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Themenexploration und -zuspitzung

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 141-146)

Phasen, Ablauf, Typen

5 Ablauf und Typen anwaltlicher ErstgesprächeErstgespräche

5.4 Gesprächsphasen im anwaltlichen Erstgespräch

5.4.2 Themenexploration und -zuspitzung

Mit Themenexploration und -zuspitzung wird die Phase bezeichnet, die durch weiterführende oder vertiefende Fragen des Anwalts eingeleitet wird, häufig auch Sachverhaltsexploration genannt. Es wird hier das Wissen um den Sach-verhalt, in den das zu bearbeitende Problem oder Thema eingebettet ist, ent-sprechend erweitert. Der Anwalt beginnt bereits zu diesem Zeitpunkt, mental eine oder mehrere zu bearbeitende juristische Fragestellungen herauszuarbeiten (vgl. Kapitel 8) und verschafft sich während der Phase der Themenexploration und -zuspitzung Informationen über jene Teile des partikularen Erlebnis- und Beobachtungswissens des Mandanten, das zur Komplettierung seines Bildes über den Lebenssachverhalt des Mandanten noch fehlt, um es tragfähig in juristische Kategorien übertragen zu können.

Wunderlich (1981) integriert diese Phase als „Nachfragen und Ergänzungen“

und bezeichnet sie als optionale Tätigkeit des Ratgebers. Im Mandantengespräch

ist dies keine optionale Phase, sondern ist in jedem Gespräch zu beobachten und dient dazu, die Darstellung des Mandanten so zu ergänzen, dass der Sachverhalt in einen juristisch bearbeitbaren Sachverhalt transformiert werden kann, um ihn dem Rechtssystem zugänglich machen zu können (vgl. Kapitel 6, vgl. auch das Eingangszitat des Anwalts in Kapitel 1). Daher dient diese Phase im Man-dantengespräch zwar auch, aber nicht ausschließlich der Sicherung des Pro-blemverstehens, das Boettcher (2004b: 187ff.; 2004a: 116ff.) für diese Phase hervorhebt. Im Mandantengespräch wird das Problem in dieser Phase im Sinne einer institutionellen Zuspitzung erst herausgearbeitet (vgl. Kapitel 8).

Ebenso geht die Themenexploration und -zuspitzung im Mandantengespräch aus diesem Grund über Schanks Phase der PLR („Erfassung der Lage und Person des Ratsuchers“) hinaus (Schank 1981b: 184).

Die Themenexploration und -zuspitzung kann dadurch erfolgen, dass der Anwalt Themen des Mandanten aufgreift und genauer nachfragt. Entsprechend wurde auch die Bezeichnung Themenzuspitzung gewählt, da hier eine Fokussie-rung des Anwalts auf bestimmte Themen erfolgt und davon ausgegangen wer-den muss, dass es sich um bestimmte, für die Weiterverarbeitung im juristischen Handlungszusammenhang relevante Themenstellungen handelt. In diesem Zusammenhang sind ebenfalls Relevanzrückstufungen von Mandantenäuße-rungen zu beobachten, die auch zur Themenzuspitzung beitragen, indem sie den Sachverhalt nach institutionellen Gesichtspunkten gewichten.

Eine andere Möglichkeit der Themenexploration und -zuspitzung ist das Lesen oder Durchsehen der Unterlagen, die Mandanten zur Besprechung mitgebracht haben. Auch hier zeigt sich der Sachverhalt, z. T. in Form von Beweisen (Gehaltsabrechnungen, Ehevertrag etc.), z. T. bereits in transformierter Form (Bescheide, Strafanzeigen etc.). Auch diese liest der Anwalt vor dem Hintergrund des entstehenden Bildes über den Sachverhalt und möglicher zu prüfender Ansprüche und selektiert entsprechend die relevanten Inhalte.

Beispiele Themenexploration und -zuspitzung Sachverhaltsbegutachtende Rechtsberatung [9]

A (m) Okay. • • • Okay. Zeigen Sie mal her. Das

M (w) Eigentümer, mein Arbeitgeber.

