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Typen anwaltlicher Erstgespräche und ihre Konstellationen

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 128-133)

Phasen, Ablauf, Typen

5 Ablauf und Typen anwaltlicher ErstgesprächeErstgespräche

5.2 Typen anwaltlicher Erstgespräche und ihre Konstellationen

Betrachtet man die Zahl der in Deutschland tätigen Rechtsanwälte, deren unterschiedliche Organisationsstruktur, die verschiedenen Rechtsgebiete und Möglichkeiten der Spezialisierung als Fachanwälte, aber auch die unterschied-liche Mandantenstruktur, von deren Vielfalt das vorliegende zu untersuchende Gesprächskorpus einen Ausschnitt abbildet, so stellt sich die Frage, inwiefern überhaupt das anwaltliche Erstgespräch als solches untersucht werden kann.

Dazu sollen hier zunächst die den Gesprächen zugrunde liegenden Konstel-lationen betrachtet werden und auf dieser Basis eine Typisierung der Gespräche vorgenommen werden, die dann anhand der Gesprächsphasen, die unmittelbar durch die Konstellation beeinflusst sind, weiter ausdifferenziert werden. So kann auf der Basis der Konstellation sowie dem Geschehen im Gespräch ermittelt wer-den, inwiefern anwaltliche Erstgespräche homogen genug sind, um einen gemein-samen Untersuchungsgegenstand auszubilden bzw. wo jeweils Spezifika einzelner Typen liegen, die auch bei den weiteren Analysen berücksichtigt werden sollten.

Das mir vorliegende Material unterscheidet auf der Basis der Konstellation sowie Spezifika innerhalb der Gesprächsphasen drei Typen von Mandantenge-sprächen. Die Typen bezeichne ich als

a) die sachverhaltsbegutachtende Rechtsberatung, b) die rechtsgestaltende Rechtsberatung sowie c) die bearbeitungsverwerfende Rechtsberatung.

Den mit Abstand größten Teil des Korpus macht der Typ der sachverhaltsbegut-achtenden Rechtsberatung13 aus. Hier werden bestehende Probleme des Man-danten reaktiv bearbeitet und Lösungsmöglichkeiten für eine vom ManMan-danten als nachteilig bewertete Situation gesucht. Dabei können Lösungsmöglichkeiten sowohl gerichtliche wie außergerichtliche Schritte beinhalten, die im Normal-fall durch den Anwalt vertretend bearbeitetet werden. Hier sind beispielsweise Problemfelder wie die Überprüfung einer Beurteilung im Verwaltungsrecht, die Prüfung von Unterhaltsansprüchen bei einer Scheidung oder die Prüfung einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im Arbeitsrecht betroffen. Auch das Straf-recht ist, soweit dies anhand der Daten bestimmt werden kann, sachverhaltsbegut-achtend. In der sachverhaltsbegutachtenden Beratung stehen im prototypischen Fall Anwalt und Mandant gemeinsam einer Gegenseite gegenüber.

Die rechtsgestaltende Rechtsberatung14 bezieht sich auf erwartete oder erwartbare Probleme in der Zukunft, für deren Verhinderung eine rechtliche Regelung getroffen werden soll. Für die zu findende Lösung muss darüber hinaus gegeben sein, dass sie über die gesetzlich vorgesehenen hinausgeht oder davon abweicht, da eine Regelung ansonsten nicht notwendig würde. Hier besteht zum Zeitpunkt der Rechtsberatung (noch) kein Problem, sondern es werden künftige (potenziell problematische) Sachverhalte diskutiert, für deren Eintreten bzw. zu deren Verhinderung Regelungen getroffen werden sollen.

Diese Art der Rechtsberatung betrifft maßgeblich die Gestaltung von Verträgen in den verschiedenen Rechtsgebieten bzw. die Vorbereitungen zu Vertragsver-handlungen. Eine gerichtliche Auseinandersetzung ist hier nicht von vornher-ein vorgesehen. In der rechtsgestaltenden Beratung werden entweder die betei-ligten Vertragspartner gemeinschaftlich von einem Anwalt beraten, sodass alle Beteiligten bereits im Erstgespräch gemeinsam die Regelungen diskutieren. Ein anderer Fall in der gestaltenden Beratung kann sein, dass beide Vertragspartner anwaltlich vertreten sind. In diesem Fall findet das Erstgespräch allein zwischen dem Anwalt und einem Vertragspartner statt. Es gibt keine Gegenseite (wie sie bei der sachverhaltsbegutachtenden Beratung existiert), sondern die andere Partei ist der Partner des Mandanten. Für die gestaltende Rechtsberatung ist typisch, dass kooperativ oder konfrontativ Partner gemeinsam Regelungen für 13 In dieser Arbeit teilweise auch als „begutachtende Beratung“ abgekürzt.

