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Die Relevanz von Erreichbarkeitsindikatoren in regionalen Modellen

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

2.1.2 Die Relevanz von Erreichbarkeitsindikatoren in regionalen Modellen

Die in einer Erreichbarkeitsanalyse verwendeten Erreichbarkeitsindika-toren stellen unterschiedliche Anforderungen an das zugrundeliegende Modell. Sie sind eine auf die Fragestellung und den Einsatzzweck abge-stellte Operationalisierung unterschiedlicher Erreichbarkeitsdefinitionen.

Nach Wegener et al. (2001) können insgesamt zehn Elemente abgegrenzt werden, die den Modellaufbau und die Berechnung von Erreichbarkeits-indikatoren wesentlich beeinflussen. Zu diesen gehören beispielsweise die Raumeinheiten und Gelegenheiten, die Verkehrsmodi und Verkehrsmit-tel aber auch die Raumwiderstände und der räumliche Maßstab (ebd., S.

9). Ein Großteil dieser Elemente wird vom Untersuchungsgegenstand vorgegeben. Etwa das Untersuchungsgebiet, die räumliche Auflösung, die betrachteten Verkehrsmodi oder etwaige räumliche Restrikt ionen.

Doch auch Erreichbarkeitsindikatoren beeinflussen die Nutzbar-keit von ErreichbarNutzbar-keitsmodellen und die Aussagekraft der erzielten Ergebnisse (vgl. Abschnitt 1.6). Die Nutzbarkeit wird insbesondere dann reduziert, wenn die verwendeten Indikatoren zu einer deutlichen Erhö-hung der Rechenzeiten führen und Echtzeitberechnungen verhindern.

Auch kann eine hohe Individualisierung von Raumwiderständen nur umgesetzt werden, wenn bei der Modellentwicklung das notwendige Expertenwissen vorhanden ist. Schließlich zeigt sich immer wieder, dass nur wenige Erreichbarkeitsindikatoren in der Planungspraxis wirklich verstanden und eingesetzt werden (vgl. Abschnitt 1.3). Auf der anderen Seite muss gewährleistet sein, dass die Erreichbarkeitsverhältnisse der Theorie entsprechend korrekt abgebildet werden, die Erreichbarkeits-indikatoren also eine hohe Genauigkeit besitzen. Beide Faktoren werden im Wesentlichen von den folgenden Modellparametern bestimmt:

1. Menge der Raumeinheiten und Gelegenheiten 2. Raumwiderstände und Menge der Verbindungen 3. zeitliche und individuelle Faktoren

2 Die Grundlagen regionaler Erreichbarkeitsmodelle

Nachfolgend wird die Bedeutung dieser Faktoren näher beschrieben. Vor diesem Hintergrund erfolgt anschließend eine Vorstellung unterschied-licher Indikatoren. Anzumerken ist, dass auch die Auflösung des Raum-bezugssystems, die berücksichtigten Verkehrsmodi sowie die Detaillie-rung der Verkehrsgraphen einen großen Einfluss auf die Nutzbarkeit und Genauigkeit von Erreichbarkeitsmodellen haben. Sie resultieren jedoch nicht primär aus den genutzten Indikatoren und werden daher gesondert in den Abschnitten 2.1.4 und 2.3 diskutiert.

Menge der Gelegenheiten

Erreichbarkeitsindikatoren werden für die Raumeinheiten (Raster-zellen, Gemeinden etc.) des jeweiligen Raumbezugssystems berechnet (vgl. Glossar). Die Menge der Gelegenheiten ist relevant für die Rechen-zeit, die Datenbereitstellung und -haltung, sowie die Komplexität der Berechnungsroutine. Die Nutzbarkeit eines Modells nimmt mit einer Zunahme der Gelegenheiten tendenziell ab. Daher werden in regionalen und insbesondere nationalen Modellen die Gelegenheiten häufig über wenige zentrale Orte zusammengefasst (ÖROK 2018; Pütz & Schönfelder 2018; Buthe et al. 2018). Gleichwohl werden auch in regionalen Modellen zunehmend Reiseaufwandsindikatoren verwendet, um die Raumwider-stände zur nächsten Einrichtung eines Gelegenheitstyps zu berechnen (BBSR 2019; Spiekermann & Schwarze 2014; Wulfhorst et al. 2010).

