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Ziel- und Auftragsklärung

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 188-193)

C2 Gesprächsanalytische Beschreibung:

6 Das Handlungsschema anwaltlicher ErstgesprächeErstgespräche

6.3 Kommunikative Aufgaben im anwaltlichen Erstgespräch

6.3.3 Ziel- und Auftragsklärung

Die Schemakomponente Ziel- und Auftragsklärung bildet einen wichtigen Kern für die inhaltliche Sachverhaltsbearbeitung (vgl. Kilian 2008: 4f.), dennoch ist sie eine der Schemakomponenten, deren kommunikative Aufgaben typischerweise implizit oder verkürzt bearbeitet werden (vgl. Kapitel 5). Dazu kommt, dass sie besonders problemanfällig zu sein scheint. Die kommunikativen Aufgaben dieser Schemakomponente sind:

Ziel- und Auftragsklärung (A+M) Gesprächsziel darstellen (M) Auftrag für das Gespräch klären (A) Handlungsziel darstellen (M) Handlungsziel ermitteln (A)

Weitere mögliche Handlungsziele einbringen (A)

Die Schemakomponente Ziel- und Auftragsklärung findet sich in der Literatur unter dem Begriff Anliegensklärung (Becker-Mrotzek/Brünner 2007). Dass diese Bezeichnung für das anwaltliche Mandantengespräch nicht passend zu adaptieren ist, habe ich in (Pick 2010) und (Pick 2009a) dargelegt. Entsprechend wähle ich für die Bezeichnung dieser Schemakomponente die Bestandteile, die auch im Begriff Anliegen enthalten sind: das Ziel und der Auftrag.

Eine kommunikative Aufgabe des Mandanten ist es, sein Gesprächsziel darzustellen. Damit legt er fest, was er gemeinsam mit dem Anwalt im Rahmen des Mandantengesprächs bearbeiten oder erreichen möchte.

Ein Beispiel findet sich in folgendem Transkript. Hier stellt der Mandant sein Gesprächsziel dar, er möchte Informationen sammeln (Fl. 233) und hat auch bereits vorhandenes Wissen, auf dem der Anwalt aufbauen kann (Fl. 233f.).

[232]

A (m) kenn ich. ((aa)) ((1,2s)) Jahaa.

A (m) [k] seufzend

M (m) ((2,7s)) Ja ich wollte eigentlich nur

[233]

A (m) Hmhm̌.

M (m) erstmal Informationen • • sammeln. Ess ist ja eine Kann, eine [234]

A (m) Ja. ((1s)) Ja, ist richtig.

M (m) Kannbestimmung. Da kann ich mir nichts drunter PC_CS_1: Gesprächsziel darstellen

Korrespondierend damit besteht die Aufgabe des Anwalts darin, den Auftrag für das Gespräch zu klären, denn genau das Gesprächsziel des Mandanten ist sein Auftrag für das Gespräch. Das Klären des Auftrags bietet den Vorteil, dass am Ende des Gesprächs die Überprüfung des Erreichens des Ziels leichter fällt und die Beteiligten so auch das Gespräch evaluieren könn(t)en, was allerdings in keinem der untersuchten Gespräche zu beobachten ist.

Das folgende Beispiel zeigt, wie ein solches Klären des Auftrages für das Gespräch vollzogen werden kann.

[217]

A (m) Also vom

M (m) Hmhm̌

ME (w) und man muss ja auch noch • Essen kaufen, ne?

[218]

A (m) weiteren Verlauf her, wäre es so, ähm… Was ich Ihnen bieten kann is

[219]

A (m) ne generelle qu… So ne Art Aufschlussberatung wie ne [220]

A (m) Unterhaltsberechnung funktioniert. Was ich Ihnen heute nicht bieten

ME (w) Hmhm̌

[221]

A (m) kann, is dass wir heute komplett den Unterhalt kontrolleweise komplett [222]

A (m) durchrechnen. Sondern des • • äh, • würde ich Ihnen

ME (w) Ja, das war…

[223]

A (m) dann als • • äh gesondertes ((1s)) Thema anbieten. Und das kommt SO_EV_1: Auftrag für das Gespräch klären

In diesem Beispiel klärt der Anwalt den Auftrag für das Gespräch im Anschluss an die Sachverhaltsklärung. Dabei kontrastiert er, welche Inhalte er im Erstgespräch für sinnvoll bearbeitbar hält (Fl. 218 „Was ich Ihnen bieten kann…“) mit dem, was im Rahmen der Erstberatung nicht möglich ist (Fl. 220f. „Was ich Ihnen heute nicht bieten kann…“).