14 In dieser Arbeit teilweise auch als „gestaltende Beratung“ abgekürzt.

ihr/e Zusammenarbeit/-leben treffen und die Beteiligten sich nicht als Gegner betrachten.

Die Unterscheidung der Typen a) und b) findet sich auch in der rechtspraktischen Literatur. So deckt sich diese Einteilung mit den Feldern, auf denen nach Heussen (1999: 137) anwaltliche Arbeit stattfindet: „Vorsorgende Beratung, wie rechtliche Probleme vermieden werden können, Risikoprognosen“ und „[d]ie Unterstützung des Mandanten, wenn Krisen bewältigt werden müssen“. Kilian (2008: 10) trifft eine ähnliche Unterscheidung in proaktiv und reaktiv zu lösende Probleme.

Die bearbeitungsverwerfende Rechtsberatung15 fasst jene Fälle zusammen, in denen sich im Rahmen der rechtlichen Begutachtung herausstellt, dass eine weitere rechtliche Bearbeitung das Ziel des Mandanten nicht erreichen kann.

Die bearbeitungsverwerfende Rechtsberatung ist mit jenen der sachverhaltsbe-gutachtenden und gestaltenden Beratungen bis zu einem bestimmten Punkt im Gespräch ähnlich, da sich das Ziel des Mandanten erst im Laufe der Beratung als nicht juristisch bearbeitbar herausstellt. Dieser Typ der Rechtsberatung unter-scheidet sich maßgeblich erst ab der Sachverhaltsbegutachtung von den anderen Typen anwaltlicher Erstgespräche, da erst nach der anwaltlichen Bewertung fest-gestellt wird, dass der Sachverhalt nicht (erfolgreich) rechtlich bearbeitet werden kann. Entsprechend wird die Feststellung der Erfolglosigkeit der Bearbeitung vom Anwalt – und in der Regel gegen die Erwartungen des Mandanten – getroffen.

Dass ein Sachverhalt nicht erfolgreich bearbeitet werden kann, kann verschie-dene Gründe haben: Es kann sein,

• dass der Mandant entweder keine Ansprüche hat oder diese nicht genügend beweisbar sind (im Falle einer Klage diese also keine Erfolgsaussichten hat);

• dass er Ansprüche gehabt hat, die nicht mehr vollstreckbar sind;

• dass er rechtlich Ansprüche hat, die praktisch nicht vollstreckbar sind und sich damit eine Bearbeitung ökonomisch nicht rechnet (eine gewonnene Klage also nicht zum Ziel verhilft, dafür oft bemüht ist der Spruch „Einen Titel, den man sich an die Wand nageln kann“);

• dass er Ansprüche haben wird, die aber noch nicht bearbeitbar/ durchsetzbar sind (die Umstände für eine Zulassung einer Klage noch nicht gegeben sind);

• dass er Regelungen treffen möchte, die der Rechtsordnung entgegenstehen oder ökonomisch unsinnig sind (sittenwidrige Vertragsregelungen, zu risiko-reiche Vertragsregelungen etc.).

15 In dieser Arbeit teilweise auch als „verwerfende Beratung“ abgekürzt.

Bei diesem Typ der Rechtsberatung stehen Anwalt und Mandant im Gegen-satz zu den beiden anderen Typen einer potenziellen Gegenseite oder einem potenziellen Partner gegenüber (in Abb. 4 durch die Einklammerung kennt-lich gemacht), da eine weitere Bearbeitung nicht stattfindet. Somit bleibt die Position der Gegenseite bzw. des Partners nicht besetzt, vor allem im Falle einer potenziellen Gegenseite ist es möglich, dass diese sogar nie von ihrer Position als Gegenseite Kenntnis nimmt.

Dieser Typ ist bis zur anwaltlichen Begutachtung einem der beiden ande-ren Typen a) und b) sehr ähnlich, weshalb man davon ausgehen könnte, dass es sich dabei um einen Subtyp der beiden anderen Typen a) und b) handelt.