Menge der Verbindungen

Die Nutzbarkeit nimmt zusätzlich ab, wenn nicht nur die nächste Ge-legenheit berücksichtigt wird, sondern Raumwiderstände zu mehreren Gelegenheiten zusammengefasst werden. Mit Reiseaufwandsindikatoren können akkumulierte Kosten zu einer Menge an Gelegenheiten berech-net werden. Ein Beispiel für die Akkumulation von Kosten ist der ATOS-Indikator (Access to opportunities and services). Dieser beinhaltet etwa die durchschnittliche Reisezeit zu den nächsten drei Hausärzten oder zu den nächsten 10 Tsd. Arbeitsplätzen (Inayathusein & Cooper 2018, S. 24).

Es lassen sich aber auch verschiedene Gelegenheiten zusammenfassen.

Kumulationsindikatoren ermöglichen hingegen das Aufsummieren aller Gelegenheiten, die ohne Überschreitung eines maximalen Raumwider-standes erreicht werden. Beispielsweise die Menge der innerhalb von 30 Minuten erreichbaren Arbeitsplätze. Da in beiden Fällen mehrere

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Verbindungen zu berechnen und zu verarbeiten sind, werden solche Indikatoren mit regionalen Modellen nur selten berechnet, insbesondere bei Verwendung einer hohen räumlichen Auflösung (Owen et al. 2017;

Owen & Levinson 2012).

Zahlreiche Erreichbarkeitsindikatoren kommen auch ohne Raum-widerstände aus. Zu diesen gehören unter anderem Ausstattungsindika-toren, die die Beschreibung des Verkehrsnetzes (Anzahl der Haltestellen, Linienlänge etc.) ermöglichen und die Attraktivität eines Standortes oder eines Gebietes über die räumliche Lage von Verkehrsinfrastruk-turen bewerten (Schwarze 2015, S. 47). Dazu gehört auch die Anzahl der Haltestellen je Gemeinde (Pütz & Schönfelder 2018, S. 6) oder die Anzahl der Einwohner je Hausarzt. Die Vorteile solcher Indikatoren sind die schnelle Berechnung über einfache räumliche Abfragen und die gute Interpretierbarkeit (vgl. Abschnitt 2.1.3.1).

Zeitliche und individuelle Faktoren

Die Widerstandsberechnung auf Start-Ziel-Paaren oder Start-Ziel- Relationen ist die klassische Grundlage bei der Berechnung von Erreich-barkeitsindikatoren (Hesse et al. 2012, S. 26; Schwarze 2015, S. 219). Dies bedeutet, dass je Raumeinheit nur Wege zu einer bestimmten Menge an Gelegenheiten und ohne Unterbrechung ermittelt werden. Auch zeit-liche Rahmenbedingungen spielen nur eine Rolle, wenn sie für die zu berechnenden Verbindungen relevant sind (Straßenbelastung, Fahrplan-zeit etc.). Es existieren aber auch Erreichbarkeitsindikatoren, die eine Integration zeitlicher und individueller Faktoren ermöglichen. Ihnen ist die zumeist deutliche Erhöhung des Berechnungsaufwands gemein.

So wird immer wieder das Fehlen von Aktivitätenketten in Erreich-barkeitsanalysen kritisiert (Kwan 1998, S. 192; Owen & Levinson 2012, S. 6). Dieser Kritik liegt die Überlegung zugrunde, dass die meisten Wege nicht an der Wohnungstür beginnen, sondern nur in Kombina-tion mit anderen Aktivitäten sinnvoll abgebildet werden können. Ziel ist es also, die Erreichbarkeit in Abhängigkeit von individuellen Tages-abläufen zu berechnen. Zwar existieren unterschiedliche Ansätze, um auch wegekettenbasierte Erreichbarkeitsindikatoren zur Anwendung zu bringen, ihre Nutzbarkeit wurde bisher jedoch nur anhand kleinerer Ge-biete demonstriert (Liao et al. 2013a; Liao & van Wee 2017). Eine weitere

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Möglichkeit ist die Integration individueller Wegeketten (vgl. Glossar) mit Hilfe der Berechnung der joint accessibility. Mit dieser wird das Gebiet abgegrenzt, in dem sich zwei Personen in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Tagesabläufe und unter Berücksichtigung von Zeitbudgets treffen können (Neutens et al. 2008). Doch erfordern auch solche Analysen den Aufbau komplexer Erreichbarkeitsmodelle. Ein weiterer Nachteil wegeketten-basierter Erreichbarkeitsindikatoren ist ihre eingeschränkte Interpretier-barkeit aufgrund der hohen Aggregation von Raumwiderständen.