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1. Das Forschungsprojekt im Überblick

1.4. Ziele des Forschungsprojekts

Vor diesem Hintergrund, der die zwiespältige bildungstheoretische Wissenschaftslage der Didaktik umreißt, entfaltet sich für unsere Untersuchung nun die Problematik, einerseits nicht mit einer bestimmten Unterrichtsmodellvorstellung an die Arbeit zu gehen, sondern andererseits die tatsächlichen Einstellungen und Meinungen vorerst einmal zu erheben. In sämtlichen drei Untersuchungsabschnitten (A, B, C) dieses Forschungsprojekts (siehe Übersicht 1) haben wir daher versucht, uns jeglicher normativen Positionen zu enthalten, um aus den Ergebnissen die bildungstheoretischen und die fachdidaktischen Schlussfolgerungen ohne kategoriale Einschränkungen zu ziehen.

Abbildung 1: Struktur dieses Forschungsprojekts (Entwurf und Grafik: Christian FRIDRICH) Projektabschnitt A Ziele, forschungsleitende Fragestellungen, wissenschaftliche Basis aus der Literatur

Statistische Auswertung Qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING

Induktive Kategorienbildung und Clusterung

Interpretation der Ergebnisse der drei Projektabschnitte und Synthese

Als Leitsystem für die Beschreibung Offenen Unterrichts ziehen wir die Merkmale heran, die man bei Falko PESCHEL findet. Seine Systematisierung kann möglicherweise Aufschluss darüber geben, welche Offenheitsgrade im naturwissenschaftlichen Sachunterricht und im Mathematikunterricht bereits erreicht werden, bzw. welche Probleme und Grenzen der Umsetzung in didaktischer Hinsicht den Lehrer/innen bei der Umsetzung schüler/innenorientierter Methodiken bislang auffallen.

Die in Aussicht gestellte „pädagogische Reflexion“ im Rahmen der Auswertung soll in aller Schärfe und Präzision einerseits die Differenz zwischen Lernen und Beschäftigung des Schülers aufdecken und erkennen lassen. Sie soll andererseits die Einsicht in die didaktische Hinterbühne (GRUSCHKA) ermöglichen, um sachgerechte Angebote des Fachdidaktikzentrums zu ermöglichen.

Mit den zu erwartenden Ergebnissen unserer Untersuchung steht dem Zentrum eine Grundlage für die didaktische Orientierung der Arbeit des Fachdidaktikzentrums zur Verfügung, der sich vorbehaltlich der „Offen-Geschlossen-Etikettierung“ des Unterrichts möglicherweise weder einseitig in die Richtung einer „absolut“ gesetzten Instruktion weist, noch eine „absolut“ gesetzte „Freiarbeit“ des Schülers/der Schülerin im jeweiligen fachdidaktischen Sinn unterrichtskonstitutiv normativ setzt.

Unter dem Begriff „Offener Unterricht“ subsumieren sich seit einigen Jahren weitere Begriffe wie Freiarbeit, Werkstattlernen, Stationenbetrieb sowie Projektunterricht. Es gibt zu all diesen Begriffen jedoch keine konkreten Definitionen oder Anleitungen, wie denn hier der Unterricht zu konzeptionieren sei. Das hat zur Folge, dass verschiedenste Personen mit unterschiedlichsten Auffassungen „Offenen Unterricht“ nach Ihrem jeweiligen Begriffsverständnis konzipiert haben. Die Umsetzung erfolgte nun zu einem großen Teil nicht mehr so wie es ursprünglich angedacht war.

Die heutzutage vorgefundenen Unterrichtskonzepte bzw. Arbeitsformen, die als „Offener Unterricht“ geführt werden, sind eigentlich eher eine Verlagerung der Tätigkeiten im Unterricht an sich, in dem die Anweisungen nicht direkt von der Lehrperson erfolgen, sondern von Plänen oder Arbeitsaufträgen vorgegeben werden. Es wird versucht, den Schüler/innen anhand ausgesuchter Materialien einen differenzierenden und individualisierenden Unterricht anzubieten. Die Offenheit des Unterrichts beschränkt sich in diesem Fall jedoch mehr auf die Freigabe der organisatorischen Bedingungen des Unterrichts.

„Ich kann als Kind auswählen, mit welcher Arbeit ich anfangen will, kann mir meine Zeit selbst einteilen und oft auch noch Lernort und Lernpartner frei aussuchen. Die Inhalte können zwar bei den meisten Arbeitsformen in der konkreten Arbeitssituation dann „frei gewählt“ werden, stammen aber durchweg doch aus einer klar vom Lehrer vorgegebenen Auswahl“ (PESCHEL 2003, S. 13).