Neben dem Gesprächsziel muss ebenfalls das Handlungsziel im Erstgespräch geklärt werden. Es kann entweder vom Mandanten dargestellt oder vom Anwalt ermittelt werden. Das Handlungsziel kann in der Regel nicht bereits zu Beginn des Gesprächs geklärt werden, da sich das Handlungsziel unter anderem erst aus den Informationen im Gespräch ergeben soll. Denn das Handlungsziel legt fest, was in der Sache das Ergebnis sein sollte. Während das Gesprächsziel bereits möglichst früh geklärt wird bzw. geklärt werden kann, kann das Handlungsziel an mehreren Stellen im Gespräch thematisiert werden und sich sogar über die Dauer des gesam-ten Gesprächs verändern. Auch wenn dies der Fall ist, kommen Mandangesam-ten bereits mit einem Handlungsziel in das Gespräch, das sie unabhängig von einer juristi-schen Bearbeitungsmöglichkeit auch bereits zu Beginn benennen können und das ebenfalls bereits früh vom Anwalt ermittelt werden kann. Damit ist das Handlungs-ziel des Mandanten zum einen dem Gespräch vorgängig, es kann sich aber im Laufe des Gesprächs verändern, sodass es gleichzeitig Resultat des Gesprächs sein kann.

Ein Beispiel für das Handlungsziel findet sich in folgendem Transkriptausschnitt. In dieser gestaltenden Beratung nennen die Mandanten bereits früh ihr Handlungsziel, einen Ehevertrag abschließen zu wollen (14ff.).

[14]

MEF (w) ist, • • • Uund, • • ja, • wir • • das, • jaa, • einfach vertraglich jetzt gerne [15]

MEF (w) regeln möchten, ((1s)) wie so was im Falle einer Scheidung aussehen

[14]

Problematisch kann hier werden, dass die Mandanten zwar ihr Ziel formal benennen, nicht aber inhaltlich über das Erstellen und die Möglichkeiten eines Ehevertrages infor-miert sind. Dieses Handlungsziel kann also nur durch das Ermitteln des Ziels durch den Anwalt noch weiter spezifiziert werden.

Das folgende Beispiel zeigt das Ermitteln des Handlungsziels durch den Anwalt, allerdings indem es unterstellt wird. Diese Form der Feststellung des Ziels birgt die Gefahr, dass Mandanten aufgrund ihrer Position möglicherweise nicht widersprechen oder Handlungsziele, die der Anwalt nennt, nicht modifizieren. Hier könnte eine offe-ne Frage nach den Handlungszielen des Mandanten aus diesem Grund eioffe-ne sinnvolle Alternative sein.

Neben dem Ermitteln der Ziele des Mandanten ist es auch die Aufgabe des Anwalts, weitere mögliche Handlungsziele einzubringen, die juristisch erreichbar wären oder vom Anwalt als sinnvoll erachtet werden, die der Mandant aus seiner Perspektive aber noch nicht ins Blickfeld genommen hat.

Das folgende Beispiel zeigt einen Anwalt, der Handlungsziele in Form von Themen einbringt, die ein Vertrag beinhalten könnte (Fl. 95ff. „n Ehevertrag kann natürlich auch Regelungen zum Beispiel treffen“…).

[94] SO_GS_1: Weitere mögliche Handlungsziele einbringen

Diese Schemakomponente weist verschiedene typische Probleme bei ihrer Bearbeitung auf, die in der Folge beschrieben werden sollen.

Das Einbringen weiterer möglicher Handlungsziele wird kommunikativ nicht immer klar vom Ermitteln der Ziele des Mandanten getrennt. Dieses Vorgehen birgt die Gefahr, dem Mandanten Ziele ‚in den Mund zu legen‘. Dies ist im fol-genden Beispiel der Fall.