[10]

A (m) ist son Personaldatenblatt, ne? (Also)… Okay. • • • N schriftlichen

M (w) Das… Genau.

[11]

A (m) Arbeitsvertrag gibt s auch? Ein oder mehrere? Gar keine. Okay. Okay, ja,

M (w) Nein. Leider nicht. Nein. Nein.

[12]

A (m) is ääh so lange ich weiß, dass es keinen gibt, ist das • • ääh nicht das [13]

A (m) Problem. • • • Blöde wär s nur, wenn es einen gäbe und ich hätte ihn BT_TD_1

In diesem Beispiel ist die hier vorangehende Phase der Themeneinführung nur sehr kurz, denn der Anwalt geht sehr früh (Fl. 9) mittels Gliederungssignalen („Okay“ , Fl. 9), dem Wechsel zur Sichtung der Unterlagen („Das ist son Personaldatenblatt, ne?“ , Fl. 9ff) und dem Wechsel zu einer Frage-Antwort-Sequenz („N schriftlichen Arbeitsvertrag gibt s auch?“ , Fl. 10f.) zur Themenexploration und -zuspitzung über. Er fragt bereits gezielt nach bestimmten aus seiner Erfahrung als wichtig zu erachtenden Unterlagen (vgl. Kapitel 8), was die Zuspitzung und Relevantsetzung bestimmter Themen verdeutlicht, gleichzeitig strukturiert er damit sehr früh die unterbricht die Darstellung der Mandantin schnell.

Rechtsgestaltende Rechtsberatung [27]

MEM (m) haben, bevor wir dann da • einen solchen Vertrag dann aufsetzen und [28]

A (m) Okay. ((1s)) Sie sind beide Deutsche?

MEM (m) dann auch unterschreiben. • Ja.

[29]

A (m) ((1s)) Sie • gehn ins Ausland, hab ich jetzt richtig verstanden.

MEF (w) Hmhm̌

MEM (m) Genau.

[30]

A (m) Wohin? ((1,2s)) Wie lange?

MEF (w)

MEM (m) Nach Spanien. • • Das ist noch ungewiss.

[…] [47]

A (m) Sache. ((1,2s)) Jetzt gehn wir vielleicht die Sache mal von hinten an. • • • [48]

A (m) Hm̄ • sagen Sie mir mal/ • erstmal was Sie sich so vorstellen für n [49]

A (m) Ehevertrag, was denn da drin stehen soll. ((3,2s)) Also wir könn s entweder SO_GS_1

Auch hier wird die Themenexploration und -zuspitzung durch den Anwalt eingeleitet, der dazu ein Gliederungssignal verwendet („Okay“ , Fl. 28) und durch die anschließende Pause und den Wechsel zum Fragen den Phasenwechsel deutlich macht. Hier zeigt sich der Typ der gestaltenden Beratung daran, dass der Anwalt Sachverhalte in der Zukunft erfragt („Sie • gehen ins Ausland?“ , Fl. 29ff.), die hier nicht das Ziel der rechtlichen Bearbeitung betreffen (dieses liegt in allen Typen in der Zukunft), sondern die Rahmenbedingungen einer rechtlichen Bearbeitung. Im weiteren Verlauf des Gesprächs (Fl. 47ff.) wird deutlich, dass der Anwalt stärker die Zielsetzung der Mandanten in den Fokus nimmt („sagen Sie mir mal/ • erstmal was Sie sich so vorstellen“ , Fl. 48f.), da deren Willen hier ausschlaggebender für die weitere Bearbeitungsrichtung ist.