„Offener Unterricht“ wird in der Realität der Unterrichtspraxis in vielfältigsten Ausprägungen reduziert auf ein Lernprogramm für Schüler/innen. Durch indirekte Instruktionen in Form von vorgegebenen und zum Großteil exakt dem durchzunehmenden Lerninhalt entsprechenden Arbeitsplänen werden die Schüler/innen mit einem mehr oder weniger großen Repertoire an Lernmaterialien konfrontiert. Anhand dessen können sie dem vorgefertigten Plan entsprechend die zu erlernenden Inhalte erarbeiten oder üben.

„Die Prinzipien und Zielsetzungen des offenen Unterrichts schrumpfen zu fleißig benutzten Begriffen – ohne aber wirklich umgesetzt zu werden:

- Die Eigenverantwortung des Lernens wird reduziert auf die Auswahl aus dem vorgegebenen Angebot.

- Das selbstgesteuerte Lernen wird reduziert auf die Bestimmung der Reihenfolge oder des Arbeitsortes.

- Die Handlungsbefähigung wird reduziert auf tätigkeitsintensive Beschäftigungen.

- Die Selbstkontrolle wird reduziert auf die Fremdkontrolle durch das Material.

- Die Differenzierung wird reduziert auf die Ausgabe zweier oder dreier (in sich undifferenzierter) Wochenpläne“ (ebd.).

Um diese Feststellungen auf den Unterricht an den österreichischen Volksschulen zu beziehen, bedarf es der Formulierung einer konkreten Ausgangslage. In Anlehnung an die Untersuchungen von PESCHEL (vgl. ebd., S. 41f.) sollen folgende Grundannahmen dem Forschungsprojekt als Basis dienen, einen Status-Quo Bericht zum derzeitigen Unterricht an Wiener Volksschulen zu erhalten und in der Folge sowohl im methodischen Rahmen als auch im didaktischen Bereich in der Lehrer/innenaus- und -fortbildung zu reagieren.

- „Offene“ Unterrichtsformen wie bspw. der Projektunterricht oder Ateliertage oder ähnliches werden sehr oft als Ausnahme und besondere Attraktion im Schulalltag dargestellt, wobei die eigentlichen Ziele wie der Erwerb inhaltlicher Kompetenzen, demokratischer Grundlagenkompetenzen, Darstellen von Lösungsprozessen und gemeinsame Reflexion darüber nicht im Vordergrund stehen oder auch nicht verfolgt werden. Im Vordergrund stehen Beschäftigungen, die durch intensive Tätigkeiten gegeben sind.

- Es gibt in der Regel eine Auswahl eines vorgegebenen Angebots, wobei das Material in der Regel auch nach dem was vorhanden ist ausgesucht wird und oft nicht auf die tatsächlichen Qualitätsmerkmale des Materials Rücksicht genommen wird. Die Eigenverantwortung der Kinder beschränkt sich auf die Auswahl des angebotenen Materials.

- Durch die oft recht motivierende Gestaltung des Materials wird der „Spaßfaktor“ im Sinne eines Unterhaltungsprogramms für Schüler/innen im Unterricht betont. Dadurch wird die intrinsische Motivation bzw. die Motivation durch das Fach an sich beschnitten. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass in den meisten Fällen Material allein nicht ausreicht, um einen Schüler/einen Schülerin selbstständig in ein neues Thema einzuführen. Somit bleibt großteils der Frontalunterricht als Mittel zur Einführung neuer Unterrichtsinhalte bestehen.

- Letztendlich findet man eine Form von selbstgesteuertem Lernen vor, die sich beschränkt auf freie Wählbarkeit in der Reihenfolge der Aufgaben oder auch in der Wahl des Arbeitsortes. Eine Selbstkontrolle der Lerninhalte gibt ebenfalls das Material vor. Material an sich kann aber den Lehrer/die Lehrerin nicht von der Aufgabe befreien, differenzierende Maßnahmen zu setzten und den Unterricht auf die Individuen bezogen zu gestalten.

Lernen wird zum „Aberledigen“ möglichst vieler Aufgaben – anstatt zu einer qualitativen Auseinandersetzung mit Inhalten bzw. der Anwendung und dem Ausbau eigener Lernmethoden.