Betrachtet man allerdings die institutionellen Zwecke der drei Typen, so muss festgestellt werden, dass diese sich unterscheiden. Hier kommen auch die ver-schiedenen Rollen des Rechtsanwalts zum Tragen. Der Rechtsanwalt hat in seiner Stellung als Vermittler zwischen dem Rechtssystem und der Gesellschaft (vgl. Kapitel 2.1.1) eine wichtige Filterfunktion. Denn er ist in seiner Rolle als Organ der Rechtspflege angehalten, nur bearbeitbare Fälle überhaupt in das Rechtssystem einzubringen und damit gleichzeitig das Rechtssystem vor der Bearbeitung aussichtsloser Fälle zu schützen. Ebenso ist er in seiner Rolle als einseitiger Interessenvertreter dem Mandanten als Rechtslaien gegenüber verpflichtet, ihn vor einer rechtlichen Auseinandersetzung ohne Erfolgsaus-sichten zu bewahren. Diese Rollen schlagen sich je nach der Begutachtung des Sachverhalts des Mandanten auch in den Gesprächen selbst nieder. Beim Typ der verwerfenden Beratung unterscheidet sich also der Zweck dahinge-hend, dass hier gerade das Einleiten einer rechtlichen Bearbeitung sowohl im Interesse des Mandanten als auch des Rechtssystems verhindert werden soll.

Entsprechend ist der Zweck also ein weiteres Kriterium der Unterscheidung der Typen anwaltlicher Erstgespräche.

Neben dem Zweck ist weiter die Fallkonstitution maßgebend. Während die Sachverhalte in den beiden Typen a) und b) das Potenzial haben, Fälle werden zu können, scheitert der Typ c) an der Fallkonstitution. Denn „Fälle werden als Einheit des Wissens durch kollektive Bearbeitung einer initialen Problemkons-tellation aufgebaut, sie wird durchgearbeitet in einem institutionellen Prozess, abgeschlossen unter einer spezifischen Beurteilung, die ihnen ihre finale Gestalt gibt und sie in die Institutionsgeschichte, die auch Fallgeschichte ist, eingliedert“

(Hoffmann 2014: 287).

Aber auch darüber hinaus gibt es Gründe, die hier die Annahme eines eige-nen Typs anwaltlicher Erstgespräche rechtfertigen. Denn hier ist nicht allein die Konstellation für diese ausschlaggebend, sondern auch das Gesprächsgesche-hen selbst (das natürlich mit der Konstellation eng verknüpft ist). Wie sich in der

Beschreibung der Phasen und ihrer Spezifika für die Typen herausstellen wird, weist der Typ c) spätestens ab der anwaltlichen Begutachtung einige Spezifi-ka auf, die es rechtfertigen, hier drei Typen anwaltlicher Erstgespräche zu unterscheiden (zu einer detaillierten Differenzierung der Typen anhand des Gesprächsgeschehens vgl. Kapitel 5.4). Denn bei der Begutachtung wird die Bearbeitung als nicht erfolgreich möglich festgestellt und verbalisiert, womit sich die verschiedene Konstellation im Gespräch manifestiert. Betrachtet man also auch die Gesprächsphasen bezogen auf die Differenzierung verschiedener Gesprächstypen, muss Typ c) klar als eigenständiger Gesprächstyp behandelt werden (vgl. Kapitel 5.4).

In der folgenden Übersicht sind die drei Typen anwaltlicher Erstgespräche noch einmal im Überblick entlang der Unterscheidungskriterien ihrer Konstel-lationen dargestellt.

Abb. 4: Die Typen anwaltlicher Erstgespräche differenziert nach ihrer Konstellation

des Problembeginns Vergangenheit Zukunft Vergangenheit Zukunft

bearbeiten Zukünftiges regeln Rechtssystem und Mandanten

Fallkonstitution möglich möglich nicht möglich

Die Tabelle (Abb. 4) zeigt die drei Typen anwaltlicher Erstgespräche. In der Gesprächspraxis sind neben den typischen Ausprägungen auch eine Reihe von Mischtypen zu beobachten. Mischtypen zwischen sachverhaltsbegutachtender und gestaltender Beratung entstehen zum Beispiel, wenn eine Situation bereits vorliegt, bei der der Mandant Ansprüche geltend machen kann und gleichzeitig eine vertragliche Regelung in der gleichen Personenkonstellation gestaltet wer-den soll – der Vertragspartner ist also zusätzlich in bestimmten Fragen auch Gegenseite (z. B. bei einer Scheidung, bei der Überarbeitung eines Beschlusses, bei der Auflösung einer Gesellschaft etc.). Ebenfalls können Mischtypen mit der verwerfenden Beratung entstehen, wenn Teile des Problems bearbeitbar sind oder sich verschiedene zu bearbeitende bzw. nicht bearbeitende Ziele aus einem Fall ergeben (z. B. finanziellen vs. emotionalen Ausgleich für den Mandanten).

Hier sind eine Reihe weiterer Mischtypen vorstellbar.

5.3 Entwicklung einer Ablaufbeschreibung für das

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