes Muster Unterschiede auf der Analyseebene oder den Einfluss einer niedrigeren Entscheidungsebene signalisiert (ebd., S. 647ff.).

In mehreren Studien wurde gezeigt, dass kleinräumige Analysen nicht immer in der Lage sind, Veränderungsprozesse ausreichend genau zu erklären (Irwin et al. 2006; Kok et al. 2001). Es wurde aber auch ge-zeigt, dass kleinräumig modellierte Einflussfaktoren wie die Arbeitsplatz-erreichbarkeit und die Entfernung zu Bahnhöfen zu einem besseren Abbildung 19: Einfluss von Zonen- und Skaleneffekten auf räumliche Phänomene

Quelle: Madelin et.al. (2009, S.647) nach ESPON (2006, S.XXVI)

Aggregatebene

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Verständnis der Landnutzung beitragen (Jacobs-Crisioni et al. 2014). Die Landnutzung wird nicht auf Ebene von Wohnblöcken oder statistischen Einheiten reguliert, sondern im kommunalen und regionalen Sektor. Für politische Entscheidungen ist relevant, dass das MAUP eine falsche Entscheidungsebene adressieren kann oder Disparitäten vollständig einebnet bzw. transformiert. Entsprechend sind die gezeigten Effekte bei der Raumeinteilung und Ergebnisinterpretation stets zu berück-sichtigen. Gleichwohl kann das MAUP nicht nur als Problem, sondern auch als Chance für zusätzliche Erkenntnisgewinne verstanden werden (Madelin et al. 2009, S. 654).

Eine weitere am Untersuchungsgegenstand orientierte Einteilung des Raumbezugssystems basiert auf dem Quadtree Algorithmus (Moeckel &

Donnelly 2015; Molloy & Moeckel 2017). Bei diesem Ansatz wird nur in Gebieten mit zahlreichen Raumeinheiten und Gelegenheiten eine hohe räumliche Auflösung verwendet. Umgesetzt wird dieser Ansatz unter Verwendung eines unterschiedlich aufgelösten homogenen Rastermo-dells. Kleinere Rasterzellen werden nur dort erzeugt, wo Gelegenheiten tatsächlich vorhanden sind. Dabei wird beispielsweise jede Rasterzelle in vier gleiche Teile unterteilt, wenn sie mindestens zwei Gelegenheiten enthält (ebd., S. 3). Solche Raumbezugssysteme kommen zumeist bei integrierten Verkehrsmodellen zur Anwendung. In regionalen Erreich-barkeitsmodellen stehen der Verwendung des Quadtree Algorithmus hingegen die unzureichende Interpretierbarkeit und Ungleichzeitigkeit von Aggregationsfehlern in zentralen und dezentralen Lagen entgegen.

Rastermodelle und einwohnergewichtete Zentroide

Um das Auftreten von Aggregationsfehlern zu reduzieren, wird ins-besondere die Verwendung homogener regelmäßiger Raumbezugs-systeme vorgeschlagen und damit auch die Abkehr von administrativen Einheiten propagiert (Benenson et al. 2017b, S. 215; Pooler 1987, S. 274).

Rastermodelle unterschiedlicher Auflösung sind heute ein in der Er-reichbarkeitsmodellierung weitverbreitetes Raumbezugssystem (vgl. Ab-schnitt 2.3.3.2) (Ahlmeyer & Wittowsky 2018; Benenson et al. 2017b; Peter

& Gertz 2017). Diese sind in der Regel quadratisch aufgebaut. Mitunter kommen auch Hexagone zum Einsatz (Schwarze 2015, S. 196). Raster-modelle haben den Vorteil, dass die Raumeinheiten immer Voronoi-

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3 1

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Polygonen 15 (auch: Thiessen-Polygon) entsprechen und Zoneneffekte re-duzieren. Die Vorteile eines kleinräumigen Rastermodells im Vergleich zu aggregierten Verkehrszellen wurden am Beispiel von Tel Aviv aus-führlich gezeigt (Benenson et al. 2017b). Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass die Stärke der Aggregationsfehler auf Rasterebene wesentlich geringer ist (ebd., S. 228). Die Verwendung geometrischer Rastermodelle im regionalen Kontext erzeugt allerdings einen hohen Arbeitsaufwand bei der Datenbereitstellung. Nach wie vor sind gerade Gemeinden die klassische Gebietskulisse, auf Basis derer Raumstruktur- aber auch Verkehrsdaten bereitgestellt werden. Entsprechend sind unter-schiedliche Techniken anzuwenden, um Raumstrukturdaten in klein-räumige Rastermodelle zu übertragen (vgl. Abschnitt 3.4).