[285]

A (w) mir das Ziel zu sein, was Sie haben, ((ea)) dann isses doch so, Ihre QP_QS_1: Handlungsziele in den Mund legen

Hier zeigt sich der Fall, in dem der Mandant einem von der Anwältin genannten Ziel nicht widerspricht. Hier ermittelt die Anwältin das Ziel des Mandanten nicht durch die Unterstellung (vgl. FO_GP_1), sondern stellt es bereits als gegeben dar. Unter anderem dadurch entstehen in diesem Gespräch viele Schleifen, weil der Mandant die zur Erreichung des von der Anwältin angenommenen bzw. vorgeschlagenen Ziels notwendigen Schritte nicht mitgeht und Fragen dazu entsprechend nur unzureichend beantwortet.

Weiter ist es im anwaltlichen Erstgespräch typischerweise zu beobachten, dass die kommunikativen Aufgaben der Ziel- und Auftragsklärung nur vage oder unvoll-ständig kommunikativ bearbeitet werden. Häufig verwenden Mandanten für die Darstellung ihrer Ziele Formen von Anliegensübertragungen (vgl. Pick 2010) wie

„• • Äähm • • ja und äh warum ich da bin, ich würde mich einfach mal gern beraten lassen, ähm wie ich vorgehen soll.“ (LO_MB_1), „((1,3s)) Also ich komm alleine nicht mehr klar, dat is…“ (IP_OF_1), „Ääh: „Jetzt nehmen wir einfach mal

• ne anwaltliche Beratung in Anspruch, um • • für uns • • n paar offene Fragen zu klären ((ea)) und einfach zu kucken, • äh • ja wie kommen wir aus der Kiste wieder raus?“.“ (SO_EV_1). Damit wird weder zwischen Gesprächs- und Handlungsziel

differenziert, noch werden die Ziele inhaltlich deutlich. Häufig werden die Ziele dann im Anschluss nicht von den Anwälten ermittelt, sondern es werden Ziele angenommen, die juristisch möglich und naheliegend sind. Problematisch wird vor allem, wenn sich die Ziele des Mandanten nicht mit den vom Anwalt angenom-menen decken (vgl. Pick 2009b, vgl. Kapitel 8). Dass Mandanten ihre Ziele häufig nicht explizit nennen, scheint keine neue Erkenntnis, dennoch ist sie nach wie vor aktuell „Clients typically do not specify what they want their lawyers to do or how they want their lawyers to behave“ (Sarat/Felstiner 1995: 57).

Ebenfalls reicht es aber nicht aus, das Gesprächs- oder Handlungsziel lediglich zu erfragen, denn es kann sein, dass der Mandant darauf nicht mit seinem Ziel antwortet, wie das folgende Beispiel zeigt.

A (w): ((8s)) Oder was ist das, was Sie, was Sie… Was, was ist Ihr Plan oder was ist Ihr Ziel, was Sie sich hier heute von mir erhofft haben • • oder erhoffen immer noch?

M (m): Ja, dass do i amoil… I, i hob/i kenn die, die gesetzliche Regelung ned, wie des aufgestellt ist und so weiter genau, ned? Weil wenn ihr heut sog, du i hob heut a zehn Joahr a eheähnliche Be/Gemeinschaft geführt, dann, dann kann des ned sein, dass i heit äh mit null rausgeh.

A (w): ((1,7s)) Hmhm̄ Aber den Re/den Rechtsgrundsatz gibt s nicht.

QP_QS_1: Gescheiterte Zielklärung (vereinfachte Darstellung des Transkripts)

Hier erfragt die Anwältin zwar das Ziel des Mandanten, dieser antwortet darauf aber nicht damit, dass er sein Ziel nennt, sondern zunächst sein juristisches Unwissen betont.

Daraufhin verbalisiert er sein Laienwissen über rechtliche Zusammenhänge (vgl. Kapitel 7.3.3), nennt aber nach wie vor nicht sein Ziel. Die Anwältin ermittelt in der Folge das Ziel nicht genauer, sondern geht zu einer rechtlichen Betrachtung über, die sie darüber hinaus fachsprachlich formuliert und nicht auf den Wissensstand des Mandanten zuschneidet.

Hier zeigt sich, dass allein das Fragen nach dem Ziel nicht immer ausreicht, hier wäre ein genaueres Nachfragen notwendig gewesen, um das Ziel des Mandanten zu ermitteln.

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 188-193)