• Keine Ergebnisse gefunden

Die Bedeutung multimodaler Erreichbarkeitsmodelle

1.2 Erreichbarkeiten in der praktischen Anwendung Der in dieser Arbeit verwendete Erreichbarkeitsbegriff wird im folgen

1.2.5 Die Bedeutung multimodaler Erreichbarkeitsmodelle

Die potenziellen Anwendungszwecke von Erreichbarkeitsanalysen machen eine multimodale, also alle Verkehrsmodi umfassende Betrach­

tung unabdingbar. So werden im Bereich der Daseinsvorsorge für un­

terschiedliche Verkehrsmodi maximale Reisezeiten genannt, in denen die nächstgelegene Kindertagesstätte oder Schule erreicht werden soll (BMVBS 2010d, S. 7). Da die Verlagerung der Verkehrsnachfrage auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes (ÖV, NMIV) ein übergeordnetes planerisches Ziel darstellt, sind Reisezeitvergleiche unverzichtbar. Frü­

here Studien konnten zeigen, dass eine hohe Erreichbarkeit des ÖPNV im Vergleich zum MIV zu einer stärkeren Nutzung führt (Kawabata &

1 Einführung

Shen 2006; Kwok & Yeh 2004; Shen 1998). Der ÖPNV ermöglicht darüber hinaus auch jenen Personengruppen räumliche Interaktionen, die von der Pkw­Nutzung ausgeschlossen sind. Unter dem Stichwort des spati­

al mismatch wurde lange diskutiert, ob räumliche Barrieren zwischen Personen mit geringem Einkommen und Arbeitsplätzen die soziale Aus­

grenzung verstärken (Grengs 2010; Kain 1968). Unterschiedliche Studien konnten jedoch zeigen, dass dieser spatial mismatch nicht durch räum­

liche Distanzen, sondern aufgrund unterschiedlicher Verkehrsangebote konstruiert wird (Grengs 2010; Shen 1998; Hess 2005). Eine ausschließ­

liche Betrachtung von Distanzen oder monomodalen Raumwiderstän­

den ist insofern nicht in der Lage, Mobilitätshemmnisse benachteiligter Personengruppen hinreichend zu beschreiben.

Während bei monomodalen Ansätzen die Plausibilität der Wider­

standsberechnung im Zentrum steht, ist bei multimodalen Modellen außerdem die Konsistenz zwischen den Widerstandswerten der einzel­

nen Verkehrsmittel bedeutsam. Ein monomodales MIV­Modell, welches auf die Berücksichtigung von Parksuchverkehren sowie fußläufigen Zu­

und Abgängen verzichtet, würde gerade in Innenstädten unrealistisch kurze Reisezeiten ausgeben. Werden diese Reisezeiten dann in einem multimodalen Modell mit jenen des ÖV verglichen, kann diese Verein­

fachung zu einer Unterschätzung der Konkurrenzfähigkeit öffentlicher Verkehrs angebote führen. Abbildung 4 zeigt Raumwiderstände, die auf unterschiedlichen Wegen auftreten können. Diese werden durch unter­

schiedliche Barrieren hervorgerufen, die ihrerseits in Modellelemente zu übersetzen sind. Eine für alle Verkehrsmodi homogene und konsis­

tente Berechnung von Raumwiderständen muss auf einer vergleichbaren Detaillierung aller Modellelemente beruhen.

Salonen & Toivonen (2013) haben am Beispiel von Helsinki gezeigt, dass die Detaillierung von Wegen einen hohen Einfluss auf das Reise­

zeitverhältnis zwischen dem MIV und dem ÖV aufweist (ebd., S. 149).

Werden in einem Erreichbarkeitsmodell zwar ÖV­Fahrpläne aber keine Verkehrsbelastungen berücksichtigt, kann dies zu einer fehler haften Darstellung der Wettbewerbsfähigkeit öffentlicher Verkehrsmittel führen.

Die Verwendung durchschnittlicher Fahrtzeiten auf ÖV­Linienwegen könnte die Vergleichbarkeit der Reisezeiten erhöhen (Salonen & Toivonen 2013, S. 149). Die maximale Genauigkeit der Fahrtzeitberechnung im

Wohnstandorte

H MIV

H ÖV Ampeln Knoten Steigungen Streckentypen Belastungen Tempolimits

Anbindung Anbindung Ampeln Streckentypen

Umstiege TaktFahrpreis Abstellung (Rad)Gelegenheiten Modellelemente Raumwiderstände

Reisezeit ReisezeitBereitstellung (Rad) Reiseweite HHaltestelle

Abgangszeit Zugangszeit Parkraumauslastung Parksuchzeit

NMIV Anbindung

Zugangs-und stzeit Anbindung

Abgangs-und stzeit Knoten

Reisezeit Reiseweite

Fahrplan Startwartezeit

Abbildung 4: Raumwiderstände und Widerstandsparameter der Verkehrsmodi Quelle: eigene Darstellung

1 Einführung

MIV kann indes nur über die Berücksichtigung von parking related travel costs (PRZ) erzielt werden. Da gerade die Quantifizierung von Parksuchverkehren eine erhebliche methodische Herausforderung dar­

stellt, wird zumeist auf konstante Aufschläge zurückgegriffen (FGSV 2008, S. 47). Dies führt unter Verwendung von Erreichbarkeitsmodellen mit einem Tür­zu­Tür­Ansatz immer wieder dazu, dass die auf Fahrplä­

nen basierenden ÖV­Reisezeiten im Vergleich zu einfacher berechneten MIV­Reisezeiten überschätzt werden (Benenson et al. 2011; Benenson et al. 2017b; Salonen & Toivonen 2013). Gleichwohl zeigte sich, dass die zunehmende Detaillierung von MIV­Modellen zu einer Reduzierung der Reisezeitunterschiede zwischen beiden Verkehrsmodi führt.