Um insbesondere die Wahrscheinlichkeit von Grenzproblemen zu reduzieren, wird außerdem die Verwendung gewichteter Zentroide vorgeschlagen (Prinz & Herbst 2008, S. 8; Schwarze 2015, S. 118). Die Gewichtung erfolgt zumeist über die Verteilung der Einwohner inner-halb einer Raumeinheit (vgl. Abbildung 20). Anschließend bestimmt ein Algorithmus, wie stark die räumliche Nähe und das Gewicht (Potenzial) die Lage des Zentroiden beeinflussen. Hewko et al. (2002, S. 1195) zeigen jedoch, dass die Verwendung einwohnergewichteter Zentroide nur zu einer geringen Reduzierung von Aggregationsfehlern führt und

15 In einem Voronoi-Polygon liegt jeder Punkt näher am Zentroiden des eigenen Polygons, als am Zentroiden eines Nachbarpolygons.

Abbildung 20: Einwohnergewichtung von Rasterzellen ungewichtet

500-Meter-Zelle

gewichtet

Zentroid

100-Meter-Zelle (bewohnt)

Quelle: eigene Darstellung

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insbesondere unrealistisch kurze Distanzen weiterhin bestehen bleiben (Fehler B; Eigenpotenzialproblem). Insofern soll auch in dieser Arbeit be-antwortet werden, ob und in welchem Umfang die Nutzung gewichteter Zentroide zu einer Reduktion von Aggregationsfehlern beiträgt.

Kartographische Lösungsansätze

Zur Reduzierung des MAUP in Kartendarstellungen werden unter-schiedliche Lösungsansätze vorgeschlagen. Diese beziehen sich lediglich auf die Aufbereitung und Darstellung von Raumstrukturdaten und bie-ten insofern nur indirekte Hinweise bezüglich des Umgangs in Erreich-barkeitsuntersuchungen. Mögliche Ansätze sind die Verwendung von Gauß-Filtern zur Glättung von Indikatorwerten (Salze et al. 2011, S. 7, 8) und die Kartographie von Quoten und ihrer Bezugsgrößen (Madelin et al. 2009, S. 655ff.). In solchen Karten werden unter anderem Gebiete in Punkte unterschiedlicher Größe übersetzt. Die Punktgröße hängt dann von einer Bezugsgröße ab (etwa der Bevölkerungszahl). Die Farbgebung wird hingegen vom Indikatorwert bestimmt. Im Unterschied zur übli-chen Choroplethen-Darstellung, also der Darstellung in der Ebene, ist die absolute Bevölkerungszahl eines Gebietes wichtiger als die Gebiets-größe, um einen Indikatorwert richtig zu interpretieren. Auch das soge-nannte Gridding, also das Übersetzen von Raumzusammenhängen in ein Raster, wird zur Reduzierung des MAUP vorgeschlagen (ebd., S. 658).

Zu den Vorteilen gehören die Möglichkeit einer sehr hohen Auflösung sowie die Entkopplung von administrativen Einheiten, welche ihrerseits die darstellbare Raumstruktur zu erheblichen Teilen determinieren.

Dies ist auch wichtig, da die Zelleinteilung in städtischen Gebieten mit jener in ländlichen Gebieten identisch sein muss, um Fehler und Fehl-interpretationen zu vermeiden (Curl et al. 2015, S. 94).

Vielversprechend sind außerdem die Entwicklungen in der inter-aktiven Kartographie (Madelin et al. 2009, S. 658). Diese profitiert von der zunehmenden Verbreitung von Internetportalen bei der Bereit-stellung von Rauminformationen. Der interaktive Ansatz erlaubt die Entkopplung von der gedruckten Karte und ermöglicht es den Nutzern, Rauminformationen auf unterschiedlichster Ebene mit wenigen Maus-klicks zu erzeugen. Insofern lassen sich MAUP über die Kombination unterschiedlicher Kartendarstellungen reduzieren.

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