Bearbeitungsverwerfende Rechtsberatung [109]

A (m) Das ist ja ein relativ langes ausführliches Protokoll. Ähm also auch wenn s [110]

A (m) an einigen Stellen natürlich pauschaliert.• Ähm • • wenn ich das aber

M (m) • Hm̀hḿ

[111]

[t] 15:00

A (m) richtig äh verstehe dann ähm ist in diesem Gespräch im März aber ja schon [112]

[t]

A (m) • sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, dass die Zusammenarbeit auf [113]

[t]A (m) jeden Fall in diesem Jahr beendet werden soll. • • Hm̀hḿ

M (m) • • Ja • • • Ja • •

IP_AJ_1

Hier deutet sich während der Themenexploration und -zuspitzung bereits an, dass das Ziel des Mandanten möglicherweise mit rechtlichen Mitteln nicht erreichbar ist, was sich daran zeigt, dass der Anwalt gezielt Sachverhalte nachfragt, die die Erfolglosigkeit bestätigen („dann ähm ist in diesem Gespräch im März aber ja schon“ , Fl. 111). Dies wird nicht nur im weiteren Gesprächsverlauf inhaltlich expliziter besprochen, sondern es deutet sich hier bereits durch das gemeinsame Wissen anzeigende „ja“ (Fl. 111) an, dass Aussagen die der Mandant selbst geliefert hat, auf eine erfolglose Bearbeitung hindeuten, hier markiert durch die Kontrastierung „aber“ (Fl. 110). Daneben werden in diesem Beispiel auch Sachverhaltsbestandteile in ihrer Relevanz für eine rechtliche Bearbeitung zurückgestuft (die Pauschalisierung der Protokolle, die der Mandant bemängelt, Fl. 109f.), was für diese Phase in allen Typen typisch ist.

Besonderheiten der Typen finden sich hier erneut vor allem zwischen der gestaltenden Beratung und der sachverhaltsbegutachtenden Beratung. In der gestaltenden Beratung werden stärker mögliche Handlungsoptionen, aber auch die Zielsetzung der Mandanten thematisiert. Diese werden vom Anwalt hier typischerweise ausführlicher erfragt, da eine vertragliche Regelung stärker vom Willen der Beteiligten geprägt ist als die juristische Bearbeitung eines bereits vorhandenen Sachverhalts. Dazu kommt, dass der Anwalt selbst hier stärker neue Themen einbringt, die gegebenenfalls für die Gestaltung eine Rolle spielen könnten.

Diese Themen bringt er zwar auch in die sachverhaltsbegutachtende Beratung ein, allerdings liegt das Hauptaugenmerk dort stärker auf einer vertiefenden Exploration der zu bearbeitenden Situation, in der sich die Bearbeitungsrichtung zuspitzt und die zu prüfenden Ansprüche weiter eingeschränkt werden. Bei der verwerfenden Beratung kann sich in dieser Phase bereits andeuten, dass das Problem nicht bearbeitbar ist, wenn Sachverhaltsbestandteile vom Anwalt durch Fragen oder Zusammenfassungen fokussiert werden, die auf die Nichtbearbeitbarkeit hindeuten. Das ist aber nicht immer der Fall, da eine Bearbeitbarkeit zunächst in jedem Gespräch von den Beteiligten vorausgesetzt wird.

Spezifika der Typen in der Gesprächsphase

Sachverhaltsbegutach-tend Gestaltend Verwerfend

Bearbeitungsrichtung spitzt sich zu, denn die Auswahl der zu prüfenden Ansprüche werden hier weiter eingeschränkt und die Umstände des Sachverhalts weiter aufgeklärt.

Zielsetzung der Mandanten ist ausführlicher als in den anderen Typen Teil der Exploration.

Das Ziel ist weniger stark durch den Sachverhalt (und mögliche sich daraus ergebende Ansprüche bestimmt), sondern stärker durch den Willen der Parteien.

Anwalt kann bereits jene Sachverhaltsbestandteile fokussieren, die ausschlaggebend für eine Verwerfung sind, dies setzt aber voraus, dass er die Nichtbearbeitbarkeit des Problems bereits in dieser Phase erkennt. bestimmter Themen von Anwalt und Mandant deuten sich an.

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