Mit dem Aufbau multimodaler Erreichbarkeitsmodelle sind Schwie­

rigkeiten verbunden, die sich auf regionaler Ebene im Zusammenspiel mit einer hohen räumlichen Auflösung weiter verstärken. Hinzu kommt, dass sich der Individual­ und der öffentliche Verkehr hinsichtlich der Modellierungsansätze und der späteren Modellberechnung grundsätz­

lich unterscheiden (vgl. Tabelle 3). So ist gerade die Bereitstellung und jährliche Aktualisierung von Fahrplandaten mit einem hohen Aufwand verbunden. Ohne solche Daten ist es jedoch nur sehr begrenzt mög­

lich, selbst einfache Netzmodelle des öffentlichen Verkehrs aufzubauen.

Im Vergleich dazu sind die Verkehrswege des Individualverkehrs auf OpenStreetMap frei zugänglich (OSM o.J.). Auch Aktualisierungen sind seltener durchzuführen, da sich die Netze nur punktuell, insbesondere im Autobahnbau, grundlegend ändern.

Anders als im ÖV und NMIV, ist für die im Straßennetz realisier­

baren Geschwindigkeiten die Gesamtbelastung entscheidend. Reduzier­

te Reisezeiten aufgrund einer hohen Belastung können über vereinfachte Annahmen, Verkehrsmodelle oder kommerzielle Daten von Drittanbie­

tern ermittelt werden (Owen & Levinson 2012, S. 27). In einem belas­

teten Netzmodell ist die zu einem Zeitpunkt tatsächlich vorhandene Fahrzeugbelastung bzw. Auslastung des Streckennetzes hinterlegt und damit die Berechnung genauer Reisezeiten möglich. Verkehrsmodelle und kommerzielle Daten erfordern jedoch einen erheblichen finanziellen oder zeitlichen Aufwand. Eine weitere Schwierigkeit ist die Verwendung unterschiedlicher Routingverfahren (vgl. Abschnitt 2.3.3). Im Individual­

verkehr wird ein einfaches ungerichtetes (keine getrennten Richtungen)

Quelle: eigene Darstellung

IndividualverkehrÖffentlicher Verkehr

Date Daten- verfügbarkeit n

frei vergbar unter openstreetmap.de; hoher Aufbereitungsaufwand kommerzielle Bereit stellung belasteter Netze (z. B. Navteq, TomTom)

teilweise frei verfügbare GTFDaten* abngig von der Bereitschaft externer Stellen automatisiertes Auslesen von Fahrplan daten ist aufwendig Daten- aufbereitung

ggf. Nachfrage berechnungr Reise zeiten im MIV Höhenprofil mit Steigungen und Gefällestrecken

umfangreiches lokales Wissen notwendig Vereinigung von Bus­ und Bahnnetzen Daten- aktualisierungregional/punktuell bei wesentlichen Strecken änderungen (Sperrungen, Neubauten)hrlich zum Fahrplanwechsel teilweise unterhrige Anpassungen

Be rec hnun Routing-einfaches Routing in einem ungerichtetenIntermodalität: Verknüpfung von IV und des ÖV g verfahrenGraphenRouting im Fahrplan Reisezeit als wesentlicher Raumwiderstand Raum- Berücksichtigung der Bereitstellung widersnde (Parken, Abstellen etc.) ist sehr aufwendig

Reisezeit, Umsteigehäufigkeit, Bedienhäufigkeit und Fahrpreis als relevante Widerstandsfaktoren hoher Aufwand bei der Datenbereitstellung und Berechnung

Int erp reta

Darstellung einfacher Isochronen Aufbereitung flächenhafte Ausdehnung mit geringer und Darstellung Inselbildungtion

Darstellung zahlreicher Indikatoren, schwierige Verknüpfung starke Inselbildung Flächenausdehnung abhängig von der Lage der Haltestellen Kontextualitätgeringes Kontextwissen erforderlich, gute Interpretierbarkeit einfacher Indikatoren hohe (MIV) bzw. geringe (NMIV) zeitliche Variation im Tagesverlauf

hohes Kontextwissen notwendig, Feh interpretationen sind möglich Erreichbarkeit als Synthese unterschiedlicher Raum widerstände hohe Zeitabhängigkeit

Tabelle 3:Anforderungen des IV und ÖV an Erreichbarkeitsmodelle * General Transit Feed Specification (vgl. Abschnitt 2.3.3.4)

1 Einführung

Verfahren angewendet, im ÖV erfolgt grundsätzlich eine Zweiteilung, da die Haltestellenanbindung im Individualverkehr erfolgt. Das Routing­

verfahren muss außerdem in der Lage sein, Fahrplan daten zu interpre­

tieren sowie Umsteige­ und Bedienhäufigkeiten auszugeben. Zudem erschweren die unterschiedlichen Raumwiderstände auf ÖV­ Wegen die Interpretierbarkeit der Ergebnisse. Die Synthese aus Reisezeiten, Umstie­

gen, Bedienhäufigkeiten und Fahrpreisen manifestiert die Erreichbarkeit im ÖV und erfordert ein umfangreiches Kontextwissen. Hinzu kommt, dass diese im Tagesverlauf großen Schwankungen unterworfen sind.

1.3 Erreichbarkeitsinstrumente und ihre Integration